cannes 2020 - © Christophe Bouillon / FDC

Stunde der Wahrheit für Filmfestivals

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Filmfestivals gehören zu den von der Pandemie am stärksten betroffenen Kulturveranstaltungen. Cannes wurde nach langem Hin und Her abgesagt. Venedig soll Anfang September, in welcher Form auch immer, stattfinden – ebenso Ende Oktober die Viennale.

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Filmfestivals gehören zu den von der Pandemie am stärksten betroffenen Kulturveranstaltungen. Cannes wurde nach langem Hin und Her abgesagt. Venedig soll Anfang September, in welcher Form auch immer, stattfinden – ebenso Ende Oktober die Viennale.

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Zuerst war da ein ungläubiges Beharren. Dann eine wenig einsichtige, fast trotzige Terminverschiebung. Schließlich die nüchterne Erkenntnis: Das wird heuer nichts mit dem Filmfestival von Cannes. Diese berühmteste Filmschau der Welt ist ein Opfer der Coronakrise geworden, so wie hunderte andere Festivals auch. Mit der Absage der Diagonale in Graz und von Crossing Europe in Linz waren auch zwei wichtige heimische Filmfestivals betroffen.

In Cannes hat man lange gehofft, Ende Juni, Anfang Juli doch noch einen Ersatztermin zu finden, und auch wenn sich die Pandemie-Situation inzwischen in Frankreich gebessert hat, so sind Massenveranstaltungen wie diese noch völlig undenkbar. 2500 Menschen in einem Kinosaal? Das Gedränge auf dem roten Teppich vor dem ­Palais des Festivals? Hunderte, die sich in den Cafés und Restaurants dicht an dicht reihen? Cannes hat ein Problem.

Filmfestivals als Orte kollektiver Film­erfahrung sind zumindest in naher Zukunft gänzlich unmögliche Modelle kultureller Vermittlung; zwar dürfen ab Juli wieder 250 Menschen in einem Kinosaal – mit entsprechend Abstand – Platz nehmen, aber dennoch leidet darunter vermutlich nicht nur die kollektive Erfahrung, sondern auch der mit den Festivals verbundene Wirtschaftsfaktor: Allein nach Cannes kommen jedes Jahr 4000 Journalisten und mehr als 150.000 Fachbesucher, die alle essen und schlafen müssen. Bei einer Begrenzung der Teilnehmer ist das für niemanden ein gutes Geschäft.

Cannes als „Gütesiegel“?

Immerhin will man den Jahrgang 2020 nicht im Archiv verschwinden lassen – Anfang Juni (und nach Redaktionsschluss) wurde eine Liste der für den Cannes-Wettbewerb um die Goldene Palme ausgewählten Filme der Öffentlichkeit präsentiert. Angeblich, um den Filmen bei ihrer Kinoauswertung zu helfen, weil das Cannes-Logo mit der Palme eine Art „Gütesiegel“ wäre. Das denkt zumindest Festivalchef Thierry Frémaux. Der wahre Hintergrund aber dürfte sein, diese Filme zu „brandmarken“, damit die Cannes-Exklusivität weithin sichtbar wird, wenn sich die entsprechenden Produktionen bei anderen Filmfestivals um einen Premierenplatz bemühen.

Konkret geht es um das Filmfestival von Venedig, das allen Widrigkeiten zum Trotz bislang keineswegs abgesagt wurde. Es soll wie geplant zwischen 2. und 12. September stattfinden, und zwar auf dem Lido von Venedig, nur mit besonderen Sicherheitsvorkehrungen. Zumindest wenn es nach Luca Zaia, dem regionalen Präsidenten von Venetien, geht. In der Filmbranche regiert jedenfalls noch breite Skepsis, wie ein Filmfestival „mit Einschränkungen“ funktionieren könnte. Online kursieren jede Menge Gerüchte: Zunächst müsse man das Publikum vom Festival aussperren und nur Fachbesuchern den Zutritt erlauben, diskutiert man in diversen Foren. Aber auch die Anzahl der Fachbesucher würde stark eingeschränkt werden müssen, und auch die Anzahl der Filme. Hartnäckig hält sich derzeit das Gerücht, dass nur die italienische Presse am Festival physisch wird teilnehmen dürfen, während die internationalen Journalisten mit einem Online-Zugang ausgestattet werden könnten, über den sie eine Auswahl der Filme daheim streamen könnten – natürlich nur, wenn die Rechteinhaber der Filme dem zustimmen.

Maßnahmen, die jedenfalls von Cannes entschieden abgelehnt werden. Frémaux verwehrte sich einer digitalen Ausgabe des Festivals von Anfang an: „Das widerspricht dem Charakter der Filmschau, die physische Präsenz voraussetzt“, sagt er. Und auch die Profis der Branche geben den Plänen der Filmschau in Venedig wenig Chancen. „Für einen internationalen Film-Launch braucht es auch die internationale Presse, sonst lohnt sich der Aufwand nicht“, sagt der britische PR-Experte Charles ­McDonald, der seit Jahrzehnten Filme auf Festivals betreut. „Außerdem stellt sich die Frage, welche Stars dann wirklich anreisen oder anreisen dürfen. Und im stets überfüllten Hotel Excelsior geht das mit der sozialen Distanz auch nicht sehr gut.“ Venedig-Festivalchef Alberto Barbera jedenfalls bezeichnete die kommende Filmschau als „Experiment“, bei dem vermutlich die roten Teppiche eher leer bleiben könnten. Beim zeitgleich stattfindenden Festival in Toronto überlegt man sogar eine gänzliche Verlagerung ins Netz, wie Journalisten berichteten.

In Zukunft „hybride“ Festivals?

Inzwischen gibt es mit Festivals, die ausschließlich online stattfinden, sogar schon erste, vielversprechende Erfahrungswerte: Das DOK.fest München, das größte deutsche Dokumentarfilmfestival, fand dieses Jahr notgedrungen als Online-Festival statt. „Zu unserer großen Freude und Überraschung war es extrem erfolgreich“, sagt Pressesprecher Dominik Petzold. „Wir hatten 75.000 gezählte Zuschauer – tatsächlich waren es weit mehr, da sicher in vielen Fällen mehr als einZuschauer vor dem Bildschirm saß. Unser bisherigerRekordwert lag 2019 bei 52.000 Zuschauern.“ Wohlgemerkt als rein physische Ausgabe. Daher will man ab nun neue Wege gehen und den Online-Markt gleich mitnehmen. „Für das kommende Jahrplanen wir ein hybrides Festival, das in Münchner Kinos und online stattfindet“, so Petzold.

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