Shadowing the third man - © Cinestar   -  Filmstill aus "Shadowing the Third Man" von Frederick Baker (2005)

Ohne TV: kein Film

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Das österreichische Wunder. Dokumentarfilm und Fernsehen im Land der begrenzten Möglichkeiten.

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Das österreichische Wunder. Dokumentarfilm und Fernsehen im Land der begrenzten Möglichkeiten.

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Wo immer man derzeit außerhalb Österreichs hinkommt, wird man auf das "österreichische Filmwunder" angesprochen. Gerade das, was sich im Bereich des Kinodokumentarfilms abspiele, suche in Europa seinesgleichen. Die Titel sind bekannt, aber man erinnert gerne daran: Lange, bevor Nikolaus Geyrhalter mit Das Jahr nach Dayton (1997) und Pripyat (1999) äußerst erfolgreich bei Festivals präsent war, erregten schon Ulrich Seidls Filme (Good News, Mit Verslust ist zu rechnen …) internationale Aufmerksamkeit. Darwin's Nightmare von Hubert Sauper wird zum Oscar nominiert, Michael Glawoggers Distanz zu sozialem Elend in Filmen wie Megacities und Workingman's Death spürbar. Teilnahme an Festivals und Preise auch für Exile Family Movie (2006), die großartige Geschichte eines nicht ganz einfachen Familientreffens des in Österreich lebenden Exiliraners Arash. Alle quantitativen Rekorde gebrochen aber hat Erwin Wagenhofer mit seinem Film We Feed the World mit über 200.000 Zusehern in Österreich und bereits 335.000 in Deutschland.

Dokumentarfilm in Blüte

Es ist unbestritten, dass zu diesem Erfolg neben einer konsequenten Ausbildung ganz wesentlich das österreichische Fördersystem beigetragen hat. Und das Wichtigste: Österreich hat ein unglaublich großes Potenzial an Begabungen im Lande.

Der Dokumentarfilm erlebt generell eine unerwartete Blüte, die es in der Geschichte dieses Genres so noch nicht gegeben hat. Was das Publikumsinteresse betrifft, scheint die Realität der Fiktion allmählich den Rang abzulaufen. Das wird auch aus der Sicht des Fernsehens positiv gesehen, das an diesem Erfolg mitpartizipiert. Eine Reihe positiver Wechselwirkungen liegen auf der Hand. Mediale Erfolge einer Dokumentation haben auch für die TV-Ausstrahlung eine entsprechende Wirkung. Doch so einfach, wie es sein könnte, sind diese Synergien zwischen Kino und Fernsehen anscheinend doch nicht immer.

Sehr häufig wird von Filmemachern die Arbeit für das Fernsehen als ein notwendiges Übel betrachtet, das man in Kauf nehmen muss, um überhaupt künstlerisch arbeiten zu können. Das Fernsehen scheint der "ideologische Feind" für so manchen dieser Branche zu sein, und es ist nicht immer einfach, differenziert über dieses Medium zu sprechen. Davon zeugen zum Teil sehr polemisch geführte Diskussionen auch anlässlich der Diagonale in den vergangenen Jahren. Nichts gegen harte Diskussionen, wenn sie sachlich geführt werden. Man kann sich aber bei aller berechtigten Kritik des Eindrucks nicht erwehren, dass die Erwartungen an einen öffentlich-rechtlichen Sender wie den ORF manchmal überzogen sind. Dieser hat zwar einen klaren Auftrag, ist aber deshalb lange noch kein Kulturkanal. Die Arbeit an einem neuen, klareren Profil des Senders ist bekanntlich im Gange.

Der Dokumentarfilm in Europa und so auch in Österreich würde nicht ganz so dastehen, gäbe es nicht ein europäisches Netzwerk von Fernsehsendern, die dem Dokumentarfilm, dem Autorenfilm eine wirkliche Chance bieten. ARTE und 3sat, zwei Kulturkanäle, in die auch der ORF aktiv Geld investiert, sind herausragende Beispiele für Sender, die für dieses Genre echte Plattform und Heimat sind. ARTE ist überhaupt ein ganz entscheidender Impulsgeber für den europäischen Dokumentarfilm. Es gibt aber durchaus mehr Sender mit Engagement dafür, schaut man neben Frankreich und Deutschland auch nach Holland oder in die skandinavischen Länder.

Ein Blick auf internationale Schauplätze des Dokumentarfilms und der Dokumentation zeigt, dass die oft sehr strikt gehandhabte Trennung zwischen Kinodokumentarfilm und Fernsehfilm kaum wo so leidenschaftlich geführt wird wie in Österreich. Das einzige Argument, das gelten sollte, sind wohl erzählerische und gestalterische Qualität einer Produktion. Dass etwa die österreichisch-britisch-französische Koproduktion Shadowing the Third Man, Frederick Bakers Dokumentarfilm über den Filmklassiker, bei österreichischen Festivals keinen Platz gefunden hat, wohl aber im offiziellen Programm der Filmfestspiele in Cannes und Locarno 2005 und einer Reihe anderer renommierter Festivals, ist nur ein Beispiel für dieses Missverständnis. Erst jetzt, 2007, findet sich der Film im offiziellen Programm der Diagonale!

TV & Film: eine Kooperation

Es ist ein Faktum, dass der Erfolg österreichischer Filmemacher ohne das finanzielle Mitwirken des Fernsehens kaum möglich wäre. Das Fernsehen ist in Zusammenarbeit mit dem Kino eine ganz wichtige Plattform des Dokumentarfilms. Es wäre aber wünschenswert, wenn die Studierenden an der Filmuniversität auf die Möglichkeiten einer Kooperation von Fernsehen und Kino offensiver vorbereitet werden würden. Hier die hohe Kunst und dort der schnöde TV-Markt ist keine wirkliche Zukunftsphilosophie für Menschen, die auf die Produktionsrealität vorbereitet werden. Im Gegensatz zur Malerei und anderen Künsten benötigt der Film nun einmal sehr intensive Geldmittel. Und ist Teamarbeit, was die Produktion, aber auch die finanzielle Vorbereitung angeht.

Es kann in unserem Land wohl nur ein Miteinander geben, das der ORF kräftig unterstützen muss. Konkret koproduziert und ermöglicht der ORF Filme, die auch im Kino ihre Berechtigung haben. Ein Blick in die Diagonale-Kataloge der letzten Jahre und jene anderer Festivals wird das bestätigen.

Unbestritten ist das Engagement des ORF für den unabhängigen österreichischen Film durch das Film-Fernseh-Abkommen. Diese Filme sollen nach Möglichkeit auch im Fernsehen zu sehen sein. Problematisch ist die geltende Kinosperrfrist, die besagt, dass der ORF einen geförderten Film erst 18 Monate nach Kinostart senden darf. Diese Frist wurde nun - in Angleichung an Deutschland - noch auf 24 Monate angehoben. Sie ist nicht immer zum Vorteil des Produzenten, auch wenn sie für ihn gedacht ist. Das deutsche Modell wird entsprechend flexibel im Sinne der Produktion gehandhabt. Das sollte man sich in Österreich dringend überlegen. Welchen Sinn macht die Ausstrahlung eines Dokumentarfilmes, der - wenn's gut geht - fünf Monate im Kino läuft, aber erst 19 Monate später im Fernsehen zu sehen ist? Wem ist damit wirklich geholfen? Als einer der ganz wenigen europäischen Sender wird der ORF künftig dem Dokumentarfilm wöchentlich einen eigenen Sendeplatz (dok.film, Sonntag, 22.55, ORF 2) widmen, der natürlich auch österreichisch "glänzen" soll. Entsprechend aktuell sollte da das Angebot auch sein können.

Eigener Sendeplatz im ORF

Als vierte Ebene neben Kino, Fernsehen und DVD-Markt wird das Internet sehr bald eine wichtige Plattform für alle Kreativen der Filmbranche sein. Gerade hier macht eine offensive Kooperation zwischen Filmschaffenden, Produzenten und Fernsehen Sinn, will man die Marke "Österreichischer Film" in Zukunft weiter stärken.

Das Fernsehen als Medium produziert viel Fiktion, viele Klischees und lädt sehr oft zum Träumen ein. Die eigentliche Stärke des Fernsehens ist es aber, über und von Menschen zu erzählen. Also das, was die Dokumentation und der Dokumentarfilm so exzellent können. Es geht nicht nur um das Erzählen, es geht um das Beobachten, um das Wahrnehmen der Wirklichkeit. Das Medium entwickelt sich vor unseren Augen in einem atemberaubenden Tempo in eine Richtung, die künftig noch viel mehr Spielraum für Individualität und kreatives Gestalten offen lassen wird. Auch die Dokumentation wird immer mehr zu einem Mittel medialer Kommunikation werden. Was wir heute in YouTube und auf vergleichbaren anderen Internetplattformen sehen, das wird sehr bald die Grundlage eines vielleicht neuen, aber nicht weniger authentischen Erzählens sein. Es entstehen neue, andere und persönlichere Dokumente des Erzählens.

Der Autor ist Ressortleiter Dokumentarfilme-Kultur beim ORF-Fernsehen.

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