Erfolg durch Selbstausbeutung

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Die heimische Filmbranche wird sich bei der Diagonale in Graz heuer wieder ihr Leid klagen - trotz des großen Erfolges des österreichischen Films.

Eine eindrucksvolle Bilanz: Drei Hauptpreise für Michael Hanekes Film "Die Klavierspielerin" in Cannes, der Große Preis der Jury in Venedig für Ulrich Seidls "Hundstage", mit "Lovely Rita" ein sensationelles Debüt von Jessica Hausner, mit "Mein Russland" von Barbara Gräftner und "Vollgas" von Sabine Derflinger die Fortsetzung des Preisregens beim Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken. Eine Oscar-Nominierung für Virgil Widrichs Kurzfilm "Copy Shop". Ehrungen, Preise, Retrospektiven österreichischer Regisseure auf der ganzen Welt.

Das Jahr 2001 war für den österreichischen Film das erfolgreichste seit Jahrzehnten. Nicht nur wegen der vielen Preise. Auch an der Kinokasse im eigenen Land reüssierten viele Filme prächtig. 83.000 wollten die "Klavierspielerin" sehen, Seidls "Hundstage" liegt bei 86.000 und ist nach wie vor in vollem Kinoeinsatz. "Ein Beweis, dass auch sogenannte österreichische Kunstfilme erfolgreich an der Kinokasse sein können", meint Martin Schweighofer von der Austrian Film Commission (afc). "Dagegen verblassen 80 Prozent der us-Filmware, die bei uns anläuft".

"Dem österreichischen Film geht es prächtig, weil er sich einer internationalen Wertschätzung erfreut, die es seit 50 Jahren nicht mehr gegeben hat. Es geht ihm miserabel, wenn die Fördersituation betrachtet wird", analysiert Peter Zawrel, Geschäftsführer des Wiener Film Fonds, der heimische Filmprojekte heuer mit insgesamt 8,5 Millionen Euro (117 Millionen Schilling) fördern wird. Der zweite große Fördertopf des Landes befindet sich in den Händen des Österreichischen Filminstituts: Dort hat man heuer rund 7,5 Millionen Euro (103 Millionen Schilling) zur Verfügung.

Die Subventionen durch den Bund sind ob des Sparkurses in den letzten Jahren immer weniger geworden, die Kunstform Film rangiert bei der Politik nach wie vor weit hinter dem Theater oder der klassischen Musik. "Seit Jahren bewegt sich hier nichts", bedauert Christine Dollhofer, die gemeinsam mit Constantin Wulff auch heuer wieder das heimische Filmfestival Diagonale in Graz veranstaltet, bei dem von 18. bis 24. März sämtliche heimische Filme des letzten Jahres zu sehen sein werden. "Die Kreativen dieses Landes leisten mit geringsten Mitteln Unglaubliches, aber ihre Arbeit beruht auf Selbstausbeutung". Peter Zawrel: "Man muss die Frage stellen: Wer zieht denn schon einen Nutzen daraus, wenn man die Branche so schlecht behandelt? Keiner."

"Natürlich fehlt es an Geld", meint Martin Schweighofer. "Aber es geht auch darum, Strukturen zu schaffen, die einen sinnvollen, effizienten Einsatz von Geldern ermöglichen." Schweighofer spricht damit vielen Filmproduzenten aus der Seele. Veit Heiduschka, Produzent von Hanekes "Klavierspielerin": "Film ist Kunst und Wirtschaftsform zugleich. Seit Jahren fordern wir eine Steuerabschreibung bei der Filmproduktion, damit der Anreiz für Investitionen aus der Privatwirtschaft erhöht wird". Heiduschka, der bereits den nächsten Film Hanekes, "Wolfszeit" mit Isabelle Huppert, vorbereitet, fürchtet um die Infrastruktur: "In Österreich werden pro Jahr nur 14 bis 18 Kinospielfilme gemacht. Im internationalen Vergleich hätten wir ein kreatives Potential, das mindestens 30 Filme machen könnte. Ohne Maßnahmen könnte die Filmkultur, die wir dank der jüngsten Erfolge aufbauen konnten, schnell wieder ins sich zusammenbrechen".

Für Peter Zawrel droht andernfalls "mitunter eine Abwanderung unserer besten Leute ins Ausland". Im Fall von Michael Haneke etwa ist diese Verabschiedung von der Heimat schon halb vollzogen: Seine letzten Filme waren von französischen Filmproduzenten zumindest koproduziert worden. "Die Zukunft liegt im Moment in der europäischen Koproduktion", findet Veit Heiduschka. "Kaum ein Produzent in Europa kann das Geld für einen Film zu 100 Prozent im eigenen Land aufstellen". Entsprechende eu-Programme wie der "Eurimages Fund" oder das "Media Plus"-Programm haben die Förderung solcher Koproduktionen zum Ziel.

Die Umstrukturierungen im orf, der durch das Film-Fernsehabkommen ein weiterer Hauptfinanzier des österreichischen Films ist, tun ihr Übriges zur größer werdenden Unsicherheit in der Branche. Solange dort keine Personalentscheidungen gefallen sind, bleiben auch viele Projekte liegen. "Wir können kaum Planungen machen", stöhnt Produzent Heiduschka. "Der orf liegt vorerst brach". Optimistisch ist Martin Schweighofer: "Der orf muss ein vitales Interesse an einer originellen, starken Filmszene haben. Der österreichische Film kann sicher kein ständiger Lieferant für das Hauptabendprogramm sein, aber der orf hat die Aufgabe, die Branche, von der er profitiert, zu unterstützen".

Auch in der Ausbildung der Filmschaffenden gäbe es in Österreich "nur wenig Ansätze für die Zukunft in einer Medienlandschaft", meint Christine Dollhofer. Die Diagonale wird daher im heurigen Jahr erstmals eine eigene Tagung zum Thema Ausbildung im Filmbereich veranstalten, "um einen Überblick und Diskussionen zu ermöglichen".

Im internationalen Maßstab waren es vor allem kleine, finanziell wenig aufwändige Filme, die dem österreichischen Film 2001 seinen bisher größten internationalen Erfolg bescherten. Wird es auch in Zukunft möglich sein, solche Filme zu finanzieren? Eine Hoffnung, die zugleich Forderung ist, formuliert Martin Schweighofer: "Es wird möglich bleiben müssen".

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