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Das Feilschen um des Bären Fell

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Die 36. Filmfestspiele von Berlin standen ganz im Zeichen der deutschen Film- und Kinokrise. Im Berliner Kinoalltag hatte das Festival nur mehr Episodencharakter.

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Die 36. Filmfestspiele von Berlin standen ganz im Zeichen der deutschen Film- und Kinokrise. Im Berliner Kinoalltag hatte das Festival nur mehr Episodencharakter.

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„Der Lack ist ab“, die Berlinale hat an früherer Atmosphäre und Sensation verloren. Das konnten weder die mehr als zweihundert Filme, darunter auch Wettbewerbsteilnehmer aus weniger bekannten Produktionsländern, noch organisatorische Neuordnungen wettmachen. Einer der wenigen Stars, die es überhaupt für interessant hielten, nach Berlin zu kommen, war die Präsidentin der Jury, Gina Lollobrigida.

Ihr Name, voran denen der anderen Mitglieder des Gremiums, sollte den Filmfestspielen zu gewisser Attraktivität und Anziehungskraft verhelfen. Denn die

Jury ist das Aushängeschild jedes Festivals. Und man vergesse nicht, daß der Status von Festspielen oft an ihr gemessen wird.

Die Lollo, Italiens weiblicher Superstar, sollte auch Glamour aufs Filmfestival bringen - wenn auch nur den verstaubten der Fünfziger.

Geborgter Glanz zum Auftakt der Berlinale auch durch Federico Fellinis neuestes Werk „Ginger e Fred“. Außer Konkurrenz vorgestellt, hofierte der Film dem Glauben an die tröstende Kraft der Kunst, unübersehbar die Erinnerung an das Traumpaar des amerikanischen Tanzfilms, Fred Astaire und Ginger Rogers.

Für altgewohnte Festivalatmosphäre sorgte schließlich ein großer, alter Österreicher, Ehrengast Fred Zinnemann. Die Retrospektive veranstaltete eine Hommage an den in Hollywood großgewordenen Wiener und zeigte unter anderem so populäre Filme wie „High Noon“ und „Verdammt in alle Ewigkeit“.

Was aber hatte Österreich auf der Berlinale sonst noch zu bieten, außer eines landsmännischen Altmeisters aus Hollywood?

Neben den süßlächelnden Gesichtern der Hauptdarsteller von „Ginger e Fred“, Giulietta Masina und Marcello Mastroianni, prangten immer noch die stählernen Muskeln eines Rambo II alias Arnold Schwarzenegger aus den Schaukästen des Zoo-Palastes.

Obwohl er gar nicht zum Festival gehörte, hatte man ihn für die Zeit der Festspiele nicht ganz aus diesem Filmtheater verbannen können. Indiz dafür, daß das Festival nur Episodencharakter im Berliner Kinoalltag genießt. Jedenfalls repräsentierte so der zur Zeit populärste Österreicher der Filmbranche ungewollt das Alpenland.

Unter den Festivalbeiträgen setzten die Trickfilme der Wiener Hochschule für angewandte Kunst neue Akzente im Bereich der Kurzfilme.

Von den Diskussionen und Auseinandersetzungen, die im Vorfeld der 36. Berlinale gelaufen waren, brauchten sie sich nicht betroffen zu fühlen:

Mitte Januar erschien in der „Zeit“ ein alarmierender Artikel unter dem Titel „Nie wieder Berlin!“. Er schilderte die Erfahrungen deutscher Filmemacher, die sie mit deutschen Kritikern auf der Berlinale gemacht haben wollten. Daß auf Festivals - und insbesondere in Berlin, was vielleicht auch etwas mit gewissen deutschen Traditionen zu tun hat — die Reaktionen meistens exzessiv ausfallen, liegt an der Gegebenheit von Festspielen.

Und wenn die Kritik negativ

ausfällt, so ist daran nicht immer das vermeintliche Fehlurteil der Kritiker schuld, sondern womöglich auch ein wirklich schlechter Film.

Weigern sich auch einige deutsche Filmemacher, unter ihnen Margarethe von Trotta, an der Berlinale teilzunehmen, bleibt die geteilte Stadt in eisiger Februarkälte dennoch weiter das Forum, auf dem sich besonders deutsche und deutschsprachige Filme dem Urteil der Öffentlichkeit stellen: drei deutsche Werke waren im Wettbewerb, davon eine österrei-

chisch-deutsche Produktion des österreichischen Debütanten Wolfram Paulus („Heidenlöcher“), ein weiterer deutscher Streifen außer Konkurrenz („Heil Hitler!“ von Herbert Achternbusch), acht deutsche Filme im Internationalen Forum.

Besonderes Gewicht lag auf der Auseinandersetzung mit der jüngeren und jüngsten Vergangenheit: Reinhard Hauff stellte z. B. mit „Stammheim“ den Terroristenprozeß um Baader-Meinhof nach.

Die Zahl der deutschen Filmbeiträge zum Festival kann und darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es der deutschen Kinofilmwirtschaft nicht eben gut geht. Nach der einigermaßen positiven Entwicklung Ende der siebziger Jahre schrumpft die Zahl der Kinogänger wieder deutlich, gehen die Umsätze der Verleiher zurück, und das Interesse der Zuschauer konzentriert sich auf immer weniger „Renner“. In der Regel sind das zudem keine deutschen, sondern amerikanische Streifen. Diesen Situationsbericht gab das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) termingerecht zur Eröffnung der 36. Berlinale bekannt.

Am ärgsten trifft die Misere

nach Einschätzung des DIW die 3600 Filmtheater in der Bundesrepublik. Bereits 1983 war im Durchschnitt nur noch jeder sechste Stuhl besetzt, 1985 sank die Besucherzahl sogar auf den niedrigsten Stand seit Kriegsende, trotz einzelner Riesenerfolge wie „Otto - der Film“ mit allein über acht Millionen Besuchern.

Die Ursachen der Entwicklung sieht das DIW im Vordringen der Videorecorder, im weitgefächerten Spielfilmangebot der Fernsehsender, aber auch in der Geschäftsgebarung wichtiger Unternehmen der Filmwirtschaft. So verweist man auf das „Sperren“ besucherstarker Streifen für Nachaufführungstheater, Programmkinos und individuell geführte Lichtspielhäuser. Freilich, schlüssige Erklärungen für die Kino-Krise liefert das DIW nicht.

Video hält aber nicht nur immer mehr Kinogänger zu Hause, es verdrängt auch Zusehens die Su-per-8-Filme von der Kunstszene, wie die Berlinale mit ihrem Videoblock bewies. Videomacher, die einmal mit ihren unkonven-

tionellen Methoden die Seifenblase der Langeweile zum Platzen gebracht haben, schicken sich an, das elektronische Medium mit neuer Ästhetik zu füllen.

„Krönung“ des Festivals, das nicht nur Nabelschau betreiben wollte, ist schließlich die Filmmesse! Wird wirklich erst durch sie ein Festival nützlich, wie Moritz de Hadeln, Leiter der Fest-

spiele, behauptete? Und nützlich für wen oder was?

Natürlich sollten alle Filme, die im Festivalprogramm laufen, in der Folgezeit einen Verleih finden. Doch wenn Filmwirtschaft und Messenteilnehmer auf Festspielen immer mehr in den Vordergrund rücken, wäre es vielleicht an der Zeit, Sinn und Ziel von Filmfestspielen neu zu überdenken. Wie lange dauert es sonst noch, bis der Goldene und Silberne Bär statt für hervorragende künstlerische Qualität für absehbare Kassenerfolge verliehen wird?

Die Autorin studiert Theater-; Film- und Fernsehwissenschaft an der Universität Köln und arbeitet als freie Mitarbeiterin beim Norddeutschen Rundfunk (NDR).

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