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Zwei Jahrzehnte Filmbiennale

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Das Filmfest in Venedig ist zu Ende. Obwohl es erst die zwölfte „Mostra“ ist, blickt sie auf eine Tradition von zwei Jahrzehnten zurück, seit der Film in die Lagunenstadt •ingezogen ist. (Die Zahl 12 erklärt sich daraus, daß die Veranstaltungen während des Krieges, denen die Internationalität fehlte, nur als „Manifestazioni“, aber nicht als internationale Ausstellungen gezählt wurden.)

Als bewohntes Museum, als den Festsaal Europas hat man diese Stadt empfunden, die keine Wagen kennt. Nur auf dem Lido sind sie seit dem Krieg eingedrungen. Aber auch dort herrscht der Fußgänger, und der enge Raum' zwingt zu Begegnungen. Ein Ort also wie geschaffen zum internationalen Treffpunkt. Denn daß man in der Tat an einem Ort die ganze filminteressierte Welt trifft, das ist die eine Seite der Bedeutung eines Filmfestivals.

Venedig aber bedeutet für den Film mehr als ein Festival. Filmfeste gab es in den letzten Jahre so viele, daß die Internationale Vereinigung der Filmproduzenten eben jetzt — in Venedig — beschlossen hat, künftig nur mehr einen internationalen, mit Preisen bedachten Wettbewerb anzuerkennen und die Regierungen von Frankreich und Italien zu bitten, auch wegen der Veranstaltungen in Cannes und Venedig für die Zukunft ein Einvernehmen zu pflegen.

Die Veranstaltung in Venedig aber ist ein Teil der Biennale, der großen internationalen Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Während der Filmpalast am Lido seine Pforten schließt, beginnen in Venedig die Veranstaltungen des internationalen Theaterfestivals, ebenfalls im Rahmen der Biennale. Und das Fest zeitgenössischer Musik hat bereits begonnen. Der Film ist hier nur Teil einer großen Manifestation der abendländischen Kunst. Und das gibt der Filmkunstausstellung in Venedig ihre historische Bedeutung,

Es war nicht eine Filmschau, die im Sommer 1932 in Venedig recht bescheiden begonnen wurde, sondern die Männer, die damals der Biennale, der alle zwei Jahre stattfindenden internationalen Ausstellung der zeitgenössischen bildenden Kunst, eine Filmausstellung angliederten, erkannten, daß der Film ein Teil der zeitgenössischen Kunst ist, und erkannten damit den Anspruch des Films auf seinen Platz unter den Künsten an.

Man wird dieser Erkenntnis nicht Immer gerecht, wenn man heute unter den in Venedig gezeigten Filmen der Gegenwartsproduktion die großen Eindrücke, die jenen ersten Filmwettbewerben ihren erregenden Charakter gegeben haben, vermißt. Aber auch eine Schau der besten Filme der Völker kann nur den Stand der Filmproduktionen zur gegebenen Zeit widerspiegeln. Sie ist Maß, nicht die Leistung.

Und da ist es vielleicht mehr als ein Symptom (und doch auch ein Zeichen, daß das Maß korrekt geblieben ist), daß den Großen Preis von Venedig dieses Jahr ein japanischer Film bekam. Aus einem Land, das einmal mit seiner Filmproduktion zahlenmäßig an zweiter Stelle nach den USA stand, dessen Filmproduktion nach dem Krieg fast stillstand und das in diesem Jahr zum ersten Male wieder einen Film nach Venedig sandte. Es ist ein Film, der von unserer Routineproduktion weit abliegt. Die Handlung spielt in weit entfernter Vorzeit und ist dennoch zeitlos gültig. »Der Mann im Walde“ (Rhasho mon) ist die Geschichte eines Totschlags. Zwei Männer streiten einer Frau wegen, und der eine tötet den anderen. Und nun werden die Frau, der Mörder, ein Holzfäller, der Zeuge der Tat war, und der durch Zaubermacht zitierte Geist des Ermordeten vor das Gericht gerufen und schildern die Tat. Und jeder schildert sie anders. Jeder lügt. Neben diesem des-illusionierenden Lebensbild zeigt aber derselbe Film einen armen Teufel, der ein neugeborenes Kind findet und es bei sich aufnimmt, obwohl er schon selber sechs Kinder hat. So sind eben die Menschen, böse und gut.

Daß das in Wien bei der religiösen Filmfestwoche gezeigte „Tagebuch eines Landpfarrers“, nach dem Werk von Bernanos, daß Billy Wilders Studie der menschlichen Profitgier „Acein the Hole* und Renoirs poetischer, zauberischer Indienfilm „Der Fluß“ zweite Preise erhielten, zeigt, daß die Jury die ungewöhnliche Leistung, das Experiment, ermunterte.

Es gab auch Experimente, die keinen Preis erhielten. „Mein Reich ist die Nacht“, ein schlichter französischer Film führt in die Welt der Blinden, „Garjons Sauvage“, ebenfalls aus Frankreich, oft mit brutaler Kraßheit, in die Slums von Marseille. Das Schicksal einer irischen vagabundierenden Familie und ihren Kampf gegen Not und Gesetz schildert der erste Spielfilm des britischen Kulturfilmpioniers Paul Rötha, „Novesting Place“, ohne ungewöhnliches zu bieten, und Eliots „Mord in der Kathedrale“, versgetreu von Laienschauspielern in der Kirche gefilmt, ist Bühne geblieben.

Das Konventionelle aber, selbst wenn es gekonnt war, wie der amerikanische Film um einen Selbstmörder .14 Stunden“, oder seinen Publikumserfolg fand, wie die deutschen Filme „Das doppelte Lottchen“ und „Lockende Gefahr“ und andere, blieb ohne Preis.

Denn zwei Dinge drängen sich dem Be-sudier der Filmkunstausstellung als Erkenntnisse auf: die eine ist die befruchtende Kraft des Kulturfilms. Nicht nur, daß der Nachwuchs des Spielfilms vom Kulturfilm kommt, daß der dokumentarische Hintergrund des Spielfilms ihm die Atmosphäre schafft, die ihn — öfter als nicht — aus dem Durchschnitt heraushebt, auch die Leistungen des Kulturfilms waren augenfälliger als die des Spielfilms. Wenn Walt Disney mit seinem Kulturfilm „Ein Streifen Natur“, wenn Österreich mit der kühnen Unterwasserleistung von Hans Hass — der seiner Frau Lotte Baierl in Italien Filmstarverehrung einbrachte — bestanden hat, wenn ein amerikanischer Film über „Coney Island“ in Farben minutenlang in absoluten Film überging und aus Linien und Musik plötzlich ins Feuerwerk mündet und dafür spontanen Beifall erntet, so zeigt das, wo der Film heute am leichtesten Neuland gewinnen kann.

Die zweite Erkenntnis gewann man aus den Wiederaufführungen in früheren Jahren in Venedig preisgekrönter Filme. Rene Clairs Film „Unser die Freiheit“ war 1932 in Venedig gezeigt worden, Flahertys „Männer von Aran“ 1934. Nun sah man sie wieder. Und sie bestanden die Probe. Sie machen es wahrscheinlich, daß es im Film wie auf den anderen Gebieten der Kunst Werke gibt, denen die Zeit nichts anhaben kann und die bleibender Besitz werden. Und daß Venedig seit zwei Jahrzehnten versucht, trotz Fremdenverkehr, Filmmesse und Filmgeschäft und all dem Getriebe, das um solche Dinge unvermeidlich ist, diesen bleibenden Besitz in der vergänglichen Erscheinung Film herauszustellen — als Teil der zeitgenössischen Kunst —, das erscheint als die geschichtliche Bedeutung der Filmschau am Lido, die eben in ein verdientes Jubiläum tritt.

F i 1 m s c h a u (Gutachten der Katholischen Filrnkommission für Österreich, Nr. 37 vom 11. September 1951): II (für alle zulässig): „Modell Bianka“, „Der Weg zum Ruhm“. III (für Erwachsene und reifere Jugend): „Vater der Braut“, „Margaret aus London“, „Alm an der Grenze“, „Skandal in der Botschaft“, „Der Tiger Akbar“. IV a (für Erwachsene mit Vorbehalt): „Venus macht Seitensprünge“. IV b (für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Wien tanzt“, „Im Tal des Schreckens“. VI (abzulehnen): „Der Reigen“,

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