6747540-1967_14_10.jpg
Digital In Arbeit

ECHTER ODER FALSCHER WESTERN?

Werbung
Werbung
Werbung

uber Krisen, Probleme und Grenzen der Filmkritik

Vor einigen Monaten wurde an dieser Stelle — und zum erstenmal in der österreichischen Öffentlichkeit — darauf hingewiesen, daß sich die Kinematographie der Gegenwart nicht bloß allein in einer Film- und Festivalkrise befinde, sondern daß man mit derselben Berechtigung auch von einer „Krise der Kritik“ sprechen könne, zumindest was die deutschsprachigen Länder betrifft, wovon Westdeutschland immerhin nach alter Gewohnheit das fehlende Fachwissen durch intellektuelle Schaumschlägerei zu übertünchen versteht. Die Samstag- und Sonntagausgaben unserer hiesigen Tageszeitungen (wobei die Bundesländer wesentlich besser abschneiden), in denen hauptsächlich Kritiken über angelaufene Filme zu finden sind, ergeben für den aufmerksamen Leser einen ständig sprudelnden Quell des Vergnügens, wobei die Wahl offenbleibt, über die falsche Interpretation der Regie- oder Produktionsabsichten, ja der Aussage des Films selbst, größere Heiterkeit zu empfinden als über die absolut fehlende Kenntnis der Rezensenten von der Filmsituation in anderen Ländern (die sich im Verwechseln der Herstellungsländer, der Regisseure und ihrer mitunter gepflogenen Pseudonyme usw. noch am harmlosesten manifestiert) oder umgekehrt. Daß der in filminteressierten Kreisen nicht ganz unbekannte John Huston, der immerhin als Regisseur von „Mou-lin Rouge“' bereits Anlaß zu einem in breitestem Volksmund gepflogenen Witz gab („Was ist ein Intellektueller? Jemand, der schon vor ,Moulin Rouge' wußte, wer Toulouse-Lautrec war!“), selbst noch bei der Wiener Erstaufführung seines „BibeT'-Films in mehreren Zeitungen ständig als „Houston“ bezeichnet wurde, ist ebenso ein kleines und scheinbar unwichtiges wie dennoch typisches Zeichen für die augenblickliche Wiener Filmkritik.

Besonderes Stiefkind der Filmkritik ist in Österreich der „ungewöhnliche“ Film, worunter jedes hierorts noch unbekannte Avantgarde-Werk fällt (kein Wunder, daß Godard und Orson Welles, Bergman und Bunuel in Österreich erst Jahre später, als es gar nicht mehr zu vermeiden ging, beachtet wurden — wer liest schon ausländische Filmzeitschriften und orientiert sich danach?), der Abenteuerfilm, der utopische Film, der Wildwestfilm, kurz jene kinematographi-schen Erzeugnisse, für deren Verständnis und damit Beurteilungsmöglichkeit, Phantasie, Aufgeschlossenheit und möglichst wenig Konservativismus notwendig sind. Es ist am einfachsten, wie der Vogel Strauß den Kopf in den Sand zu stecken und sich bei diesen Fällen in die Wolken olympischer Kunstforderungen und ebenso lächerlicher snobistischer „Kintop-Jahrmarkts-Vorurteile“ zurückzuziehen, innerhalb derer alles, was nicht „Uterarisch“ ist, als minderwertig und nicht der Mühe wert bezeichnet werden kann.

Ein besonderes Kapitel des Mißverstandenwerdens ist der Wildwestfilm, der hierzulande nur langsam und erst in den jüngeren Kreisen jenes filmkünstlerische Terrain zu erobern beginnt, das er in anderen, vorurteilslosen Ländern schon besitzt. Widerstrebend und erst, als es gar nicht mehr anders ging, ohne sich gänzlich lächerlich zu machen, begann mit der durch die Atlas-Film begonnenen Renaissance des Westens eine kleine Änderung der Haltung — äußerlich zumindest, keineswegs aber auch geistig; ab „Ringo“, jenem John-Ford-Klassdker, der, von einem kleinen Verleih jahrelang unter dem Titel „Höllenfahrt nach Santa Fe“ eingesetzt, zuerst miserable Rezensionen hatte und dann bei seiner Wiederaufführung auf Grund der deutschen, im Presseheft vorsorglich zitierten Kritiken auch in Wien überschwenglich gelobt wurde, stellte man sich dem Westen gegenüber anders ein, etwa in der Form, daß jeder Wildwestfilm der „Atlas“ (mit genügender Reklame von diesem Verleih vertreten) ein „klassischer Film“ ist, jeder andere, reklamemäßig weniger lautstark vertretene (daher dem Kritiker unbekannte!) aber zum üblichen „Wildwestschund“ gezählt werden müsse... Diese groteske Meinungsbildung läßt sich anhand der Wiener Kritiken zu zwei Filmen wie etwa „Der gebrochene Pfeil“ im Gegensatz zu „Der Wilde von Montana“ — als willkürliche Beispiele unter vielen herausgegriffen — unwiderlegbar nachweisen; dieses Beispiel sowie das vorhin bei „Stage-coach“ aufgezeigte dokumentieren die Hilflosigkeit einer eigenen Urteilsbildung und Beeinflussungsmöglichkeit der Wiener Filmkritik deutlich...

Am unwahrscheinlichsten und verblüffendsten offenbart sich jedoch diese Situation bei der Beurteilung italienischer Wildwestfilme, auf die genauer einzugehen schon lange die Pflicht und Aufgabe jeder seriösen Filmseite oder einer ernsthaften Filmzeitschrift wäre. Es ist nicht mehr möglich, den italienischen (oder italienisch-spanischen) Western einfach in die große Gattung der von Hollywood ausgegangenen einzureihen, er hat sich — zunächst das alte US-Heimatschema klischeegetreu kopierend, dann dieses übersteigernd und schließlich verlassend — im Laufe der letzten zwei Jahre als eine eigene Gattung herauskristallisiert. Daß der Original-US-Wildwestfilm nichts anderes als ein handlungsreicher Heimatfilm ist (daher abwechselnd mit verschiedener Problematik und psychologischem Hintergrund ausstattbar), beweist schon die überaus leichte Übertragbarkeit von Blut-und-Boden-Themen anderer Länder (also „Heimaf'-Themen) in das mitunter etwas lebhaftere Milieu des amerikanischen Südwestens. So wie es durchaus möglich ist, die Geschichte von armen Samurais, die von Räubern unterdrückten Bauern zur Hilfe kommen, ohne geringste Schwierigkeiten in eine im Grunde nicht weniger blutige Cowboy-Story zu verwandeln, erscheint es als keineswegs unvorstellbar, die Tragödie einer Frau, die mit einem schmuggelnden Banditen verheiratet ist und auf Geheiß ihres Gatten den argwöhnischen Sheriff in sich verliebt machen will, woraus sich ein dramatischer Konflikt entwickelt, an der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten anzusiedeln. Hier ist ein echtes Wildwestthema: „Der Weibsteufel“ im Gewand einer düsterpsychologischen Westernstory ... Und aus diesem Drama ein künstlerisch hochwertiges Filmwerk zu machen, hängt allein vom Drehbuch und vom Regisseur ab.

Der italienische Wildwestfilm der Gegenwart muß jedoch ganz anders gesehen werden; von der reinen Klischeekopie ausgehend, als zu Beginn der sechziger Jahre Europa durch mangelnde Belieferung mit Wildwestfilmen aus Hollywood selbst daranging, sie herzustellen (Italien, gleichzeitig mit Deutschland und Österreich, die aber nach einigen absurd-lächerlichen Versuchen aufgaben, weil ihnen das Talent und die Phantasie dazu fehlte), zog sich die Entwicklung in einer Regenbogenkurve über den Höhepunkt 1964 als ein den Japanern abgesehenes Thema („Yojimbo“ von Kuro-sawa) einen unerwartet großen finanziellen Erfolg und dazu noch ernsthaft-lobende, die technisch-künstlerische Perfektion besonders hervorhebende internationale (selbstverständlich nicht in Österreich!) Pressestimmen auf sich vereinigte, nämlich „Für eine Handvoll Dollar“, bis zu der derzeitigen, durchwegs nicht uninteressanten, aber keineswegs mehr originellen Produktion kontinuierlich-logisch hin; wieweit der italienische Historien- und Muskelmann-Film einen Einfluß auf diese Art des Westerns hatte, müßte Studium einer eigenen, ausführlichen Untersuchung sein; gewisse Zusammenhänge und innere Bezüge sind zweifellos vorhanden (Sadismus!).

Wichtigste Unterscheidung zwischen dem amerikanischen und dem italienischen Western bildet — neben der Stellung der Frau, die in den US-Produktionen eine wesentlich verschlossenere-puritanische Haltung besitzt — die archaisch verwurzelte Einstellung auf der einen Seite, der eine leere Kopierung auf der anderen (italienischen) Seite („Die Trampler“) gegenübersteht, die absolut äußerlich wirkt, keinerlei Überzeugung beim Zuschauer hervorruft und in Erkenntnis dieser Unglaubwürdigkeit bereits weggelassen wird. So kommt es, daß die offene Gewalt Selbstzweck ist und reine Brutalität, in irgendeine, stets ähnliche Handlung gekleidet, die vorherrschende Thematik des Films bildet (und auch die Absicht, da Härte immer mehr gefragt und konsumiert wird — eine Entwicklung, die darzulegen Aufgabe eines ausführlichen, psychologisch fundierten Buches wäre!). Auch äußerlich entfernt sich der Film immer mehr vom Klischee des echten Western: die Handlung ist mehr in Mexiko als auf den texanischen Weideplätzen angesiedelt, der Sombrero ersetzt den Stetson, das weißgetünchte Lehmhaus die aus Hölzern gezimmerte Farm und der Poncho ist an die Stelle von Chaps getreten. Richtig müßte man also den neuen italienischen Wildwestfilm als „mexikanischen Abenteuerfilm“ einordnen, wozu die süditalienische oder spanische Landschaft, in der solche Filme heute gedreht werden, auch weit mehr Beziehungen besitzt als zu den bizarren Felsgruppen der Indianerterritorien...

Es ist daher mehr als grotesk und geradezu widersinnig, wenn ein eifrig bemühter Kritiker anläßlich seiner Besprechung des bisher härtesten und perfektesten (auch seine Absichten am offensten zeigenden) Films dieser Gattung, „Django“, in ihn eine „Bloßlegung von Wurzeln des Rassenfanatismus in den USA“ hineinrätselte — oder die Zeitungen in ihren Rezensionen den von einem gewissen „John Old“ gedrehten Western „Ein Sack Dollar für Jack Clifton“ als amerikanischer Herkunft bezeichneten, und, Clou des Ganzen, „John Old“ ein Pseudonym für den italienischen Aktions-Regisseur Mario Bava darstellt, was eigentlich jeder als „Experte“ bezeichnete Filmkritiker wissen müßte... Ja, man hat's nicht leicht als Filmrezensent, die ganzen Doppelnamen sollte man halt kennen, deren sich die italienischen Regisseure weniger schamhaft als aus kommerziellen Gründen bei der Nebenproduktion ihrer Wildwestfilme bedienen: so steht Richard Benson für Paolo Heusoh, Calvin Jackson für Giorgio Ferroni, Albert Cardiff für Alberto Cardone, John W. Fordson für Mario Costa — diese Liste ließe sich über die ganze Spalte hinziehen; allein 168 anglisierte Namen von Regisseuren, Kameraleuten und auch Schauspielern liegen dem Verfasser in einer speziellen Zusammenstellung vor.

Wenn schon Namen und Dekor zu täuschen vermögen, so gibt es doch zwei unverwechselbare Anhaltspunkte zur Identifizierung italienischer Wildwestfilme: erstens die Typisierung des „Helden“, der entweder als erbarmungslosuninteressierter, schweigend-abgekämpfter „Rächer“ (Clint Eastwood oder Franco Nero, der neueste Star aus Italien) auftritt oder als sonnig-harmloser, artistisch-versierter Geldjäger (Giuliano Gemma, in Italien „Montgomery Wood“ genannt) und seinem amerikanischen Vorbild so ähnlich ist wie etwa Götz George Henry Fonda oder Klaus Kinski Lee Mar-vin, und zweitens die Gestaltung des Films, die dank so ausgezeichneter (vielfach falsch eingeschätzter) Regisseure wie Sergio Leone, Duccio Tessari und Sergio Corbucci — alles Absolventen des „Centro Sperimentale“ in Rom — eine gewisse, durchaus künstlerische Note besitzt, zumindest aber eine technische Perfektion in Bildgestaltung, Schnitt und nahtloser Handlungsregie, daß sie sich weit vom Durchschnitt des üblichen Unterhaltungsfilms abhebt, was zumindest ein sorgfältigeres Eingehen auf ihre Qualitäten erfordern würde als eine rein kollektive Ablehnung dieses Genres.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung