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IM SCHATTEN DER ANTIKE

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Filmbesucher mit künstlerischen Ansprüchen können sich bestenfalls an drei griechische Spielfilme aus den letzten Jahren erinnern: an „Elektra“, „Alexis Sorbas“ und vor allem an „Sonntags nie“. Obwohl in Griechenland jährlich zwischen 100 und 120 Filme gedreht werden, gelangen nur wenige davon ins Ausland.

Wer Gelegenheit hat, den Durchschnitt der Produktion näher kennenzulernen, ist über dieses symptomatische Los vieler kleiner Filmländer, zu denen ja auch Griechenland gerechnet werden muß, keineswegs erstaunt. Der griechische Film, sprachlich und kulturell isoliert, muß sich innerhalb des Zuschauerkreises der acht Millionen Landeseinwohner rentieren. Daher verlassen sich die fünf großen Produktionsfirmen Griechenlands und die Gruppe jener, die es gelegentlich versuchen, aus der Filmproduktion Geld zu gewinnen, nur auf absolut Verläßliches, denn bei einem durchschnittlichen Eintrittspreis von zehn Drachmen — das entspricht etwa stehen Schilling — der in der Peripherie oft bis auf vier Drachmen sinkt, muß sich ein geradezu unwahrscheinlicher Prozentsatz der Normalverbraucher einen Film ansehen, damit er sich geschäftlich rentiert. So kommt alles — genau wie bei der Mammutproduktion der indischen Filmindustrie — auf bekannte Situationen an, auf viel Sentimentalität, triefenden Chauvismus und unumstößlichen Sieg des Guten, wie ein Kritiker schrieb — eine Skala des Herkömmlichen, die der einzelne Drehbuchautor nur mit wechselnden Nuancen zu bedienen hat.

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Erst seit kurzem gibt es in Griechenland Fernsehen. Doch das Programm kann augenblicklich nur in Athen und in den Randgebieten der Stadt empfangen werden. Das bedeutet, daß Griechenland — wie auch andere, in ähnlicher Weise kulturell und sprachlich isolierte Länder — sich heute noch in der Situation des Vorkriegsfilms befindet, wo der Film das Massenvergnügen schlechthin ist. Kein Wunder also, daß in Griechenland die Leute noch immer Schlange an den Kinokassen stehen. Bis das Fernsehen im Lande richtig eingeführt sein wird, ist nicht zu erwarten, daß es einen zahlenmäßig ins Gewicht fallenden künstlerisch bedeutsamen griechischen Film gibt.

Natürlich waren eine gewisse Anzahl griechischer Streifen auch im Ausland zu sehen, die als echte Kunstwerke, wenn auch mit regionaler Einschränkung, verfechtbar sind. Dazu gehören „Das Mädchen in Schwarz“ und „Stella“ sowie vor allem „Alexis Sorbas“ von Michael Cacoyannis nach dem berühmten Roman von Nikos Kazantzakis. Auch „Die kleinen Aphroditen“ von Nikos Kondouros müssen in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Zwar ist die Thematik der frühen Cacoyannis-Filme derjenigen des durchschnittlichen griechischen Films verwandt, und Koundouros ging sehr weit in die Geschichte seines Volkes zurück, aber immerhin handelt es sich um Filme, die doch von einer Kenntnis internationaler Strömungen zeugen und auch den Ausländer zu beeindrucken vermögen.

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In diesem Zusammenhang ist die Frage angebracht, ob griechische Klassik überhaupt verfilmbar ist. Nach Vollendung seines Films „Elektra“ erklärte Regisseur Michael Cacoyannis: „Mein Füm ist nicht mit photographiertem Theater zu verwechseln. Wir drehten Euripides, sein Stück, gewiß. Aber woran mir am meisten lag, das war der Inhalt und Gehalt, die Tragödie. Manche unserer Dialoge finden sich wortgetreu bei dem antiken Dichter. In anderen Passagen schufen wir neue Texte — aus dem Geist der Tragödie heraus. Was ich wollte, sollte sich von dem üblichen Bühnenstück und dessen Tradition unterscheiden. Mir ging es darum, die ungewöhnlichen Charaktere unserer Zeit wirklich verständlich zu machen. Das verlangte Änderungen, Zusammenziehungen und Ergänzungen. Und die Stilfrage? Man glaube mir, daß ich zu keiner Sekunde während der Drehzeit an

Stilisierung und ähnliches gedacht habe. Die inneren Spannungen dieser Charaktere — der Elektra, der Gattenmörderin Klytemnestra, des Rächers Orest — ergeben von selbst den Stil dieses Werkes. Eine Tragödie hat für mich sozusagen einen ,inneren Schrei'. Ihn gilt es sichtbar zu machen. Das ist alles, und ich hoffe, daß wir diesen großen Atem getroffen haben — abseits aller äußeren Stilprobleme. Die Elektra des Euripides muß man fühlen, und wer nicht ,in Trance' fallen kann, wird nie dem Geist der Tragödie gerecht werden. Ich hoffe, daß unser Film edndges von diesem Geiste besitzt...“

Bedenkenlos lassen sich diese Worte auch auf die anderen von Cacoyannis geschaffenen Filme anwenden: auf „Windfall in Athen“, „Stella“ und „Das Mädchen in Schwarz“. Da seine „Elektra“ der erste Teil einer geplanten klassischen Trilogie ist, darf man auf die Filmversionen von „Iphigenia in Aulis“ und „Orestes“ gespannt sein.

Man kann jedenfalls sagen, daß die Voraussetzungen zur Verwirklichung tragischer Stoffe im Film generell bestimmt werden von der Grundforderung, lebenswahr, unverkünstelt und allgemein-ansprechend zu sein. Tragik und Pathos, wie sie oft im modernen Problemfilm anzutreffen sind, reüssieren nicht unbedingt in die Breite. Will der tragische Vorwurf weites Echo finden, muß er voller menschlicher Bezogen-heit und wirklichkeitsnah sein, er muß aus den Spannungen der handelnden Personen untereinander geboren werden. Es kommt also nicht darauf an, daß der Filmdichter eine tragisch erregende Handlung voller sich sensationell zuspitzender Effekte findet, sondern es geht darum, daß er die dargestellten Charaktere in ihren Kontrasten und verschiedenen Zielen filmisch lebendig werden läßt und in natürlich-tatkräftigen Aktionen zeigt, an denen teilzunehmen dem Zuschauer interessant erscheint.

Das tragische Filmkunstwerk, die außerordentliche Begebenheit im Sinne der gefühlsmäßigen und seelischen Konflikte, wird immer dann das Publikum besonders fesseln, wenn es gelingt, die große Skala der menschlichen Leidenschaften nach Ursache, Wirkung und schließlicher Lösung in aller Lebensnähe und Wahrhaftigkeit herauszustellen. Nicht jeder Film, der eine Fülle erregender Situationen häuft, ist tragisch, sondern immer nur der, der das einmal angeschlagene menschliche Thema vertieft, ausspielt und zum Beispielhaften erhebt. Je stärker dabei das Menschliche in Gewissenszwang und Not die rein äußere Situation überstrahlt, je lebendiger und wahrheitsgebundener der Fluß der Handlung im Sinne der Unausweichlichkeit vorangetrieben wird, je vehementer er sich im Schicksalsmäßigen des blinden Zufalls verstrickt, um so nachhaltiger mag schließlich das Filmwerk auf das Publikum zu wirken.

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Hier liegt die große Chance für den griechischen Gegenwartsfilm. Denn die Konflikte zwischen Zuneigung und Pflicht, Ehre und Gewissen, Leiden und Leidenmachen, wie sie in der großen griechischen Tragödie immer wieder behandelt werden, besitzen auch heute noch ihre Gültigkeit, sie entsprechen sogar durchaus dem Zeitgefühl und sind für das Empfinden unserer Epoche charakteristisch.

Trotzdem hat das Beispiel Cacoyannis bisher kaum andere Regisseure zu ähnlichen Leistungen ermutigt. Zwar ist sicher, daß es in Griechenland wie auch anderswo filmische Talente gibt, aber sie kommen lediglich in den Kurzfilmen zu Wort. Während die Spielfilme in Griechenland fast ausschließlich von den Veteranen der Regie stammen, werden die Kurzfilme durchweg von jungen Absolventen der ausländischen Filmhochschulen gedreht. Es ist also anzunehmen, daß die wirtschaftliche Entwicklung — die langsame Einführung des Fernsehens — und die chronologische — jüngere Regisseure gewinnen die Oberhand — in nicht mehr allzu ferner Zeit einen künstlerischen Aufschwung des griechischen Films herbeiführen könnte

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