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KONZERT, BALLETT UND OPER

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Die Versuche, Musik im Fernsehen „darzustellen”, sind so alt wie die achte (oder ist es die neunte?) Kunst selbst. Daß sie — abgesehen von wenigen Ausnahmen — bis heute erfolglos geblieben sind, geht schon aus dem Umstand hervor, daß gute Musik um ihrer selbst willen kaum jemals und in Verbindung mit anderen Künsten nur höchst selten als „abendfüllendes” Ereignis auf den Programmen der Televisions-Stationen steht. Das ist natürlich, könnte man einwenden: denn, wie schon der Name sagt, das Gerät dient dem Sehen und nicht dem Hören. Nun, auch Konzertbesucher verzichten für die Dauer des musikalischen Genusses auf optische Eindrücke und konzentrieren sich auf den akustischen Empfang, es sei denn, daß sie den Dirigenten von hinten bewundern. Wahrscheinlich wären sie auch zufrieden, wenn im Fernsehen hin und wieder das gleiche geboten würde wie im Konzertsaal, also ein Konzert, bei dem Dirigent, Orchestermusiker, Solisten usw. gezeigt würden. Für die Mehrheit der Fernseher scheint dies nicht aus reichend zu sein. Es ist natürlich dieselbe Mehrheit, die auch kein Konzert besuchen würde. Mit ihr wird man wohl rechnen müssen, wenn von Musik im Fernsehen die Rede ist. Damit freilich nimmt das Problem soziologischen Charakter an: es geht nicht mehr um Kunst an sich und um deren technische Vermittlung, es geht darum, Menschen, die vor allem sehen wollen, zum Hören zu erziehen.

Absolute Musik, das heißt Musik, die nur aus sich selbst, ohne Hilfe einer anderen Kunst, ja ohne Hilfe eines Programms, und sei es nur eines Titels, wirken will, wird sich zu diesem Zwecke sicher am allerwenigsten eignen. Unter den elf Fernsehproduktionen, die beim Premio Italia dieses Jahres in Florenz um die Palme stritten, war nicht eine einzige, die sich auf die Wiedergabe der Musik und auf die optische Vermittlung der Ausführenden beschränkt hätte. Auch sonst wird kaum jemals ein Konzert übertragen, und selbst das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker bedarf der „Auflockerung” durch Ballett. Hinter dieser Tatsache steht bereits die Kapitulation der Tonkunst vor dem visuellen Faktor. Sie scheint allzu schnell angeboten worden zu sein: Regisseure mit Ideen, Kameraleute mit Talent könnten auch aus einem Konzert manches Sehenswerte herausholen. Die Angst vor der optischen Langeweile, die offenbar durch akustische Kurzweiligkeit nicht wettgemacht werden kann, hat indessen die Existenz absoluter Musik im Fernsehen von vornherein in Frage gestellt, ohne daß die Probe aufs Exempel gemacht worden wäre.

Die Frage, ob absolute Musik durch eine Art Scheinehe mit einer Schwesterkunst im Fernsehen Fuß fassen könne, wird meistens von seiten der Musiker verneint. Sie vertreten die Ansicht, daß eine bereits bestehende Musik durch bildliche Assoziationen, die nicht in ihr begründet sind, denaturiert werde. Dies müßte nicht unbedingt sein. Der einzige Versuch dieser Art, der bei der erwähnten internationalen Konkurrenz der Fernsehstationen gezeigt wurde, war ein Erfolg: die Produktion des Saarländischen Fernsehens „Play Bach”. Freilich handelte es sich nicht um Bach, sondern um die Jazz-Version seiner Musik von Jacques Loussier. Wie diese Musik aber präsentiert wurde, das war im besten Sinne telegen. Hervorragende Bildausschnitte, interessante Porträts und dazu der Tanz zweier Paare, der zwar durch die Choreographie nicht besonders interessant war, aber dank besonderer Techniken (unter anderem Scherenschnittwirkungen, teilweise auch umkopiert, so daß sich dann weiße Gestalten vor einem schwarzen Hintergrund bewegten) gut in die Kameras kam. „Play Bach” hatte bei der Konkurrenz zwar keinen Preis gemacht, war aber eine gültige Koppelung von Musik und Bild, ohne daß diese Ehe aus sich heraus schulbildend wirken könnte. Völlig fehlten Versuche, eine bestehende moderne Musik oder auch eine neu komponierte mit abstrakten Bildwirkungen zu vereinen. Die Zusammenarbeit zwischen Musikern und Malern der Gegenwart könnte da zu sehens- und hörenswerten Resultaten führen. Die meisten Fernsehstationen könnten sich ohne weiteres finanziell solche Experimente gestatten. Die Vorstellung der breiten Hörermassen, die Zwangsneurose, daß im Fernsehen nur „gut” sei, was auf möglichst breiter Basis gefalle, hemmen jedoch die Freude an Versuchen in dieser Richtung.

Deshalb hält man sich an jene Musik, die schon a priori die Komponente einer theatralischen Idee ist. Nach wie vor beliebt ist die Form des Balletts. In Florenz, wo der Premio Italia heuer zur Austragung kam, sah man einige Beispiele davon: Frankreich gewann dabei den ersten Preis mit dem Ballett „Der Prinz und der Bettler” in der Choreographie von Jean Corelli und nach einer blassen Musik von Henri Sauguet. Ein typisch romantisches Ballett mit viel Pantomime, sehr gepflegt, aber — und das gilt nahezu für alle Ballette im Fernsehen — ohne das eigentliche Kunstmittel des Balletts — die Evolution im Raum — auszunützen. Der Raum und dessen architektonische Beherrschung kann in den perspektivischen Verkürzungen des Fernsehens, in dessen reduzierten Größenverhältnissen und in der nowendigen Beschränkung auf Bildausschnitte nicht wirksam werden. Daher kommt wohl in erster Linie das Festhalten an der romantischen Tradition, die das Wesentliche des Kunsttanzes im gestischen Ausdruck sieht. Zwei Versuche hatten indessen modernen Charakter: das Ballett „Ein Jüngling zu verheiraten” nach einem Libretto von Eugene Ionesco und die Pantomime „Der Befehl”. Das Ionesco-Ballett, vom Dänischen Fernsehen präsentiert, ist eine überaus originelle Schöpfung, die den erwähnten Möglichkeiten des Femseh- balletts Rechnung trägt und daher stark auf Pantomime ausgerichtet ist, in diesem Genre aber exzelliert. Das Thema von dem Jüngling, der alle Vorschläge der Verwandtschaft hinsichtlich seiner Heirat ablehnt und schließlich sein Ideal findet, die Frau mit den (im buchstäblichen Sinne) drei Gesichtern, die ebenso gut Klavier spielt wie den Staubsauger bedient und für die es natürlich auch eine Kleinigkeit ist, den Mann völlig zu unterjochen, dieses Thema ist zudem bester Komödienstoff. Leider versagte dabei die Musik von Per Norgard völlig. Wie denn überhaupt die sogenannten Gebrauchskomponisten im Zusammenwirken mit einer anderen Kunst meistens völlig auf eigenes Profil verzichten und zu bloßen Dienern der Ausdrucksgestik werden. Bei architektonisch orientierter Tanzkunst ist dies nicht so schlimm, bei der Pantomime wird jedoch die Musik zum servilen Imitator. Von Musik konnte bei der Studie „Der Befehl” kaum die Rede sein. Es handelte sich um eine Geräuschmontage mit Mitteln der musique concrete und der Elektronik, die von vornherein nur auf Begleitung angelegt war. Begleitet wurde damit die Geschichte von dem Hiroshima-Piloten und seinem Gewissen, eine Aussage also, die Menschliches und Politisches in einer Weise mischt, die kaum geeignet erscheint, das rein künstlerische Element irgendwie in Betracht zu ziehen. Die Pantomime nach der Tonkulisse von William Bukowy wurde von einem tschechischen Ensemble dargestellt, aber von Österreich präsentiert und daher wohl bezahlt. Auch Ungarn hatte das gleiche Werk in einer anderen optischen Version gewählt.

Bleibt für das Fernsehen noch die Oper: ein Problem, das noch nicht gelöst ist, ja vielleicht nie gelöst werden kann. Die rein technischen Fragen scheinen zugunsten der sogenannten Live-Produktion entschieden, obwohl auch diese nichts weniger als direkt ist. Es wird dabei so verfahren, daß die ins Bild kommenden Sänger im Augenblick der Aufnahme auch wirklich singen. Das Orchester spielt in einem anderen Raum, oft Kilometer vom Fernsehstudio entfernt, die Sänger erhalten die Orchestermusik über Lautsprecher zugespielt und singen danach, ihr Gesang und das Bild werden gleichzeitig aufgezeichnet. Ein kompliziertes und unglaublich mühsames Verfahren, da jeder kleinste „Frosch” in der Kehle des Sängers auch die Bildaufnahme zerstört. Trotzdem dürfte es, rein technisch gesehen, das einzig mögliche sein. Alle anderen Methoden — das Play-back-Ver- fahren, bei dem nach der fertigen Tonaufnahme die Sänger fürs Bild statieren, auch die Dublierung durch Schauspieler und schließlich auch die Direktübertragung aus einem Opernhaus, die der ganzen Natur der Sache nach nur Reportagequalitäten haben kann — alle diese Methoden haben sich als im höchsten Maß illusionsstörend erwiesen.

Das Problem selbst liegt tiefer. Bisher hat man für die TV-Produktion fast ausschließlich realistische Opern gewählt und Regisseure eingesetzt, die ein Maximum an naturalistischer Darstellung erstreben. Nun ist die Oper, selbst die sogenannte veristische, in keiner Weise naturalistisch. Sie kann es nicht sein; Menschen, die singend Taten vollbringen, sind eo ipso nicht naturalistisch. Dazu kommt, daß die Zeit in der Oper andere Gesetze hat als im Leben. Der Gesang, selbst wenn er sich am Sprechtonfall inspiriert, muß aus Gründen der Deutlichkeit, der melodischen Linie, der musikalischen Form langsamer sein, als es die Sprache wäre. Meines Wissens hat ein einziger Komponist — Arthur Honegger in „Antigone” — versucht, dieses Gesetz zu durch- brechen, und ist dabei an den Imperativen der Musik gescheitert. Das langsame Tempo des Gesanges bedingt aber wieder ein langsameres Tempo der Gestik. Darauf wird jeder Opernregisseur Rücksicht nehmen müssen. Er kann unmöglich zu Phrasen, die im Gesang dreimal so lang sind, wie wenn sie gesprochen würden, die gleichen Gesten und diese in dem Tempo ausführen lassen, wie sie auf dem Sprechtheater angezeigt wären. Das führt auf der Opernbühne entweder zu einem Übermaß an Gestik oder zu jenem verlangsamten Zeitablauf in den Bewegungen, der als Opernpathos bekannt ist. Beides kann durch die Distanz des Opembesuchers von der Bühne gemildert werden. Der Hörer vor dem Fernsehapparat, vom Naturalismus dieses Mediums überfüttert, ist hingegen nicht geneigt, in dieser Beziehung Konzessionen zu machen. Zwar scheint die erste Methode die bessere, da die Möglichkeiten des Bildschnittes immerhin Ablenkung gestatten, somit ein Sänger nicht unausgesetzt im Bild bleiben muß. Trotzdem dürfte das Opernpathos, weil auf Gedeih und Verderb mit den Opernsängern und ihren Gewohnheiten verbunden, bei Opernaufführungen im Fernsehen unausrottbar sein. Vielleicht ist dies auch der Grund, daß beim Premio Italia keine Oper gezeigt wurde. Die Popularität des Genres — gemessen mit Fernsehmaßstäben natürlich noch immer eine bescheidene Popularität — sichert aber dennoch ihren Fortbestand. Sonderbarerweise wurden noch keine Versuche unternommen, Fernsehopern unter bewußter Vermeidung des Naturalismus zu inszenieren. Die Diskrepanzen, die dabei auf der Opernbühne auftreten — wenn nämlich naturalistisch Gedachtes stilisiert wird —, mögen vielleicht im Fernsehen weniger aufreizend wirken als auf der Bühne. Der Stein der Weisen wäre natürlich die stilisierte Darstellung einer bewußt abstrakt konzipierten Oper. Einzelne Versuche der Gegenwart — wie beispielsweise „Intoleranza” von Luigi Nono, die „Abstrakte Oper” von Werner Egk, „Aniara” von Blohmdal — würden sich ohne Zweifel dazu eignen. Hier treten aber dann wieder die gebieterischen Forderungen nach der „Massenkunst” in ihre Rechte. Abstrakte Oper in abstrakter Darstellung für ein Publikum, das so konkret ist, daß es den Apparat abstellen oder einen anderen Kanal aufsuchen könnte, das läßt offenbar jeden Willen zum Versuch scheitern. Warum allerdings ein so prononcierter „Stilisierer” wie Carl Orff, der zudem auch ein breites Publikum anzusprechen vermag, nicht für eine Fernsehoper gewonnen werden konnte, bleibt unerfindlich.

Die Produktionen der „leichten” Musik scheiden bei dieser Betrachtung aus, da sie ja kaum jemals Werte vermitteln, die als Musik im höheren Sinne anzusprechen sind. Indessen gibt es auch so etwas wie eine gute leichte Musik. Wenn diese sich ohne Prätentionen mit einer elegant gespielten Komödie verbindet — die italienische Produktion beim Premio Italia, „Scaramouche”, eine muntere Biographie des berühmten Schauspielers aus dem 17. Jahrhundert, mit Chansons von Domenico Modugno, war ein Musterbeispiel dafür —, dann kann eine sehr adrette Mischgattung entstehen, die turmhoch über den Schnulzenorgien der deutschen Fernsehunterhaltungsindustrie steht.

Es seien in dieser Betrachtung nicht die Anstrengungen vergessen, die, beispielsweise vom österreichischen Fernsehen, gemacht werden, um das Beste aus der Lage der Dinge herauszuholen. Dieses Beste ist die Produktion von kurzen, maximal halbstündigen Streifen mit einem Werk der Musikliteratur, zu dem dann passende Bildmotive — der Aufnahmeort wird bereits im Hinblick darauf gewählt — erscheinen. Diese meistens als Lückenbüßer verwendeten Programme haben kulturellen Wert, sind aber ihrer Natur nach mit „Kulturfilmen” gleichzusetzen.

Die Bilanz kann also nicht positiv abschließen. Musik im Fernsehen ist ein Stiefkind, das nur durch wahrhaft geniale Adoptiveltern und bewußtes Mäzenatentum gefördert werden könnte. Ein Wieland Wagner könnte vielleicht den Weg weisen, oder ein Giorgio Strehler. Die Schwierigkeiten der künstlerischen Produktion scheinen aber solche Regisseure noch mehr abzuschrecken als die Notwendigkeit, einen besonderen, dem Fernsehen angepaßten Stil zu entwickeln. Und so wird das Stiefkind wohl ein Stiefkind bleiben.

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