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Musica - quo vadis?

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Noch niemals in der Geschichte gab es ein derartiges, geradezu erdrückend reichhaltiges Angebot an Musik wie in unseren Tagen, wurde die ganze Breite der Tradition einem immer heftiger umworbenen Publikum angeboten, und trotzdem hat man ein Gefühl der Angst um das ungebrochene Weiterleben gerade dieser Kunstgattung.

Anderseits ist; es trostreich, daß junge Leute in notdürftig adaptierten Kellern, nicht selten unter der Patro-nanz eines verständnisvollen Kaplans, ihre kleinen Bands zusammenstellen, sich an großen Beispielen orientieren und versuchen, ihren eigenen Stü zu finden. Es macht Mut, wenn man erfährt, daß der Zustrom zu aller möglichen Art von Instrumentalunterricht in den letzten 20 Jahren stärker geworden ist, daß sich die jungen Klavierspieler um Plätze bei qualifizierten Lehrern geradezu anstellen müssen.

Ist Musik a priori brauchbar? Ist sie vordergründig so nützlich wie beispielsweise die Architektur, ideologisch so relevant wie die Literatur oder vermarktbar wie die Malerei? Mißt man dieser Kunst, deren gesellschaftliche Relevanz am ehesteh in der Ge-mütsbüdung, in der Sublimierung menschlicher Existenz gesehen werden könnte, die nötige Bedeutung bei? Ist „man“ bereit, sich die Pflege eines unverlierbaren kulturellen Schatzes auch etwas kosten zu lassen? Man kann die Stimmen, die drohend und mit unmißverständlich klassenkämpferischem Unterton von „Hochkultur“ sprechen, nicht mehr überhören, wenngleich heutzutage tatsächlich noch sehr viel getan wird. Die Zeiten aber, wo beispielsweise ein Mozart davon sprach, daß eines seiner Operh-werke nichts „für die Zähne seiner Wiener“ sei, und sich doch darauf verlassen kpnnte, daß sie sich damit auseinandersetzen würden, sind endgültig vorbei. Neue Musik ist dem Publikum keine Lebensnotwendigkeit mehr, nichts, das man „zwischen die Zähne nehmen“ müßte.

; Und für einen beklemmend hohen Prozentsatz der Bevölkerung steht auch die ältere Musik keine solche Lebensnotwendigkeit dar. Allein schon die Vorstellungen über den Begriff Musik klaffen hier weit auseinander. Kaum ein Drittel unserer Bevölkerung hat eine wesentlich über die Pflichtschulbildung hinausgehende Erziehung genossen, und trotzdem wird in Schul- und Erziehungsfragen gerade an dieses Drittel gedacht und darüber geschrieben: Die Schreiber selbst gehören ja auch zu den „Gebildeten“ und haben meistens nichts anderes vor ihrem geistigen Auge.

Wie aber sieht die Musik des Großteiles der Österreicher (in der übrigen Welt dürfte es kaum anders sein) denn aus? Wo bleibt in unserer weitgehend urbanisierten Gesellschaft die allgemeinverbindende Kraft des Volksliedes? Brauchtumspflege auf dem Lande kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch diese Zeiten vorbei sind. Das Volkslied der Urbanisierten ist der Schlager, und der ist kurzlebig und vermag auch die Generationen nicht zu verbinden!

Junge Leute zwischen sechzehn und achtzehn Jahren greifen gerne nach den Sternen. Wenn sie dann älter sind, sohen. sie wenigstens noch aufschauen, und nicht nur auf die Straße der täglichen Realität. Diese Aufschauenden sind die Hoffnung, sie können imstande sein, das Fortleben der Kultur zu gewährleisten, und für sie muß es sich lohnen, wirklich bedeutende Anstrengungen zu unternehmen, auch breitere Schichten vor allem unserer Jugend an die Musik heranzuführen.

Der natürlichste und sicherste Weg dazu ist der der aktiven Musikausübung. Georg Friedrich Händel hat heimlich auf dem Dachboden geübt, Johann Sebastian Bach nachts und verbotenerweise aus einem Notenbuch des älteren Bruders gelernt; starke geniale Begabungen mögen sich zu allen Zeiten durchgebissen haben; nur soll man nicht zu viel darauf vertrauen, vor allem auch deshalb

nicht, weil es ja primär nicht einmal um die Entdeckung und Förderung genialer Künstler geht, sondern um die Heranbildung eines verständigen Publikums. Wer musiziert, vermag richtig zu hören, und nur wer richtig hören kann, wird im Konzertsaal mitleben können, wird dann selbst wie eine Saite angerissen werden und sich in einer unverwechselbaren Art verwirklichen können.

Doch sind auch „Nichtmusikem“ behutsam bereitete Zugänge genug geöffnet. Allein die Musikalische Jugend Österreichs bietet in ihrem 29. Jahr nicht weniger als 22 Konzertzyklen an, gestaltet 60 Schülerkonzerte und in Linz und Umgebung solche für Lehrlinge. Die Aktivitäten reichen bis Horn und sogar in den Bregenzer Wald. Und im vorigen Jahr hat man in Zusammenarbeit mit dem Opernstudio der Wiener Staatsoper begonnen, auch die Opernmusik einzubeziehen.

Gerade hier aber wäre wahrscheinlich die aussichtsreichste Möglichkeit, unsere jungen Leute für Musik zu interessieren. Man möge aber nicht gar zu ängsthch vorgehen! Sicherlich ist „Die Gans von Kairo“ eine Möglichkeit, Kinder in die Klangwelt der Klassik einzuführen, aber vom Sessel gerissen werden sie damit kaum werden. Zu Hause sehen sie nämlich „Die Straßen von San Francisco“, „Petrocehi“ und andere „Opern“ ... Warum soh es (neben dem geradezu ideal geeigneten und dafür längst berühmten „Freischütz“) nicht eine veristische Oper sein? Wird nicht gerade der starke sinnhche Reiz des Widerspiels von Haß und Liebe unsere Jugendlichen am ehesten ansprechen? Glaubt man wirklich, die Seeleeines Zwölfjährigen könnte durch einen Mord in „Carmen“ endhch den Schaden erleiden, von dem sie bei „Schirm, Charme und Melone“ verschont blieb?

Natürlich muß die Oper für junge Menschen in deutscher Sprache gegeben werden - hier empfiehlt sich für den Wiener Boden also die Volksoper, denn Theater muß verstanden werden. Dazu gehört selbstverständlich auch die notwendige Einführung in die Handlung. Das ausgezirkelte Deutsch der Inhaltsangaben in unseren Programmheften ist dafür allerdings ungeeignet. Kein Mensch kann auf knapp ein bis zwei Seiten einen komplexen Inhalt leicht verständlich wiedergeben, auf drei bis vier Seiten aber wohl. Und auch das Fernsehen könnte seinen Teil zur Volksbildung beitragen und bei Opernübertragungen das deutsche Insert der gesungenen Texte mitlaufen lassen. Oder geht das nur bei fremdsprachigen Spielfilmen?

Das junge Österreich darf nicht ertauben. Es muß etwas geschehen!

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