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Musikalische Traditionspflege und Kulturförderung

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Die Pflege der musikalischen Tradition gehört unbestritten zum Wesentlichen der einem Kulturvolke pflichtgemäß obliegenden/ Förderung der Gesamtkultur. Es ist darum nur selbstverständlich, daß beispielsweise — nicht nur, weil es einem allgemeinen Bedürfnisse entspricht — die Werke, der großen Meister vergangener Zeiten breiten Raum in musikalischen Programmen jeder Art einnehmen, daß man Festspiele, wie etwa jene in Salzburg, weiter zu fördern bestrebt ist (ob mit Recht in fast zu sehr konservativ-traditionsgebundener Art, stehe hier nicht zur Erörterung), daß in Wort und Schrift immer wieder auf die hohen Kulturgüter hingewiesen wird, die es trotz der Not dieser Zeit zu pflegen und zu erhalten gilt.

Aber — so darf man gewiß auch mit Recht fragen —, ist der Kulturförderung auf musikalischem Gebiete Genüge getan, wenn neben diesem Wesentlichen der Kulturpflege, der Pflege der musikalischen Tradition, nicht auch in schönem Gleichgewicht das musikalische Kunstwerk der Gegenwart sich ebenso umfassender Pflege erfreut? Und —- so muß man wohl weiter fragen —, erfreut sich das musikalische Kunstwerk der Gegenwart, das ja berufen erscheint, die hohe Linie der musikalischen Kultur traditionsgemäß fortzusetzen, gleich liebevoller, umfassender Pflege, wie die von den Vorfahren hinterlassenen musikalischen Werte? Geschieht in dieser Hinsicht im Sinne der Kulturförderung das Mögliche und Notwendige, und geschieht es in zureichendem Maße?

Es ist für den Zeitgenossen, auch den fachlich durchgebildeten und erfahrenen Kenner, niemals leicht gewesen zu unterscheiden, welche zeitgenössischen Werke wertvoll und in die Zukunft weisend, welche unbedeutend sind. Darf man aber darum das Kind mit dem Bade ausschütten und, wie es in der letzten Zeit mehrfach, etwas sorglos, geschehen ist, behaupten, daß unsere Zeit, unser Land, schöpferische Begabungen, die die große Linie auf musikalisdiem Gebiete in eigenständiger Art fortzusetzen berufen wären, nicht oder doch nur in nicht zureichender, kaum nennenswerter Zahl hervorgebracht hätte?

Behauptungen dieser Art, die unter Umständen dazu verleiten können, die Förderung des zeitgenössischen musikalischen Schaffens wegen des angeblichen Mangels an Begabungen überhaupt für überflüssig zu halten, muß entgegengesetzt werden, daß die wirklichen schöpferischen Begabungen sich zu keiner Zeit auf öffentlichem Markte ange- boten haben. Sie sind und waren zu jeder Zeit zu sehr in ihr zu schaffendes Werk versponnen, um sich, in Überwindung einer gewissen Zurückhaltung, weithin sicht- und hörbar anzubieten, und das ganz besonders in einer Zeit, in der auch ernsthaftes musikalisches Schaffen, allerdings nur angeblich ernsthaftes, von allzuvielen nur mit der einzigen Zweckbestimmung geübt wird, daraus geschäftlichen Vorteil zu ziehen und so die mit allen Mitteln der modernen Reklame weitgehend durchgeführte Kommerzialisierung des Musiklebens auch für sich selbst auszunützen. Bedenkt mgn dann noch, daß seit geraumer Zeit weltanschaulich-politische Momente für den einzelnen Schaffenden Förderung oder Hemmnis bedeuten, je nachdem, ob er sich anzupassen weiß oder nicht, so wird man sich der Erkenntnis nicht verschließen können, daß Behauptungen, es fehlten in dieser Zeit in unserem Landė die schöpferischen musikalischen Begabungen, die einer großen Vergangenheit würdig wären, nichts weiter sind als unbewiesene Behauptungen nicht ganz ungefährlicher Art.

Der nur zu häufig trügende Schein mag solchen Behauptungen vielleicht recht geben. Denn die ältere lebende Komponistengeneration, jene, die das sechzigste Lebensjahr schon überschritten hat, ist an bewährten Kräften scheinbar nicht allzu reich. Je nach dem Maßstabe, den man anlegt, mögen zu ihrer Aufzählung die Finger einer Hand reichen. Es ist allerdings nicht zu übersehen, daß so mancher Name unter den Lebenden nicht mehr mitzählt, weil sein Träger allzu früh verstorben ist. Ebenso ist die ganz junge Generation scheinbar vorerst nur mit wenigen Namen vertreten. Zumindest waren es in den letzten drei Jahren nur einige wenige, die öfter zu Worte kamen und von denen dann auch, in einer nicht immer ganz sachlichen Diskussion, die Rede war. Es ist dabei nicht zu übersehen, daß diese jungen Schaffenden nicht zuletzt darum auf gef allen sind und eine gewisse Beachtung gefunden haben, weil ihr Stil — was kein Werturteil darstellen soll — irgendwie problematisch ist oder doch so empfunden wurde.

Wo aber — so darf man fragen —, bleiben alle jene Schaffenden, die zwischen 1890 und 1915 geboren wurden, demnach in gewissem Sinne heute schon maßgeblich im neuen Schaffen hätten in Erscheinung treten müssen? Wieder sind es nur einige wenige, von denen man, auch nur sehr gelegentlich, hört. Im ganzen aber klafft hier eine Lücke! Auch sie ist nur scheinbar vorhanden. Der in solchen Dingen Bewanderte, der sein Erinnerungsvermögen für die Zeit vor 1938 nicht ganz verloren hat und damals regelmäßiger Hörer des Rundfunks war, weiß sehr wohl, daß die mittlere, lebende Generation an musikalischen Begabungen nicht nur nicht arm, sondern sogar verhältnismäßig reich ist. So mancher unter den Komponisten, die dieser Generation angehören, hat in vergangener Zeit durch sein Werk Beweise für eine nicht alltägliche Begabung erbracht. Mit geringfügigen Ausnahmen stehen die musikalischen Schaffenden mittleren Alters heute fast ausnahmslos abseits, um es deutlicher zu sagen, irgendwie zeitbedingt abseits, nicht etwa, weil irgendein Gesetz sie dazu zwingt, sondern nur darum, weil sich niemand um sie kümmert. Sie selbst aber wollen sich nicht auf drängen, glauben vielleicht auch warten zu können und rufen darum nicht laut und vernehmlich nach ihrem guten Rechte, gehört zu werden.

Wieder drängt sich die Frage auf: Können, dürfen wir es zulassen, daß auf die überwie gende Zahl musikalisch-schöpferischer Kräfte einer ganzen Generation verzichtet wird? Gewiß, sie ist mit ihrem Werke nicht für immer verlören! Aber manch eines ihrer Werke, das geschrieben worden wäre oder noch geschrieben würde, bleibt ungeschaffen, weil die anregende Kraft der Förderung fehlt, eine Kraft, deren auch in vergangenen großen Zeiten die Schaffenden stets bedurft haben. Es steht demnach fest, daß Pflichten nach Erfüllung rufen, die bisher zu erfüllen versäumt worden ist.

Dem Rufe nach Förderung des zeitgenössischen musikalischen Schaffens könnte vielleicht entgegengehalten werden, daß sich die wirklichen Begabungen früher oder später allein durchgesetzt haben, daß sie nietnals auf lange Sicht unentdeckt geblieben sind. Ganz abgesehen davon, daß das, was für eine vergangene Zeit stimmen mochte, nicht auch unbedingt in unserer ganz anders gearteten Zeit stimmen muß, ist es doch zweifellos unsere Aufgabe, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Kann es unser Wille sein, daß eine spätere Generation wieder vor ver- spä. :t errichteten Monumenten steht, so wie wir und manche Generation vor uns — um nur ein Beispiel zu nennen — vor den Tausenden zu spät gepflanzter Schubertlinden stehen und stand. Wir dürfen Fehler nicht wiederholen, auch wenn sie nur Ergebnis, jener Todsünde sind, die Trägheit des Geistes heißt.

Suchen wir also — und das ist, seit es private Kunstförderung auf musikalischem Gebiete nicht mehr im dem Maße wie einst gibt, Aufgabe der öffentlichen Stellen — nach Begabungen. Fördern wir deren lieber zehn zu viel als um eine zu wenig. Wenn auf dem Gebiete der bildenden Künste durch Ausstellungen in aller Welt sich schöne Ansätze einer Förderung größeren Stils zeigen, dann werden sich auch für das Gebiet der Musik geeignete Mittel und Wege finden lassen. Am Materiellen kann es nicht scheitern. Die erforderlichen Mittel sind zu unbedeutend — so manche Quelle, aus der das materiell Erforderliche gespeist werden könnte, ist noch unerschlossen — und jede Aufwendung für diese Förderung auf lange Sicht produktiv. Eine spätere Generation soll uns nicht eines Versäumnisses anklagen, sondern mit Stolz darauf hinweisen können, wir wären uns trotz der Not der Zeit bewußt gewesen, daß die Förderung des zeitgenössischen musikalischen Schaffens eine der musikalischen Tra- ditionspflege ebenbürtige Pflicht im Rahmen der gesamten Kulturförderung ist.

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