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Mozart und die Gegenwart

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Wir wissen viel über die Zeit, viel über die Begebenheiten des Lebens Mozarts, viel über die Praktiken der Werkwiedergabe und einiges über die Arbeitsweisen, die der Meister bei der Entstehung seiner Musik übte.

Wir wissen viel Menschliches von diesem Meister, viel über seine Art, zu reagieren, über seine selbstverständliche Tapferkeit, zu tragen, über seine Freudebereitschaft, seinen Humor, seine Weise, sein Leben zu planen. Ueber das Hintergründige im Wesen des Menschen aber sagen auch die längsten Briefe wenig aus. Das Persönliche bleibt seiner Zeit verpflichtet, soweit es nicht in den Gestalten des Werks sich vergültigt hat. Daher kann keine spätere Zeit ein bleibendes Bild des Vergangenen schaffen.

Doch das Mozart-Bild in der Gegenwart, das, was man sich so im allgemeinen unter Mozart heute vorstellt, sofern man sich etwas mehr vorstellt als das Staatskleid, das Maria Theresia dem Sechsjährigen schenkte — wie ist es zu zeichnen, angesichts der Vielfalt der Einzelzüge hierzu, die sich an einen drängen und als deren einer der einprägsamsten mir doch der Umstand erschienen ist, daß für dieses Gedenkjahr ein Gesetz notwendig war, eine Lex Mozart, um den Gegenstand vor der Phantasie derer zu schützen, die sicherlich bereit gewesen wären, sein Bild in der Gegenwart ihrer eigenen Realität lebensnächst so zu gestalten, wie es dem Kommerz und der Konvention, die ihr Leben ausfüllen, dienlich gewesen wäre: Als Kunst?, nein, als Menschentum, das „im Dienste des Kaufmanns steht“, als geistige Produktion, die dem Zugriff der Werbefachleute für die materielle Produktion als Stoffquelle gut genug gewesen wäre, als Plakat und Verpackungsaufdruck, Schutzmarke und merkantiles Qualitätszeichen Made in Austria.

Es ist nicht einfach, der Tatsache dieses notwendigen Gesetzes etwas hinzuzufügen, das so schwerwiegend ins Mozart-Bild der Gegenwart fiele wie dieses Gesetz, und zwar in doppelter, negativ und positiv zu wertender Hinsicht: Daß es notwendig war, einerseits, und daß dieser Notwendigkeit immerhin wenigstens auf Landesebene Rechnung getragen werden konnte, anderseits. Noch in der Zeit des ersten Weltkrieges gab es ein Plakat, über das Karl Kraus ein bitteres Gedicht geschrieben hat. Es kündigte eine Aufführung des Mozart-Requiems zu karitativem Zweck an, Karten „zu haben beim Buchhändler Hugo Heller“, und zwar mit d£m, -,ßiWeaines .3-0,5-cm-Mörsers, der Paradevernichtungswaffe der damaligen österreichischen Armee, geschmückt. Das wäre heute, dank der Lex Mozart, wenigstens im Lande Salzburg nicht mehr möglich. Daß dem so ist, ermöglicht bedingt ein Mozart-Bild der Gegenwart auf dokumentarischer Grundlage, ohne die makabren Eventualitäten der Verzerrung, die das Gesetz ausschließt, wenigstens in Salzburg. Und es ist ein wesentlicher Zug in diesem, so in seiner Würde immerhin geretteten Bild, daß es den Menschen davor schützt, wogegen selbst Gottes Sohn wehrlos ist: Gegen offenen Kitsch und primitive Geschäftigkeit. Was allerdings unter Tarnung vom Wort bis zur Inszene das Bild verplattet und was den eigenen Vorteil in fremder Maske auf raffinierte Weise wahrnimmt, faßt kein Gesetz und unterbindet keine Verordnung. So ist es uns zwar erspart geblieben, dieses Bild am Gebrauchsgegenstand, vom Skiwachs bis zur Toilettenseife, blinken zu sehen, und es konnte 'auf Schlurfkrawatten nicht in erfolglose Konkurrenz mit Hollywood-Cowboy-Visagen treten. (Wer weiß, ob darnach genügend Nachfrage bestanden hätte.) Daß aber verschiedentliche Parallelen zu olympischen Rekorden gezogen wurden, konnte nicht einmal der Umstand verhindern, daß jene schon infolge der durch sie ausgelösten Festlichkeiten zu peinlicher Indisposition der Gefeierten führten, während die Feier in Mozarts Werk erst dort anfängt, wo alles allzu Sterbliche aufhört. Und ebensowenig unterblieb die Befruchtung literarischer Produktion durch den einmaligen Anlaß bis zur Dramatisierung von Kinderkrankheiten des Meisters, besonders empfohlen für Laienspielgruppen und den Schulgebrauch, aber nur in Originalkostümen bühnenwirksam, wie ein immerhin als offiziös anzusehender Bericht aus Linz schlüssig feststellt.

In Wien wieder tobte sich an dem dort Ungeschützten der Schöpfergeist von Konditoren anläßlich einer Ausstellung von Zuckerwaren aus, die völlig im Zeichen Mozarts gestanden sein soll und in diesem Zeichen Zeugnis ablegte für den Geist, der auch in einer Welt-musikstädt immerhin möglich ist. Nachrichten daß Mozart beim diesjährigen Mariazeller Narzissenfest, im Festzug, an einem narzissener Klavier sitzend, dabeigewesen sein soll, odei

i daß von geschäftlicher Seite aus Amerika nacr, Wien ein Lieferungsauftrag auf Lederhosen mii

s gesticktem Mozart-Kopf als Hauptemblem ergangen ist, nehme ich, obgleich sie seriöser Quelle entstammen, nicht zur Kenntnis. Die Ueberwältigung der Phantasie durch die Wirklichkeit muß ihre Grenzen haben.

Aber schon ehe solches im Zeichen Mozarts begann, hat, ernstzunehmenden Nachrichten zufolge, der gleiche Geist bei anderem Anlaß erste Repräsentanten, der Musik über dem Nordpol im Liede vom lieben Augustin zu verkünden veranlaßt, daß alles hin sei, wobei es für diesen Geist aus Tragant und Schokolade weniger bezeichnend ist, daß Uebermut solches vielleicht geschehen ließ, als daß es durch die europäische Presse in gleicher Aufmachung ging wie die Kunde künstlerischen Erfolgs in fernem Land. Aber der Umstand, daß der ohne Notenmaterial improvisierte Radetzkymarsch die Weltherrschaft jenes Geistes, der von sich behauptet, der der Musik zu sein, sehr fern von seiner Heimatstadt am schlüssigsten für die begeisterte Menge unter Beweis zu stellen vermochte, läßt fast an der Welt verzweifeln. Es muß nicht nur um Mozart Unglück sein — das Unglück ist allemal das gleiche, es macht vor gar nichts halt und ist überall.

Sagen wir es also hier ruhig und ehrlich, was für das Mozart-Bild der Gegenwart in diesem Gedenkjahr zutrifft, und dies im Bewußtsein eines waghalsigen Optimismus: Wir sind noch einmal und eben noch davongekommen, wenigstens in Salzburg, aber manches, was sich begab, zeigte der bedenklichen Symptome genug. Es war gelegentlich ein etwas ängstlicher Wettlauf der Würde mit der Geschäftigkeit, der hier auf der vielgeprüften Rennbahn des Kultur- und Gesellschaftslebens vor sich ging. Und es gab manchmal Worte, wo ernstes Schweigen bescheidener Besinnung und auch der Bedenklichkeit am Platze gewesen wäre, schon angesichts der Möglichkeit, daß nichts in der Welt auch die kunstnächsten Repräsentanten einer Gegenwart davor schützt, Akteure einer Reprise dessen zu sein, was war, und unwissentlich vielleicht irgendwo geschehene Schande zu wiederholen. Wer wußte schon, als einst Mozart im Elend starb, wer Mozart war. Aber damit auch keine Nuance im Konzert der zeitgemäßen und zeitbedingten Unerfreulichkeiten fehle, wird dieses Mozart-Schicksal anderseits schon für Zeitgenossen beansprucht, und es faßt einen Schauder vor der Möglichkeit, daß die Unzufriedenheit irgendwo Unaufgeführter zur Fuchtel werde, mit der solchen, die man für verantwortlich “hält, gedroht wird, daß sie vor einer Zukunft als die Dummen dastehen könnten, als welche die Zeitgenossen Mozarts, die seine Größe nicht erkannten, solcher Gegenwartsschaü erscheinen. Es ist aber kaum ein anderes, einen Mozart in der Zeit zu übersehen, als solche, die keine sind, zu Mozarten zu machen.

Aber dennoch: Es war jetzt nach 200 Jahren der Mut vorhanden, auch Einhalt zu gebieten, wenngleich man für den sehr ernsten Vorschlag, gerade zu diesem Anlaß auf sehr befristete Zeit dieses große Werk aus unserem Leben und seinem Musikbetrieb auszuschalten und damit mit allerdings gnadenloser Strenge zu beweisen, was wir ohne Mozart wären, doch nicht den Mut zur Verwirklichung fand. Es bestand das Bewußtsein, daß nicht sein Werk, das so über die Zeiten hinweg Lebendige, der feierlichen Erinnerung bedarf wie diese Gegenwart der Dankbarkeit, daß dieses Werk auch in ihr lebt. Vielleicht ist es doch ein Positives, daß uns das Jahr gebot, jenes großen Werkes wegen einmal über uns und unser Tun nachzudenken, uns aufzurufen zu schmerzreicher Rechenschaft vor einem so lebendigen Sein über flüchtiger Zeit. Zur Beichte zu treten vor einem, der es seinerzeit zum ersten Mal in einer Epoche der Gesittung und des Denkens, die auch unsere ist, als Künstler unternahm, ein Leben zu leben, nur um seiner Berufung willen, und nicht einen Beruf zu haben, um neben ihm zu leben. Uns also schuldig zu bekennen des nur halb Gewagten, das nun nicht in Mozarts Bild geholt, aber wahrhaft dem Bild dieser unserer Gegenwart das Profil gibt: Das Halbgewagte, das Schreiberdienste leistet, um dann in sogenannter Freizeit Motorrad fahren zu können, das widerwillig front, um andere Lebenssehnsüchte zu nähren, das das romantische Pathos der Distanz, das im Jahrhundert dröhnte, da Mozarts Werk bereits getan war, zum kleinbürgerlichen Wunschtraum der Massenhaftigkeit verflacht hat.

Vielleicht ist es das Größte, nicht an dem Bilde, sondern an der Realität der Persönlichkeit dieses Künstlers, daß sein Leben dadurch gekennzeichnet erscheint, daß er alles wagte, was diesem Leben abzugewinnen war, indem er sich darin erfüllte. Dies ist nicht Annahme, sondern Tatsache. Was er gewagt hat und daß das alles war, was von ihm gewagt werden konnte, das steht fest; und damit auch, daß mit diesem Wagnis tatsächlich eine neue Zeit abendländischer Geistigkeit beginnt; daß die Revolution der Persönlichkeit gegen alle Mächte der feudalen, gesellschaftlich-traditionellen Autorität vollzogen wird, soweit sie nicht aus dem eigenen sittlichen Gefühl der Berufung zu einer das Leben erfüllenden Aufgabe gerechtfertigt sind, daß der Durchbruch der Humanität gegen die moralische Konvention gelingt, die das soziale Leben durch große Jahrhunderte bestimmt hat: die Geburt des Menschen an sich aus dem Geiste der Musik.

Die Revolutionierung der Gesellschaft, ausbrechend fast gleichzeitig mit dem Verlöschen dieses einen Lebens, hat die,.Menschheit nur zu torsohaften Lösungen gefiffirt, aus deren Un-vollkornmenheit die kommenden Katastrophen der Gesellschaft aufsteigen Wie der Rauch über einer Brandstatt. Die Revolution eines Charakters meißelt ein' vollendetes Menschenbild. „Mozart“, sagt der Dichter Hermann Hesse, „das bedeutet: die Welt hat einen Sinn, und er ist uns erspürbar im Gleichnis der Musik.“

Aus: „Mozart und die Gegenwart“, Leykam-Verlag, Graz

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