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Vom Komponistenfilm

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Unter den Filmen um Leben und Schaffen berühmter Künstler nehmen jene, deren „Helden“ große schaffende Musiker sind, nach Zahl wie nach Breitenwirkung einen bevorzugten Rang ein. So haben wir bisher Schubert im Film erlebt, haben Mozart und Schumann, Verdi und Tschaikowsky auf der Leinwand gesehen, die Meister der klassischen Wiener Operette und komponierende Virtuosen, wie Paganini oder Sara§ate. Hollywood dreht Komponistenfilme beinahe serienweise — man hört unter anderem von einem Grieg-Film — und auch bei uns trägt man sich immer wieder mit Plänen wie etwa denen zu einem Bruckner-Film. Hat die „Furche“ schon gelegentlich der Nachricht von diesem Vorhaben kurz Einwände zu dem in Rede stehenden Sonderfall geltend gemacht, so sei nunmehr versucht, die Problematik des Komponistenfilms grundsätzlich wenigstens andeutungsweise zu beleuchten. Denn daß eine solche besteht, ist angesichts der bisherigen Erfahrungen doch kaum in Abrede zu stellen, sah man doch nur selten, um nicht zu sagen nie, auch nur einigermaßen das erreicht, was im Interesse der Kunst und der Kunstpflege billigerweise zu fordern und zu erwarten wäre, sondern fühlte sich vielmehr zumeist zu Bedenken, wenn nicht zu entschiedenem Protest veranlaßt.

Nun stellen wir für den Komponistenfilm weder das Postulat einer rein historischen Reportage auf, noch erwarten wir von ihm Qualitäten, die außerhalb des Wesens „des Films und seiner Möglichkeiten liegen, wir müssen aber fordern, daß die tatsächlich gegebenen Möglichkeiten positiv genützt und die durch das Wesen des Films gezogenen Grenzen mit Takt und Geschmack gewahrt werden. Der Zweck eines Films, in dem uns eine große geschichtliche Persönlichkeit gezeigt wird, kann niemals sensationsgewürzte Unterhaltung, sondern muß immer die Vermittlung der Wahrheit und die Anbahnung eines tieferen Verstehens sein. Womit nicht geleugnet werden soll,

daß dies nicht auch auf unterhaltende Weise geschehen kann, aber Wirkungen, die irreleiten oder nur um ihrer selbst willen angebracht werden, mögen sie noch sö „filmisdi“ und unterhaltend sein, darf es unter keinen Umständen geben. Was aber ist historische Wahrheit? An dieser Frage verstärkt sich im Film die Problematik des historischen Romans, denn vieles ist im erzählenden Kunstwerk möglich, was dem Film verschlossen und verwehrt sein muß. In der Milieuschilderung zwar hätte es der Film wohl leichter als der Erzähler, wenn eine beinahe grundsätzliche Neigung zum allzu Dekorativen in die richtigen Grenzen verwiesen würde, fast in allem anderen aber bieten sich ihm Schwierigkeiten, die. das Wortkunstwerk nicht kennt und die um so größer werden, um je subtilere psychische und geistige Dinge es sich handelt. Eben darum aber wird die Problematik des Komponistenfilms trotz aller scheinbar so günstigen Vorbedingungen für die Werkwiedergabe noch stärker als bei anderen Künstler-filmen, haben wir es hier doch mit jener Kunst zu tun, deren eigentlichste Bereiche erst da beginnen, wo die im Wort faßbaren und im Bild darstellbaren Begriffe aufhören. Der Film aber ist seinem Wesen nach realistisch, das bestätigen uns am schlagkräftigsten die gelegentlichen Versuche, seinen Realismus zu überwinden. Der „Erdenrest, zu tragen peinlich" wird da jedesmal viel spürbarer als selbst vor der primitivsten Bühne.

So bleibt für den Komponistenfilm nur eine Zielsetzung, die vor dem Hintergründigen des künstlerischen Schaffens hält- machen muß und sich darauf wird beschränken müssen, menschliche Teilnahme für den Künstler zu erwecken, wohl auch Zusammenhänge zwischen Leben und Schaffen aufzuzeigen, soweit sie erfaßbar sind, was zumeist in weit geringerem Maße der Fall ist, als man meinen möchte. Hier ist ein Gefahrenpunkt erster Ordnung und der Film sollte aus seinem realistischen Charakter wie aus seiner gesteigerten Suggestivwirkung eine erhöhte Verpflichtung zur Wahrheit ab leiten. Wir erinnern beispielsweise an den vielgerühmten Schubert-Film „Leise flehen meine Lieder". Da wurde ein zartes Liebeserlebnis — überdies in einem völlig verzeichneten Milieu — vergröbert und „dramatisiert“, um die Entstehung der h-mol 1-Symphonie zu „erklären“. Im Zorn vernichtet sie Schubert, der sich betrogen glaubt, teilweise wieder und daher ist sie für uns, so will es der Film, „unvollendet". Das ist alles freie, gewaltsame und die der dichterischen Phantasie wohl einzuräumenden Grenzen freventlich durchbrechende, weil verfälschende Erfindung nur um des, äußeren Effekts willen. Ein Musterbeispiel dafür, wie es nicht gemacht werden sollte, das an Drastik wohl nur noch durch die „Rauschende Ballnacht“ übertroffen wurde, ist der Tschaikowsky-Film, in dem die Tragik des russischen Meisters und das hohe Menschentum seiner Beziehungen zu Frau von Meck den Starallüren und. Ambitionen einer Diva aufgeopfert wurden.

Verbiegungen der biographischen Richtigkeit wie die eben angeführten sind um so bedenklicher, als sie nicht etwa die dichterische Freiheit wie eine gute Anekdote in den Dienst einer tieferen Wahrheit stellen, sondern das Charakterbild des betreffenden Künstlers von Grund aus verfälschen. Zumeist ist dies in einer Zuspitzung auf das erotische Moment in einer Vergröberung und „Deutlichkeit“ geschehen, die lediglich auf gewisse Püblikumsinstinkte spekuliert .Dem wahren Verständnis für Künstler und künstlerisches Schaffen wird damit ein denkbar schlechter Dienst erwiesen, ist doch zu bedenken, daß viele, zumal junge Menschen zum erstenmal mit der Gestalt und dem Werk eines Komponisten durch einen derartigen Film in Berührung kommen, daß sie das, was sie sehen, für wahr.und authentisch halten, daß ihnen also ein grundlegender Eindruck vermittelt wird, der ihnen auf lange Zeit, wenn nicht zeitlebens, den Zugang zu den wirklichen Werten und Offenbarungen . der Kunst versperrt.

Wenn uns ein Film die ungeheure Dämonie des Schaffenmüssens bei Schubert vor Augen führen würde, die in einem so kurzen Leben ein so unendlich reiches Werk erstehen ließ, so wäre das kaum von geringerer, ja sicher von tieferer Wirkung als die unwahren Sentimentalitäten der bisherigen Schubert-Filme. Und wo bleibt der Mozart-Film, der uns einmal die erschütternde Tragik dieses Genius vor Augen führte, diese Lebenskurve, die vom strahlenden Glanz, der das Wunderkind umgab, abstürzt in ein frühes Armengrab, während gleichzeitig die Kurve des Schaffens sich bis in die Höhe reinsten Menschentums erhebt? Oder wären etwa die Lebensläufe Glucks oder Händels nicht geradezu ideale Stoffe, um den Kampf des Genius gegen Hemmungen und Widersacher aufzuzeigen? Es gäbe also sehr wohl Möglichkeiten für Komponistenfilme, ohne daß an die gebotenen Grenzen gerührt und die historische Wahrheit verborgen werden müßte, solche, die im rein realen Geschehen allein be- deutungs- und wirkungsvoll wären.

Waren die bisher berührten Gesichtspunkte mehr allgemeiner Art und nur zum geringeren Teil dem Komponistenfilm als solchem eigentümlich, so stellt die Verwendung und die Rolle der Musik in solchen Fifmen ein ganz spezielles Problem där, bei dessen Lösung es ganz besonders auf Takt, Geschmack und Ehrfurcht’ vor dem Stoff ankommt. Daß man Kompositionen des jeweiligen Helden verwenden wird, ist eine Selbstverständlichkeit. Ebenso selbstverständlich wird jeder Drehbuchautor und Regisseur darauf bedacht sein, die Musik sinngemäß mit der Handlung zu verknüpfen und in sie einzuflechten. Nicht von gleicher Selbstverständlichkeit aber ist nach den bisherigen Erfahrungen die Forderung, daß dabei die gewählten Tonsätze in ihrem Charakter nicht verfälscht und in ihrer Eigengesetzlichkeit nicht beeinträchtigt werden dürfen. Wir verwahren uns gegen alle Dreimäderlhausiaden wie die Umwandlung von Instrumentalsätzen zu Liedern, von Klavierwerken zu Orchestersätzen und dergleichen. wie auch gegen jede programmatische Deutung und Verwendung absoluter Musik, die deren Sinn nicht mit unbedingter und authentischer Sicherheit entspricht. Wesentlich ist auch die Wahrung der Form. Aus einem Werk willkürlich Bruchstücke herauszureißen, weil man gerade soundso viele Sekunden Musik braucht, ist kulturlose und tempelschänderische Barbarei. Kann man schon nicht ganze Sätze,

so wie sie geschaffen sind, verwenden, so wähle man doch wenigstens formal geschlossene Komplexe. Es wird also in solchen Fällen, umgekehrt wie sonst beim Film üblich, Bild und Handlungsablauf sich nach dem gegebenen musikalischen Material zu richten haben.

A!Jes in allem können über solche grundsätzlichen Erwägungen hinaus kaum Regeln oder gar dramaturgische Rezepte für die Gestaltung von Komponistenfilmen gegeben werden, wir mußten uns also darauf beschränken, deutlicher noch als die gegebenen Möglichkeiten die Grenzen und Unmöglichkeiten aufzuzeigen, vor denen haltzumachen ist. Die gültige Form wird sich immer aus dem konkreten Einzelfall ergeben müssen. Als allgemeingültig kann nur immer wieder die eine Forderung erhoben werden: das Bemühen um Wahrheit, wie sie die Ehrfurcht vor dem Stoff gebietet, die dann auch, verbunden mit dem für alles Kunstschaffen ünerläßlidteri Können, die dem Vorwurf gemäße Würde gewährleistet.

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