6636984-1957_21_19.jpg
Digital In Arbeit

Zeitgenössische Kunst im Kirchenraum

Werbung
Werbung
Werbung

Wir zweifeln nicht daran, daß die neuen Kirchen in der Bauweise und im Stile unserer Zeit gebaut werden müssen und gleiches auch für ihre Einrichtung und Ausschmückung gilt. Es wäre zu erwarten, daß solche Werke allgemeines Verständnis finden, da die Behandlung der Themen im Sinne unserer Zeit erfolgt. Aber wie ist es nun: Viele der neuen Bauten, Plastiken und Gemälde finden oft recht geteilte Aufnahme, weil sie einer bestimmten Vorstellung im gewünschten Maße nicht entsprechen, von den einen überhaupt nicht verstanden und daher abgelehnt, von den andern aber über alle Maße gelobt und gepriesen werden.

Ein zweitausendjähriges Kulturerbe christlicher Kunst ist für eine neue Entwicklung, die nach Ausdruck sucht, Belastung und Verpflichtung zugleich. Kein Mensch, der das abendländische Bildungsgut in sich aufgenommen hat, wird sich der Macht und dem Reiz, dem Einfluß und den Gesetzen der großen Kunstschöpfungen entziehen können. Wir wissen auch um die zerstörenden und zersetzenden Kräfte vom Geistigen her, welche die Grundlagen dieser Schöpfungen unterhöhlt und bis zur Auflösung gebracht haben. Wir leiden am Gegensatz einer aufs höchste gesteigerten Technik, angesichts des Fortschritts in allen Wissenschaften und einer Zerrissenheit der Anschauungen dort, wo in der Kunst das seelische Erlebnis des Menschen zum Ausdruck kommen soll. Die barbarische Sprache in vielen Werken zeitgenössischer Malerei und Plastik, die persönliche Willkür und Gesetzlosigkeit als Gestaltungsprinzip, sind verständlich, wo der Glaube an ewige Werte verlorengegangen ist und der Mensch in sich und seiner Umgebung nur die Leere fühlt und das hungrige Streben nach Vorteil und Glück. Der stolze Mensch des 20. Jahrhunderts sucht seine Vorbilder bei den Primitiven, bei den Archaiern. er ahmt sie nach, aber es wird eine falsche Sprache, denn ihm fehlt die Ursprünglichkeit und die Naivität zu solcher Aussage. Er stellt sich damit in Widerspruch zu allen Einrichtungen und Aeußerungen der Zivilisation, deren er sich sonst bedient. Eine verpflichtende Vergangenheit ist ein schweres Erbe, um unbefangen und gültig völlig Neues auszusagen, um eine neue Formenwelt zu schaffen, die ohne Bindung ist zu dem, was vorher war, und die doch Bestand haben soll. Alles Antreibertum wird solcherart nur rasch welkende Blüten züchten, das echte Wachstum aber vollzieht sich in Selbstbesinnung langsam und in der Stille.

Bei solchen Widersprüchen und dieser Unsicherheit ist es auch verständlich, wenn viele Werke zeitgenössischer Kunst verschieden beurteilt werden. Die Ablehnung des- Neuen erfolgt nicht immer aus geistiger Trägheit und aus dem Hängen am Gewohnten, sie geschieht sehr oft, weil dieses Neue dem natürlichen Empfinden widerspricht.

Die Gestaltung unserer neuen Kirchen, ihrer Gemälde und Statuen soll so zeitnah wie möglich sein. Aber aus ihnen muß der Geist christlichen Glaubens sprechen, und es scheint oftmals doch so, als spräche aus diesen Dingen ein ganz anderer Geist. Ist sich der im Dienste der Kirche schaffende Künstler dessen immer bewußt, daß die christliche Lehre ihn zu einer Auffassung der Dinge verpflichtet, die mitunter anders sein muß als bei dem, der im Geiste außerhalb der Kirche und ihrer Lehre steht? Dem christlichen Künstler müssen Begriffe, wie Ehrfurcht vor dem Höchsten und Heiligen, Feierlichkeit, Erhabenheit, Bejahung, sowohl des Schönen als auch des Abgründigen, weil des ersteren Widerpart, alle Regungen des menschlichen Gemüts, geläutert durch den Glauben des Christentums, Prinzipien seines künstlerischen Schaffens sein, für das er auch sein bestes handwerkliches Können einzusetzen hat.

Ist es. so gesehen, zu verantworten, wenn ein Bild oder eine Plastik, flüchtig hingeworfen, schon als fertig gelten soll, wenn sie Personen und Inhalte zum Gegenstand hat, die über den Zeiten stehen? Der prickelnde Reiz der Skizze und der aufblitzenden Idee ist noch keine Rechtfertigung dafür, darin etwas Fertiges zu sehen und das Werk in diesem Zustand zu belassen. Jeder schaffende Künstler weiß, daß im Zuendeführenkönnen sich erst wahre Meisterschaft erweist. Gewiß nähern wir uns damit Gestaltungsprinzipien, die für die alte Kunst selbstverständlich waren, die auch heute noch selbstverständlich sind für jede ernst zu nehmende Architektur, die selbstverständlich sind in Wissenschaft und Technik. Daß es heute oft so schwer ist, in einem Bauwerk den Zusammenklang zwischen Architektur, Malerei und Plastik zu erreichen, hat seinen Grund nicht bloß im überspitzten Individualismus, sondern auch darin, daß die künstlerischen Teilleistungen ent- wicklungs- und ausführungsmäßig auf verschiedenen Stufen stehen. Es reimt sich nicht, wenn an einer, ingenieurmäßig gesehen, mit höchstem technischen Raffinement entwickelten Baukonstruktion bewußt primitive Werke der Plastik oder Malerei angebracht werden. Die Technik, die Gewerbe und zum Teil auch die angewandten Künste gehorchen einem ihnen innewohnenden Gesetz, das sie zu größter technischer Vollendung zwingt, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Die künstlerische Intensität des Ausdrucks ist aber nicht an die vollendete Form und Technik gebunden; deren Handhabung ist zum Teil eine Frage des beruflichen Ethos und einer Harmonie in den geistigen Zielsetzungen.

Man möchte glauben, daß jene dort zu finden sei, wo Menschen aus dem Glauben heraus an einem kirchlichen Werk schaffen. Die Vergangenheit lehrt, daß die stärkste religiöse Wirkung nicht immer von Bauten und Werken der bildenden Kunst ausstrahlt, die virtuose technische und künstlerische Spitzenleistungen sind, aber wir fühlen aus ihnen, daß sich darin die ganze Gläubigkeit einer Zeit offenbart und in ihrer Art und nach ihren Fähigkeiten die Menschen das Beste, das sie vermochten, geschaffen haben. Alles ist auf seinen rechten Platz gestellt, das Erhabene und das Heilige wird als das empfunden, was es sein soll, desgleichen das Böse, das Niedrige und auch das Häßliche. Echte religiöse Kunst verschließt die Augen nicht vor dem Unzulänglichen und gaukelt auch keine paradiesische Welt vor, die es nicht gibt. Leid und Tragik haben darin ihren Platz. Aber es müßte auch bei Werken zeitgenössischer religiöser und Kirchenkunst diese einfache Ordnung der Dinge und Begriffe gewahrt werden, wenn diese Kunst ein Anliegen aller gläubigen Menschen sein soll. Vergessen wir nie, daß im kirchlichen Raum die Kunst nicht um ihrer selbst willen da ist. Sie dient zu Gottes Lob und Preis, soll aber vör allem den Menschen aus seinem Alltagstrott herausführen und ihm helfen, sein Denken, Wollen und Empfinden aufzurichten. Die Sprache kirchlicher Kunstwerke soll darum eine verständliche sein. Es ist der Sache nicht gedient, wenn das, was ein Kunstwerk zum Ausdruck bringen soll, nur durch lange Erläuterungen erst verständlich zu machen ist. In seiner Grundaussage muß ein kirchliches Kunstwerk unmittelbar wirken und begriffen werden können. Damit soll keiner Banalität im Kirchenraum das Wort geredet werden, denn alle wirklich bedeutenden Werke der Kunst sind viel- gesichtig.

Es dürfte unbestritten sein, daß sich der neue Kirchenbau einfacher und schlichter Bauformen zu bedienen hat und dieses Gestaltungsprinzip auch für die Ausstattung im Inneren gilt. Dies soll aber nicht dazu verleiten, durch Worte und symbolische Deutungen Inhalte vorzutäuschen, die in den Gegebenheiten nicht vorhanden sind. Gewiß, neue Kirchen sollten theologisch ausdeutbar sein und Einrichtung und Ausstattung einem solchen Programm unterliegen. Dieser Ausdeutung müssen aber glaubhafte Anhaltspunkte gegeben werden, denn nur so können wir vermeiden, daß zwischen Absicht und Wirklichkeit keine Kluft besteht.

Es kann nicht genug betont werden, wie wichtig im Kirchenbau die Zusammenarbeit zwischen dem Theologen, dem Architekten und den übrigen am Bau beteiligten Künstlern ist und daß bei Erstellung der Bauprogramme neben den Notwendigkeiten das Ideelle, im Sinne eines umfassenden theologischen Programms, das sich bis zur Gestaltung des Tordrückers erstrecken müßte, vonnöten wäre. Wo Prunk und Pracht fehlen, muß um so mehr das Geistige hervor- treten, sollen unsere neuen Kirchen nicht bloße Zweckräume werden.

Begreifen wir auch, daß nicht alle Modeformen der profanen Architektur für den Kirchenbau taugen. Der Einfluß der profanen Baugestaltung ist heute übermächtig und aller bautechnische Fortschritt kommt von dorther. Angesichts des Umfangs und der Größe dieser Aufgaben muß dies wohl so sein und somit ist heute der Kirchenbau nur ein kleines Teilgebiet der Baukunst. Hierzu kommt, daß die Mehrzahl der neugebauten Kirchen aus seelsorglichen Gründen verhältnismäßig von bescheidener Größe sind. Da die Gestaltungselemente des neuen Kirchenbaus vom Profanen her kommen, muß der heutige Kirchenbauer die Gestaltungskraft haben, diese seiner Aufgabe dienstbar zu machep, damit sein Werk der Weihe nicht entbehrt. In ihm muß das Beständige zum Ausdruck kommen und es soll nicht vergessen werden, daß Kirchen: ein langes Leben haben, wenn Gewalt sie nicht zerstört. Eine Kirche soll auch kommenden Generationen Gotteshaus sein und ihre Formen sollten daher erwarten lassen, daß sie auch vor dem Urteil einer späteren Zeit noch Bestand haben werden. Ob gewagtes Experiment und sensationelle Aufmachung geeignete Mittel dazu sind, dieses Ziel zu erreichen, mag dahingestellt sein. Mehr als bei einem anderen Bauwerk lastet auf einem Kirchenbau die Verantwortung vor der Gegenwart und vor kommenden Geschlechtern.

Die Gegenwartskunst im Dienste der Kirche wird ihre Aufgabe dann erfüllen, wenn sie vor allem dem religiösen Empfinden Ausdruck verleiht und in Demut dient.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung