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Kunst und Technik nicht Feuer und Wasser

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Kunst und Technik - sind das wirklich die polaren Gegensätze, das Feuer und Wasser unserer Kultur, Bestandteile unseres Lebens, die jedes für sich die Existenz ermöglicht, aber dort, wo sie zusammentreffen, einander auszulöschen trachten? Es gibt Argumen-• te, die dafür sprechen, zum Beispiel eines, das sich auf informationstheoretisches Vokabular stützt.

Die Technik ist bestrebt, wissenschaftliche Erkenntnisse in enger Wechselwirkung mit den Naturwissenschaften dem Menschen nutzbar zu mächen. Die Erarbeitung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und technischen Wissens bedeutet nun in der Sprache der Informationstheorie, daß man den Zufall abbaut und das Eintreffen eines Ereignisses wenigstens mit einer über der Zufallsrate liegenden Wahrscheinlichkeit voraussagen kann. Max Weber spricht 1918 von der Konsequenz der Vor-aussagbarkeit:

„Der wissenschaftliche Fortschritt ist ein Bruchteil, und zwar der wichtigste Bruchteil jenes Intellektuali-sierungsprozesses, dem wir seit Jahrtausenden unterliegen ... : daß man alle Dinge - im Prinzip - durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet die „Entzauberung der Welt“.

Diese Entzauberung der Welt wird nun von pessimistischen Zeitgenossen als eine Entwicklung empfunden, die gegen die Kunst gerichtet ist; man sagt, daß Kunst gerade das ist, was man nicht vorausberechnen kann, das Unwägbare, Magische, nicht logisch Ableitbare. Jede Erwei-

„Es ist unvorstellbar, daß die industrielle Revolution spurlos an den Künstlern des 19. und 20. Jahrhunderts vorbeigegangen wäre“

terung der wissenschaftlichen Erkenntnisse müßte daher, meinen Kulturpessimisten, mit einer Einengung jenes Bereiches des Magischen verbunden sein, der als Basis der Kuns.t angesehen wird.

Dieses Argument erscheint mir als oberflächlich und nicht stichhältig. Es ist bedingt richtig, daß durch wissenschaftliche Erkenntnisse der Bereich des Zufälligen eingeschränkt wird. Ich sehe aber aus verschiedenen Gründen nicht ein, daß dadurch die Kunst grundsätzlich beeinträchtigt werden muß.

Zunächst wird in Abrede gestellt, daß die Kunst ihre Impulse nur aus dem Bereich des Magischen empfängt, oder, grob ausgedrückt, daß der Wissenschaftler nur denkt und der Künstler nur träumt. Tatsache ist, daß auch der Künstler denkt, immer gedacht hat, und daß insbesondere der moderne Künstler denkt. Es ist unvorstellbar, daß die Künstler der Renaissance vom helio-zentrischen Weltbild des Nikolaus Kopernikus unbeeinflußt geblieben, oder daß die industriellen und naturwissenschaftlich-technischen Revolutionen spurlos an den Künstlern des 19. und 20. Jahrhunderts vorbeigegangen wären. Es wäre auch absurd zu glauben, daß kritische Maler früherer Zeiten, wie etwa Hieronymus Bosch oder Francisco de Goya, nicht gedacht haben, gar nicht zu reden von unseren Zeitgenossen.

Man könnte sogar an manchen Künstlern unseres Jahrhunderts kritisieren, daß sie zuviel denken und zuwenig träumen. Aber in jedem Fall schöpft der Künstler seine Kraft und Energie aus beiden Bereichen, aus dem magischen und aus dem wissenschaftlich nachprüfbaren. Albert Paris Gütersloh siedelt die zeitgenössische Kunst zwischen Physik und Metaphysik an. Ähnliches kann auch für den Wissenschaftler gesagt werden, der oft träumt und nicht nur denkt.

Ist das Kunstwerk etwas ähnliches, wie eine wissenschaftliche Erkenntnis, die Information erzeugt und den Zufall .abbaut? Ich glaube, daß ein Kunstwerk zwar Information enthält, daß es aber sein Leben, die Anerkennung seiner Existenz als Kunstwerk, der „künstlerischen Aussage“ verdankt, einer Eigenschaft, die etwas ähnliches ist wie die Information in einem physikalischen System, jedoch einer anderen Welt, einem ande-

ren System als dem physikalischen angehört.

Ich sehe nicht ein, daß die durch wissenschaftliche Erkenntnisse bewirkte Reduktion der Zufälle in Teilbereichen unseres physikalischen Systems, nach Max Weber die „Ent-

zauberung der Welt“, eine prinzipielle Beeinträchtigung der Kunst und ihrer zweiten, imaginären Welt bedeuten muß. Im Gegenteil: Die Dynamik der physikalischen Welt, die sich bisher in immer kürzer werdenden Entwicklungszeiten äußerte, stimuliert die Kunst in beträchtlichem Maße. Ich finde sogar, daß die Kunst besonders empfindlich auf Veränderungen unseres physikalischen Systems reagiert.

Eine grundsätzliche Beeinträchtigung der Kunst durch die Technik wäre auch aus historischen Gründen unverständlich. Alles was wir über die Entwicklung des früheren Menschen wissen, deutet darauf hin, daß Kunst gleichzeitig mit der Erfindung des Werkzeuges entstand. In der Etymologie des Wortes „Technik“ kommt diese Urbeziehung zwischen Kunst und Technik sehr schön zum Ausdruck: Technik stammt aus dem Griechischen und bedeutete ursprünglich „Kunst“ (allerdings auch List). Damit stoßen wir auf die gemeinsame Wurzel von Kunst ud Technik, auf das Schöpferische im Menschen. Was kann schon über die Kreativität des Künstlers ausgesagt werden, das nicht auch für den erkennenden Wissenschaftler und den erfindenden Ingenieur gilt? Und wer denkt dabei nicht an Leonardo da Vinci, Künstler, Wissenschafter und Ingenieur, der über die Bedeutung des Experimentes schreibt:

„Der Interpret der Wunderwerke der Natur ist die Erfahrung. Sie täuscht niemals; es ist unsere Auffassung, welche zuweilen sich selbst täuscht, weil sie Effekte erwartet, die die Natur nicht gibt. Wir müssen die Erfahrung konsultieren in der Verschiedenheit der Fälle und Umstände, bis wir daraus eine General-Regel ziehen können, die darin enthalten. Und wozu sind diese Regeln gut? Sie führen uns zu weiteren Untersuchungen der Natur und zu Schöpfungen der Kunst.“

Die wissenschaftliche Tätigkeit erfordert wie die künstlerische den Einsatz des ganzen Menschen und kann daher ohne starke innere Anteilnahme nicht weit führen. Ist nicht der gute Ingenieur wie der gute Künstler leidenschaftlich bestrebt, durch seine Arbeit dem Menschen dienlich zu sein, nicht oder nicht nur aus altruistischen Motiven, sondern auch, um sich selbst wert zu werden?

Ein Johannes Kepler hat seine berühmten Gesetze auf der Suche nach der Harmonie der Welt gefunden. Daß diese Suche auch bei den Physikern unseres Jahrhunderts eine Rolle

spielt, bezeugen die Aufzeichnungen Werner Heisenbergs über Gespräche im Umkreis der Atomphysik, in denen viel von Musik und ästhetischen Ordnungsbegriffen - wie Symmetrie - die Rede ist. Der Chirurg Theodor Billroth, Amateurmusiker und

Freund Johannes Brahms, meint auf Grund eigener Erfahrungen:

„Die großen Naturforscher und Ärzte haben immer etwas Schwärmerisches, Phantastisches, zum Universellen Hindrängendes gehabt, meist auch einen Hang zum Künstlerischen; oft waren sie zugleich Dichter, Maler, Musiker.“

Es wäre verfehlt zu glauben, daß diese Ähnlichkeit auf den konstruktiv tätigen Ingenieur beschränkt ist und der Theoretiker nur deduziert, analysiert, nicht erfindet und daher unkünstlerisch arbeitet. Es gilt mir als wichtigstes Qualitätsmerkmal des theoretisch tätigen Ingenieurs, daß er bei der Bearbeitung eines komplizierten Apparates mit sicherem Blick ein einfaches Modell schafft, welches nur die wesentlichen Eigenschaften des Apparates enthält und dadurch einer Berechnung zugänglich wird, die dem Konstrukteur die Basis seiner Arbeit liefert.

Die unüberlegte Ablehnung der Modernen ist wohl auch ein Schutzmantel, den sich der im Übereinkommen verwurzelte Mensch umlegt, um jenen Neuerungen zu entgehen, die in traditionelle Lebensbereiche eindringen und bei der ersten Konfrontation spontan abgelehnt werden. Diese Abwehr ist nicht neu.

Man liest heute mit ungläubigem Staunen von Zeitgenossen Beethovens, welche die Erioca exzentrisch und als Ausdruck hemmungslosen Neuerungsstrebens empfunden haben, oder von den Verunglimpfungen, denen Anton Bruckner von kunstsinnigen Menschen, wie Eduard Hanslick, ausgesetzt war; aber im nächsten Augenblick bricht man genauso wie die Vorväter den Stab über Künstler, mit deren ehrlichem Bestreben man sich überhaupt nicht auseinandergesetzt hat.

Den bedingungslosen Konservativismus in Kunstfragen halte ich für höchst bedenklich, ja für gefährlich; denn der Schutzmantel kann zum

Leichentuch werden, der sich auf eine erstarrte Kultur legt. Es überrascht daher kaum, wenn ein moderner Künstler, wie der Lyriker Ernst Jandl, mit dem Konservativismus scharf abrechnet:

„Es grenzt ans Wunderbare, etwas, das es jetzt noch nicht gibt, irn Druck vor sich zu haben, es ist kaum zu begreifen. Das erklärt auch das große Erstaunen darüber, das ein freudiges ist bei denen, die immer schon fühlten, daß das, was sie hatten, alles was sie hatten und alles, was es zu haben gab, nicht alles sein konnte, nicht alles das es überhaupt gab, nämlich je geben würde; jedes kleinste Stück davon ist ihnen kostbar, ein Schatz.

„Im nächsten Augenblick bricht man den Stab über Künstler, mit deren ehrlichem Bestreben man sich nicht auseinandergesetzt hat“

Das erklärt aber auch das große Erstaunen darüber, das gar kein freudiges ist, bei denen, die alles hatten, alles, was es zu haben gab, hatten, und die daher nie das Gefühl haben konnten, daß das nicht alles sein konnte, denn sonst hätten sie nicht alles gehabt, und das war es, worauf es ihnen ankam; jedes kleinste Stück von etwas, das es nicht gab, war ihnen in der Seele verhaßt, denn sie hatten es nicht, konnten es nicht haben, und konnten es nicht zulassen, daß sie irgend etwas nicht hatten.“

Gerade als Techniker möchte ich nicht auf die Zukunft verzichten und auch in Kunstfragen nicht nur für den Tag leben und das großartige Erbe durch eine Reproduktionsmanie bis zur Unfruchtbarkeit verschleißen. Die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kunst und ihr Verständnis sind mir daher wichtige Anliegen.

(Der Autor ist Ordinarius für Elektrotechnik an der TU Wien)

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