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SUCHE NACH WISSEN - HUNGER NACH GOTT

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Die einzige wirklich kritische Frage, der sich ein Naturwissenschaftler hinsichtlich seines Verhältnisses zum persönlichen Glauben stellen muß, ist die nach der intellektuellen Redlichkeit. Denn die prinzipielle Vereinbarkeit von naturwissenschaftlicher Weltsicht und Religiosität wird heute - anders als im 18. und 19. Jahrhundert - wohl nicht mehr ernsthaft bezweifelt. Viele - auch besonders scharfsinnige und geniale - Naturwissenschaftler haben sich als Gläubige bekannt und damit ex ipso facto diese Möglichkeit bewiesen.

Interessant bleibt aber die Frage nach der Art und Weise dieser Koexistenz. Hier sind die Selbstzeugnisse großer gläubiger Wissenschaftler (auch bei respektvoller Betrachtung) oft ziemlich enttäuschend. Es zeigen sich nämlich zwei Grundmuster, welche beide nicht recht überzeugen: Das eine besteht in einer strengen Trennung der beiden Bereiche (im Denken und in der Lebenspraxis) - die Möglichkeit einer theoretischen Interaktion wird negiert. Das andere äußert sich in der Konstruktion einer Art von - meist recht synkretistischer - Privatreligion, das heißt eines abgeschlossenen Denksystems, in das auch der Bereich des Transzendenten logisch hineinpaßt, welches aber leider oft ziemlich zurechtgebastelt wirkt.

Nur selten erfährt man von Versuchen, die beiden Ansprüche - den naturwissenschaftlich-intellektuellen mit dem religiösen - in fruchtbare Wechselwirkung zu bringen, ohne daß die Spannung, die hier notwendig existiert, vorschnell entschärft wird. Und dennoch halte ich dies für die eigentliche Herausforderung. Allerdings erhebt sich bei solcher Bemühung schnell die Frage, ob solches möglich ist, ohne daß jene Unbestechlichkeit und Objektivität verloren geht, welche den Wissenschaftler auszeichnen sollte und die ihm letztlich seine Autorität verleiht.

Ist es nicht unausweichlich, daß der gläubige Wissenschaftler seine Denk-Ergebnisse im Hinblick auf seine religiöse Überzeugung interpretiert beziehungsweise nur das sehen will, was mit seinem Glauben konform geht? Kann ein Mensch seinen Glauben ernst nehmen und dennoch als derselbe (nicht in zwei sauber getrennten Schichten!) Wissenschaftler sein? Ich halte diese Frage für eine schwierige, im Kern unerledigte aber im Prinzip lösbare Frage. Um hier mehr Klarheit zu gewinnen, scheint es mir nötig, einige Felder zu beschreiben, auf denen Wissenschaft und Religion aufeinanderstoßen, um daraus dann Hinweise zu erhalten, wie eine intellektuell verantwortbare Antwort aussehen könnte.

1. Die Entfaltung des Glaubensguts kann nicht auf einem vorwissenschaftlichen Weltbild aufbauen, daher muß die Theologie (bestimmte) Erkenntnisse der modernen Wissenschaften kennen und berücksichtigen. Damit ist nicht eine neue Hierarchie der Disziplinen gefordert, in der nun die Einzelwissenschaften und die Theologie ihre ursprünglichen Positionen vertauschen müßten. Es handelt sich dabei - in der Regel - auch nicht um wissenschaftliche Detailerkenntnisse, welche die Theologie samt und sonders kennen und verarbeiten müßte, sondern es geht um eine Zurkenntnis-nahme von Konzepten, wie sie sich innerhalb der fortschreitenden naturwissenschaftlichen Forschung herausgebildet haben, jedenfalls dann, wenn man solche Konzepte bei der Formulierung oder Begründung theologischer Aussagen verwendet.

Beispiele: Wenn die Theologie zur Begründung von ethischen Normen Begriffe wie „Natur",,.Natürlichkeit", „Körper" (im biologischen Sinn) heranzieht, wäre sie gut beraten, wenn sie sich zuerst des naturwissenschaftlich ermittelten Gehalts dieser Begriffe vergewissern würde. Oder: Wenn von Freiheit (im Sinn von psychologischer Wahlfreiheit des Individuums), von Konkupiszenz oder (Erb-)Sünde die Rede ist, so müssen Aussagen in diesem Zusammenhang mit den entsprechenden biologischgenetischen oder empirisch-psychologischen Erkenntnissen kompatibel sein. Wird diese Kenntnisnahme verweigert, so werden die entsprechenden Aussagen oder Meinungen vielleicht nicht als falsch, jedenfalls aber als anachronistisch, simple-minded oder gar als dumm empfunden; sie verlieren damit an Überzeugungskraft.

Zwei präzisierende Bemerkungen sind hier notwendig. Zum einen: Die entscheidenden Probleme in diesem Zusammenhang betreffen meist nicht naturwissenschaftliche Einzel-Erkenntnisse. Die Polemik gegen solche hat sich die Theologie ja weitgehend abgewöhnt. (Man denke an den Streit um das Kopernikanische System, um die - biologischen - Unterschiede zwischen Mann und Frau, um die Entstehung von lebenden aus prä-biotischen Strukturen et cetera.)

Wesentlicher sind jene Problemkreise oder Begriffe, die als solche oft gar nicht Gegenstände (einzel-)wis-senschaftlicher Forschung darstellen (etwa wird der Begriff „Natur" selbst in den Naturwissenschaften nicht wirklich thematisiert!), zu deren Verständnis aber eine integrative oder Zumindestens synoptische Betrachtungsweise der modernen Naturwissenschaften wesentliches beitragen kann. Daraus folgt, daß die relevanten naturwissenschaftlichen Positionen sich auch nicht so ohne weiteres von außen „anlesen" lassen, sondern daß ein geduldiges langfristiges Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaften vonnöten sein wird.

Zum zweiten: In ein solches Gespräch sollte die Theologie keineswegs mit einer unkritischen oder gar naiv-wissenschaftsgläubigen Einstellung gehen. Sie braucht die Naturwissenschaften nicht als Superinstanz zu betrachten und sollte sich des Modellcharakters und der Vorläufigkeit wissenschaftlicher Aussagen bewußt sein.

2. Was im vorigen Punkt eher negativ formuliert war (Vermeidung von Widersprüchen zwischen religiösen Vorstellungen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen) läßt sich ins Positive wenden und gewinnt dabei eine wesentlich größere Folgewirkung. In dem Ausmaß nämlich, als beide - Religion und Wissenschaft-die Welt verstehen und erklären wollen (von je verschiedenen Erkenntnisquellen ausgehend und mit je verschiedenen Motivationen und Zielen), sind ihre Erkenntnisse oder Überzeugungen verknüpft oder wenigstens prinzipiell verknüpfbar.

Damit ist natürlich nicht gesagt, daß beide Arten des Suchens sich auf denselben Erkenntnisgegenstand beziehen oder sich gar derselben Methoden bedienen sollten. Aber so, wie auch bei einfachen Phänomenen des Alltags ein besseres Verständnis gewonnen werden kann, wenn sie in verschiedenen Kontexten betrachtet oder erklärt werden, ebenso - das ist meine Überzeugung - führt es zu einem tieferen, umfassenderen, kohärenteren Glaubensverständnis, wenn verschiedene (und hoffentlich je bessere) Erklärungsmodelle herangezogen werden zur Verdeutlichung dessen, was wir eigentlich meinen, wenn wir über die verschiedenen Elemente unseres Glaubens reden. Und es zeigt sich, daß in vielen Bereichen Begriffe oder Erklärungsmodelle der Natur Wissenschaften durchaus auch für den Glauben eine Verständnishilfe sein können.

Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Ich meine nicht, daß die Theologie ihre Konzepte (etwa über die Schöpfung oder über das Verhältnis von Leib und Seele oder von der Forschung) zur Gänze den naturwissenschaftlichen Theorien angleichen sollte oder auf diesen aufbauen sollte, sondern nur, daß sie gut beraten wäre, würde sie auf den großen Fundus von naturwissenschaftlichen Theorien beziehungsweise Erklärungsmodellen zurückgreifen und kritisch prüfen, ob sie vielleicht auch zu einer besseren, dem heutigen Welt- und Lebensverständnis adäquateren Erhellung mancher Glaubensaussagen herangezogen werden könnten (sei es direkt oder in Analogieform). Zwei Beispiele mö-4gen dies belegen beziehungsweise verdeutlichen.

□ Fällt nicht ein neues Licht auf Begriffe wie Person, Identität des Individuums, Weiterleben nach dem körperlichen Verfall, wenn man berücksichtigt, daß die biologische Identität eines jeden Menschen, durch die für ihn spezifische Information, welche (mit identischem Gehalt) in verschiedenen materiellen Formen kodiert ist (in der DNA, in den Proteinen) und welche - als Speicher- und kommunizierbare Information - auch nicht notwendig mit dem jeweiligen Organismus verknüpft gedacht werden muß? Um Einwänden zuvorzukommen: Ich halte diese naturwissenschaftlichen Aussagen nicht für einen Beweis oder für eine ausreichende Beschreibung der möglichen Fortexistenz nach dem Tod, aber die Frage nach der Möglichkeit eines solchen Weiterlebens (das ja nicht nur rein spirituell gedacht ist) gewinnt vordem Hintergrund solcher Erkenntnisse eine neue Dimension, und neue Antworten werden denkbar, o Ebenso ergeben sich potentiell neue Einsichten für das Verhältnis von materiellen und immateriellen Aspek-

Er steht unter der Verstehens-Erwartung, daß sich die Wahrheit seines Glaubens überall zeigt... ten der Welt (Körper - Geist, Leib -Seele-Problem) wenn man erfährt, daß die Elementarteilchen, die fundamentalen Bausfeine der Materie selbst weder permanente Identität noch Stabilität noch definierte Orte im Raum besitzen, sondern ihnen diese Eigenschaften überhaupt nur vermittels sogenannter „Quantenzahlen" (das sind Merkmalskategorien, die mit verschiedenen Teilchen verknüpft sein können) zukommen, daß also etwa nicht die Partikel selbst eine dauerhafte Existenz besitzen, sondern „nur" die (Werte dieser) Quantenzahlen (also letztlich immaterielle Größen) erhalten sind.

3. Alle oben (in Beispielen) angedeuteten Versuche der Integration von wissenschaftlichen Erkenntnissen mit der Sphäre religiöser Überzeugung führen letztlich immer auf die Frage nach den grundsätzlichen Unterschieden zwischen wissenschaftlichen und religiösen Verstehensformen. Während man gerade in den Jahrhunderten der Aufklärung und der Herausbildung des naturwissenschaftlichen Weltbildes überzeugt war von der prinzipiellen Verschiedenartigkeit und Inkompatibilität dieser beiden Formen der Aneignung der Wirklichkeit, hat sich in den letzten Jahrzehnten - teils als Konsequenz langer praktischer Erfahrung mit dem naturwissenschaftlichen Denken, teils als Ergebnis wissenschaftstheoretischer Analysen - ein differenzierteres Bild entwickelt.

Wir wissen heute etwa, daß wissenschaftliche Theorienbildung keineswegs so direkt auf sinnlich Gegebenem aufbaut, wie es das ursprüngliche Programm des logischen Empirismus vorschreibt. In der Tat bedarf es zur Formulierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und Theorien immer der Einführung von Begriffen und/oder Konzepten, die nicht direkt sinnlich gegeben und deren empirische Signifikanz nur partiell spezifizierbar ist. Begriffe wie Energie, Information, elektromagnetisches Feld, Wellenfunktion, Evolution sollen dies veranschaulichen-ohne diese (und unzählige andere) Begriffe, die etwas beschreiben, was nicht direkt beobachtet werden kann, war die Formulierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse nicbt möglich.

Jede (also auch die naturwissenschaftliche) Erkenntnis beinhaltet also notwendigerweise ein konstruktives Element, das vom Erkennenden hereingebracht werden muß und über welches dann auch nichtwissenschaftliche Momente (die mit Sprache, Vorkenntnissen, ästhetischen Präferenzen, gesellschaftlichen Überzeugungen et cetera zu tun haben können) zum Tragen kommen. Letztlich gehen immer „Verstehens - Erwartungen" ein - auch in den naturwissenschaftlichen Theorien. Ist damit aber alles das, was mit wissenschaftlicher Objektivität gemeint ist und worauf sich die Wissenschaftler so viel zugute halten, obsolet? Nicht notwendig! Nämlichdann nicht? wenn das schiere Faktum dieser vorwissenschaftlichen Bedingtheit des Denkens zur Kenntnis genommen und reflektiert wird.

Und hier finde ich den Ansatz einer Antwort auf die Frage nach der Redlichkeit eines Naturwissenschaftlers, der- auch intellektuell - seinen Glauben erfassen und vertreten will: In der Tat - er wird immer wieder dazu neigen, die Ergebnisse der Wissenschaften zur Unterstützung und Entfaltung seiner religiösen Überzeugung zu verwenden, denn er steht unter der Ver-stehens-Erwartung oder besser: -Hoffnung, daß sich die Wahrheit seines Glaubens überall zeigt. Er wird diesen Impuls nicht ignorieren oder ablegen können, jedenfalls dann nicht, wenn ihm Religion-Hunger und Durst nach Gott bedeutet und nicht nur Abrundung der eigenen Wehsicht, die man sich im Alter leistet. Wenn er aber diesen vorwissenschaftlichen Impuls selbst reflektiert und hinterfragt, vermag er sich, so meine ich, jener Art eines verantwortlichen Denkens zu nähern, welche auch die Wissenschaft in ihrer säkularen Praxis nicht überbieten kann. Diese methodische Strenge ist wichtig, damit nicht die Überzeugungskraft des Glaubens (nach innen und nach außen) verdunkelt wird.

Der Autor ist Professor für Physik an der Universität Bielefeld.

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