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Glauben ist ein Risiko

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Es ist nicht die Aufgabe der Religion, naturwissenschaftliche Fragen zu beantworten, aber sie hat es getan, und sie ist keineswegs unfähig dazu. Die Theologen sind allzu kleingläubig geworden. Natürlich konkurriert die biblische Beschreibung nicht mit jener, die sich aus der Anwendung mathematischer Theorien ergibt. Es ist ein Grundsatz praktischer religiöser Texte, allgemeinverständlich und anschaulich zu sein.

Mir kommt vor, daß die Schöpfungsgeschichte der Genesis nicht nur stabiler, sondern für das Volk der Gläubigen nützlicher ist als die Ergebnisse der Kosmologien. Wenn er die nötige Geduld und das feste Vertrauen hat, wird der gläubige Christ gelassen warten, bis die Naturwissenschaft genügend Einsicht hat, um zu erkennen, daß die biblische Schilderung zu ihren Fakten paßt. Gegen eine solche Möglichkeit sprechen stets nur wenig Fakten.

Wenn der Erklärungswert der Religion so wie im Diagramm aufgezeichnet werden kann, dann wird der Zeitpunkt kommen, wo die Religion der Physik wieder überlegen ist, nicht für

„Man vergißt gerne, daß die Kardinäle, die Galilei gegenüberstanden, ebenso die Naturwissenschaft vertreten haben wie die Kirche.” den Bau von Verkehrsmitteln, aber für das Selbstverständnis des Menschen in dieser Welt. Vielleicht ist dieser Zeitpunkt sogar schon hier.

Das Christentum bietet seit 2000 Jahren nicht nur Trost und Ausweg an. Es darf feststellen, daß Naturwissenschaft und Technik von heute in seiner Geisteswelt aufgewachsen, von seiner Transzendenz getragen worden sind. Man vergißt sehr gerne, daß die Kardinäle, die .Galilei gegenüberstanden, ebensosehr die Naturwissenschaft vertreten haben wie die Kirche.

Erst später hat die Naturwissenschaft eine glaubensunabhängige und glaubensfeindliche Mentalität entwik-kelt, was nicht so klug war, wie die Protagonisten dieser Entwicklung glaubten. Stellen wir doch einmal das Verhältnis zwischen Wissen und Glauben in das Licht einer kleinen sprachlichen Betrachtung. Wissen heißt, etwas erfahren haben und für verläßlich halten, als Tatsache oder als logischen Schluß (ich weiß, daß es gestern geregnet hat).

Das Wort glauben hat eine etwas diffizilere Semantik, es vermag nämlich sowohl Zweifel wie auch Vertrauen auszudrücken. Es kann erstens bedeuten, daß man einer Tatsache nicht ganz sicher ist (ich glaube, daß es gestern geregnet hat) und zweitens, daß man Vertrauen in die Tatsachenmitteilung eines anderen hat (ich glaube dir, daß es gestern geregnet hat).

Glauben vermag aber auch noch weit höhere Verhältnisse auszudrücken: das Vertrauen in einen Menschen ganz allgemein (ich glaube an dich) und in den Schöpfer (ich glaube an Gott - im Gegensatz zu: ich glaube schon, daß es Gott gibt). Die höchste Form ist das Glaubensbekenntnis, das Credo: Die Vertrauenserklärung in Gott und seine Kirche, in einen Gesamtzusammenhang, dargestellt durch Geschichte, Lehre, Dokumentation und Klerus, die Verpflichtung auf eine Moral und Verhaltensweise einschließend.

Man kann die objektiven, auf das Meßbare reduzierten Befunde der Naturwissenschaft für die einzige legale und akzeptable Wahrheit halten. Aber einer solchen Anschauung steht nicht nur die unbehebbare Informationsun-vollkommenheit des Menschen entgegen: sie bedeutet darüber hinaus eine Weigerung, alles das zur Kenntnis zu nehmen, was der menschliche Geist über die schlichte Tatsache hinaus zu erfassen vermag.

Wer nur an objektive Tatsachen glaubt, hat den Mut für seine eigene Existenz verloren und das Vertrauen zu seinen Mitmenschen. Es könnte das Kernproblem unseres Jahrhunderts sein, daß die Technik, die uns umgibt, eine solche Haltung ungebührlich fördert.

Die religiöse Position in der Welt ruht auf einem Credo, auf einer risikobehafteten individuellen Entscheidung aufgrund unvollständiger Information, aber verbunden mit einer geschlossenen Gesamtvorstellung von der Welt und getragen von einem Vertrauen, das nicht beweisbar und kaum mitteilbar ist.

„Du bist Petrus, das ist Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen” (Matthäus 16,18) - ein solcher Satz kann durch rationale Ableitungen allein weder generiert noch überprüft werden. Vertrauen in ihn zu haben, ist nach der Theorie der katholischen Kirche Gnade, das heißt nicht Folge eigener Entscheidung. Aber man kann sehr viel oder sehr wenig tun, um in die Nähe oder in die Entfernung derartigen Vertrauens zu kommen.

Vertrauen in die Naturwissenschaft zu haben, ist unvergleichlich leichter; es verlangt weder eine persönliche Entscheidung noch ein Risiko; es nimmt den bis zum jeweiligen Zeitpunkt durch allgemeinen Konsensus akzeptierten Teil des objektiven Wissens von der Natur als Basis. Für die technische Anwendung genügt das ohne Zweifel. Für die seelische Orientierung, für das Leben des einzelnen und der Gemeinschaft ist diese Basis ungenügend.

Das Leben braucht mehr als das Akzeptieren objektiver Wahrheiten und ihrer Anwendungsergebnisse. Um es unter dem Zeichen des Credos zu führen, braucht man Mut und Initiative, Entschlossenheit und nicht selten Abwendung von dem, was die Allgemeinheit tut, was die Mehrheit beschließt.

Es muß nicht immer das Große, Kluge und Komplizierte sein, das die

Lösung bringt. Ein Hinweis kann von Matthäus (11,25) und Lukas (10,21) bezogen werden. Das Kleine und das Einfache hat nicht nur den Lohn des Himmels, es kann höchst irdische Kraft haben. Das Gute, das Schöne und das Erfreuliche in der Welt lassen sish-nur selten mit Theorie und Plan organisieren. Meist wachsen sie aus den kleinen Handlungen der vielen, auch der Armen im Geiste.

Und daraus ergibt sich der optimistische Abschluß dieser Ausführungen. Das Christentum ist eine einzigartige Erscheinung und ungewöhnliche Kraft in der Geschichte der Menschheit. Es hatte, wie jede menschliche Unternehmung, seine Höhen und Tiefen. Wir mögen uns in einer Tiefe befinden, die vielleicht gerade durch die Erfolge von Naturwissenschaft und Technik mithervorgerufen wurde. Nach Tiefen sind immer wieder Höhen gekommen. Wir haben sogar die Verheißung dafür.

Es liegt an den Christen dieser Zeit, wie lange es bis zur nächsten Höhe dauert, nicht an der Wissenschaft, am Staat oder am Klerus, sondern an den unzähligen kleinen Handlungen und Entscheidungen des täglichen Lebens, die von uns aus Gewohnheit, Gleichgültigkeit und Mechanik heraus getroffen werden können - oder aus dem Geist heraus, in dem auch die Armen und Schwachen, eingekeilt in eine anscheinend übermächtige Entwicklung, nicht nur selig werden können, sondern auch sehr wirksam.

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Heinz Zemanek lehrt an der Technischen Universität Wien Niederfrequenz-Nachrichtentechnik

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