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Eine unsinnige Gegenüberstellung

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Ein Physiker ergründet das Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube und sieht das Problem dabei darin, daß wir uns der Verantwortung für unser Leben entziehen wollen.

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Ein Physiker ergründet das Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube und sieht das Problem dabei darin, daß wir uns der Verantwortung für unser Leben entziehen wollen.

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Naturwissenschaft und Glaube können nicht einfach zwei verschiedenen Bereichen zugeordnet werden, viel eher treten diese beiden Bereiche als Ziel von zwei entgegengesetzten Erkenntnisordnungen auf.

Weder Naturwissenschaft noch Glaube können einfach statisch verstanden werden, beiden wohnt eine Dynamik inne, so daß die Ergebnisse der Naturwissenschaft nicht vom Weg und der Tätigkeit, durch die sie gewonnen wurden, getrennt werden können, wollen wir ihre Beziehung zum Akt des Glaubens verstehen; denn auch der Akt des Glaubens ist eben ein immer neues tätiges Bekennen der Freiheit und nicht einfach ein Inhalt, der geglaubt werden muß.

Um die beiden Erkenntnisordnungen und die von ihnen geschaffenen zwei Bereiche näher zu verstehen, können wir sie mit Kant als die Bereiche der Naturnotwendigkeit (Heteronomie) und Freiheit (Autonomie) bezeichnen:

„Um deswillen muß ein vernünftiges Wesen sich selbst als Intelligenz (also nicht von seiten seiner unteren Kräfte), nicht als zur Sinnen-, sondern zur Verstandeswelt gehörig, ansehen; mithin hat es zwei Standpunkte, daraus es sich selbst betrachten und Gesetze des Gebrauchs seiner Kräfte, folglich aller seiner Handlungen erkennen kann: Einmal, sofern es zur Sinnenwelt gehört, unter Naturgesetzen (Heteronomie), zweitens als zur intelligibe-len Welt gehörig, unter Gesetzen, die von der Natur unabhängig, nicht empirisch, sondern bloß in der Vernunft begründet sind.”

Der Bereich der Heteronomie ist also der Bereich der Naturgesetze, in dem keine Freiheit herrscht. Ziel der naturwissenschaftlichen Methode ist es, jene Wahrheiten (Naturgesetze) zu finden, die unser Handeln, unsere Entscheidungen und unser Leben bestimmen. In diesem Bereich darf es keine Widersprüche geben, es gibt immer ein eindeutiges „entweder richtig oder falsch” bei Entscheidungen. Wir können als Beispiel an die Technik denken, in der der Mensch nicht nur von Naturgesetzen beeinflußt ist, sondern aufgrund dieser Naturgesetze selbst handelnd tätig wird, immer aber zum Erreichen seines Zieles Entscheidungen setzt, die eben entweder richtig oder falsch im Sinne der Naturgesetze sind.

Daher gibt es in diesem Bereich auch keine Verantwortung im eigentlichen Sinn, was hier herrscht, möchte ich „Sorgfalts-pflicht” nennen. Als Beispiel sei erwähnt, daß in diesem Sinne etwa ein Lokomotivführer keine Verantwortung trägt, weil es einen eindeutigen und widerspruchsfreien Satz von Regeln gibt, bei deren sorgfältiger Befolgung das „richtige Ergebnis” (die Unfallfreiheit) folgt.

Verantwortung im eigentlichen Sinne gibt es erst im Bereich der Freiheit, indem erst aus unseren Entscheidungen, unserem Handeln, unserem Leben eine neue Wahrheit geschaffen wird. Widersprüche sind hier geradezu der Keim des Lebens etwa in dem Sinne wie Hegel sagt: „Etwas ist lebendig, nur insof erne es den Widerspruch in sich enthält.” So können wir etwa von einer partnerschaftlichen Beziehung (z. B. einer Ehe, aber auch einer

Freundschaft oder einer anderen zwischenmenschlichen Begegnung) niemals im vorhinein wissen, ob es sich um eine „wahre Partnerschaft” handelt, weil dies erst aus dem Verhalten, den Entscheidungen und dem Leben der Partnerschaft folgt.

Die Frage nach dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube kann vom Verhältnis dieser beiden Bereiche nicht getrennt werden. Wer ein konfliktfreies Nebeneinander der beiden Bereiche verlangt, wird wohl auch Widersprüche zwischen ihnen als scheinbar hinstellen müssen...

Mir scheint aber die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Glaube nicht auf die Frage nach dem Verhältnis der beiden Bereiche beschränkt zu sein, da es sich bei beiden eben um Tendenzen handelt, die gerade diese beiden Bereiche in Beziehung setzen. So ist die Naturwissenschaft jene

Tendenz, die aus dem Bereich der Freiheit durch ihre Forschung Wahrherten in den Bereich der Naturnotwendigkeit transportiert, indem sie Begriffe teilt und den jeweils experimentell erfaßbaren Teil in den Bereich der Heteronomie schiebt.

Widerspruch hinfällig

Als Beispiel möchte ich den Intelligenzquotienten nennen. Niemand wird bezweifeln, daß wir unter Intelligenz eines Menschen mehr verstehen können (und auch sollten) als jenen Anteil, der durch eine einzige Zahl (eben den Intelligenzquotienten) gemessen werden kann. Durch die Anwendung der naturwissenschaftlichen Methode wird auf den unmeßbaren, persönlich subjektiven Teil bewußt verzichtet, um dadurch etwas allgemein Gültiges, Vergleichbares zu erhalten. Die Naturwissenschaft geht also in ihrer forschenden Tätigkeit von der beide Bereiche umfassenden Wirklichkeit aus und filtert gewissermaßen jenen Teil heraus, der nun im Bereich der Heteronomie angesiedelt werden kann. ,

Dem gegenüber hat der Glaube gerade die umgekehrte Tendenz:

Ausgehend von allgemeinen Wahrheiten (etwa einer Offenbarung, einer Heiligen Schrift, verbindlichen Dogmen oder dergleichen) muß in einem streng persönlichen Akt die eigene Sinnerfüllung gefunden werden, die dann nicht mehr auf andere Menschen übertragbar ist und in den Bereich der persönlichen Autonomie führt. Bei diesem persönlichen Glaubensakt kann es gerade nicht darum gehen, Widersprüche auszuschließen, sondern vielmehr darum, die großen Widersprüche des Lebens „in sich zu fassen und auszuhalten” (Hegel). In diesem Sinne ergänzte auch Heidegger den bekannten Satz des Heraklit: „Der Kampf ist der Vater aller Dinge” durch die Aufforderung: „Der größte Kampf aber ist die Liebe, weil sie den tiefsten Streit erregt, um in seiner Bewältigung sie selbst zu sein.” Wenn wir Naturwissenschaft und Glaube nicht als statische Inhalte, sondern als dynamische Tendenzen betrachten, dann ist es gar nicht mehr sinnvoll, ihre Widerspruchsfreiheit zu fordern. Denn Naturwissenschaft ist dann jene Tendenz, die Wahrheiten aus dem Bereich der Freiheit in den Bereich der Naturnotwendigkeit führt, wie Glaube jene Tendenz ist, die gerade umgekehrt aus dem formalen Rahmen, also aus dem Bereich der Heteronomie, in den Bereich der Freiheit führt. Dies hat auch Paulus in seinem Brief an die Galater so deutlich geschrieben: „Ja, wenn ein Gesetz gegeben wäre mit der Kraft, das Leben zu spenden, dann käme in der Tat die Gerechtigkeit aus dem Gesetze.” (3.21)

„Brüder, ihr seid zur Freiheit berufen. Aber mißbraucht die Freiheit nicht zum Dienst des Fleisches. Dient vielmehr einander in Liebe. Denn das ganze Gesetz wird in dem einen Wort erfüllt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.” (5.13 f)

Wenn also Naturwissenschaft und Glaube als gegenläufige Tendenzen zwischen den Bereichen der Naturnotwendigkeit und Freiheit gesehen werden, dann ist die Frage nach einem möglichen Widerspruch hinfällig geworden; ihr Gegensatz ergibt sich in dialektischer Sicht als Notwendigkeit aus ihrem eigentlichen Wesen; wenn wir erkennen, daß die Gegenüberstellung der Bereiche im statischen Sinne eine reduk-tionistische Einschränkung sowohl von Naturwissenschaft als auch von Glaube darstellt.

Dies wird vielleicht am deutlichsten, wenn wir uns daran erinnern, daß Glaube ja eben nur ein Teil jener Tendenz ist, die in den Bereich der Freiheit führt. Paulus hat im ersten Korinther-Brief ganz deutlich gesagt: „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe. Diese drei. Am höchsten aber steht die Liebe. Trachtet nach der Liebe!”

Die Unsinnigkeit der Gegenüberstellung der beiden statir sehen Bereiche wird dann aber sofort klar, wenn wir uns die Frage vorlegen, ob es einen Widerspruch zwischen Naturwissenschaft und Liebe oder Naturwissenschaft und Hoffnung gibt. Das Problem kann erst dann auftreten, wenn die Lebendigkeit des Glaubensaktes durch analysierende Fragen erstarrt und abgetötet wird. Die Versuchung, dies immer wieder zu tun, kommt meines Erachtens nach vor allem daher, daß wir uns damit auch der Verantwortung für unser eigenes Leben zu entziehen glauben, indem wir sie auf bloße Sorgfaltspflicht reduzieren.

Daß dies letztlich unmöglich bleiben muß, hat ja schon Kant ausgedrückt, weil eben auch der Versuch, seine eigene Freiheit vollständig abzuleugnen und sich auf den Bereich der Heteronomie zu reduzieren, selbst schon einen Akt der freien Entscheidung darstellt. Als Folge eines solchen Versuches stellt sich aber dann auch der Zweifel am Sinn des Lebens und der Schöpfung ein. Ich habe darum mein Buch „Die Welt, die wir uns schaffen” (Wien-Hamburg 1984) mit den Worten geschlossen:

„Unser Leben hat keinen Sinn, weil es schon Sinn ist. Wer liebt, ist sich dessen gewiß! Wer nicht liebt, möge sich eher fragen, warum er nicht liebt, als die unsinnige Frage zu stellen, was ein Leben ohne Liebe, Humor und Weisheit für einen Sinn haben könnte.”

Der Autor ist Professor für Theoretische Physik an der Universität Wien. Gekürzte, redigierte Fassung eines Vortrages anläßlich der 400-Jahr-Feier der Theologischen Fakultät der Universität Graz im Frühjahr 1985.

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