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Christliche Kunst und neues Menschenbild

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Wenn man im barocken Stift Altenburg von der Sala ter-rena zu den Marmorzimmern emporsteigt, dann sieht man im bunten Freskohimmel Paul Trogers „Glaube" und „Wissen" Hand in Hand. Zu der sonnengleich leuchtenden Personifikation des Glaubens gesellen sich die „Künste" und die „Wissenschaften". Ein Putto hält eine Tafel mit der Inschrift „quam bene conveniunt": „wie gut sie sich vertragen", wie gut sie übereinstimmen. Dieser Harmonie von Kunst und Wissenschaft folgte jedoch sehr bald eine Spaltung, ein Auseinanderfallen. Vor allem vermeinten die exakten Naturwissenschaften den Glauben an Gott und an ein von Gott geschaffenes Universum widerlegen zu können. Erst in unseren Tagen klären sich die Standpunkte. Die Differenzen verlagern sich auf eine Differenzierung der Wege.

Die Künste blieben noch lange im Gefolge der Religion, sie waren ihre treuesten Diener, sie bahnten dem religiösen Glauben einen Weg zu den Herzen der Menschen auf sinnlicher Wahrnehmung beruhend, aber doch ihre Grenzen übersteigend. Heute aber löst sich nicht nur das Verhältnis von Kunst und Glaube auf; die Kunst selber verlor ihre Definition, denn Kunst ist alles. Unser Anschauen bewirkt, so heißt es, was wir als Kunst erkennen. Dem einzelnen schöpferischen Gestalter sind keine Grenzen gesetzt, er kann nicht nur jede beliebige Form der Mitteilung wählen, sondern sich auch von jeder herkömmlichen Sprache lösen.

Es gibt keine Kunst, so heißt es weiter, es gibt nur Küpstier und Künste. Damit wurden die Aussagen individuell, souverän, vom „Du" abhängig. Mit dieser Loslösung verloren die Künste ihre dienende Funk- -tion. Sie verlangen aber zugleich, daß man ihnen folgt und, wenn dies nicht geschieht - wie es die vielen leeren modernen Ausstellungen und Museen beweisen - dann ist es die Schuld des Publikums.

In der Bemühung um diese Fragen, als ein Vermittler zwischen Künstler und Betrachter, hört man zunächst die Kritik an der „Sprachlosigkeit" moderner Kunst, tue alles und nichts gestattet und den Interpretationen freien Spielraum läßt. Unsicherheit und Mißtrauen sind die Reaktionen. Man stößt sogar auf Angst. Wir düfen uns diesen Tatsachen nicht verschließen. Vor allem kritisiert man die scheinbare Primitivität und die Kunst-Experimente. Nur sehr selten gelingt es, dem Bemühen des Vermittlers in langem Betrachten und im geduldigen Austausch der Meinungen einen positiven Weg zu finden, der im Betrachter tatsächlich nachwirkt und das Gefühl einer Bereicherung hinterläßt. Solche Erfolge basieren dann meist auf dem Vertrauen von Mensch zu Mensch. Ich glaube, es ist daher nicht völlig danebengegriffen, wenn man annimmt, daß diese Problematik zum Teil in der „menschenleeren" Kunst liegt. Ich meine damit nicht, daß wir den Menschen selber kaum mehr im Bilde der Kunst finden, daß uns im Kunstwerk sein Äußeres und sein geistiges Antlitz oft zerstört, deformiert oder dämonisiert entgegentritt, sondern ich meine, daß der menschliche Gefühlsbereich im Kunstwerk keine Heimat mehr findet.

Auch unsere modernen Kirchen sind meist bilderlos geworden, nicht in der Architektur selber, aber in ihrer Ausstattung. Der Architekt formt den Raum, läßt architektonische Elemente vorwärts, aufwärts dringen, tragen, lasten, schweben; er führt das Licht, schafft Schattenzonen und gestaltet so Sinnbilder, die verstanden werden könnten. Wenn der Architekt dabei von einer geistigen Mitte ausgeht, dann läßt sich ihr auch Weiteres zuordnen. Ein Bezug ist gegeben. Wir erkennen dies ganz deutlich, wenn ein moderner Maler etwa ungegenständliche Farbkompositionen - ein Glasfenster - in einen gotischen Chor einfügt. Er muß sich hier mit einer gegebenen geistigen Mitte auseinandersetzen, mit dem Altarraum, mit den hohen, schmalen, aufstrebenden Fenstern. Fehlt aber ein solcher Bezug, dann beginnen die Probleme und Fragen. Es sei nicht geleugnet, daß viele

Werke moderner Kunst Transzendenz besitzen, doch wurde in der Diskussion, die Günther Rombold in der Zeitschrift „Kunst und Kirche" verdienstvoll eingeleitet hat, mit Recht nach der Art und nach dem Ziel jenes „trans-cedere" gefragt. Welche Grenzen werden hier überschritten und was ist dies für ein Reich dahinter? Peter Handke nannte es schlicht das „andere". Uns Christen ist das aber zu wenig. Außerdem

- so lautete ein berechtigter Einwand

- sieht man es manchem Kunstwerk äußerlich nicht mehr an, ob es höchste Spiritualität oder äußerste Ver-dinglichung bedeutet.

Jedenfalls ist es eine Tatsache, daß die religiöse Kunst von heute fast keinen Weg mehr zum Menschenbild findet, zu jenem Menschen, der doch unser Nächster ist. Sind wir aber noch überhaupt in der Lage, ein glaubhaftes Menschenbild zu schaffen?

Können wir, was noch schwieriger ist, eine heilige Begebenheit in ihrer konkreten Botschaft glaubhaft vermitteln? Sind Schönheit und Idealität, Vision und Verklärung nur mehr Vokabeln der Historie? Ist es eine Notlösung, wenn wir für eine moderne Kirche eine Ikone als Andachtsbild erwerben, eine gotische Statue oder ein Tafelbüd am Altar aufstellen? Ist nur mehr in diesen Werken eine religiöse Botschaft beschlossen? Und wie ist es mit den Sinnbildern? Wer vermag sie noch mit Leben zu erfüllen?

Solch eine Diagnose der Zustände, die sich noch beliebig fortsetzen ließe, bringt nicht mehr als einen bitteren Nachgeschmack. Sie ändert nichts. Kunst kann man nicht ma-

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chen lassen, sie kann aber gebraucht und gerufen werden. Wir müssen vorerst warten, Herz und Augen auftun, sehen, schauen, die Zeit zu erkennen suchen und an solchen Erkenntnissen lernen.

Um einen konkreten Anhaltspunkt für einen gangbaren positiven Weg zu besitzen, möchte ich ein Beispiel wählen, das Beispiel von Schöngrabern. Was können wir aus diesem Beispiel - in dem Bauwerk, Kunst und Botschaft so glücklich vereint sind -, entnehmen? Zunächst soviel, daß wir uns der beiden Pole unseres realen und unseres seelischen Daseins bewußt werden mögen, aber auch der beiden Urmächte, die in diesem Leben wirksam sind. Wir sollten weder die Präsenz des Bösen leugnen, noch sollten wir die Macht des Guten übersehen. Eine Entschuldigung des Bösen um jeden Preis sowie falsch verstandene Toleranz bedeuten Indifferenz, das Leben aber ist, meiner Erfahrung nach, niemals indifferent. Kunst, wie ich sie verstehe und bewundere, kennt keine Indifferenz, sie kennt daher auch keinen Gegensatz zum Glauben, wie man dies etwa für die Naturwissenschaft angenommen hat. Der Glaube, aber auch der Unglaube, beide können in den Werken der Kunst leben. Kunst, so formulierte es Gertraud Fussenegger in ihrem Aufsatz über Bild und Botschaft, setzt Weltbild voraus.

Freilich, Kunst muß verstanden werden, man muß sich um ihre Sprache bemühen, sie lernen, sich einlesen, einhören, einsehen, um zur Einsicht zu gelangen. Wir wissen

daß es oft eine ganze Generation dauerte, um ein Kunstwerk zu verstehen, ja auch die längst klassisch gewordenen Werke eröffnen sich uns in immer weiteren Dimensionen. Immer neue Werte treten ins Licht unseres Bewußtseins. Daraus folgt, daß wir im Kunstwerk selber verschiedene Schichten erkennen, die sich stufenweise auftun. Es folgt aber ebenso daraus, daß wir Grundwerte nicht abschaffen oder negieren können, sondern auf ihnen aufbauen sollen.

Nicht jedes Kunstwerk birgt solchen Reichtum in sich, manches ist nur eine Stufe auf diesem Weg. Wir können folglich einzelne Kategorien im Bereiche dieser Skala feststellen. Sie reichen vom Künstlichen zum Künstlerischen, vom Objekt zum Subjekt, vom Chaos zur Ordnung, vom Häßlichen zum Schönen, vom-Unwahren zum Wahren, aber auch vom Bösen zum Guten, wobei ich mir der Allgemeinheit solcher Grenzbegriffe bewußt bin. Es gibt ästhetische Objekte, Maniriertes, Kurioses, Dämonisches oder Kritisches, das dem Menschen den Spiegel vorhalten möchte. Doch was nützt das Erkennen im Spiegel, wenn es nicht zum Erkennen eines anderen Höheren, Besseren führt, das über die Befangenheit des Selbst hinausreicht? Der Künstler soll einen Weg weisen.

Der Kampfplatz der Geister, in den wir hineingestellt sind, fordert zur Orientierung heraus - zur Orientierung im Leben, aber auch in der Kunst. Wir müssen prüfen, erkennen, unterscheiden und uns auch entscheiden, und die Kunst ist nicht die höchste Instanz -

Instanz sind wir allein. Es gibt kein „Es", das anerkannt werden muß, sondern wir müssen es anerkennen, wir müsssen aus der Indifferenz zur Differenz finden. Zweitausend Jahre christlicher Kunst haben zu keinem „endgültigen" Bild geführt, nur zu tausenden Facetten, aus denen eine unausschöpfbare Herrlichkeit und Größe leuchtet. Alle Christusbilder zusammengenommen vermögen uns Christus nicht darzustellen, alle menschlichen, künstlerischen Vorstellungen bleiben bruchstückhaft, unvollkommen wie das Bild der Harmonie oder gar das der Transzendenz.

Wir können in Kunstwerken einen Weg finden, Anregungen für die Möglichkeiten unseres eigenen Lebens empfangen. Wir können - solchermaßen orientiert - uns selber besser orientieren. Kunst kann uns zum Glauben führen und der Glaube hilft in der Ausrichtung auf das Licht, wie es das Wort Orientierung ja zum Ausdruck bringt. Setzen wir uns daher, wenn wir diese Gabe entwickeln wollen, mit Kunstwerken ernsthaft auseinander, ordnen wir die Vielfalt, suchen wir in der „Gleich-gültigkeit" Gültiges für uns zu finden. Die Entscheidung brauchen wir im Leben wie in der Kunst. Seien wir uns als Christen bewußt, daß wir dabei der Gnade einer höheren Einsicht bedürfen, wenn wir nicht im Gefängnis des Intellekts befangen bleiben, oder in Selbstsicherheit und Selbstgefälligkeit erstarren wollen. Die Diagnose des Weges und unseres eigenen Selbst kann uns helfen.

Kunst ist meines Erachtens vom Glauben nicht zu trennen, sie ist keinesfalls Religion, aber eine Wegbereiterin. Vielleicht entsteht aus solchem Erkennen, aus solcher lebendiger Wechselwirkung auch der Auftrag den Weg neu zu gestalten. Wir hoffen, daß uns der Künstler mit seinem Werk wieder vorangeht. Es wäre gut, wenn der Mensch wieder Gegenstand des Kunstwerkes würde. Wenn es aber kein Bild des Menschen sein kann, genügt schon der Weg und das Ziel.

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