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Überlebensmittel der Menschheit

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Ohne Ängstlichkeit muß die Kirche der modernen Kunst gegenübertreten. Es gilt, die genuinchristliche Synthese aus den hohen Überlieferungen und der Moderne zu finden.

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Ohne Ängstlichkeit muß die Kirche der modernen Kunst gegenübertreten. Es gilt, die genuinchristliche Synthese aus den hohen Überlieferungen und der Moderne zu finden.

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Die Begegnung von Glaube und Kultur fordert uns als Medienfachleute heraus, Leben herzustellen, Leben neu werden zu lassen, ja die Durchdringung von Glauben und Kultur wiederherzustellen. Fünf Anfragen scheinen mir damit an uns gestellt.

Erstens: es ist an uns die Anfrage gerichtet, ob das moderne Mediennetzwerk mit all seinen großartigen Möglichkeiten selbst einen Beitrag zur Kultur als umfassende Grundbefindlichkeit darstellt.

In einer Zeit also, da offenkundig diese Grundbefindlichkeit leidet, ja vielleicht manches auch von Abdorrung bedroht ist. Wie steht es also um die Kultur in den notwendigen innerkirchlichen Auseinandersetzungen, den gesellschaftlichen und politischen Kontroversen?

Wie steht es um die innere Kultur derer, die mit Noblesse diese Auseinandersetzungen zu führen bestimmt sind? Wie steht es um die Kultur unserer Sprache und wie steht es um die Kultur in den Künsten unserer Zeit?

Im vergangenen Herbst verwies Papst Johannes Paul II. in Wien darauf, daß Wissenschaft, Kunst und Medien ein „zusammenfassendes" Thema haben. Und dieses zentrale Thema ist der Mensch.

Unter dem dramatischen Hinweis „Ecce homo" — „seht da, der Mensch", wurde vom Heiligen Vater der größte und tiefste Anspruch erhoben. Und fürwahr! Kultur und Kunst in unserer Zeit sind zu einem „Lebensmittel", ja zu einem „Uberlebensmittel" der Menschheit geworden.

Vorher schon forderte 1980 in München der Heilige Vater vor kulturschaffenden Künstlern und Journalisten, daß unsere Kirche ein neues Verhältnis ohne Enge und Ängstlichkeit zu Kultur und Kunst finden müsse.

Es geht also um die Zukunft der Beziehungen zueinander. Das uns gestellte Thema richtet sich positiv gegen jede Lähmung, gegen die Kultur-Abstinenz, gegen die Kultur-Insuffizienz, aber auch gegen einen „tödlichen Kultur-Relativismus".

Eine zweite Anfrage: Wie halten wir es mit den Traditionen in einer deutlichen Abgrenzung von naiver Verklärung des Gewesenen einerseits und andererseits in ebenso bewußter Abgrenzung von den Agitationen gegen die großen Uber lief er ungen?

Darf man die oft als Symptom in unseren Tagen erscheinende „Kriminalisierung" des Geschichtlichen und aller kulturellen Traditionen, die bis zum Identitätsverlust des nicht mehr geborgenen Menschen führt, übersehen?

Dem christlichen Publizisten ist aufgetragen — wer sollte sonst dazu berufen sein? —, die genuinchristliche Synthese aus den hohen Uberlieferungen und der Moderne zu finden. Und damit scheint mir auch ein Ansatzpunkt zu einer Synthese zwischen Glauben und Kultur gegeben.

Nicht nur für die Kultur, sondern auch für den Glauben ergibt sich hier eine zutiefst menschliche und zugleich über das Menschliche hinausreichende Durchdringung und Hoffnung.

Die dritte Anfrage: Erkennen wir die Leiden, die Verluste und die Defizite einer menschlich kulturellen Gesamtbefindlichkeit in unserer Zeit?

Wir können und dürfen uns dieser Frage nur angstfrei stellen. Das Phänomen aber, daß in einer allzu deutlich gewordenen permanenten Tristesse, in Agitation, Provokation und Zynismus sich zugleich ein Verlust des Musischen, des befreienden Humors und der wahren und den Menschen erhebenden Sinnenfreude längst ergeben haben, darf nicht übersehen werden.

Bei aller Beachtung moderner künstlerischer Strömungen darf doch nicht vernachlässigt werden, daß wir auch eine Kunst haben, die niemand will, weil sie langweilig und ebenso ungenießbar ist. Die Lösung des Künstlerischen vom Menschlichen zeigt offenkundig zutiefst krisenhafte Züge.

Künstlerisches Tun kann nicht nur den Kultur-Gurus und den Kultur-Guerillas überlassen bleiben. Holen wir das schöpferische kulturelle Tun wieder heraus aus den scheinbar unberührbaren Tempelbezirken hin zum Menschen, zu seiner Seele und zu seinem Antlitz.

Glaube und Kirche haben zu einer Öffnung und Kooperation mit unserer modernen Welt gefunden. Aber erkennen wir auch die Notwendigkeit der Konfrontation da, wo der Gläubige selbst konfrontiert ist?

Berührt uns als Christen nicht mehr der sichtbare Mangel, daß es im kulturellen Tun kaum mehr das Preislied der Schöpfung gibt, die Danksagung an den Schöpfer und das Gotteslob? All' dies scheint nahezu zur Gänze vergessen zu sein.

Gegenstand der Kunst sind aber Daseinsfreude und Daseinstrauer, und — über beiden — die schöpferischen kulturellen Zeichen des Lebenssinnes, der hinausweist in die Transzendenz. Eine stumme Kirche, stumme Christen werden diese Mängel nicht beheben können.

Ist es nicht allzu häufig eine Ti-midität, die, als „Tugend" der Toleranz kaschiert, den Widerspruch nicht wagt und damit auf jenes kreative Gespräch, auf den Einspruch verzichtet, der zum Zuspruch werden könnte?

Die FURCHE (44/1981) schrieb zum Fall Hermann Nitsch: „Das Lebenselement solcher Spektakel ist die Feigheit: die Bereitschaft vieler, angesichts einiger modebewußter Ästheten den Mund zu halten. Wie jede Diktatur ist auch die Diktatur der Snobs auf die Angst begründet."

Der Christ, der das Gespräch sucht, muß auch die Auseinandersetzung suchen. Er will keine Feindbilder schaffen, aber er wird den in unserer Zeit gegebenen lautlosen „Kulturkampf" zu registrieren haben.

„Die stummen Hunde" verzichten zum Schaden des Menschen auf ihre Wächterrolle. Der apostrophierte „Kulturkampf" zeigt sich dem Christen oft in Sexualanarchie, in Zur-Schau-Stellung, in Abreaktionen unaufgeklärter, unwissender pathologischer Sucht,*"eben in jener Ungenieß-barkeit, die der Mensch unserer Tage weder zu akzeptieren noch zu konsumieren bereit ist.

Damit bin ich bei meiner vierten Anfrage: Hören wir die Stimmen moderner Künstler, die das Ungenügen selbst fühlen und nach Auswegen suchen?

Peter Handke schrieb einmal: „Ich habe selbstbestimmend mein Leben gestaltet. Ich habe mich nicht selbst überwunden ... Ich habe die ewige Ordnung zerstört. Ich habe in meinen Sünden den Tod geboren ... Ich habe den Namen des höchsten Wesens totgeschwiegen, ich habe nur an die drei Personen der Grammatik geglaubt."

Und der gleiche Autor meinte in „Gerade Christen wissen, daß Kunst nicht nur Luxus und Zierde sein will."seiner „Geschichte eines Bleistiftes", daß ihm das Sinnlosigkeitsgefühl „allmählich tatsächlich sündhaft vorkommt".

Oder lassen Sie mich verweisen auf den Maler Günter Brus. In einem Interview meinte er, es ginge heute um „die vergrabenen Paradiese und ihre Wiederentdek-kung".

Was selbst in der Avantgarde wenigstens emotional erkannt wird, sollte den Christen zu unserer Antwort, in Widerspruch und Liebe zugleich, herausfordern.

Bleiben die Christen also stumme Hunde?

Gerade wir Christen wissen, daß Kunst nicht nur Zierde, Luxus oder elitäre Hochkultur sein will, daß Kunst nicht, wie Otto Mauer einmal sagte, zur „Verhüb-schung" des Lebens da ist. Wir wissen, daß auch die Daseinstrauer Gegenstand des Künstlerischen zu sein hat.

Doch zugleich müssen wir darauf hinweisen, es wieder bewußt machen, daß der Mensch, der sein eigener Gott sein will, zu seinem eigenen Ungeheuer wird.

Der Zerfall menschlicher Existenz, seiner gesamten Wirklichkeit verlangt nach unseren Maßstäben und Antworten, die die Welt nicht geben kann.

Meine fünfte und letzte Anfrage: Identifizieren wir Christen uns mit dem „Was unser ist?"

Was unser ist: die Tradition und die Weisheit unserer Kirche, unseres Glaubens in Veränderungsbereitschaft und Transformation zu immer Neuem, die gewachsenen großen Kulturüberlieferungen.

Identifizieren wir uns mit dem abendländischen Geist oder bringen auch wir dafür nur die gängige Süffisanz auf? Identifizieren wir uns mit dem, was die Menschen heute ersehnen und erhoffen?

Ein Theologe meinte einmal, wir brauchen gerade der Gegenwartskultur gegenüber den „krisenempfindlichen Beobachter". Eine sinnvolle und befreiende Begegnung von Glaube und Kultur bedarf der Feinnervigkeit in der Annahme der Herausforderungen.

In der kulturellen Wirklichkeit von heute werden wir mit unserem Tun Anwalt des Menschen und Anwalt der Freiheit sein, einer Freiheit, die sich nicht trennen läßt von der Verantwortung.

Auszug aus dem Referat „Kultur und Glaube" bei der Tagung katholischer Publizisten aus den Alpenländern Ende Mai im ehemaligen Kloster Banz in Oberfranken (FURCHE, 22/1984).

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