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Digital In Arbeit

Bekenntnis zum Gegenstandlichen

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Diskussionen sind eine fragwürdige Angelegenheit, doppelt fragwürdig für den, der auch die letzte Kraft daranzusetzen hat, seine eigene künstlerische Aufgabe zu ergreifen und zu erfüllen. Aus der Arbeit zur Arbeit zu sprechen hat jedoch nichts mit literarisierendem Abschweifen zu tun — ich denke da an das erlauchte Beispiel Igor Strawinskys und seiner Poetique Musicale. Abstrakte Malerei — Gegenständliche Malerei, die Nomenklatur ist gegeben und dient, mag sie uns noch so mißfallen, zur Verständigung, selbst wenn wir wissen, wie schief und unstichhaltig die Alternative ist. Zuerst und zuletzt entscheidet die Ordnung der gestaltenden Elemente auf der Bildfläche, und wenn dies mit Redlichkeit, Verstand und Intensität geschieht, wird es stets Ausdruck der Zeit sein, mag diese nun zitiert und unterstrichen sein oder nicht. Modernität ist eines, Modernismus ein anderes, und die besten Erzieher unseres Jahrhunderts haben Fortschrittswahn und Revolutionsgläubigkeit längst entlarvt.

Auf dem Gebiet der Malerei, vielmehr auf dem ihrer ästhetischen Kontrolle, sind nun inzwischen die Begriffsprägungen so geläufig, daß es nur die Wortsignale zu stellen gilt, um sofort die ganzen Gleisanlagen zu überblicken: vom Abbild bis zum Sinnbild, von den Zeichen bis zu den Flecken, vom Konstruktiven bis zum Informellen. Da sind keine Texte mehr auszuwalzen.

Bevor wir dem Gegenstand auf den Leib rücken -rt.Ä; h&t ja^.gotd.ob noch einen —, wollen wir feststellet, daß er in verschiedenen Bedeutungen“ erscheint, die gern verwechselt werden und deren tiefere Zusammenhänge nicht vorschnell und allzu einleuchtend simplifiziert werden dürfen. Mit dem Endergebnis der Sentenz: Der Gegenstand ist heutzutage vernichtet, aufgelöst, seine Aussagekraft erschöpft. So sagt man doch oder so sagt man es sich schon von selbst.

Da ist also zunächst der Gegenstand als Objekt der physikalischen Forschung, die als bestürzendes Ereignis unser Aeon aufreißt. Wir haben es zuletzt nur mehr mit Zeichen und Formeln zu tun, mit Gleichungen hohen und höchsten Grades, in denen der Mensch, der sie mit staunenswerter Geisteskraft angesetzt und errechnet hat, nicht mehr sich selbst begegnet (Heisenberg).

Dann ist da der Gegenstand als Objekt der spekulativen Philosophie, die Statuierung des Nicht-Ich gegenüber dem Ich, das Thema des deutschen Idealismus, das mit anderen Vorzeichen — hüten wir uns vor Wertungen — im dialektischen Materialismus wiederkehrt und in jeder ontologischen und phänomenologischen Bewußtwerdung nachwirkt. Erst das Existenzdenken Kierkegaards, das den Erkennenden in den gesamten Bereich des zu Erkennenden einbezog, lieferte — in unserem Säkulum erst eingeholt — nein, nicht die dialektisch-synthetische Überwindung, sondern den völlig neuen Ansatzpunkt zu Denken und Verhalten, welche Situation für den Standort unseres engeren Bereiches, den einer „gegenständlichen“, einer „Existenzmalerei“, fundamentale Bedeutung hat.

Endlich ist da der Gegenstand als die Fülle der wahrnehmbaren Begegnungen im unausweichlichen Schicksalsbereich von Raum und Zeit, die wie eh und je Erlebnis des Menschen ausmachen und die Anschauung des Malers speisen. Wann immer ich als Maler das nüchternsachliche Wort „Gegenstand“ ausspreche, muß ich lächeln darüber, was alles es umfaßt, vom Stuhl aus der Möbelhandlung bis zum Menschenantlitz, von der Blume bis zum Gestein und vom Gestirn bis zum verborgenen Leben der Mikroben. Nun, darauf beruft sich gleicherweise der „Abstrakte“, der „parallel zur Natur“ gestaltet oder gar radikale Spontaneität beansprucht. Die Möglichkeit des „Bildes“ als solche aber gegenüber dem „Begriff“, das Abheben des Bildes von der Wirklichkeit, ist an sich schon voller Geheimnis, aus welchem sich Kunst bereits in der geringsten Aktion echter gestaltender Mittel gebieit. Funktionell sind durch Erfindung und

Verbreitung der Photographie erhebliche Verschiebungen eingetreten, prinzipiell jedoch ist dadurch keinerlei Bildfindung erschüttert. Eine mit aller Ausführlichkeit und Akribie dargestellte Vedute des Canaletto ist zugleich voller Schrift und Zeichen, Signum einer vom Geist geführten Menschenhand nicht minder als die Vehemenz van Goghscher Weltergreifung. Der Verfall ist erst dort eklatant, wo Zeichen und Bezeichnetes in keiner mitteilbaren Relation mehr stehen, die ja entgegen propagiertem Irrtum auch in der sublimsten, dingfernsten Zeichenschrift der Asiaten noch herrscht. Ein anderes Beispiel: die naive Vorstellung und Darstellungsabsicht des Zöllners Rousseau ist zugleich voll höchster künstlerischer Intelligenz, und es ist weder Witz noch Zufall, weder Rückfall noch retardierendes Moment, daß sich der kühnste Schrittmacher unserer Zeit zu ihm bekannte und daß der Douanier seither seinen Platz in der ersten Phalanx der Moderne einnimmt.

Es würde nebenbei eine eingehende Untersuchung brauchen und lohnen, den Bedeutungswandel der bildnerischen Begriffe und ihres Gehaltes zu konstatieren, die sich unter der Hand nicht selten in ihr Gegenteil verkehrt haben. So vor allem ist „Realismus“ zur Bedeutungslosigkeit zerdehnt. „Abstraktion“ meinte doch eben noch den abgelösten Bereich der Begriffe, und von „Weltanschauung“ spricht man, wo nur mehr gemeint und nichts angeschaut wird.

Notwendig rühren wir damit an den Glauben. Den Glauben, daß die Wirklichkeit uns zur Bewältigung aufgegeben ist, und daß keines Ingeniums Geist und Kraft je ausreicht, die Möglichkeit ihrer darstellenden Gestaltung auszuschöpfen, die immer zugleich Verwandlung und Durchsichtigmachen bedeutet.

Die nicht unberechtigte Frage nach den symptomatischen Leistungen derzeitiger gegenständlicher Malerei entscheidet gleichwohl nicht gegen ihr Potential. Derlei ist nicht statistisch zu belegen. Selbst-Wenn1 sie^etzt zu Schwfchte'':trn'd'* Gewichtlosigkeit verurteilt wäre, könnte dies auf anderer Ebene die Rolle spielen wie der „Atheismus als Läuterung“ (Simone Weil), die Ausschaltung des Salbaders, die zu einer aus dem Ursprung erneuerten Anstrengung zu führen vermöchte. Aber auch die Superatombombe unserer Ängste, Zeitkonelat jener arkadischen Träume, kann das Ordnungsgefüge der Weltaggregate noch' in der radikalsten Zerstörung nur bestätigen.

Unter solchem Aspekt gibt es für den Maler weder geringfügige noch erledigte Aufgaben, und jegliches mit redlichem Ernst ergriffene Darstellen rührt ans Erhabene. Für uns ist — mit Kassner — die Erde kein x-beliebiger Stern unter Sternen. Noch setzen wir die Zeitenwende nach dem einzig offenbarenden Ereignis, und die Ebenbildlichkeit des Menschen, die Personalität in der Weltenordnung bedeutet nicht anthropozentrische Überheblichkeit, sondern Anerkennen von Maß und Mitte.

Für uns Hiesige gibt es keine pure Transzendenz, und gerade das durchaus mystische Faktum der Kunst erfordert Ordnung, Disziplin und Unterwerfung. Die Meister dieser und jener Observanz ziehen es vor, vom Handwerk zu reden, statt sich auf die unkontrollierbare Inspiration auszureden und sich mit mystifizierender Willkür zu drapieren. Die letzten Entscheidungen aber fallen nicht aus einem Abwägen von Pro und Kontra, sondern aus schicksalhafter Bestimmung, und das Unwägbare bleibt unberedbar.

Ich kenne kein eindringlicheres und klareres Malerbekenntnis als die knappen berühmten Sätze Beckmanns: „Es gibt kein Rezept für Kunst. Das Maß der Intensität des Betrachters ist das Entscheidende. — 'Gluclcficli isrt'de'rjenige, welcher begriffen hat, daß die uns gegebene Wirklichkeit das größte Mysterium unserer Vorstellung ist. — Willst du das Unsichtbare kennenlernen, ergib dich mit ganzem Herzen dem Sichtbaren.“

Wenn ich gefragt werde, warum ich in meiner Malerei an dem Gegenstand festhalte, so muß ich verdattert gestehen, daß dieses Warum niemals für mich bestanden hat. Die wirklichen künstlerischen Entscheidungen stehen jenseits solcher Fragen und Fragwürdigkeiten.

Sie wissen, daß ich nach Großstadtjugend, Werkarbeit und Studium nun seit 30 Jahren ein Bergbauernanwesen mit meiner Familie in der Einschicht bearbeite. Mit Romantizismus hat das nicht das geringste zu tun, und wer solche Lebensform diese Zeit hindurch erprobt und bestanden hat, weiß, daß es keine härtere, unsentimentalere Realität gibt als das Landleben ohne Schaustellfarce. Diese Distanzierung vermag dennoch Empfinden und Bewußtsein für die geistigen Entscheidungen und Ereignisse der Zeit erst recht zu schärfen. — Der Besitz eines Bauernhofes ist nicht Voraussetzung für künstle risches Schaffen. Dieses vollzieht sich immer und überall nur aus einer geistigen Situation, die zu erarbeiten ist. Nicht gleichgültig aber ist, welche Säfte und Kräfte den Schaffenden nähren. Schlimmer als die „Hybris des Lebens“ ist die des Geschwätzes.

Die Gegensätze bilden eine Zange ganz besonderer Art zur Wirklichkeitsbe- und -er-greifung. Der Zwang zur Arbeit, der Lebensrhythmus der Jahreszeiten und seine sehr realen Sorgen schienen mir für die künstlerische Gestaltung stets mehr förderlich als hinderlich zu sein, wie man das auch zu Zeiten verfluchen mochte. Jeder Schritt erfüllt den Sehenden mit Anschauung, die Sorge um Wachstum, Gedeihen oder Vernichtung will der Willkür nicht viel Raum geben, den „Gegenstand“ zu zerlegen oder aufzulösen, den Gegenstand, der Acker und Wald, Blume und Vieh und immer wieder der Mensch ist.

Dieser unterkärntnerische Landstrich hier ist voll der merkwürdigsten Spannungen, Restmodell jenes Erdteils, der einst Österreich-Ungarn hieß. In seltener Vielfalt der Landschaft ist die slawisch-slowenische t Grundsubstanz mit dem Kärntnerischen zusammengewachsen, bei unmittelbarer Nachbarschaft des Romanisch-Lateinischen, das Katholische prägt sich in universeller Bildfülle im Volke aus, und zum wärmenden Inkreis der Familie kommen die mannigfachen Begegnungen mit der größeren Welt. Noch in der äußersten Verwandlung des Gestaltens erwachsen dem Bilde daraus Schwingung und Arom, aufs neue stets und unaus-schöpfbar.

Der Expressionismus gab mir einst Anstoß und Impuls. Vom Explosiven und Beschwörenden, vom Schweifenden, Dräuenden, wolkenhaft Dunklen, all diesen deutschen Gefahren, ging die Tendenz immer mehr zu Beherrschung, Ordnung, Klarheit. Die Möglichkeiten eines Malers, der so dem Gegenständlichen verhaftet bleibt, sind durchaus unbegrenzt. Immer wieder kommt es zuletzt auf Begabung und Begnadung an, auf die Kraft, die Intensität und die Intelligenz des Gestaltenden. Versagen die, so liegt es am Subjekt, dem Maler, und nie am Objekt — dem Gegenstand.

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