6721069-1965_12_14.jpg
Digital In Arbeit

ESSAYS IN FORM UND GLASUR

Werbung
Werbung
Werbung

Wer sich jemals ernsthaft mit den Problemen zeitgenössischer Kunstentwicklung und Kunstbetrachtung auseinandergesetzt hat, der wird wahrscheinlich die Erfahrung gemacht haben, daß der Angelpunkt aller Schwierigkeiten in dieser Beziehung in einer menschlichen Schwäche liegt' im Hang zur Gewohnheit. Wer sich der Gewohnheit überläßt, ist aller Sorge um eine Beurteilung enthoben, wer sich innerhalb seiner Gewohnheiten befindet, der kann es „laufen lassen“, wie man so schön sagt, er wird doch in seinem ausgefahrenen Geleise bleiben. Damit beginnt die Gefahr für den menschlichen Geist; denn wo die Gewohnheit. die, Lebensvorgänge trägt, dort erzeugt sie eine starre Schicht scheinbarer Tradition, mit deren Hilfe sie den Menschen von jeder wirklichen Bewegung ausschließt. Als Endprodukt erscheint dann statt eines bewußten Lebens eine nur noch unbewußte Reaktion auf die verschiedenen äußeren Reize. Niemals mehr ereignet sich die tatsächliche Auseinandersetzung mit dem fließenden, sich immerfort verändernden Leben, denn die Verbindung zum Ganzen ist längst abgeschnitten, das einzelne dreht sich nur noch um sich selbst. Die immergleiche Reaktion der immer gleichbleibenden Gewohnheit verführt schließlich sogar zu dem Trugschluß, daß auch die Welt in sich gleich bliebe.

Künstlerische Ereignisse wirken stets als Störenfriede einer Gewohnheit, mehr als je ist Kunst gerade in unserem Jahrhundert Aufruhr geworden, weil die „Gewohnheit zur Gewohnheit“ bereits so stark ist, daß sie nicht mehr anders als „revolutionär“ überwunden werden kann. Aber nicht nur die künstlerischen, auch alle anderen großen geistigen Ereignisse der menschlichen Geschichte kommen heftigen Revolutionen gleich; sie „springen hart in den Phrasenballon des Stehengebliebenen“, wie es in einem Gedicht heißt, und wo sie erscheinen, erzeugen sie in dem Raum der Gewohnheit jene Unruhe, die sich als Unbehagen über die einfache Diskussion bis zum Haß in allen Zeiten und in allen Bereichen verfolgen und belegen läßt. Und dennoch genügen diese als „Oasen des Geistes“ erscheinenden Vorfälle, um wieder einen Kreis der Belebung nach sich zu ziehen, der jedem, der ihn berühren will, zu neuer Erfüllung offensteht.

Keramiken — getöpferte oder geformte Gegenstände aus Ton, mit oder ohne Zierat und Glasur, sind ein Begriff, der in die Anfänge der Menschheit reicht. Ausgrabungsfunde weisen bis etwa 4000 v. Chr. zurück und geben in ihrem Charakter ein wesentliches Bild der Zeit, aus der sie stammen. Die Bandkeramik der alten Kulturvölker Kleinasiens spiegelt die damalige starke mythische Verbundenheit, die Idole aus Indien, geheimnisvoll als Träger und Zeichen der Fruchtbarkeit, markieren bereits die Zeit der ersten großen Kulturveränderung, nämlich den Übergang zu Seßhaftigkeit und Landnahme; Siegelreliefs und Tontäfeichen späterer Epochen wieder bedeuten verbürgtes Gesetz oder reges Gesellschaftsleben.

Aber auch für unseren besonderen österreichischen Raum gelten gerade Keramiken als spezielle Kulturbeweise; die Hallstattkultur und die Römerzeit haben sich nicht zuletzt durch ihre Tonarbeiten für uns aufschlüsseln lassen; für die Zeit seit dem 16. Jahrhundert aber läßt sich etwa in Gmun-den die lückenlose Tradition handwerklicher „Hafnerei“ beweisen, die sich hier, begünstigt durch geologische und verkehrstechnische Verhältnisse zu einer beliebten Keramik ausbildete; bis Böhmen und Ungarn kannte man das „gmundnerische“ Geschirr.

Als die Stadt Gmunden im vergangenen Herbst eine Ausstellung keramischer Exponate ankündigte, verdichtete sich für weite Kreise die Vorstellung von einer Schau lokaler Handwerkserzeugnisse, wie sie in dieser Stadt eben mehr oder weniger traditionsgemäß erzeugt werden. Aber die Ausstellung des Internationalen Sommerseminars für Keramik zerstreute alle diesbezüglichen Erwartungen genauso wie alle jene Bedenken, die eine kleinlich-provinzlerische Angelegenheit befürchteten. Die Ergebnisse der sechswöchigen Seminararbeit erwiesen sich als kraftvoll genug, um den Beweis für die Zukunftsmöglichkeiten der keramischen Tradition zu erbringen. Unwillkürlich drängte sich bei dieser Ausstellung der Vergleich mit St. Margarethen auf, denn die Einbeziehung der Natur — die Objekte waren im Garten und im Atelier des Seminarleiters aufgestellt worden — gab den einzelnen Stücken eine sehr überzeugende Ausstrahlung. Die intensive Bemühung zur Auseinandersetzung, der Verzicht auf bloße Spielereien oder persönliche Vorteile kam bei dieser Aufstellung im Freien eindrücklich zur Geltung. Ungebrochen und unbehindert offenbarte sich daher die geistige Anstrengung der schaffenden Menschen, die Zeit und das Absolute in ein entsprechendes Verhältnis zu bringen und dieses auszudrücken.

Der Erfolg der sechswöchigen ernsten Arbeit war daher mehr als die Anzahl der etwa 400 Exponate; der Erfolg war jene geistige Sicherheit und Freiheit, die — herausgewachsen aus der erfüllten Möglichkeit — nun in diesen Ausstellungsstücken edel und souverän sichtbare Form angenommen hatte: Versuch einer Darstellung; Essays in Form und Glasur.

Seminare künstlerischer Art sind an sich im Vergleich zu solchen des Worts in einer schwierigen Lage; die Referate und Diskussionen einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung samt ihren Anregungen, Vermutungen, Überzeugungen und Streitreden schließen schon allein durch ihre Terminologie die Kritik jedes Nichtfachmannes aus; die formalen Versuche von Künstlern jedoch — die in ihrer Art den mündlichen oder schriftlichen Feststellungen der wissenschaftlichen Arbeit gleichkommen —, stehen gerade dem breiten Publikum sichtbar und greifbar vor Augen. Und wo sonst das unverstandene Wort spurlos vorbeigeht, dort bleibt doch das — vielleicht genau so unverstandene — gestaltete Werk im Mittelpunkt jeder Kritik; für die Fachleute wird es zu einem Faktum, an dem sich ihre Phantasie entzündet, für den voreingenommenen Laien jedoch wird die Enttäuschung — als Antwort auf eine unberechtigte Erwartung — nur zu leicht zu einem bleibenden Ärgernis.

So steht dann das Ergebnis eines solchen künstlerischen Seminars wie ein erratischer Block in einem Vorstellungsfluß, der sich vielfach an der unerwarteten Störung empört, ohne zu erkennen, wie notwendig es ist, das träge, gedankenlose Gefließe der bloßen Gewohnheit zu durchbrechen.

Im Falle des Gmundner Seminars kristallisieren sich drei Fragenkomplexe aus der Berührung zwischen Publikum und künstlerischer Arbeit heraus: es handelt sich an erster Stelle um die Ursachen der gegenwärtig zu beobachtenden Kunstentwicklung und Kunstbetrachtung, der andere wesentliche Punkt ist der Begriff Keramik, und der dritte, der in unserer Zeit vielleicht einem besonderen Unverständnis ausgesetzt ist, liegt in der Bedeutung des Ausdrucks „Unikat“.

In unseren heutigen Lebensbereich hat sich die Keramik (als glasierter Ton) hauptsächlich in technischer und praktischer Weise eingeordnet, und die Herstellung keramischer Erzeugnisse geschieht fast ausschließlich auf industrieller Basis. Was aber ein industrielles von einem handgefertigten Werkstück unterscheidet, ist zwar schwer zu definieren, weil für den ungeschulten Blick der Unterschied vorerst nicht zu groß erscheint, kommt aber doch in einigen wesentlichen Punkten deutlich zu Tage: in der gröberen Masse, in der Wandstärke, in Henkeln und dergleichen. Eine größere Produktion muß ja auf Sicherheit sehen, sie muß im eigenen Interesse den Anfall an minderwertiger Ware oder Bruch so gut als möglich ausschließen, und sie muß weiter den vielen, von ganz verschiedenen Personen ausgeführten Arbeitsgängen ein möglichst sicheres Ausgangsmaterial vorsetzen, damit sich die Aufteilung der Herstellungsakte an verschiedene Arbeitsgruppen nicht zu sehr bemerkbar macht.

Aus dieser „keramischen Grundsituation“ entwickelte sich darum in Gmunden eine lebendige Seminararbeit, und in ihrem Realismus wurde sie noch vertieft durch die Verbindung mit der Atmosphäre in einer Fabrik, die die künstlerischen Versuche des Seminares in ihren Räumen und Einrichtungen ermöglichte. Und so entstanden inmitten des Betriebes einer serienmäßigen Fabrikation jene unvergleichlichen Unikate, die den ernsthaften Betrachter in ihrer Aufrichtigkeit erfreuen mußten: Säulen, Reliefs und Gefäße in den verschiedensten Farben und Glasuren, Porzellanspiegel in raffinierter Statik, aufgebaut zu Brunnen oder Plastiken; gewöhnliche rote Bauziegel verbanden sich zur lebendigen Form des Rads, und selbst die simplen, kaum jemals beachteten Brennstützen aus dem Fabrikbetrieb gewannen ein eigenes Leben, da sie — als Versuch und Herausforderung an sich selbst — zu einer kühnen formalen Kombination verarbeitet wurden.

Das Zeitalter der Masse ist nicht ohne weiteres imstande, jene Ausstrahlung des Einmaligen zu verstehen, als welches sich jedes einzelne Kunstwerk anbietet. Eine künstlerische Idee, ein künstlerisches Gesetz ist nicht faßbar, wie ein Rezept: Man nehme... Denn je nach der Situation und nach dem Rang der schaffenden Persönlichkeit wird sich die Auswirkung eines solchen Gesetzes in jeweils von einander verschiedenen Formergebnissen ausweisen. Das künstlerische Gesetz ist ein geistiges Gesetz, daher wird es immer „die Einheit in der Vielheit“ und die „Vielheit in der Einheit“ zeigen, und zwar genau in der Anzahl von Varianten, wie bei Individuen.

In einer Zeit, in der Bedürfnis gegen Erkenntnis und Forderung gegen Hingabe steht, ist jedes Anzeichen einer geistigen Oase inmitten der großen Gleichförmigkeit ein Anlaß zur Hoffnung — zur Hoffnung, daß sich auch auf unserer Gegenwart eine Zukunft aufbaut. Wer einmal erfahren hat, daß jeder Beginn das Ende eines Vorher, daß aber gleichzeitig jedes Ende den Beginn eines neuen Nun bedeutet und daß ein jedes das andre bedingt, ohne es jemals aufzuheben, dem wird die unendliche Wichtigkeit der endlichen winzigen Affären und Situationen ein selbstverständlicher Begriff geworden sein. In diesem Licht wird vieles bedeutsam.

Es war nur eine kleine Ausstellung in Gmunden. 14 Tage *-■> geöffnet. Aber die Zeitschrift „Oberösterreich“ (Heft Nr. 3/4, 1964) meint in ihrer redaktionellen Anmerkung zum Bericht über das Internationale Gmundner Sommerseminar für Keramik: „...Es erscheint kennzeichnend für die Vitalität dieses Landes und seiner „keramischen Hauptstadt“, daß man sich hierzulande nicht auf den Lorbeeren der Tradition ausruht, Stagnationen des Alters und Alterns überwindet und in der Gegenwart neue Wege sucht...“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung