6618863-1955_50_12.jpg
Digital In Arbeit

Moderne Kunst im sakralen Raum

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn wir vom Sinn der modernen Kunst im sakralen Räume sprechen, so müssen zuerst einige Vorbemerkungen gemacht werden, die den genauen Standort des Problems bezeichnen.

Die Kunst, und ihr folgend auch die Kunstbetrachtung, gehört zu den lebendigen Kräften, es lebt in ihr etwas Vorwärtsdrängendes, immer Neues Schaffendes. Sie darf und kann nicht der geistigen Trägheit verfallen, die nur im Altgewohnten und behaglich Eingeschleiften sich wohlfühlt. Die Gefahr, daß Tradition zur geistigen Trägheit wird, ist aber in der religiös-kirchlichen Kunst nicht weniger groß als auf den übrigen Kunstgebieten.

Ferner: Im Gegensatz zur „fertigen“ Kunst früherer Jahrhunderte ist heute manche Kunstgebarung unmittelbar im Suchen und Probieren und kühnen Wagen drin und stellt deshalb keineswegs die Forderung auf Allgemeingültigkeit. . Das will heißen, daß sicher nicht jedes extreme Werk, auch wenn es hohen religiösen Gehalt hätte, für die kirchliche A 11-gemeinheit in gleicher Weise geeignet ist. Bloße Pöbelei und leere Verschrobenheiten gehören nicht in die Kirche.

Ferner: Sicher ist, daß, wie bei allen früheren gewaltigen Stilepochen, auch für die heutige Zeit die theologische Anregung und Erneuerung keineswegs fehlt. Die neue Bibelbewegung, die liturgische Bewegung sowie die eucharistische Erneuerung gaben auch der sakralen Kunst ungeheure Impulse, die gerade in ihrer künstlerischen Auswirkung noch längst nicht erschöpft sind, aber bereits prachtvolle Früchte gezeitigt haben.

Suchen wir von diesem Standort aus jene Züge in der modernen Kunst sichtbar zu machen, die im besonderen für die kirchliche Kunst sich empfehlen.

Wir stellen im modernen Kunstüben eine starke Hin Ordnung zum Wesentlichen fest; sie brachte sine radikale Säuberung vom Ueberschwang des bloß Dekorativen mit sich, eine durchgreifende Reinigung vom Unechten, Gestellten, Gezierten und bloß Uebertünchten. Die Tugend der Dinge — wie Paracelsus sagt — war zu sehr verdeckt und versteckt unter allerhand Zugemüse und fast lächerlichem Popanz, der dann „Zierat“ sein sollte. Die Hauptsache war Nebensache, die Nebensache Hauptsache geworden. — Das Gotteshaus aber muß in erster Linie Wohnung des Allerhöchsten und Opferstätte Christi sein. Die modernen, einfachen Kirchen verzichten auf kostspielige Kuppeln, die durch die Verschiebung des Altares meist sowieso nichts zu überkuppeln haben. Dafür wuchtet alles auf den von jedem Platz aus sichtbaren Opferaltar hin, der als „Christus, der Eckstein“ aus einer einfachen Steinplatte besteht. Alles in der Kirche dient dem Altar. Damit ist das Opfergeschehen Christi und das Dabeisein des Christen in einzigartiger Weise korrespondent gemacht.

In ähnlicher Weise werden die Taufkapelle und die dem Altare wieder näher stehende Kanzel behandelt. Auch die modernen Meßkleider gehen in ihrer Einfachheit wieder auf das Ursprüngliche und Wesentliche zurück, der Priester braucht nicht mehr den ganzen himmlischen Chor auf seinem Rücken herumzutragen. Ebenso ist der moderne Kelch ganz und gar Opferschale geworden. Gerade hierin zeigt die moderne Sakralkunst, daß sie trotz eindeutiger Einfachheit und Wesentlichkeit zu einem staunenswerten Reichtum von Formen zurückgefunden hat.

Auch die malerische Ausschmük-k u n g der Kirche zielt ganz auf das Wesent-

liehe. Alles verschnörkelnde Beiwerk fällt weg. Es entstehen mit dem Beton wieder echte Wände, die nach dem Bilde rufen. Das moderne Bild selbst ist durch die einfache, aber wesentliche Geste charakterisiert. Man muß bis ins 8. oder 9. Jahrhundert zurück, um der gleichen Kühnheit der wesentlichen Geste zu begegnen, wie sie heute wieder gefunden ist. Es geht bei der Architektur wie beim Gemälde um den Aufbau aus den Grundelementen der Linie, der Farbe und der Geste. Wir haben wieder Beispiele einer prachtvollen Durchschaubarkeit der Dinge; sie brachte mit der neuen Wesentlichkeit auch eine starke Verinnerlichung.

Die moderne Kunst erschließt uns auch eine Reihe neuer künstlerischer Ausdrucksformen, wie sie uns neue Ausdrucksmittel in die Hand gelegt hat. Der sogenannte Akademismus verfügte über eine relativ magere Summe von Mitteln und Formen. Wehe dem, der es außerdem gewagt hätte, den Kanon dieser Formeln, muß man sagen, zu durchbrechen. Die Modernen haben es getan, zum Teil recht kühn und wild und eigensinnig. Sie gingen den Tatsachenweg. Aber man kam gerade dadurch wieder zur Bewegung und Gegenbewegung selber, sowohl in der Raum- wie in der Bildgestaltung. Als prachtvolles Beispiel steht einzigartig die Wallfahrtskirche von Ronchamps von Le Corbusier da. Wie gewinnt hier die Architektur durch eine prachtvolle Kontrapunktik an echter Musikalität und auch, weil alles nach dem vom menschlichen Körper genommenen Modulator gestaltet ist, auch an echter Beziehung zum lebendigen Menschen. Selbst wenn es u n-gewohnte Formen sind, so sind sie echt, wesentlich, materialgerecht und deshalb einzigartig innerlich. Dasselbe gilt von den

modernen Bildern im sakralen Raum. Der harmonikalen Gestaltungsformen sind weit mehr, als wir je geglaubt haben; die Geschichte hatte uns leider nur einen bettelhaften Restbestand davon aufbewahrt. Die oberflächlichen Geister liebten ihn, w*il er keine Ansprüche stellte und leicht zu behandeln war.

Die gesamte moderne Kunst, insbesondere die religiöse im sakralen Raum, brachte uns eine weit größere Dichte des künstlerischen Oeuvres. Die fromme Verdünnung war auch viel zu weit gediehen. Statt um Zuckerwasser geht es wieder um Blut, um das Blut der Dinge, um das Blut der Menschen, um das Blut Christi, des Gottmenschen.

Der Weg geht von der gemütlichen epischen Erzählbreite weg — ob der Mund oder der Pinsel oder der Meißel erzählt — zur g,r ö ß t-möglichen Konzentration. Wie haben zum Beispiel ein Rouault als Maler, ein Albert

Schilling als Plastiker — und eine ganze Reihe anderer — eine Dichteerreicht, vor deren prachtvoller Gefülltheit viel dünnere Werke unserer seichten Nachbarockzeit um Himmelsweite zurückstehe müssen. Solche Werke gehören in den sakralen Raum; sie sind fern von aller Spielerei und Verspieltheit.

Die Entdeckung des Symbols bzw. die Wiederentdeckung hat hier ausgezeichnete Beihilfe geleistet. Im gigantischen Bestreben, von der b I o ß e n O b e r f,l ä c h e des Natürlich-Gegenständlichen zum inneren Wesen der Dinge vorzustoßen, geht die Kunst zum e x-pressivsten Zeichen zurück, und diese verhaltene Sprache spricht gerade im Gotteshaus tiefer und ergreifender als jeder geschwätzige Ausdruck und jede kopiergemäße Naturtreue.

Es muß auf eine weitere psychische Dimension der modernen Kunst hingewiesen werden, nämlich auf ihre todernste Grundhaltung. Der Existentialismus hat erschütternder von Geburt und Tod gesprochen, als dies in den letzten Jahrhunderten der Fall war. Die moderne religiöse Kunst bat in unseren Zeiten des großen

Umbruches und der vielfachen Erschütterung diesen Ton wiederaufgenommen und versteht das Entscheidende im Menschenleben in eschatologischer Größe den Menschen entgegenzuhalten. Ist das ein Fehler? Ist es nicht vielmehr an der Zeit, vom Schlafe aufzustehen, Zeit, die Masken abzulegen, von der christlichen Gemütlichkeit zum christlichen Ernst zu kommen? Oder ist es Aufgabe der christlichen Kunst, bloß in öde Gemächlichkeit einzulullen und einzuschläfern? Darf die christliche Kunst sich zum Maitre de plaisir herunterwürdigen lassen? Diese Fragen stellen, heißt sie auch beantworten.

Die christliche Kunst im sakralen Raum hat eminent der Religion zu dienen, was durchaus einen Ehrendienst und keine Versklavung bedeutet. Deshalb hat sie, wie die Religion, den Auftrag, den Menschen bis ins Letzte zu ergreifen, ihn zu erschüttern, ihn umzugestalten, ihn immer wieder zu erneuern, ihn höher zu führen, ihn zu vervollkommnen. So ist die Kunst im tiefsten religiös und die Religion hat sie immer in ihren Ehrendienst genommen. Des-, halb aber war sie auch immer zeitgemäß und modern. Sie war es, als die ersten Basiliken entstanden und die prachtvollen Zentralbauten mit ihren hieratischen Monumentalgestalten der byzantinischen Zeit das Gottesvolk aufnahmen. Sie war zeitgemäß in den ernsten romanischen Domen mit ihrer klaren Verbindung von Horizontale und Vertikale. Sie war modern, als man in den hochragenden gotischen Kathedralen mit den farbigen Glasgemälden das Opfer Christi darbrachte. Sie war zeitgemäß, als unter den gewaltigen Wölbungen und Kuppeln der Renaissance mit soviel fast heidnischen Bildern und Plastiken die heilige Liturgie gefeiert wurde. Und sie war wiederum modern, als man die lichtdurchfluteten Prunkhallen der Barockzeit durchschritt, damals, als die hohen Hochaltäre mit wandgroßen Bildern entstanden und als Gegenstück zu den Prunkaltären die Prunkprospekte der Orgeln gesetzt wurden. Warum sollte sie heute weniger zeitgemäß, weniger zeiterobernd sein? Die christliche Kunst ist zukunftsfroh, sie ist an keine alte oder gar veraltete Stilübung gefesselt. Ich möchte, was Papst Leo XIII. einmal von der äußeren Staatsform gesagt hat, auf die Kunst anwenden: Die Religion fühlt sich nur an einen Leichnam gebunden; er wies dabei auf das Kruzifix hin. Es kann nicht genug bedauert werden, wenn deshalb religiöse Kreise unzeitgemäß und unoptimistisch glauben, die sakrale Kunst sei an gewisse Stilleichname gebunden. Im Gegenteil: die moderne Kunst im sakralen Raum hat der sieghaften Auferstehung Christi zu dienen und hat die tägliche Auferstehung des Christen zu fördern. Deshalb muß sie zeitgemäß sein. Heraus aus den Katakomben und heraus aus den selbstgezimmerten Särgen! Der Christ muß mitten im flutenden und strömenden Leben der Gegenwart stehen, hier und jetzt sein Heil empfangen, hier und jetzt sein Heil wirken.

Freuen wir uns, wenn gerade im sakralen Raum das Wesentliche, das Tiefe und Selbstprüferische, die Einkehr und die Besinnlichkeit sowie die ernste Innerlichkeit zu einer reinen Verkündigung kommen können. In diesem Sinne begrüßen wir es nur, daß die christliche Kunst nicht sosehr „volksnahe“, sondern daß das christliche Volk dieser Kunst nahe ist. Sie hat Verpflichtung und Auftrag. Sie dient der Aufrüttelung und Anregung, niemals der Beschwichtigung und Harmlosigkeit.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung