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Die Lebenden und die Toten

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Mit dem Aschenkreuz auf der Stirn sollte der Mensch des eigenen Todes und des Todes als conditio humana schlechthin eingedenk sein. Aber ist er das? Nämlich in einem wahrhaften Ergriffensein das ihn Konsequenzen ziehen und nicht bloß eine schöne Gewohnheit, die schnell wieder vergessen wird, erledigen läßt. Daß zum Beispiel niemand, gerade auch nicht jene unentwegten Protestierer, gegen das nun wirklich unmenschlich sinnlose Morden in der Zeit zwischen dem paraphierten und öffentlich verkündigten Waffenstillstandsabkommen in Vietnam — und sogar auch noch nachher — protestiert hat, zeigte so deutlich, wie die Macht vor dem Menschen rangiert, zeigt, welcher Heuchelei wir fähig sind. Denn zur puren Heuchelei werden alle jene Proteste gegen den Vietnamkrieg degradiert, wenn sie schweigen, aus politischen Interessen oder aus feigem Opportunismus, wo wirklich sinnlos gemordet wird. Hier fallen die Masken.

Die gleiche Heuchelei ist es, den Ritus des Aschenkreuzes über sich ergehen zu lassen, ohne die Konsequenzen zu ziehen. Im Alltag durchschaut man das nicht so leicht wie in außerordentlichen Situationen. Aber auch der Alltag hat seine Unmenschlichkeit, etwa die kalte Rücksichtslosigkeit, mit der Alternde und Sterbende abgeschoben werden. Menschen, die sich dieser conditio humana bewußt bleiben, gerieren sich anders als jene, die immer so tun, als ob sie ewig lebten und immer recht behielten. Diesem Memento homo will ein besonderes Unternehmen dienen, über das wir nun sprechen wollen.

Die Toten liegen unter schön gepflegtem Rasen, unter mehr oder weniger aufwendigen Grabsteinen draußen vor der Stadt, genauso wie der Gedanke an den Tod draußen vor dem Bewußtsein. Zu Allerseelen fahren wir kurz hinaus, am Aschermittwoch lassen wir, wie es der Brauch befiehlt, die Zeremonie über uns ergehen, beide Male mit einem bißchen sentimentaler Selbstbemit-leidung. Aber geht uns der Tod, der eigene, wie der fremde, wirklich unter die Haut? Ist er nicht ein Geschäft geworden, ein politisches in Kriegszeiten, ein gewinnbringendes im Alltag? Das Begräbnis, der Hände! mit Grabsteinen und Kränzen ist eine der sichersten Einnahmequellen für die öffentliche Hand, für den Privaten eine Prestigefrage.

Diese Überlegungen gewinnen heute eine brennende Aktualität, wenn eben eine Gruppe von Künstlern, aus dem Umkreis des Symposions von St- Margarethen, darangehen will, das Stadtbild, und zwar den Platz um den Stephansdom, zu gestalten. Es geht ihnen dabei nicht um eine Kosmetik der Fußgängerzone, schon gar nicht um ein Geschäft, vielmehr um grundsätzliche Erwägungen jener oben erwähnten Art einer „Integrierung des Todes in die Gesellschaft“ — abgesehen von den ebenso grundsätzlichen Fragen der künstlerischen Gestaltung im Angesicht einer Kulturbarbarei weltlicher und kirchlicher Provenienz. Früher war der Friedhof rund um die Kirche angelegt, Volkslieder („Es ist ein Schnitter ...“) gedachten des Todes, auf dem Land ist das heute noch vielfach so. Die Besucher von Kirche und Stadt hielten Kontakt mit ihren Toten. Ganz gleich, aus welchen, auch berechtigten, Gründen man die Toten an den Stadtrand hinausträgt, im Bewußtsein sollten sie erhalten bleiben, nicht bloß auf jenen Denkmälern, die der Politik oder einem sinnlosen Kulturbetrieb dienen. Außerdem sind die immer weiter wachsenden Friedhöfe am Stadtrand ein städtebauliches Problem geworden, das bald neue Lösungen erzwingen wird.

So wollen diese Künstler rund um den Stephansdom etwas Ähnliches erneuern, wie es einmal die Friedhöfe waren, künstlerisch gestaltete Zonen, in denen man sich aufhalten und besinnen, eventuell auch entsprechende Feiern weltlicher oder kirchlicher Art veranstalten kann. Der Dom ist ja längst nicht mehr Besitz der Katholiken allein, sondern Zentrum einer Ökumene des Geistes. Nicht irgendwelche Kunstwerke sollen hier aufgestellt werden, um Künstler und Kunstbetrieb zu fördern, sondern verarbeitete und gestaltete Grabsteine. Sie liegen ja zu Tausenden rund um die Friedhöfe, wenn ihre Grabstätte aufgelassen wurde, verlottern dort, oder werden noch einmal verkauft. Das Material ist in den meisten Fällen wertvoll. Zu Bodenplatten, Sitzgelegenheiten, Zeichen und Malen umgestaltet, verlebendigen sie die Umgebung des Domes, werden seinem Ansprüche gerecht, sensibilisieren die Fußgänger und erhalten eine lebendige Beziehung zum Tod und den Toten, die nicht mehr aus dem Bewußtsein gedrängt werden. Fußgängerzone hieße dann auch nicht einfach Unbelästigtbled-ben vom Verkehr, Zerstreuungstheater eines Jahrmarktes, sondern sie hätte eine positive Funktion, bildete ein Gegengewicht zur eindimensionalen Technisierung und Funktionalisierung der Umwelt, in Verkehr, Architektur, Geschäftsbetrieb, Hast des Alltags. Erzbischöfliches Palais, Kurhaus, Stock im Eisen, Pestsäule sind Pole, die durch solche Bodengestaltung eingebunden werden können.

Daß die Kirche nicht längst darauf gekommen ist! Sie ließ sich eine Garage einfallen. Hier zeigt sich, wie erschreckend recht Marcuse hat, wenn er von einem feierlichen Teil des Behaviorismus in Gottesdienst, Verkündigung und Geschäftsgebarung der Kirchen spricht, einem praktischen Nutzendenken, das sich willenlos, oder nur auf ein attraktives Image (no na!) bedacht, in den eindimensionalen Betrieb einordnet. Es ist erschreckend, wie die Kirche jede Verbindung zu Kunst und Kultur, die einmal ihre Domänen waren, verloren hat, trotz mancher Ausnahmen (von denen man jedoch eher den Eindruck gewinnt, daß sie hinter einem aktuellen „Betrieb“ nicht zurückstehen wollen, statt wirklich künstlerische Anliegen zu verfolgen). Der Niedergang von Glaube und Glaubensmilieu, Gottesdienst und Verkündigung, Sprache und Gestus, kann von Kirchenmännern nicht aufgehalten werden, die nur Autos, Mikrophonanlagen, Schlagermusik, Psychoanalyse, Soziologie, Demokratisierung, Statistik und Geschäft, also eben nur praktische Nützlichkeiten im Kopf haben. Mit Parolen einer falsch verstandenen Entsakralisierung und Ent-mythologisierung, verquickt mit allen Schlagworten maoistischer Kulturrevolution, die jeder, der etwas auf sich hält, im Munde führt, wird dabei der Kulturbarbarei das Wort geredet. Wie Hähne begrüßen sie begeistert auch jenen Tag, an dem sie selber in den Kochtopf wandern. Denn mit diesem Behaviorismus tragen sie nur zur Zerstörung des Menschen bei, so „gut gemeint“ für ein fortschrittliches Image der Kirche all diese Dinge auch gemeint sein mögen.

Mit kaum einem Geistlichen kann man ernstlich über Kunst und Kultur sprechen, da das für ihn nur einen ..Luxus neben dem Leben“, ein mehr oder minder entbehrliches Ornament bedeutet. Daher diese eigenartige Mischung von Rationalität und Sentimentalität, hochgestochener Intellektualität und kitschiger Qualitätslosigkeit in der Kirche, bei den Progressiven genauso wie bei den Konservativen. Der Dank des weltlichen und des kirchlichen Demos brandet auf, wenn der Wert des Soseins sinkt und die Taufscheine des bloßen Daseins steigen (Gütersloh). Auch die geplante Gestaltung des Stephansplatzes wird ihnen, muß man leider vermuten, nicht mehr als die ausgefallene Idee einiger Außenseiter bedeuten. Was sich bei Intellektuellen, bei jedem geistig Interessierten schon längst herumgesprochen hat, daß es nämlich gilt, die Eindimensionalität zu durchbrechen, ist noch nicht einmal an ihr Ohr gedrungen. Man sieht es ja an der Verunstaltung so vieler Kirchen, die mit „seelsorglichen Zwek-ken“ gerechtfertigt wird, für die man kein Geld scheut; als ob sich ein „Zweck“denken mit „Seel“sorge verbinden ließe! Trotz aller Bemühungen um ein modernes Image: was nützt die Bereitstellung aller Mittel und Methoden unter Ausnützung aller Massenmedien, wenn keine Substanz vorhanden ist, wenn man

damit nichts zu sagen hat! Ein auf Hochglanz polierter Termitenbau, innen hohl, ist das Ergebnis. Nicht mehr der Glaube versucht Berge zu versetzen, sondern eine mit allen Wassern gewaschene Organisation. Um so beachtenswerter ist es, wenn bereits außerkirchliche Kreise dieser sinnvollen Umgestaltung des Stephansplatzes Aufmerksamkeit schenken und ihr sogar schon Unterstützung angedeihen lassen.

Memento homo! War der Ausgangspunkt. Die Zeremonie fällt auf kirchliche und weltliche Kreise als Anklage zurück, auf jeden Menschen, der hier verständnislos reagiert. Der Tod, sowohl als Endpunkt des Lebens als auch während des Lebens in all den Arten von Tod in allen möglichen Situationen des Leidens, der Frustrierungen durch Ungerechtigkeiten und Enttäuschungen, die wir nie aus der Welt verbannen können, dieser Tod ist der große Antagonismus, an dem sich Philosophie, Kunst und Religion immer entzündet haben. Nicht nur die Existenzphilosophie und moderne Dichtung, sogar schon der Marxismus beginnt, sich dessen zu erinnern. Verbannung der Toten möglichst weit hinaus aus Umwelt und Bewußtsein, Totschweigen des Todes durch einen unpersönlichen Kliniktod und durch Euthanasie, Make-up der Toten, dieser amerikanische Kitsch, der auch bei uns Einzug zu halten beginnt, isolierte Begräbniszeremonien fruchten da nichts. Um so erstaunlicher und förderungswürdiger die auf das Grundsätzliche ausgerichteten Bemühungen jener Künstlergruppe zur Umweltgestaltung im allgemeinen, im besonderen zur Gestaltung des Stephansplatzes.

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