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„Das Urteil wird jetzt vollstreckt..

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Wer heute, in diesem Frühling 1957, an die bitter schweren Frühlinge vor einem Dutzend Jahre erinnert, an die oft blutjungen Menschen, die damals, nicht nur in Wien, gezwungen wurden, durch „die schwarze Tür”, so hieß ja in der Alltagssprache des Gefangenenhauses I des Landesgerichts für Strafsachen das Tor zum Tod, zu gehen, muß sich auf Vorbehalte ‘und Vorwürfe gefaßt machen. Wie? Wozu rührt ihr jetzt wieder an diese Dinge? Laßt die Toten ruhen, laßt die Lebenden leben! Wollt ihr den inneren Frieden stören? Haben wir alle nicht lange genug mit den bösen Dingen und ihren bösen Folgen zu tun gehabt? Wozu Staub aufwirbeln?

Staub, Asche unserer Toten… Diese Vorbehalte erfolgen in einer Zeit, in der gleichzeitig, mit gutem Recht und bisweilen mit einiger Absicht, landauf, landab Heldengedenkfeiern stattfinden, in politischen Reden und Versammlungen der Toten auf den Schlachtfeldern des äußeren Krieges gedacht wird; da die Litfaßsäulen, die Aushängetafeln von Illustrierten mit Millionenauflagen in Bild und Wort Berichte von den Helden und Tätern des Krieges bringen, deren echte und fingierte Memoiren die Schauläden der Buchhandlungen füllen; Filme über sie in Amerika, England (der einst feindliche Westen hat damit begonnen…) und in unseren Ländern ihre kommerziellen Erfolge erzielen…

Ist es da wirklich ein leerer Wahn, von den Brüdern und Schwestern dieser Toten des äußeren Krieges zu sprechen, von jenen, von denen kaum ein Buch, kein Film, keine Reportage und auch seit Jahren kaum eine große staatspolitische Rede vermeldet? Von jenen also, die nicht auf den Schlachtfeldern draußen, sondern hier, mitten unter uns — wie viele gingen, fuhren täglich vorbei an deren Todeszellen, in denen jene oft jahrelang stündlich auf den Tod warteten —, zur Schlachtbank geführt wurden? Ziemt es dem Christen, nicht wenigstens einmal im Jahr sich vor ihnen zu neigen? Ziemt es dem Staatsbürger, zu vergessen, daß diese, Menschen ihr Blut für die Freiheit gegeben haben, dafür, daß wir alle so atmen und leben dürfen, wie wir es heute, im freien Oesterreich, dürfen? Ziemt es dem Europäer, dem Menschen der freiheitlichen Hemisphäre unserer gespaltenen Welt, zvrar gern laut und voll den Mund zu nehmen, wenn von den anderen Opfern gemeldet wird, die heute in den Kerkern von Budapest und vielen anderen Orten auf ihre Hinrichtung warten, ohne deren Vorgänger, ihrer und unserer Brüder und Schwestern, zu gedenken, die in naher Vergangenheit für uns gestorben sind?

Wir können, wenn wir uns nicht selbst aufgeben wollen, nicht trennen: unsere Vergangenheit und unsere Gegenwart zusammen schaffen unsere Zukunft; alle unsere Toten haben ein Recht, dem grauen Vergessen entrissen, haben ein Recht, in unserer Gegenwart beheimatet zu sein. Die Freiheit ist’ unteilbar; verdächtig macht sich jeder, der sich heute als ein Mann der Freiheit proklamiert und die Menschen, die für unsere Freiheit gestorben sind, nicht achtet. Wer in diesem Frühling 1957 durch die Lastenstraße fährt, vielleicht in Geschäft, vielleicht ins Theater, vielleicht dem „Heurigen” zu, sollte immer wieder für einen Herzschlag jener gedenken, die hier in schweren Frühlingen, in einem ver sacrum, im heiligen Frühling der Dämmerung unserer Freiheit gestorben sind; c; waren sehr verschiedenartige Menschen: Sünder, arme Sünder, und eine Elite, die uns heute fehlt; die Lücke ist nicht geschlossen.

Die Berichte des evangelischen Pfarrers Hans Rieger, der da aus seiner Arbeiterpfarre in Favoriten durch Gottes Hand plötzlich ins Gefangenenhaus versetzt wurde, als Kamerad für die letzten Stunden, Tage, Wochen, Monate der Todgeweihten, verdienen zudem noch aus mindestens drei Gründen unsere wache Aufmerksamkeit. Es ist dies ein allgemein-menschlicher, ein christlicher und ein, im Vollsinn des Wortes, politischer Grund.

Es wäre reizvoll, Pfarrer Riegers Berichte mit seinem Berliner Gegenstück zu vergleichen. Wie oft haben sich ja die Schicksale der beiden Großstädte brüderlich verschwistert gerade im Leid und in der Not, einander zugeneigt, sind, durch den Hammer der Ereignisse, einander ver- wsfidt worden: Berlin tihd Wien. Det evangelische Berliner Gefangenenseelsorger Harald Poe Ich au hat bekanntlich seine Erlebnisse mit den Todgeweihten des Kreisauer Kreises — jener Elite preußischen Adels und deutscher politischer Kultur, die hingerichtet wurden, weil sie gedacht hatten — in einem bedeutenden Bericht niedergelegt, der leider hierzulande wenig bekannt ist. Der Wiener evangelische Pfarrer Rieger schließt in seinen Bericht nicht nur „Politische” ein, Menschen, die ihrer politischen und weltanschaulichen Ueber- zeugung wegen hingerichtet wurden, und, unter ihnen, Katholiken ebenso wie Sozialisten und Kommunisten, sondern er umfängt mit allumfassender Liebe auch jene „schwarzen Schafe”, von denen kaum je ein Lied, ein Buch meldet: Gestrandete des Lebens und arme, kleine ‘Sünder, die auf Grund der unmenschlichen Kriegsgesetze justifiziert wurden. Sein Anliegen ist umfassend: es geht ihm, und uns mit ihm, darum, den Menschen zu Wort kommen zu lassen, wie er sich in der Grenzsituation, im Angesicht des Todes, verhält. Diese ist, und das bedeutet keine Minderung des Gedächtnisses der Opfer des äußeren Krieges, oft ungleich härter, ernster als jene andere Situation auf dem Schlachtfeld. Jeder Soldat kennt das aus eigener Erfahrung: jeder hofft, durchzukommen, ist die Lage auch noch so „mulmig”, scheinbar aussichtslos; hier, auf den Schlachtfeldern des äußeren Krieges, herrscht eine charakteristische Verschwommenheit; jeder hofft, doch noch davonzukommen. Von hier datiert jener, richtig verstanden, eigentümliche „Unernst”, jene oft mißverstandene „Leichtigkeit”, ja „Wurstigkeit”, jene „Sturheit” des Landsers, der eben denkt: „Erwischt es mich, dann habe ich eben Pech gehabt.” Zudem ist die innere Lage des Soldaten unvergleichlich gehobener als die des Gefangenen: er weiß sich geborgen im Kreis seiner Kameraden, genießt bis zum letzten Atemzug die Ehre und das Ansehen eines vollgewerteten Menschen. Mag sein Leib sterben, seine Menschenwürde wird nicht angetastet. Er wjrd dem inneren Tod, diesem Absterben der Hoffnungen, der Verzweiflung, selten genug ausgesetzt. Gott sei Dank! Er weiß, und das bedeutet sehr viel, seine Angehörigen in relativer Geborgenheit der Heimat und ihres Schutzes… Ganz anders die Opfer der Schlachtbänke. Sie sterben nicht nur einen Tod, sondern viele Tode: in den Nächten, in den Tagen, in denen sic auf ihre Hinrichtung warten. Manche von ihnen haben jahrelang auf den Vollzug des Todesurteils gewartet, lind gerade die „Politischen”, die wachsten Köpfe und Herzen,

haben sich keine Illusion gemacht über die Unbarmherzigkeit ihres Gegners, der den Tod über sie verhängte, weil er vernichten wollte. In der Todeszelle und ihren Vorräumen und Vorzeiten herrschte eine Härte, eine Einsamkeit, eine Trostlosigkeit, eine schmerzende Klarheit, die den Menschen in unvergleichlicher Weise aufruft. Das Experi- mentum humanitatis, die Prüfung auf das Letzte, wird in diesem Testfall bis aufs letzte durchgeführt. Der Mensch, der nackte Mensch — wie er ist seit dem ersten Abel und ersten Kain bis zum letzten Adam und letzten Kain im Anbruch des Letzten Gerichtes — steht hier vor Gott und gleichzeitig vor uns, in ergreifender Hüllenlosigkeit — und Geborgenheit. Hans Rieger zeigt hier, nüchtern, Tatsachen, Erfahrungen des Menschen mit sich selbst auf, die jeden angehen, der ein Menschengesicht trägt.

Diese Erfahrungen des Menschen mit sich selbst in der Grenzsituation, im Angesicht des Todes, sind jedoch immer auch Erfahrungen mit dem -lebendigen Gott. Wie dieser sich gerade auch den Ihm scheinbar fernstehenden, „ungläubigsten” Menschen da als Lebensmacht bezeugt, vermitteln diese Berichte. Zu dieser christlichen Komponente von Pfarrer Riegers Dokumentensammlung muß hier noch ein Besonderes vermerkt werden. Der evang lische Pfarrer Rieger hat auch viele Katholiken auf ihrem letzten Weg zur Hinrichtung begleitet, ist ihnen in monatelanger Begegnung beigestanden. Er hat was dem ..Staatsbeamten”, dem unvergessenen katholischen Gefangenenseelsorger, Msr. Köck, begreiflicherweise verwehrt war, zuletzt gegen den ausdrücklichen Befehl des Staates, die Todgeweihten auch noch auf dem letzten Gang begleitet. Gratia supponit naturam, bekennt die katholische Theologie als einen ihrer Fundamentalsätze. Wenn es Gott gefiel, die Gnade hier durch einen Menschen protestantischer Provenienz an seine verlorenen Schafe herankommen zu lassen, dürfen wir Ueberlebende uns daran stoßen? Hier kommt noch eines dazu: Pfarrer Rieger war mit seinem katholischen Amtsbruder Köck (der einige Jahre nach dem Kriege starb) brüderlich verbunden und wurde durch diesen immer wieder durch uns heute erschütternde Beweise des Vertrauens ausgezeichnet. Wenn, im Schatten des letzten Krieges und seiner Not, heute in Oesterreich eine neue, lebendige Begegnung und Beziehung zwischen Protestanten und Katholiken heranZuwachsen begann, dann dürfen wir der starken Fundamente nicht vergessen, auf denen sie ruht: auf der gemeinsamen Erfahrung des Sieges Christi über Tod und Vei derben. Das permanente Ostererlebnis, von Menschen beider Konfessionen gemeinsam erfahren in der permanenten Karfreitagsnacht im Wiener Landesgericht, ist für uns alle Erbe, Mahnmal, Ver pflichtung: da weiterzubauen, wo auf so festem Grunde begonnen wurde, die Fundamente einer neuen Zeit zu legen.

Bedarf es nun noch, des dritten Grundes unserer Publikation eingehender zu gedenken? Des „Politischen”? Wir glauben nicht. Niemand zuleide, uns allen zur Festigung unseres Freiheitssinnes und unserer Verpflichtung, täglich die täglich gefährdete Menschenwürde — in Oesterreich und überall — zu vertreten und zu verteidigen, ist dieser Bericht geschrieben worden.

Er wird in diesem Sinne von der „Furche”, beginnend am Sonntag „Invokavit”, dem ersten Fastensonntag 1957. der Oeffentlichkeit übergeben.

SPIEGLEIN, SPIEGLEIN…

Es ist noch Faschingszeit. Narrenfreiheit. Nach altem Brauch erscheinen ganze Zeitungen oder Teile davon mit listig getarnten Nachrichten, die keine sind. Um den Jux zu erhöhen, demaskieren sich die Zeitungen selbst an irgendeiner Stelle, wie etwa die angesehene „Süddeutsche Zeitung:” gleich im Titelkopf einer richtiggehenden originellen Juxausgabe: „Müddeutsche Zeitung.”

Auf die Spitze treibt den Witz das Hamburger Magazin „Der Spiegel”, indem es seinem Heft Nr. 8 vom 20. Februar eine eigene Seite einfügt, ohne den zwerchfellerschütternden Ulk auch nur irgendwie als solchen zu kennzeichnen. Es ist der alte Buster-Keaton-Trick: mit todernstem Gesicht Spaß zu treiben. Um so größer der Effekt, der Lachreiz.

Der Spaß beginnt mit der Wahl des Themas: den Kommissionsverhandlungen über das „Deutsche Eigentum”. Er startet, sich damit scharflustig von dem sonstigen seriösen Berichtston des Blattes distanzierend, im Stile eines üblen Schundbüchels: „Mit Mühe erreichte der Ministerialdirigent des Bonner Außenamtes, Doktor Günther Seeliger, am Mittwoch vergangener Woche auf dem Wiener Westbahnhof den Nachtexpreß. Bis in die späten Abendstunden hatte sich… Der Witz setzt sich fort in der listigen Verunstaltung bekannter Eigennamen (so wird aus Lujo „Lugo” und aus Tončič „Točič”) und gipfelt schließlich in der wahrhaftig nun mit allen Narrenschellen klingelnden Feststellung, die seinerzeitige Veröffentlichung der „Furche” in der erwähnten Angelegenheit sei nicht etwa von den Russen, vom derzęitigen Staatssekretär oder vom einstigen Wiener Vizebürgermeister initiiert worden — diese Witze wurden schon früher in Bierecken gemacht, waren alsp,yerp,yfft. NejpJ„derrt.,Sjpi e|,”r,sąh es, anders im Spiegelbild def Faschingsulks: ,,Dif Furche” habe mit französischen Informatoren („MRP-Europäern”) konspiriert. Rasch noch eine erheiternde Reminiszenz („In der ersten österreichischen Republik… wurde dem katholischen Verlag in der Strozzigasse, in dem heute .Die Furche’ erscheint, französische Subventionierung nachgesagt”) und dann wieder beherzt die Tarnkappe „todernst” übergestülpt: „… rangen die Oesterreicher bis in die Abendstunden des 13. Februar, so daß der deutsche Delegationschef, Dr. Seeliger, beinahe den Nachtexpreß verpaßte.”

Mit dem gleichen tierischen Ernst wird weiter hinten, Seite 5 8, wieder nicht direkt, sondern immer unter der Narrenkappe verborgen, als Verfassername Dr. Hans — Germani genannt. Der letzte, der anzüglichste, aber der beste Witz.

Aber der Zweck ist erreicht worden. Es wurde allenthalben viel und laut gelacht.

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