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An den Mann, der seinen Sohn verlor

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Dir ältester Sohn ist mit 18 Jahren im Frühjahr 1945 nach Rußland in den Krieg gezogen und nicht zurückgekehrt.

Sie haben ihn ziehen lassen, Sie haben ihn nicht zurückgehalten, Sie haben kein Versteck für ihn gesucht, obwohl Sie wußten, daß der Krieg verloren war, obwohl Sie tief im Herzen empfanden, daß jedes Opfer für die Sache sinnlos war, nicht nur nutzlos, sondern geradezu sündhaft vor dem, was wir als den heiligen Sinn des Lebens empfinden. Sie waren selbst Soldat in diesem Krieg, aber da Sie schon am ersten teilgenommen hatten, standen Sie in den oberen Rängen des rastlos sich drehenden Trichters und wurden von seinem Sog nach unten, nach der Mündung in den Tod, nicht ergriffen.

Dennoch wollten Sie Ihren Sohn nicht zum Deserteur machen, Sie konnten es nicht, noch heute könnten Sie solches Tun nicht vor sich rechtfertigen, obwohl kein Wort das Glück beschreiben könnte, das Sie empfänden, wenn Ihr Sohn aus eigenem Entschluß die Waffen weggeworfen und sich wie der eine oder andere seiner Heimat in den Klüften der Berge versteckt hätte.

Ihre Frau, die Mutter, hätte es vielleicht gekonnt, ihm dabei zu helfen, und wenn sie auch nichts sagt, so lesen Sie doch in ihren Augen oft einen Vorwurf, den sie nicht einmal in Gedanken erhebt, geschweige denn in Worte faßt. So, wie Sie sind, standen Sie ihm im Wege. Bei Ernst Jünger, dessen Geist diesen Brief durchweht, findet man den Bericht von jener Mutter, die mit höchstem Jubel ihre Söhne wieder an sich nahm, obgleich man sie als Verbrecher gerichtet hatte. Das Urteil der Menschen bedeutete ihr nichts vor dem Glück, Ihr eigen Fleisch und Blut wieder zu haben.

Menschen wie wir beide, Jahrgänge aus dem letzten Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende, Menschen also, die dazu bestimmt waren, an zwei Kriegen gegen die Welt teilzunehmen, sollten, bevor sie in die Grube fahren, danach trachten, ihre Rechnung mit dem Himmel zu machen und eine halbwegs plausible Antwort darauf zu finden, was das ist, dem sie zehn Jahre ihres Manneslebens hingegeben haben: der Krieg als Krieg.

Wir wurden nicht als Pazifisten geboren, sprechen wir es ruhig aus. Die höchste Stufe dieser Gesinnung leitet sich von den Worten der Bergpredigt her, aber selbst ein Gottesmann wie Luther hat seine Anhänger in den Krieg geschickt um des Gehorsams willen, den sie der Obrigkeit schuldeten. Nun wissen wir heute eines, daß nämlich diese Obrigkeit, die vielleicht noch im ersten Weltkrieg trotz Wilhelm II. von alten Kräften zehrte, sicherlich Im zweiten Kriege innerlich zersetzt und keines Opfers, keines Gehorsams wert war. Dem sich darauf berufenden Kriegsgegner vermögen wir kaum ein Argument entgegenzusetzen, es sei denn, daß wir nicht glücklich seien in der egoistischen Vereinzelung gegenüber den Millionen unserer Landsleute, die in den Trichter gestoßen und darin zermahlen wurden. Warum sollten wir es besser haben als jene, und wer nähme von unserer Seele je den Zweifel, daß wir uns aus Angst vor der feindlichen Kugel abgesondert hätten?

Daß auf unserer Seite nicht das Recht war, dieses wissen wir nicht erst von der anderen Seite her, unser Herz, unser

Gewissen sagte es uns laut genug, aber der Menschlichkeit der anderen Seite mißtrauen wir aus der gleichen Gewissensschärfe, denn dort sind die Tiger nicht weniger beutegierig als bei uns, und die Rolle des pazifistischen Lammes, das sich auf den Schutz der Tiger verläßt, wollen wir nicht spielen, eine Formel, die wie viele andere dieses Briefes dem Buche von Gerhard Nebel über Ernst Jünger (Marees Verlag, Wuppertal 1949) entnommen ist.

Kurz: die moralische Verurteilung des Krieges als eines Unheils, das von der Bosheit oder der Unvernunft einzelner herbeigerufen wurde, erscheint uns dünn und oberflächlich. Freilich geraten wir dabei in eine Zwickmühle: wenn man von der Freiheit der Menschenseele ausgeht, dann erscheint das Übel als Schuld des Handelnden. Legen wir aber den Nachdruck auf die Notwendigkeit des Geschehens, dann schlägt uns die Einsicht in die Niedertracht all derer zurück, ohne die der Krieg nicht gekommen wäre. Beides sind Vereinfachungen, die der Wahrheit nicht nahekommen. Und so wenig wir das Rätsel des Menschen lösen können, der aus dem Faden der Notwendigkeit und dem Einschlag der Freiheit gewebt ist, können wir das Rätsel des Krieges lösen, der die heftigste und schrecklichste Auswirkung des Menschenwesens ist. Suchen wir nach einem Namen dafür, so könnten wir als Ursache der Kriege den Welt-Geist, den Demi,-urgen, den großen Leviathan nennen und ihn vor der ewigen Wahrheit als einen inferioren Dämon anprangern. Das ergäbe für uns die Pflicht, gegen den Strom zu schwimmen, lieber als Don Quichote unterzugehen, als zu dem Zuhälter jenes Leviathans zu werden. Wenn heute riesige hochgerüstete Massenbürokratien um die Herrschaft der Welt würfeln, so bleibt uns nichts übrig, als die anarchistische Feindschaft gegen den Leviathan.

So könnte man heute die Dinge ansehen, aber es wird einem nicht wohl dabei, und was haben wir alle für eine solche Erkenntnis bezahlen müssen I Die Jugend von 1813 und die Jugend von 1914, unsere eigene Jugend, wußte davon nichts. Und wenn jene Jugend ihr “Schicksal bejahte, dann wäre sie keineswegs den Verneinem von damals und von heute unterlegen. Zwar wurden schon im ersten Weltkrieg die allgemeinen Sinngebungen des Krieges, wie Vaterland, Ehre, Pflicht, zweifelhaft, aber Mut, Tapferkeit, Opfersinn können auch selbst dem Partisanen nicht abgesprochen werden, der heute als weltanschaulich gebundener, fanatisierter Kämpfer an die Stelle des Soldaten getreten ist, wie wir es gewesen sind. Nur die Ritterlichkeit ist dabei draufgegangsn.

Der Welt-Geist, der Demiurg, der große Leviathan ist ein gigantischer Metzger, ein Zerstörer des Glücks, und dennoch bleibt ihm gegenüber das Vaterland in Ehren bestehen, unser Haus, unsere Heimat, und wir alle kämpfen auf verlorenem Posten. Wir müssen danach trachten, daß wir auf dem verlorenen Posten aushalten und das vermögen wir nur, wenn uns ein Höherer dabei hilft.

Es ist keine Schande, wenn man auf einem verlorenen Posten fällt. Man kann gar nichts anderes, als fallen auf einem verlorenen Posten. Und keiner fällt umsonst. Ernst Jünger, der das hier Verneinte einst glühend bejaht hat und dessen Wort darum schwerer wiegt als das eines aufklärerischen Humanisten (auch er hat einen Sohn dahingehen müssen), kommt in einer ähnlichen Lage wie wir am Ende seines Manneslebens nach ähnlichen Erfahrungen wie den unseren zu dem Schluß, daß die Leiden und das Opfer von Generationen eine Buße seien für vergangene Irrtümer, und wenn wir diese Irrtümer benennen wollen, so sei dafür das Wort gewählt: zivilisatorischer Titanismus, rationalistische Selbstüberhebung des Menschen. Jedes irdische Leiden schließt einen transzendenten Gewinn ein, jede Qual, jede Selbstverleugnung, jedes Opfer erleichtert die Schale des Unheils und fügt der Schale des Heils ein Verdienst zu. Daß wir leben können, das heißt, daß wir einen Blick gewinnen in das Dunkel und in die Rätselhaftigkeit menschlichen Daseins, das danken wir den Toten, die in den beiden Kriegen für uns gefallen sind, und auch wir wollen einst auf unserem verlorenen Posten nicht umsonst fallen. Es kann kein Zweifel obwalten darüber, wer uns dabei helfen wird.

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