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Räume mit Charakter

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Im Kirchenbau ist - nach Jahren der Stagnation - wieder etwas in Bewegung geraten. Es gibt wieder bemerkenswerte und qualitätsvol- le Kirchenneubauten. Auffällig ist allerdings der starke Pluralismus dieser Neubauten gerade in Mittel- europa. Die neuen Bauten stellen eine Antwort auf den Wunsch nach „ausdrucksstarken Sakralräumen" dar. Wir haben den Eindruck, daß dieser im evangelischen Bereich nicht so ausgeprägt ist, so daß konfessionelle Unterschiede beim Bauen wieder mehr spürbar wer- den als in den letzten Jahrzehnten, wo katholische und evangelische Kirchenbauten austauschbar schie- nen.

Diese Tendenzen werden in den nächsten Jahren zur Wiederaufnah- me der Diskussion um das Problem des Sakralen zwingen, die in den sechziger und frühen siebziger Jahren lebhaft war, aber dann ver- sandete, ohne daß es zu einer Klä- rung gekommen ist. Auch der Au- tor dieser Zeilen hat sich daran beteiligt, hat sich aber daraus zu- rückgezogen, weil es zu einer baby- lonischen Sprachverwirrung ge- kommen war. Bei Diskussionen konnte man feststellen, daß Archi- tekten und Theologen darunter etwas ganz Verschiedenes verstan- den. Den Architekten, die künstle- rische Sensibilität haben (oder haben sollten), ging es darum, daß Kirchen einen Charakter, eine „Aura" haben. Theologen verstan- den den Begriff entweder im reli- gionsphänomenologischen oder ideenpolitischen Sinn.

Religionsphänomenologen wie zum Beispiel Mircea Eliade oder Gerard van der Leeuw verstehen unter dem Sakralen mit Macht ge- ladene Gegenstände oder Personen, die aus dem Bereich des Profanen ausgegrenzt sind. Das Profane (wörtlich: das „vor dem Tempelbe- zirk Liegende") ist zunächst kein negativer, sondern ein neutraler Begriff. Nun ist zu sagen, daß zwar die Tendenz besteht, das Sakrale aus dem profanen Bereich auszu- sondern, daß aber grundsätzlich alles sakral werden kann: Raum und Zeit, Bau und Gerät, Pflanze und Tier und schließlich auch der Mensch. Gott ist nicht „sakral", sondern heilig („sanctus"); die Dialektik „sakral - profan" gibt es nur im endlichen, geschöpflichen Bereich.

In den sechziger Jahren wurde der Begriff immer häufiger im ideenpolitischen Sinne gebraucht. Unter dem Banner der „Entsakra- lisierung" sammelten sich jene, die auch der „Säkularisierung" positiv gegenüberstanden und sie für ei- nen notwendigen, unumkehrbaren historischen Prozeß hielten. Sie beriefen sich dabei auf Aussagen des Neuen Testaments, aber auch auf evangelische Theologen wie Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer und Friedrich Gogarten. Auch Soziologen wurden häufig zitiert.

Auf der Gegenseite sammelten sich diejenigen, die um die kirchli- che Identität besorgt waren, wobei die Diskussion um das Priesterbild und den (vom Profanen ausgren- zenden) Zölibat eine große Rolle spielt. Ideenpolitische Begriffe sind nicht besonders geeignet zur Wahr- heitsfindung, sie gelten vielmehr als Symbole des eigenen oder geg- nerischen Standpunktes. Die aus- gewogenste Stellungnahme katho- lischer Theologie zum Problem hat Heribert Mühlen gegeben; er hat auf die Gefahren sowohl der „Sa- kralisierung" als auch der „Entsa- kralisierung" hingewiesen und beide Begriffe dadurch relativiert in Abhebung vom allein Absoluten, dem heiligen Gott.

Mit diesen wenigen Hinweisen müssen wir uns begnügen, weil es uns hier um die Problematik des Kirchenbaus geht. In diesem Be- reich hat die Diskussion durch eine verhängnisvolle Verwechslung in eine Sackgasse geführt. Man sah einen Widerspruch zwischen dem sakralen Charakter und der multi- funktionalen Nutzimg von Kirchen. Die einen plädierten für möglichst unspezifische Räume (despektier- lich „Mehrzweckschachteln" ge- nannt) für vielfältige, auch „profa- ne" Nutzung („Tischtennis im Al- tarraum"), die anderen wollten den Sakralraum ausschließlich dem Kult vorbehalten.

Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre entschied sich eine Reihe von Gemeinden, nicht mehr - wie längere Zeit üblich - einen Pfarrsaal und eine eigene Kirche zu bauen, sondern beides zu kombinieren. Es entstanden viel- fach gesichtslose Räume, die heute nur noch wenig befriedigen. Natür- lich hatten Praktiker auch an die Einsparungen gedacht: ein Raum ist billiger als zwei. Sie hatten dabei übersehen, daß die Erfordernisse eines Saales, der auch eine Bühne haben muß, mit denen einer Kirche nur schwer in Einklang zu bringen sind (der Altarraum ist kein Büh- nenraum).

Vor allem aber stellte sich bald heraus, daß solche Räume den äs- thetischen und emotionalen Bedürf- nissen der Menschen nur wenig entsprachen. Auch der Einbau von Schiebewänden, wodurch man Räume vergrößern oder verkleinern kann, ist meist mit erheblichen Einbußen an Raumqualität verbun- den.

Die Geschichte bezeugt, daß cha- raktervolle Räume, die eine Aura haben, keineswegs Multifunktiona- lität ausschließen. Was hat sich im Mittelalter und lange danach nicht alles in Kirchen abgespielt! Das klassische Beispiel dafür ist die Kathedrale. Es geht nicht darum, daß wir ins Mittelalter zurückkeh- ren, vielmehr käme es darauf an, daß wir in unseren Kirchen jene Funktionen zulassen, die für uns heute wichtig sind. Ob eine Ge- meinde in der Nutzung ihrer Kir- che eher großzügig oder engstirnig ist, ist mehr eine psychologische als eine architektonische Frage; aller- dings kann die Architektur sozusa- gen als „Bedingung der Möglich- keit" dazu einen gewichtigen Bei- trag leisten.

Ich möchte auf zwei Beispiele aus dem katholischen Raum hinweisen, von denen das erste eine sehr weit- gehende Nutzung, das zweite eine großzügige, lebendige Gestaltung des Gottesdienstes ermöglicht.

Ottokar Uhl hat für die im Ent- stehen begriffene Karlsruher Vor- stadt Neureut eine sehr ungewöhn- liche katholische Kirche geschaf- fen. Um ihre Gestaltung wurde ein Jahrzehnt hindurchgerungen. Mag sein, daß der Bau wenig dem tradi- tionellen Bild einer Kirche ent- spricht: daß es sich um einen Ge- meinschaftsbau handelt, der einen städtebaulichen Akzent setzt und hohen Qualitätsansprüchen ent- spricht, springt in die Augen. An den niedrigen Kindergarten schließt sich ein vielfältig gegliederter Raum mit drei stufenweise ansteigenden Räumen an. Der Altar ist beweg- lich; daher kann sich die Gemeinde je nach der Zahl der Teilnehmer an verschiedenen Orten im Raum zum Gottesdienst versammeln. Auch andere Nutzungen sind möglich. Für Taufe und Anbetung sind eige- ne Raumteile vorgesehen. Wie der Bau tatsächlich genutzt wird, hängt weitgehend von der Kreativität der Gemeinde ab.

In Linz-Bindermichl hat Helmut Werthgarner einen Bau der fünfzi- ger Jahre in bemerkenswerter Wei- se umgestaltet. Die Kirche hat ei- nen parabelförmigen Grundriß und war nach dreißigjähriger Nutzung renovationsbedürftig; die Chance zu einer gänzlichen Neuordnung wurde wahrgenommen. Das Ziel war die stärkere Einbeziehung der Gemeinde in den liturgischen Voll- zug im Sinne der Reformen des II. Vaticanum. Dabei spielt auch eine Rolle, daß die Gottesdienstgemein- de in den letzten Jahren kleiner geworden ist: umso enger möchte man sich zusammenschließen.

Der Altar ist nun heruntergerückt und die Bänke ziehen sich in an- steigender Formation rings um die ausgesparte Mitte. Im früheren Altarraum befindet sich der Chor; hier wird die Orgel zu stehen kom- men, die sich früher auf einer Empore im rückwärtigen Teil der Kirche befand. Worauf es ankommt: inmitten der Gemeinde ist ein gro- ßer Freiraum entstanden, in dem sich der Gottesdienst entfalten kann. Man muß die Gottesdienste dort erlebt haben, besonders die Kindermessen, wo die Kinder eine Prozession bilden oder ihrer Freu- de mit kindlichen Reigentänzen Ausdruck geben, um zu wissen, welch große Möglichkeiten die neue Anordnung bietet.

Natürlich meine ich nicht, daß nun alle Kirchen so aussehen sollen wie diese beiden. Ich trete für eine offene Kirche ein, in der die Ver- schiedenheit der Gemeinden auch einen pluralen architektonischen Ausdruck findet. Um dies zu ver- wirklichen, brauchen wir kreative Gemeinden und fähige Architek- ten.

Leicht gekürzt aus Heft 1/90 der Zeitschrift „Kunst und Kirche".

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