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Moderner Kirchenbau in der Schweiz

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In unserer Zeit liegt ein Zug zur Vereinfachung, Vereinheitlichung, zum Gegenständlichen. Realitätsbezogen nennen wir diese direkte Kontaktnahme mit dem Kern der Dinge, unter Vermeidung oft vieler Ausdrucksformen, die früher zur selben Mitte geführt haben. Sobald die äußere mit der inneren Realität in unmittelbarem Zusammenhang steht, ist die Aufgabe, die sich daraus für die modernen Berufe ergibt, relativ leftht zu lösen. Sobald aber zwischen äußerer und innerer Realität die ganze Weite einer Weltanschauung, einer Weltauffassung und — eines Gottesbegriffes liegen, ist die Aufgabe nicht mehr nur von einem Standpunkt aus aufzufassen. Sie von den verschiedenen Standpunkten, die sich ergeben, zu lösen, ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Kunst. Sie verlangt von dem, der die Lösung auf sich nimmt, eine geklärte weltanschauliche und künstlerische Meinung.

Der Kirchenerbauer ist vor allem gezwungen, Rücksicht zu nehmen auf die Umgebung, in der die Kirche zu stehen kommt. Gewöhnlich befindet sich der Bau auf der gleichen Bodenhöhe mit den ihn umgebenden Häusern. Erhöhte oder irgendwie von der Umgebung deutlich abgegrenzte Standorte gibt es bei der heutigen Bodenknappheit und den sich in den Schweizer Städten rapid ausbreitenden Wohn- und Industriequartieren kaum mehr, höchstens auf dem Dorf, wo die Kirche dadurch schon äußerlich sichtbar der geistige Mittelpunkt der Siedlung ist. Hier wird man auch andere, dem Landschaftsbild und der dörflichen Bauweise möglichst angepaßte Bauformen und innere Ausgestaltungen finden. Doch ist der dörfliche Kirchenbau ja weitgehend zurückgetreten, weil nur sehr selten mehr eine neue dörfliche Siedlungsgemeinschaft entsteht. Hauptgebiet des modernen Kirchenbaues bleiben also die Stadt und die wachsende Gemeinde. (Dies gilt für Neubauten; Wiederaufbauten zerstörter Kirchen haben nicht die gleichen Voraussetzungen.) Die moderne Kirche muß sich also der Bauweise der sie umgebenden Häuserparzellen anschließen und sich trotzdem sinnfällig von ihnen abheben. Diesem doppelten Zweck glaubt man am besten zu entsprechen, indem man den schon in früheren Jahrhunderten sehr gebräuchlichen zentralen Rundbau mit dem räumlich getrennten, freistehenden Glockenturm sowohl bei protestantischen wie auch bei katholischen Kirchenbauten verwendet. Den Turm an einen kirchlichen Rundbau direkt anzubauen, wird als stilwidrig empfunden. Man betont vielmehr das Richtungweisende des Turmes, indem man ihn als überraschend hohen modernen Campanile frei hinsetzt, während der bevorzugte Rundbau der Kirche die Zentralisierung,, die in sich und um sie herum geschlossene Gemeinschaft der Gläubigen versinnbilden soll. Denn es ist ja keine Versammlung, die sich hier in regelmäßigen Abständen einfindet, es ist eine Gemeinde um einen allen gemeinsamen gleichen inneren Mittelpunkt: die sakrale Handlung.

Diese sakrale Handlung ist bei dem katholischen und protestantischen Bekenntnis verschieden, weshalb auch die inneren räumlichen Anordnungen bei den beiden Kirchentypen voneinander abweichen. In der katholischen Kirche wird diese Anordnung in erster Linie durch die Lage des Altars bestimmt. Auf dem Altar vollzieht sich die liturgische Handlung. Daher muß er zum Mittel- und Ausgangspunkt der ganzen Bauanlage werden. Es gilt also, im modernen Sinn und mit den Mitteln der modernen Architektur eine möglichst vollkommene Beziehung zu dem gottesdienstlichen Hauptstück, dem Altar, herzustellen. Außerdem: „Die drei Hauptteile der . katholischen Kirche, Altarraum, Gemeinderaum und Portal, sinnentsprechend zu gestalten und doch zu einem Ganzen zusammenzuschließen. Das stellt wohl heute ein letztes der zentralen Kir&ien- bauprobleme dar“, äußert sich ein bedeutender katholischer Züricher Architekt, der Erbauer zahlreicher katholischer Kirchen in der Schweiz.

Im protestantischen Gotteshaus ist der Bau primär als kirchlicher Raum aufzufassen. Als Raum hat die protestantische Kirche die beiden Erfordernisse der Sicht und der Hörsamkeit, zu erfüllen. Von jedem Platz aus sollen das dominierende Predigtwort gehört werden, Altarplatz und Kanzel allerdings auch überschaubar sein.

„Sakrale Kunst ist immer engagierte Kunst. Immer im Dienst“, läßt sich eine bedeutsame reichsdeutsche Stimme zur Auffassung der kirchlichen Baukunst vernehmen. Und beruft sich auf die Kommuniondekrete Pius’ X. als einen „entscheidenden Aufruf zur handelnden Teilnahme am Herrenvermächtnis, an der Communio, der Liturgie“. Vom protestantischen schweizerischen Kirchenbau — bekanntlich ist die Schweiz derzeit im modernen Kirchenbau führend — sagt der bekannteste Experte und Züricher Architekt und Erbauer zahlreicher protestantischer Kirchen, daß „es heute keine allgemein gültigen Formen für den Kir- chenbau gibt. Gute Einzellösungen können immer nur aus dem Zusammenwirken starker positiver Kräfte von seiten der Auftraggeber und der Architekten entstehen“.

Mag sein, daß bei diesem Suchen und Ringen um neue Formen, die. so wie die großen Stile der Vergangenheit auch dem religiösen Empfinden unserer Zeit den ihr gemäßen Ausdruck schaffen sollen, nicht immer glückliche und nur selten endgültige Lösungen gefunden wurden. Das ehrliche Wollen — und sehr häufig auch Können — im Schweizer und anderen Kirchenbau von heute ist unverkennbar und ermutigt zu weiteren Taten.

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