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Alles unter einem Dach

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Da ist was los — das ist nicht zu übersehen beim Vorbeifahren in den sonst langweilig leeren Straßen der Siedlung. Aber wenn der Blick auf das Gebäude fällt, um das sich alles dreht, beginnt die Ratlosigkeit: was soll das denn sein?

Gebäude ist schon zuviel gesagt. Das Dach ist so niedrig, daß man es erreichen könnte, das Äußere erscheint zusammengestellt aus verschiedenen Bogen- und Fen-

sterformen: verschiedenartige Holznormfenster, handelsübliche Betonfertigteile, abgehängte blecherne Dachrinnen unter dem Blechdach.

Das ist wie bei Schrebergartenhäusern, doch dafür ist es zu groß, zu gekonnt. Das ist der Maßstab einer Bankfiliale, aber dafür zu anspruchslos, ohne Repräsentation mit Marmor, Kupfer, Aluminiumgüssen. Eher scheint es ein vergrößerter Kiosk zu sein. Vordach und Bogenmotiv erinnern an eine verkleinerte Markthalle.

Für den Kenner einer zeitgenössischen Mode, die Charles Jencks als „postmoderne Architektur“ publik machte, spiegelt sich der dabei maßgebliche Hang zu publikumswirksamen Motiven auch in diesen Gebäuden. Am augenfälligsten in den Bogen, die rundum Offenheit und Aufnahme verkünden.

Es lohnt sich, den Anklängen nachzuspüren, die vom Programm der partizipatorischen Architektur herrühren. Gemeint ist die Forderung nach Räumen, welche die Diskrepanz zwischen starrem Ordnungsgefüge und prozeßhaftem Leben aufzulösen suchen, indem sich die Architektur darauf beschränkt, disponierbare Nutzungsfelder bereitzustellen. Sie sollen offen genug sein, um sich mit heterogenen Formen des Lebens auffüllen zu können. Zweifellos reicht die heute laufende Umwertung von Grundsätzen der Architektur in die Auseinandersetzung um diese Seelsorgebauten unmittelbar herein.

Man kann jedoch diesen kirchlichen Bauten nicht gerecht werden, wenn man nur von der Bauerscheinung und Architekturproblematik, also gleichsam von außen her, eine Bestimmung versucht. Man muß sie von innen her verstehen. Und da zunächst von der Situation her.

Im Hochhaus einer neuen

Wohnsiedlung am Stadtrand lebt ein (noch nicht installierter) Pfarrer jahrelang inmitten der anderen Wohnparteien. Aus den Kontakten entsteht eine kleine Nachbarschaftsgemeinde. Sie hat noch keine Räume. Nur gruppenweise kann man sich in Wohnungen treffen.

Nach Jahren des Drängens und Wartens kommt endlich die Genehmigung für einen kleinen, billigen Bau. Jetzt muß alles sehr rasch gehen. Gibt es etwas auf dem Baumarkt, das schnell verfügbar ist? Gibt es vorgefertigte Saalbauten? Gibt es Architekten und Baumethoden, die mit einfachen Mitteln arbeiten und eine rasche Fertigstellung möglich machen?

Sind da Methoden des Bauens und der Raumeinrichtung, wo die Pfarre mif eigenen Helfern Kosten einsparen kann? Die Verwendung handelsüblicher Bauelemente, die serienweise und preiswert zu haben sind, versteht sich dabei von selbst.

Was braucht man zunächst unbedingt? Die Wünsche der verschiedenen Gemeinden kommen gewöhnlich auf vier Grundforderungen hinaus, die das Raumkonzept bestimmen:

1. Ein großer Raum, wo endlich alle zusammenkommen können, was in den Wohnungen nicht möglich war. Da will man sich treffen, die Gemeindebelange besprechen. Da kommt man zusammen zu Vorträgen und zum Sonntagsgottesdienst.

2. Einige kleinere Räume, die am Beispiel unserer Bauten zum Teil durch Abteilung der niedrigen Raumbereiche rundum bei Bedarf geschaffen werden. Da ist Gruppenarbeit, Kinderunterricht, da ist die Kapelle für Anbetung und für die Abendmesse der kleinen Wochentagsgemeinde, da trifft sich das Seelsorgerteam zu den Besprechungen.

3. Nahe dem Eingang, nicht unweit von Naßgruppe und Garderobe, eine kleine Kaffeeschank mit einigen Sitzgelegenheiten, um das Treffen nach den Großveranstaltungen zu erleichtern: das berühmt gewordene „Pfarrcafe“.

4. Wenn möglich ein Raum, wo die Jugend laut sein kann, zum Spielen, Singen, Malen, Tanzen, Diskutieren, wo man sich bewegen kann, ohne zu stören oder etwas kaputt zu machen. In unse

rem Fall ist das zweimal durch Ausnutzung des Untergeschosses gegeben, nachdem sich beim ersten Bau das jeweilige Ausräumen des Hauptraumes dafür als undurchführbar herausstellte.

Aus der inneren Situation der Gemeinden ist die Entstehung dieser „lustigen Gebäude mit ihrem leuchtend roten Dach“ — Worte einer Frau, die aus ihrer Wohnung im siebenten Stock hinunterschaut auf „ihre Kirche“ — also durchaus verständlich. Und für solche, die zunächst nur über kulturelle Interessen oder Kommunikationsbedürfnis den Kontakt aufnehmen, ist der Bau als das „Kulturdachl“ kein Problem.

Der scharfe Kontrast ergibt sich vielmehr für die, die hier Kirche erwarten bzw. mit alten Vorstellungen von Kirche kommen, und denen die Teilnehmererfahrung an den Vorgängen in diesen Räumen fehlt.

Es sind wohl nicht so sehr neue Vorstellungen von Kirche als Religion, mit denen man sich hier konfrontiert sieht. Das ist der Betrieb, den jede lebendige Pfarre zeitweise zeigt. Herausfordernd ist vielmehr eine andere Vorstellung von Kultur, auf die man hier stößt, im Bau wie im Pfarrleben. Und gelebte Religion ist nun einmal sehr kulturgebunden.

Was vielen hier am Bau der Kirche, an der Errichtung, am Bildungsbetrieb so anstössig erscheint und zu harten Urteilen wie „Kulturrevolution“ führt, ist eine laufende Umwertung in dem so empfindlichen Bereich der Darstellung, deren gewordene ästhetische Normen jetzt von anderen Gestaltungsprinzipien überlagert werden.

Man schätzt nicht die fertigen, auferlegten Formen, sondern die im Lebensprozeß entstehenden Gestaltungen. Also die Gestalten im Sinne der Gestalttherapie. Man schätzt nicht so sehr die Formen, die für Kirche stehen, vielmehr die Äußerungen, in denen kirchliches Leben sich darstellt und zu denen es findet, so wie es tatsächlich sich entfaltet. Die Erfahrung von Kirche wird da wichtiger genommen als die Erkennbarkeit als Kirche. Ob Kirche nicht oft authentischer ist, wenn sie in diesen provisorischen Gestalten erscheint?

Der Autor ist Leiter des Instituts für sakrale Kunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

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