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Eine neue Baugesinnung!

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Ein Bauarbeiter sagte kürzlich, ihm komme vor, daß früher viel mehr auf das gute Zueinanderpassen der Gebäude und Straßen geachtet worden sei. Jetzt hingegen nehme fast niemand mehr Rücksicht auf die Umgebung, daher sähen die Stadtränder und Dörfer wie ausgeschüttete Musterkoffer aus. Leider wissen wenig Leute, daß die nötigen gesetzlichen Grundlagen zur Gesundung unserer Baukültur erst geschaffen werden müssen. Derzeit sind wir zu dem beschämenden Zustand verurteilt, Verunstaltungen machtlös zusehen zu müssen. Immer wieder erhebt sich dann die verwunderte Frage, wieso denn nicht alles zum Besten stehe, da es doch genug Fächschulen sowie bessere Maschinen gebe und auch Bauvorschriften alles reglementieren, was hinsichtlich Sicherheit, Rechtsverhältnisse und Konstruktion zu erwägen sei? Darauf ist zu antworten: Ein ganz Wesentliches wird immer mehr vergessen, nämlich das Schöne, das über alle Zweckmäßigkeit hinausweist, sich aber nicht durch Paragraphen festlegen läßt, sondern sich in einem durch Generationen ausgebildeten Formempfinden ausdrückt. Es offenbart sich in edlen Maßverhältnissen, wie sie in den jeweilig engeren Kulturgebieten verstanden, erfaßt und ausgeprägt werden.

Schauen wir doch einmal üm uns: überall der gleiche schroffe Gegensatz! Da Straßen und Häuser mit freundlichen Gesichtern, die wohltuend einladen, Ruhe und heimatlichen Frieden verbreiten und nirgends Störendes aufweisen, dort verquollene Bauwerke, deren Gesichter mürrisch und verdrossen sind; jedes einzelne ein Mißton zum anderen; nichts Gemeinsames, das sie zu einer Art Familie verbindet; nichts, was in uns das Gefühl des Heimatlichen erklingen läßt. Bestenfalls ist alles an ihnen Zweckmäßigkeit. „Ja, es darf eben nur für den nackten Tagesbedarf gebaut werden, mehr kann mau sich jetzt nicht leisten!“ Solche Meinung ist ein folgenschwerer Irrtum. Wer so spricht, hält das Schöne nur für eine überflüssige Zutat, die mehr kostet als das Gewöhnliche und Primitive. Diesen Menschen hat eben niemand gezeigt, daß oft gerade die bescheidensten Bauwerke Zeugnis von vollendeter Formbeherrschung geben und nichts an Hinzugefügtem aufweisen.

Wenn allerdings die Natur bloß nach Kilowattstunden und Berg-Erträgen bemessen wird, dann kann auch die Gleichgültigkeit nicht mehr angeprangert werden, mit der die bauliche Verunstaltung des Heimatraumes widerspruchslos hingenommen wird. Ist es nicht beschämend, daß nur noch in Fremdenverkehrsgebieten — und nur aus Geschäftsrücksichten — auf vernünftige Bauentwicklung geachtet wird? Sind es wirklich nur die Fremden, bei denen die Störung des Einklanges zwischen Menschenwerk und Natur schmerzliches Bedauern hervorruft? Nein! Hier geht es doch vorerst um uns, um das ganze Volk, welches kostbare Kulturwerke ererbt hat, diese zur eigenen Freude bereichert hat und deshalb auch als Ganzes von deren sträflichen Vernachlässigung betroffen wird. Es geht ja gar nicht mehr darum, was der einzelne als schön empfindet. Die wirklich entscheidende Frage ist, ob unserer Generation das Schöne überhaupt noch eine Lebensnotwendigkeit bedeutet. Oft hört man in modernistischen Schlagworten: das Schöne sei tot, unwirksam und daher uninteressant! Aber bricht nicht deutlich aus solcher Leugnung die dumpfe Ablehnung gegen etwas auf, dem man nicht gewachsen ist? In Wirklichkeit war zu allen Zeiten der Begriff des Schönen mit der Ordnung, dem Wohlgeformten und dem Gesunden verbunden, hingegen das Häßliche mit dem Chaos, der Verwahrlosung und dem Krankhaften. Nur zu oft begegnen wir einer gefährlichen Zusammenstellung, die nur technische Geschicklichkeit und verkümmertes Seelenleben vereint. Um so mehr erweist sich unser Streben nach Schönheit im Bauen als eine Ordnungsmacht, die gerade in Notzeiten von unschätzbarer Bedeutung ist.

Bei den herrschenden Zeitverhältnissen verdienen die Leistungen vieler Bauschaffender sicherlich hohe Anerkennung. Wer aber tiefer schaut, merkt den Verlust jener feinen Nuancen, die ein Bauwerk als zu einem ganz bestimmten Baukulturgebiet gehörig kennzeichnen. Auf diese Feinheiten macht das Wissensgut der Baukultur aufmerksam. Die darauf gründende „Bau1 eratung“ wird aber oftmals als .Beschränkung der demokrati schen Freiheit“ des Bauherrn angesehen. So sind die Ursachen des Rückganges unserer Gestaltungseigenheiten gar nicht stilistisch, sondern durch Veränderungen in der Gesellschaftsordnung bedingt. Eine der Hauptursachen ist der Umstand, daß wir nicht mehr die architektonisch hochgebildeten Auftraggeber der früheren Jahrhunderte vor uns haben. Der äußere Zusammenbruch der großen Weltkriege offenbart sich auch in einem bedenklichen Verlust des Kunst- und Form-empfindens; besonders auffallend ist dies bei einigen Großbauprojekten der letzten Zeit. Verantwortungsgefühl und Sinn für. das Angemessene werden seltener: vor allem bemerken wir eine gedankenlose Durcheinanderwürfelung der Baueigenheiten von Stadt und Land. Der Dorfbewohner borgt sidi für seine Bauten städtische Motive und verletzt damit den Maßstab seiner Umgebung. Umgekehrt strebt der Städter romantisch-sentimental nach der „Villa im Gebirgsstil“ mit Bauernstuben und künstlicher Urwüchsigkeit. Diese Verwechslung ländlicher Bauerntümlichkeit mit städtischen Baueigenheiten würde unmöglich sein, besäße der Städter noch die geschlossene und ansprechende Formensprache des Bauern von einst.

Aber auch ein überspitzter Eigentumsbegriff macht es fast unmöglich, eine harmonische Parzellierung oder einen Dorfbebauungsplan in der Praxis richtig durchzusetzen. Eigentum wird nur vereinzelt als Treuhandauftrag der Gemeinschaft angesehen, in der Mehrzahl aber gilt es eher als private Beute. So können heute, obwohl es dauernd verlangt wird, nur sehr schwer bauliche Minderwertigkeiten verhindert werden, weil in den Baugesetzen die Rücksicht auf ein höheres Ganzes kaum berücksichtigt ist, besonders aber jene Belange vergessen worden sind, die über das rein Technisch-Konstruktive hinausragen. Enthält doch zum Beispiel die Salzburger Bauordnung die Worte: „Die der Straße zugekehrte Fassade darf den Anforderungen des guten Geschmacks nicht geradezu widersprechen!“ Wo liegt nun bei einer derartigen Formulierung die Grenze, bei welcher dem Geschmack „nicht geradezu widersprochen wird“, und wer gewährleistet den höheren Rang der Bau kunst Verständigkeit gegenüber der Bau s a ch Verständigkeit? Dieses auch behördlich ungelöste Problem entscheidet; aber gerade über Sein oder Nichtseineiner neuen Baugesinnung. Zu allem Unglück wurde nach dem Kriege der Bezirkshauptmannschaft die Baupolizei-' befugnis entzogen und den Dorfbürger-' meistern überlassen. Dieser Schritt ist in seiner ganzen Tragweite wohl kaum je richtig erwogen worden! Deshalb müssen; alle heimatverbundenen Kräfte auf-, gerufen werden, um der weiter fort-, schreitenden Verunstaltung unserer Heimat entgegenzutreten. Ich persönlich er-i blicke die Gefahr nicht so. sehr in einem einzelnen schlecht gestalteten Hause,sondern vielmehr darin, daß durch die Vielzahl mittelmäßiger Häuser das Gefühl für den Unterschied zwischen gutem , und schlechtem Bauen abgestumpft wird. ,

Noch einmal sei gesagt, worum es geht: T Die Bauindustrie sucht möglichst Massen- ; Produktion, bei der das Praktische, Bil- * lige und Neue in den Vordergrund ge- i stellt wird: ihre Tendenz ist das Quantitative. Der Baukunst geht es in jeder 1 Zeitperiode um unveränderlich gültige Werte, um ererbte Vorstellungen von .. Schön und Häßlich, um das Bewährte, 1 also um Veranschaulichung des Qualita- . tiven: um den tieferen Lebensinhalt. Der Dichter sagt von der Baukunst, sie habe „alle Unordnung und Gemeinheit aus dem Auge zu schaffen und dem Adel der Seele eine Heimat zu errichten“.

Uberall herrscht noch ein ungewisser Drang nach Frei-sein-wollen von allem, was Gesetz, Zucht, freiwillige Einordnung und Sitte heischen. Wie könnte bei solchen Gefährdungen, die sich auf so vielen Gebieten drastisch zeigen, nun gerade vor der Baugestaltung erwartet werden, daß s i e etwas anderes als diese charakterlichen Zustände widerspiegle! Lebt eine Generation sauber, schlicht und trotz aller Armut harmonisch, dann wird dies im Baustil dieser Zeit aufscheinen. Ist hingegen eine Generation unstet, unsicher und ohne rechten Zusammenhalt, dann werden eben ihre Städte und Dörfer analoge Symptome offenbaren. Die Entscheidung über gutes oder schlechtes Bauen liegt also letztlich auf einer geistigen Ebene.

Unsere neue Baugesinnung weiß um diese Zusammenhänge. Es wäre verfrüht, schon von einem neuen Baustil sprechen zu wollen, denn Stil ist Ausdruck der geschlossenen geistigen Haltung einer ganzen Epoche. Wir besitzen diese Haltung nicht mehr, aber wir wissen um das Ziel, auf welches unser Streben gerichtet sein muß. Eine neue Baugesinnung stellt nicht nur eine künstlerische, sondern zugleich auch eine politische Kraft dar. Sie setzt Ideale und Richtungen, sie führt zur freiwilligen Anerkennung von Recht und Maß, zu eigenständiger Form und Schönheit. Fernab von erstarrtem Konservieren früherer Stilformen, geht die Wiedergesundung nicht über verstandesmäßig Erfaßbares, sondern über gefühlsmäßig Erlebbares: Darin liegt das Geheimnis ihrer Eindringlichkeit.

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