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Mehr Stil in Stadt und Land

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Dieser Artikel erschien am 27. August 1949. Dr. Jörg Mauthe, damals noch unser junger, begabter und vielseitiger Kunstkritiker, der inzwischen beim. Rundfunk und Fernsehen seinen Weg gemacht hat, kritisiert hier scharf das Durcheinander der Baustile in Stadt und Land. Die Entwicklung hat seine Befürchtungen bestätigt, in Wien: übertroffen.

Zu den neuen Wortprägungen unserer Zeit gehört der Ausdruck „Stadtlandschaft“; er verrät deutlich, daß wir in dem steinernen Gefüge der Städte und in den von bäuerlicher Besiedlung geprägten Landschaftsbildern die gleichen Wachstums- und Formgesetzlichkeiten wirksam sehen. Wir verschmelzen also an sich getrennte Begriffe — genauso wie der moderne Städtebauer stets dlie Tendenz zeigt, Stadt und Landschaft innig zu verbinden, eines in das andere einzufügen.

Nun sind aber große, meist um die Jahrhundertwende erbaute Bezirke unserer Großstädte sicherlich keine „Stadtlandschaften“, sondern viel eher Stadttoüsten — steinerne ödfelder, in denen auf vielen Quadratkilometern nicht ein einziger Baum wächst und neben den Schulen nußende Fabrikschlote stehen: chaotische Baukonglomerate, denen jede Gesetzlichkeit fehlt, ödstätten der schrankenlosen Willkür und baumeisterlichen Rücksichtslosigkeit. Solche Stadtbezirke wachsen nicht; sie wuchern bloß und verderben selbst die angrenzenden natürlichen Landschaften, wie man dies an allen Stadträndern eindringlich genug studieren kann: da entstehen aus „wilden“ Schrebergärten regellose Siedlungsanlagen, später vielleicht auch völlig ungeordnete Villenkolonien.

Die Stadt hat in den Gründerjahren des 19. Jahrhunderts diese Willkür des Bauens und die Verachtung der ordnenden Planung gezüchtet. Das Land, das zu jeder Zeit von den Vorgängen in den Städten mehr ergriffen wurde, als man glauben möchte, ist ihnen auch darin gefolgt; die Entwicklung ging zu rasch vor sich, als daß es schädliche Einflüsse bedächtig wie vordem hätte neutralisieren können. Die fortschreitende Industrialisierung tat ein übriges. Heute konstatieren wir mit Entsetzen, daß alte Ortsbilder durch die Nachahmung der städtischen Unsitten für immer vernichtet oder daß die Ufer unserer schönsten Seen — ein Beispiel für viele — bis auf den letzten Quadratmeter von stillosen Wochenendhäusern besetzt worden sind.

Solche Vorgänge haben ihre tieferen Wirkungen; der Handwerker aus dem Dorf, der bäuerliche Baumeister oder Auftraggeber, der die Pfuschereien städtischer Bauwillkür imitiert, wird niemals mehr seinem heimatlichen Landstrich geben können, was ihm zusteht und guttut. Ohne Übertreibung wird man sagen dürfen, daß solche Erscheinungen die Landflucht und Landentfremdung gefördert haben.

Die fortschreitende Verwüstung der Städte, die Verderbung der Landschaft rief verhältnismäßig früh Widerstände hervor. Bemerkenswert, daß museale Institutionen, Kunsthistoriker und Naturkundler als erste die drohenden Gefahren erkannten und sehr bald Abwehrmaßnahmen vorschlugen: Bewahrung des Überkommenen, Schutz vor unkontrollierbaren Neuerungen.

Vielfach sind die musealen Kräfte auch heute noch notwendig; sie werden auch nicht mehr zu entbehren sein. Doch kann es mit ihnen sein Bewenden nicht haben. Es ist unmöglich, ganze Landstriche auf die Dauer mit einem Tabu zu belegen, sie vor jeder Berührung und Veränderung zu bewahren. Aus einer Stadt kann man schwerlich ein riesenhaftes Museum, aus den Provinzen nicht einen einzigen Naturschutzpark machen. Technik, Verkehr und soziale Umschichtungen verlangen ihr Recht. An die Seite der erhaltenden muß über kurz oder lang die neuschaffende Landschafts- und Stadtbaukunst treten, die ja beide, wie schon gesagt, heute ähnlichen Gesetzen Untertan sind.

Ohne festgelegten Plan, ohne lange durchdachte Planung sind sie freilich undenkbar. Mehr noch, es bedarf gewissermaßen einer neuen Kompositionslehre, die es erlaubt, ganze Länder und Städte zu ordnen, so wie der Maler ein Bild komponiert. Ästhetische, soziale, technische und hundert andere Bedingungen sind zu erfüllen; das Alte soll geschont, der Gegenwart ihr Recht gelassen und die Anforderungen der Zukunft heute schon berücksichtigt werden. Wahrhaftig — gegen Aufgaben solchen Umfangs erscheinen die Städteplanungen des Barocks, die Gartenkünste des vergangenen Jahrhunderts als kleine Vorversuche!

Man kann daraus ersehen, welche Bedeutung einer so verstandenen Großplanung zukommen würde. Zum ersten Male ergibt sich hier die Möglichkeit eines unmittelbaren Zusammenwirkens bisher getrennt arbeitender, hochspezialisierter Wissens- und Arbeitszweige. Technik und Volkstumspflege, Wirtschaftswissenschaft und Denkmalämter müßten sich hier zur Lösung unschätzbar wichtiger Aufgaben treffen; sie könnten Gemeinschaftsleistungen schaffen, die nicht einmal mehr mit dem weitgefaßten Begriff „Gesamtkunstwerk“ zu umschreiben wären.

Schrankenlose Bauwillkür oder großzügige Planung — dies ist heute kaum mehr eine Frage. Zu fragen ist hingegen, ob derartige Projektierungen, wenigstens, was die Verhältnisse im eigenen Land betrifft, Utopie bleiben müßten. Nun, und das ist überraschend genug, utopisch ist all das schon längst nicht mehr. Gerade in Österreich sind alle Voraussetzungen für die Aufstellung und Durchführung umfangreicher Planungen gegeben. Sie benötigen weder einen großen bürokratischen Apparat noch die Gründung neuer Organisationen, vielleicht nicht einmal eine neue Rubrik in den Budgetbüchern des Staates. Denn alle notwendigen Einrichtungen sind vorhanden und leisten seit vielen Jahren, freilich jede für sich allein, wertvollste Arbeit. In jedem Bundesland gibt es Landesbaudirek-toren, Volkstumspflegestellen, Denkmalämter und Ingenieurkammern, die heute schon von Fall zu Fall miteinander zu arbeiten gewöhnt sind. Es fehlt längst nicht mehr an grundlegenden Voruntersuchungen, und es mangelt in Österreich nicht einmal an den gesetzlichen Grundlagen, die eine Planung größeren Maßstabes erst ermöglichen.

Wessen es noch bedarf? Lediglich der Koordinierung der vorhandenen Kräfte, nur noch der öffentlichen Anteilnahme an Dingen, die schließlich jeden einzelnen betreffen. Beides wird nicht leicht zu erreichen sein; aber es sind Bestrebungen im Gange, um diesa Ziele zu erreichen.

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