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Sterbende Schönheit

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Jedem Reisenden, besonders dem fremden Gast und Urlauber, der die bauliche Beschaffenheit des Reiselandes mit erwartungsfreudigem Sinn aufnimmt, ist eines leicht nachzufühlen: daß ihn bauliche Formengegensätze ästhetisch verletzen müssen, die sich durch unmittelbares Nebeneinanderstehen von althergebrachtem, stilvollem Bauwerk einerseits ünd nüchtern sachlichen Zweckbauten unserer Zeit andererseits ergeben. In solchen Orten aber, wo sich zwischen diesen beiden extremen Bauformen Häuser aus der Zeit der Jahrhundertwende als Bindeglieder einschoben, sind die Ortsbilder meist nicht erfreulich in der geschmacklichen Wirkung, weil jene Häuser oft in ihrem verkrampften Stilmischmasch wie in der Formierung der Dächer oder Mansarden weder zu Alt noch zu Neu passen.

Es dürfte wöhl schon überall als selbstverständlich gelten, daß es den Fremden besonders dort gefällt, wo sich altüberliefertes Bauwerk organisch wie aus dem Boden gewachsen im Rahmen iguterhal- tener Landschaftsnatur dem Auge darbietet. Und diese glückliche Baubeschaffenheit finden wir in den bedeutendsten Fremdenorten vor allem dort, wo einsichtsvolle Ortsvorsteher und Bauherren beizeiten erkannten, daß die Bedürfnisse des modernen Menschen nach technisch fortschrittlichem Komfort und sanitären Errungenschaften keineswegs die Wahrung und Weiterpflege altüberlieferter Bauformen ausschließen. Viele gewitzigte Hoteliers und Gaststättenbesitzer bemühten sich in dieser Erkenntnis, bei Neuoder Zubauten sowohl in der äußerten Baüform als in der Ausführung der Inneneinrichtung den herkömmlichen Landesbaucharakter besonders zur Geltung zu bringen. Ist doch die daraus entspringende Atmosphäre das Ureigenste, Anheimelndste jedes Landes, des Gastes größte Fteüdenquelle ünd Anreiz Zur Wiederkehr.

Solche Bauaufgaben mit taktvoller Einfühlung in die gegebenen Ortsbilder geschickt lösen zu können, ist nicht nur Sache der Architekten, sondern bedarf aüch verständig planvoller Mitwirkung der Ortsbürgermeister ünd überdies der Beratung durch die Landesbauämter. Wie freut es den Fremdeh, ünd wie hebt tes das Absehen des Ortes, wo es obigen Instanzen gelingt, derartige Zweckbauten wie Autogaragen, Spitäler, Schulen oder auch Siedlungen baulich den älten Ortsbildern so änzüfügen, daß sie nicht zu gewaltsam Und störend ifn Gesamtbilde wirken. Der Begriff der Landschaftsgestaltung ist also nicht nur aus dem gesunden Verlangen geboren, gediegene heimatliche Schön- heitswerte zu wahren, er ist darüber hinaus für Viele Orte tim so wirtschaftswichtiger, je mehr sie vom Fremdenverkehr leben.

Üm so schmerzlicher wird daher der Urlauber berührt, wenn er sich in seinem Reiseland Österreich diesbezüglich vor die „Augen" gestoßen fühlt. Man braucht nur nach einer Zeitspanne von etwa zehn Jahren wieder nach Salzburg kommen, um vielfach einen Wandel in den Ortsbildern zu erkennen, der den für die Planung der Orte zuständigen Leuten keinen Nachruf einbringen wird. Hat man doch sogar beim Besuch der Landeshauptstadt den Eindruck, daß die durch den gewaltigen Menschenzuzug gesteigerte Bautätigkeit den Stadtplanern längst über den Kopf gewachsen und ihnen in der Fülle dfer Ein- zelbauten der Sinn für das große Gesamtbild, die Geherälplänung, verlustig ge- gätigfeh sei. So auffällig ist der „Bruch" im Städtbilde, daß man es schön vom ein fachsten Mann der Straße oft hört: „Salzburg ist nicht mehr das, was es war —

Wer heute vom Schatten der Festung herab seine Blicke über Enge und Weite der Stadt gleiten läßt, wird bedauernd feststellen, daß der bauliche Zuwachs dem Stadtbilde desto abträglicher, störender wird, je weiter er sich vom Stadtkerne zum Rande ausbreitet, je jünger er also ist. Seien es nun dem Lokalstil fremde, selbstherrliche Wohnvillen vermögender privater Bauherren, Seien es solche nützliche Zweckbauten, die den für jede moderne Stadt unentbehrlichen Allgemeinaufgaben dienen. So fragt sich der Betrachter beim Anblick des an der Salzach neuerrichteten Unfallkrankenhauses, ob es den zuständigen Behörden wirklich nicht möglich war, den Bau des sozial wichtigen Hauses an anderer Lage zu fördern? Ės ist begreiflich, daß ein Villenbesitzer, dem der nach modernsten Richtlinien gebaute Krankenhausriese mit den weit zur Sonne geöffneten Baikonen vor die Nase gesetzt wurde, sich geschädigt fühlt und deshalb prozessiert. Aber wurden nicht andererseits zahlreichen privaten Bauherren längst schon landschaftsstörende Bauweisen bewilligt? Man gehe nur von Schloß Leopoldskron in der Allee Richtung Mönchsberg. Das ehrwürdige Bild der historischen Festung Hohensalz-

burg bekrönt die Landschaft in einmaliger Art. Dieses Bild ungestört zu erhalten, wäre eine große kulturelle Aufgabe und Leistung gewesen. Doch gelang es schon mehreren Leuten, hier am Fuße des bewaldeten Mönchsberges, genau unter der Festung, ihre Villen, besser gesagt Kitschbauten, zu errichten. Wer, um die Kehrseite der Medaille kennenzulernen, sich nach dem Vororte Maxglan verirrt, wird mit wachsender Bedrücktheit zwischen Magazinen, Kasernen, Garagen, Zäunen und Notbaracken vorbeieilen. Hier hat eine gnadenlose Zeit dem Gesidit Salzburgs häßliche Züge aufgedrängt, hier kommt dem Freunde Salzburgs der Jammer mangelhafter Bauleistung unserer Zeit besonders kraß zum Bewußtsein.

Der Liebhaber muß leidet bemerken, daß auch das Land Salzburg in einen Sich abträglich auswirkenden Uftiwahd- lüngspfözeß geriet. Det Betönbäustdff, dem für Industrie Uhd technische Baüteh zweifellos größte Bedeutung zukómmt, ist daran, nunmehr die ländlich hölzerne Schönheit zu überwältigen, zü verstädtern. Vielerorts melkt man das Verschwinden heimischer hölzerner Dachschindel voh den malerischen Bäüern- häüsern. Der Betonziegel deckt immer mehr Häuser zu. Doch weit vferderblicheť wirkt sich die überaus rege, aber für das Gesamtbild oft unzulänglich geplante Bautätigkeit aus. Von schier zu kraß wirkenden Stadtbild- und landschaftsstörenden Bäuergebhissen erkennen wir, daß die amtsübliche Überprüfung der Einzelbauten zwar eine gewisse Norm sichert, indessen noch keineswegs eine sinnbefriedigende Lösung des Orlsbildes verbürgt, wehn nicht zugleich die grundwichtige Gesamtordnung der rapid wachsenden Orte gewissenhaft vorgeplant wird.

Nur ein Beispiel: Radstadt. Diese uralte Stadt wäre bei entsprechender Planung zu elhem besonderen Schatzkästchen Salzburgs geworden. Ihre sehr günstige natürliche Lage und die einigermaßen glückliche Erhaltung der Hauptstraßen wie des Hauptplatees, nicht zuletzt aber der alten Stadtmauern mit den wundervoll rustikal geinauerten Ecktürmen, das alles sind Gütpünkte für einen Fremdenort. Dem Orte wurden ferst in unserem Jahrhundfert landschäftsfremde Bauwerke eingeleibt,

die teilweise die alten Stadtmauern zerreißen und störend überragen. Nun sollte man meinen, daß die Sünden der Väter unseren Zeitgenossen bewußt seien und diese um so mehr bestrebt seien, das bestehende Gut zu pflegen. Radstadts Türme stehen unter Denkmalschutz, befinden sich jedoch in Privatbesitz. Nicht jeder Besitzer hat das Gefühl für die richtige Instandhaltung eines solchen Bauwerkes. Einer der drei Türme ist baulich gut erhalten und eine vielbewunderte Zierde der Stadt. Dem zweiten wurde in genialer Weise vor Jahrhunderten eine Karthause angebaut, und diese Baugruppe ist eigentlich durch die gelungene Einbeziehung des Turmes das Schönste äh Radstadt bis heute gteblieben. Dem dritten Turm wurde jüngst vom Besitzer übel mitgespielt, die Verwitterungslöcher des natursteinge- mauertfeh Turmes wüiden unsachgemäß mit gebrannten Rotziegelsteinen ausgeflickt, seine Basis am Stadtteich gewaltsam ausgebrochen, ein riesiges Loch klafft im Bauwerk Uhd soll zü einem Tor um- geförmt werden, weil der Besitzer den historischen Turm für eine Autogarage ausbauen will. Freilich hat er sich „zur Sührie" erbötig gemacht, den Durchbruch mit einer — Trauerweide zu kaschieren ...

Um wieviel besser haben die Urahnen geplant, als sie die herrliche Lärchenallee pflanzten, die heute die alten Mauern hinter Radstadt kirchenturmhoch begleitet. Diese Promenade auf der Stadtnordseite fähde gariz natürlich ihre organische Fortsetzung in einefn voh lieblichen Wasserläufen durchzogenen Wiesengebiet, das den Blick auf Radstadts schönste Seite freiläßt. Und just dort hakt wieder der Ühverstand ein, heißt aus dem Gelände Bauparzellen heraus und ist dabei, vor Radstadts Mauern einen Haufen kleiner Wohnhäuschen zü erbauen. Der Unfug zu kleiner Parzellierung läßt als Ergebnis Hiir fein „Salzburgisches Hütteldorf“ erwarten. Ein Manh, der sich dort hebst anderen seih Häustel in děr Freizteit baut, erklärt mir, daß seih Bauplan vom Landesbauamte genehmigt sei, weil ja landschaftsrichtig gebaut würde. Auf hifeihfe Fragfe, welcher Architekt oder Baumeister den Entwurf seines Häuschehs geliefert habe, vertraut er niir verschmitzt lächelnd äh, daß aus Erspärungsgründeri ein Maurerlehrling der PÍahUrheber sei.

Man kann gerechterweise nicht voň allen Ortsvorstebern jene Speziellen Kentnissě erwarten, die zur harmonischen Entwicklung ihrer Ortsbilder nötig sind. Aber gerade, weil diese geistige Schau, eine Synthese aus Landschaftsbiologie, Siedlungskunde und Baukunst so mangelt, muß rriän äuf die argen Folgen hinweisfen. Wir möchten unser Recht auf das schön- heitliche Erbgut der Ahnen schützen und der hteränwachseriden Generation gut heimatlich bindende Lebensraüine sichern. Hinweise äüf häufig vorhandene Fehler in den Nachbarländern wären bequem, sind aber nicht stichhältig. Das im Vergleich zu unserem Alpenlande an Naturschönheit ärmere Deutschland hatte eben darum weniger als wir zu vertieren. Dennoch erständen ihm längst Idealisten, LändSchäftsähwälte wie Paul Schultz e- Naumburg und Alwin Seifert. Österreichs Landschaft ruft immer dringender nach ähnlichen Anwälten ihrer Schönheit.

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