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Hast du vom Hochhaus die Stadt dir rings besehn...

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In der Zeit der „Demolierungswut“ vor dem ersten Weltkrieg trat der bekannte, erst kürzlich verstorbene Universitätsprofessor Dr. Hugo Hassinger in einer Broschüre gegen die Zerstörung vor allem der Altstadt Wiens auf und stellte folgende Forderungen: Errichtung eines Denkmalkatasters, Revision der Bauordnung des Bebauungs- und Regulierungsplanes auf Grund dieses Katasters, Schaffung eines Ortsgesetzes gegen die Verunstaltung des Ortsbildes durch Reklame, Ankauf und Erhaltung wertvoller Objekte durch die Gemeinde; Steuerermäßigungen und Subventionen bei Renovierungen, Ausschreibung von künstlerischen Wettbewerben für die Herstellung geschlossener Straßen- und Stadtbilder, vor allem die Anlage einer „Unter-grundbah n“, die allein imstande wäre, den Verkehr durch die Altstadt zu regeln und diese vor weiterer Zerstörung zu bewahren, schließlich die allmähliche Verlegung des Geschäftsviertels.

Hassinger trat auch der weitverbreiteten Ansicht entgegen, daß alles schon damit getan sei, wenn das eine oder andere historische Gebäude wie ein „erratischer Block“ e.halten bleibt: Es sei jedoch nicht erforderlich, daß das künstlerische Stadtbild hohe Kunst sei: auch das Kleinste im Straßenbilde, ganz unscheinbare Häuser, Tore, Schilder u. dgl., vermag künstlerischen Wert in sich zu tragen, wo es Ergebnis eines notwendig gewordenen Ganzen ist. Wien ist ohnedies bereits sehr arm an geschlossenen Platz- und Stadtbildern, man kann sie an den Fingern abzählen. Ein Grund mehr, die noch vorhandenen mit allen Mitteln zu pflegen und zu hegen. Das Alte lieben heißtnicht gegen den Fortschritt s e i n. Daß es städtebauliche Lösungen gibt, die sowohl dem Verkehr als auch dem Denkmalschutz Rechnung tragen, das beweisen z. B. die Neugestaltung des Schwarzenbergpalais längs der Prinz-Eugen-Straße und die Schaffung des Durchganges zum Josefsplatz im Zuge der Reitschulgasse.

Der erste Weltkrieg schlug der Stadt neue Wunden. Die Brennstoffnot führte zu Schlägerungen im Wienerwald (Satzberg), aus Nahrungssorgen erwuchsen die wilden Siedlungen im Wienerwald, im Prater, Lainzer Tiergarten, woraus ein Problem wurde, das wir bis heute nicht gemeistert haben. Ein schwerer Mißgriff war die Errichtung des Stadions im Prater, wodurch der letzt' Rest des Augebietes, um das Tins jede Großstadt beneidet, aufs äußerste gefährdet erscheint. Das Stadion hätte man viel richtiger im Gebiete von Bretteldorf und Bruckhaufen errichten sollen, wo ein ganzer Sportbezirk hätte erstehen können; damit wäre zweierlei erreicht worden: einmal die Sanierung eines Geländes städtebaulicher Unkultur durch Neuanlagen von Grünflächen und dann die Schonung des Prateraugebietes, das bereits durch die Donauregulierung und die Anlagen der Weltausstellung viel von seinem Charakter verloren hat.

Die Wohnbautätigkeit der Gemeinde Wien nach 1918 hat neben manchen vorbildlichen Lösungen — wie der Gartenstadt Tivoli — das Stadtbild insoferne ungünstig beeinflußt, als sie viel zu hohe und massige Wohnblocks in mehr ländlichen Gegenden, wie Kaisermühlen, Laaer-berg usw., errichtete, statt die Bauweise gegen die Peripherie zu mehr aufzulockern.

Durch die Zerstörungen der Bombenangriffe des zweiten Weltkrieges wurde Wien,vor gewaltige städtebauliche Aufgaben gestellt, die das, Antlitz unserer Stadt für viele Jahrzehnte beeinflussen werden. Es wäre daher sicherlich notwendig gewesen, den Wiederaufbau Wiens den besten Kräften anzuvertrauen und jede Spekulation, alle egoistischen und politischen Tendenzen auszuschalten.

Gewiß: es wurde einiges geleistet. Insbesondere die Wiederherstellung der großen Ring-straöcnbauten ist ein Ruhmesblatt für die Bundesgebäudeverwältung. Die Ringstraße im ganzen aber, einst ein einheitliches Gebilde, ist heute ein Torso.

Der Heinrichshof wäre mit den heutigen Mitteln der Technik zu retten gewesen, wenn man gewollt hätte. Was immer auch an seine Stelle kommen mag, es wird nicht besser sein. Außerdem hat man ohne Notwendigkeit verschiedene Ringstraßenhäuser durch Abschlagen der Gesimse unsachgemäß „modernisiert“ und den Charakter der Straße dadurch stark verändert. Man sieht erst nach der Umgestaltung, daß der „Ringstraßenstü“ doch ein Stil ist. — Die Reste der Privatbauten der Ringstraße müßten unter Denkmalschutz gestellt werden.

Auch vom Carltheater, einem der wenigen bemerkenswerten Bauten der sonst so unschönen Praterstraße, wäre wenigstens die Fassade der Erhaltung wert gewesen. Auch hier mußten Verkehrsprobleme herhalten.

Der Bau des Städtischen Museums neben der Karlskirche hat leider schon begonnen. Nach den Projekten kann heute schon gesagt werden, daß das Problem „Karlsplatz“, das nicht einmal Otto Wagner meistern konnte, nicht gelöst werden wird. Ueberdies hat man die letzte noch vorhandene Glacisfläche verbaut.

Die Chance, 3ie Ostseite des Stephansplatzes neu sii gestalten, hat irian offenbar versäumt. Es ist ein schwacher Trost, hören zu müssen: „Es hätte noch schlechter werden können.“

Auch die einmalige Gelegenheit, den Steilrand zum Donaukanal auszugestalten, will man offenbar nicht nützen. Aus der romantischen Fischer stiege hat man eine langweilige Straße gemacht, ohne nur den leisesten Versuch zu machen, diesem ältesten Stadtteil wenigstens durch eine Fassadengestaltung etwas von seinem mittelalterlichen Gepräge zu lassen. In vielen Städten Deutschlands und Polens hat man alte Stadtplätze kopientreu wiederhergestellt; in Frankfurt am Main das vollständig zerbomte Goethe-Haus, in Nürnberg das Dürers wiederaufgebaut. Wollen wir uns durch Polen beschämen lassen, das die Fassaden der Warschauer Altstadt Stare Miasto aus Schutt Und Trümmern rekonstruierte? Bei uns kann man sich nicht einmal zur Wiederherstellung des kleinen Krones-Häuserls in Heiligenstadt entschließen.

Der reizende Ausblick auf den einzigen Wohnturm Wiens in der Griechengasse wird auch wieder verbaut, und es ist nur zu hoffen, daß wenigstens das Gebiet um die Ruprechtskirche städtebaulich befriedigend ausfallen wird.

Die projektierte Errichtung eines Bürohauses auf dem Ballhausplatz birgt für diesen schönen, stillen Platz, einen der wenigen, die wir noch haben, die schwersten Gefahren.

Wir haben seit kurzem auch ein richtiges Hochhaus. Betrachtet man von den umliegenden Höhen unser unvergleichliches, schönes Stadtbild, das schon durch die ungefügen Flaktürme seTir gelitten hat, so muß man sagen, daß eine weitere Errichtung von Wolkenkratzern das Stadtbild „verschandeln“ wird. Besonders bedenklich erscheint der projektierte Hochhausbau auf den Gründen des Palais Pälffy am Josefsplatz. Ueberdies besteht angeblich ein Hochhausprojekt für den Platz neben dem Palais der ungarischen Garde. Ein modernes Hochhaus zwischen den beiden Barockjuwelen Auersp'erg — und Trautsohn.'?

Sind Flochhäuser für Wien überhaupt notwendig? Nein. Sie sind für Wien absolut wesensfremd, eine Art Modeerscheinung, die anderswo schon abgetan und vom hygienischen und Verkehrsstandpunkt abzulehnen ist.

Statt „Wohnmaschinen“ wäre für Wien eine Renaissance des Alt-Wiener Vorstadthauses mit Garten anzustreben.

Die intensive Wohnbautätigkeit der Gemeinde Wien gefährdet an manchen Stellen gleichfalls das Stadtbild. Die Wohnkultur wurde zweifellos gebessert, aber städtebaulich ist manches als verfehlt zu bezeichnen. Die Gemeindebauten vor 1934, wie etwa Karl-Marx-, Reumann-Hof u. a., brachten noch Platzgestaltungen und interessante architektonische Lösungen. Heute werden nur noch vollständig gleichartige, kasernenähnliche Blocks errichtet, ohne jede Anpassung an das Stadtbild oder an die Landschaft. Will man denn den Charakter Wiens gewaltsam verändern, wo doch der Reiz unserer Stadt das besondere Gepräge mancher Gassen und die Atmosphäre stiller Plätze ist? Soll die Zukunft eine Schul-Kasernen-Spital-Stadt sein?

Vom Rathaus wurde eine große Assanierungsaktion eingeleitet. Es soll einzelnen abbruchsreifen und unhygienischen Wohnhäusern nicht das Wort geredet werden. Anderseits muß der Starrsinn verurteilt werden, mit dem man „Altem“ schonungslos den Kampf ansagt, weil dies angeblich „das Leben der Gegenwart“ verlangt.

Wir haben vor 193 8 eine Assanierungsaktion erlebt, der u. a. das unvergleichliche Palais Paar mit seinen einmaligen Empirestallungen zum Opfer fiel. An seiner Stelle steht heute ein vollständig nüchterner, uninteressanter Bau. Man vergleiche etwa den stimmungsvollen, baumbestandenen Schottenhof mit seinen Brunnen und Erholungsstätten — und den an einen Gefängnishof mahnenden Garagenhof des nahegelegenen Hochhauses in der Herrengasse. Oder: Vor 1914 riß man in der vollständig verkehrsarmen steilen Viriotgasse im 9. Bezirk die reizvolle Nußdorfer-Linien-Kapelle nieder Heute ist dort noch immer ein Lagerplatz. Aus letzter Zeit ist der Verlust des Hernalser Schlößls zu beklagen. Man ließ es seit 1945 immer mehr und mehr verfallen, um dann zu erklären, die Wiederherstellung sei unwirtschaftlich.

Kürzlich erschien der bekannte Kunstführer Dehio „Wien“. Er führt unter den Sehenswürdigkeiten Wiens u.a. an: das bereits demolierte Hernalser Schlößl, die Reste des Palais Czernin-Althan, das den Mitteltrakt des Wiedner Krankenhauses bildet und eben der Spitzhacke zum Opfer fällt, und das Hackinger Schlößl, das vom Abbruch bedroht ist. Ebenso sind als interessante Stadtbilder u. a. angeführt:die Blut- und S c h ö n 1 a t e r n g a s s e, wo ebenfalls Demolierungen im Gange bzw. geplant sind. Alle angeführten Objekte wären bei dem heutigen Stande der Technik ohne weiteres zu retten gewesen. Es ist nicht vertretbar, wenn die maßgebenden Stellen von unwirtschaftlichen Ausgaben sprechen, wenn es sich um die Erhaltung historischer Stadtbilder Wiens handelt.

Trotz gegenteiliger Versicherung, trotz der immer wieder propagierten „Auflockerung“ der Stadt werden immer wieder alte Park- und Grünflächen zur Verbauung herangezogen. (Engelspark in Grinzing, Colaltopark in Heiligenstadt, Bergersche Gründe in Rodaun, Rottsche Gründe in Hietzing, Modenapark, Neuwaldegg und an vielen anderen Orten.)

Ueberhaupt sollte man die nach dem Westen gravitierende Bauentwicklung abstoppen, um den als Luftreservoir nicht ersetzbaren Wienerwald zu schützen und die Verbauung mehr nach Südosten (Inzersdorf, Schwechat) und nach Norden (Leopoldau, Aspern) lenken, wo noch heute Flächen für Satellitenstädte zur Verfügung stehen. So wurde wiederholt von Seiten des Naturschutzes angeregt, die verödeten Flächen der ehemaligen Ziegelteiche für Siedlungen heranzuziehen. Mit Ausnützung der Wasserflächen könnten dort ganz reizende Wohnstätten mit Gärten und Sportanlagen entstehen.

Die Bevölkerung hat zweifellos ein Recht darauf, daß an dem Stadtbild, das ihr von Jugend an lieb und vertraut ist, nicht einschneidende Veränderungen vorgenommen werden, ohne daß man ihr vorher die Möglichkeit zur Stellungnahme gibt. Mit dem System, hinter verschlossenen Türen zu verhandeln und die Oeffentlichkeit vor vollendete Tatsachen zu stellen, muß endlich gebrochen werden. In der Schweiz und in Deutschland wird bei großen Bauvorhaben eine Volksabstimmung durchgeführt, dies müßte auch bei uns erwogen werden.

Man will die Fremden durch alle möglichen Veranstaltungen nach Wien locken, aber hat man sich schon an den maßgebenden Stellen klargemacht, daß die Fremden hier suchen, was sie daheim nicht oder nicht mehr haben, daß sie in Wien die Zeugen einer großen Vergangenheit sehen wollen, aber nicht Lichtreklame oder Hochhäuser, diesiedaheiminweitbesserer Auflage haben.

Ein gewisses ästhetisches Geborgensein gehört zu den stärksten Magneten einer Stadt.

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