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Vor 100 Jahren begann es

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„Wer im Marmorhaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.“ Roland Rainer

DIE PERSONEN: A, ein Mann, der die Entwicklung der Architektur kritisch verfolgt.

L, ein Laie, der etwas gesunden Menschenverstand besitzt, aber nicht zuviel, so daß er nicht borniert wird und glaubt, über alles urteilen zu können, bevor er die Fakten kennt („Vorurteilen“).

ORT DES GESPRÄCHS: Die Ringstraße.

ZEIT DES GESPRÄCHS: En trüber Jännernachmittag 1958.

DER ANLASS: Die hundertste Wiederkehr des Jahres, in dem der Abbruch der Basteien erfolgte. Es begann mit dem kaiserlichen Handschreiben, in dem es heißt: „Es ist Mein Wille, daß die Erweiterung der Inneren Stadt mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung derselben mit den Vorstädten ehemöglichst in Angriff genommen und zugleich auch auf eine Verschönerung Meiner Residenz- und Reichshauptstadt Bedacht genommen werde. Zu diesem Ende bewillige Ich die Auflassung der Umwallung der Inneren Stadt sowie der Gräben um dieselbe.“ Die Folgen: am 28. März 1858 wird der Abbruch der Basteien begonnen; am 1. Mai 1865 wird die Ringstraße eröffnet.

AWissen Sie eigentlich, daß wir Wiener vor wenigen Wochen ein Jubiläum begehen konnten?

L: Da Sie so gerne von Architektur sprechen: Sie meinen wohl den fünfzigjährigen Bestand der ..Zentralvereinigung der Architekten“? Eine wirklich schöne und gelungene Ausstellung, muß ich sagen. Sie führt uns wieder einmal vor Augen . ..

A: Nein, ich meine ein anderes Datum, das länger zurückliegt. Den Tag, da Ende Dezember 1857 ein kaiserliches Handschreiben erging, das den Abbruch der Basteien anordnete.

L: Ehrlich gesagt: mir ist etwas leid um die Basteien. Von ihnen aus muß man einen wunderbaren Blick auf die Wiener Vorstädte gehabt haben. ' •

A: Die Anordnung war nötig. In der Inneren Stadt war die Wohnungsnot sehr groß, größer als heute. Die Basteien und die Gräben trennten Wien von seinen Vorstädten und verhinderten seine Ausdehnung. Nur zwölf Tore, die meisten von ihnen eng und finster, führten vom Glacis auf die Bastei und verbanden Hauptstadt und Vororte. Und schließlich ist der Ring eine sehr schöne Straße und entschädigt wohl für den Verlust der Basteien.

I: Nur solange die Gemeindeverwaltung nicht die Bäume schlagen läßt. Fallen einmal die Bäume, verliert der Ring seinen Charakter —

A: - und wird dann wohl Rennweg heißen müssen. Der Verkehr ist jetzt schon arg genug. Ohne die Bäume wäre der Gestank der Auspuffgase unerträglich. -

L: Wie denken Sie eigentlich über die Ringstraßenarchitektur?

A: Die alte oder die neue?

L: Gibt es denn eine neue? Ich meine die alte.

A: Sie war Ausdruck einer rückwärtsblickenden Zeit, aber sie war nicht der schlechteste Ausdruck dieser Zeit. Parlament, Burgtheater, Oper. Universität — sie alle sind ein organischer Teil der Stadt geworden; es fällt uns schwer, uns Wien ohne sie vorzustellen. Wir haben sie von Kindheit auf gesehen und uns an sie gewöhnt. Es würde uns etwas fehlen ohne sie. Freilich — die ausgebrannte Börse sollte lieber einem modernen Bauwerk weichen, als in alter Form wiederaufgebaut zu werden.

I.: Das liegt auf der Hand.

jim Prjactstraßen vi?l,erfi.Pi'pvinzstädte der Mon archie bis nach Galizien. Oer heue Ring-straßenstil ist picht einmal für Wels oder Kapfenberg vorbildlich. Eher umgekehrt. — Kennen Sie die Geschichte von van der Null?

L; Der freiwillig aus dem Leben schied, weil er mit dem fertigen Bau nicht zufrieden war, weil er sah, daß die Oper zu sehr im Boden versunken und unscheinbar dastand?

A: Ich finde, dies ist eine Geschichte, die uns sehr nachdenklich stimmen sollte. Aus unserer Zeit ist mir kein solcher Fall bekannt. Zumindest habe ich nicht davon gehört, daß sich heute Architekteh von ihrem Marmorpalast heruntergestürzt hätten.

I: Sie meinen, sie hätten das tun sollen?

A: Nein, das will ich nicht sagen. Als Katholik lehne ich den Selbstmord ab. Ich glaube, ein Mensch soll noch im Leben verantworten, was er getan hat.

L: Wie ich Sie kenne, empfinden Sie den Heinrichshof kaum als eine „Verschönerung“ Wiens?

A: Ich glaube nicht, daß bei der Errichtung des Heinrichshofs auf die Verschönerung Wiens Bedacht genommen wurde.

L: Warum eigentlich? Können Sie mir das erklären: Ein Freund, der auch gerne über die neue Architektur raunzt, sagte zwar neulich zu mir: „lieber diese neuen Bauten kann man einfach nicht mehr ruhig sprechen, lieber sie kann man nur schimpfen.“ Aber Sie können mir vielleicht sachlich und ruhig sagen, was Sie gegen den Heinrichshof haben.

A: Freilich kann ich das. Aber da muß ich ein wenig weiter ausholen, damit Sie mich recht verstehen. Sehen Sie, der alte Ringstraßenstil, wie er sich in den vielen hohen Mietshäusern der Gründerzeit ausdrückte, war pompös gegenüber dem schlichteren, bescheideneren Stil des Biedermeier. Und um so viel er pompöser war, gefällt er mir weniger als der Stil des Biedermeiers. Denn die pompöse Fassade wird leicht „brüchig“. Um so bescheidener etwas ist, um so länger hält es ästhetisch, um so länger kann man es anschauen.

L: Das leuchtet mir ein.

A: Zu den schönsten Barockbauten Wiens gehört die Karlskirche. Wodurch wirkt sie? Durch ihre äußere Bescheidenheit, die ihre innere Größe sichtbar macht. Das ist Archi-

tektur. Dabei sind die Bausteine der Karlskirche bescheiden, und die Fassade ist verputztes Mauerwerk. Und heute? Wie verkleidet man heute die Fassaden? Gewiß, die Zeit der Gipsornamentik ist vorüber, Gott sei Dank!

L; In den Arkaden des Heinrichshofes lebt sie fort.

A: Aber es ist nicht viel besser, seine Häuser mit Marmor zu verkleiden. Marmor und Aluminium statt Gips und Gußeisen —

L: Was haben Sie gegen Marmor? Ich liebe Marmor. Ich streiche gern mit der Hand darüber.

A: Sie verstehen mich falsch. Ich habe nichts gegen Marmor. Aber alles am rechten Ort. Was ist edler: verputzte Mauer oder Marmor?

L: Ohne Zweifel Marmor.

A: Und welches Bauwerk halten Sie für das edlere Bauwerk: eine Kirche oder ein Gebäude, in dem eine Versicherung, diverse

andere Büros und ein paar Wohnungen untergebracht sind? L: Natürlich die Kirche.

A: Und für welches Bauwerk nun würden Sie den Marmor aufsparen: für die Kirche oder für den Verwaltungsbau?

I: Ich verstehe schon, wo Sie hinauswollen. Sie wollen, daß ich sage: für die Kirche. Aber ich überlege, ob Kirchen nicht lieber bescheidener, stiller sein sollten.

A; Sehen Sie, Sie sind gegen den Marmor skeptisch geworden. Nicht einmal für eine Kirche wollen Sie ihn mehr. Und daß es so ist, ist nicht eine Schuld des Marmors, sondern des unrechten Gebrauchs, den wir heute mit ihm treiben. Er verleidet uns den Marmor. Wenn jede Tabaktrafik mit ihm verziert ist, wollen wir ihn nicht mehr.

L: Das ist verständlich. Halten Sie den Marmor also noch für ein wertvolles Material?

A: Vor allem für ein teures. Wenn heute soviel Marmor verwendet wird, fürchte ich oft, daß es bloß jemand sehr Einflußreichen gibt, der ein Interesse hat. daß Marmor verwendet wird, weil er ihn verkaufen will.

I; Das kann ich nicht beurteilen.

A: Wenn ich Marmor verwende, so muß ich mir bewußt sein, daß ich ein edles Material verwende, und entsprechend bauen. Ich muß die Fassade überhaupt der Bedeutung des Hauses gemäß gestalten. Wenn ich ein

Bürohaus gegenüber einer Oper erbaue: werde ich dann versuchen, die Fassade des Bürohauses stolzer und prunkvoller zu machen als die der Oper, oder werde ich bewußt bescheiden bleiben? L: Ich werde gegenüber einer Oper zurückhaltend bauen. Man darf nicht überall auftrumpfen. Es gibt Orte, wo man sich zurückhalten muß.

A: Die Wirkung, der Charakter, die Vornehmheit einer Fassade wird zuallererst durch ihre Maße, durch die Proportionen, in denen sie zueinanderstehen, durch die architektonische Gestaltung bestimmt — also durch das geistige Konzept, das dahintersteht. Und erst in zweiter Linie durch das Material. Wenn ich also ein großes Gebäude errichten will, was ist am wichtigsten?

L: Die Bauidee, das geistige Konzept.

A: Und dann?

L: Die Kenntnis der technischen Möglichkeiten und des Materials.

A: Sehr gut! Und worin finden dieses Konzept und diese Kenntnisse zuerst Ausdruck?

L: In der Gestalt, die ich dem Bauwerk gebe. In seinen Maßen und Proportionen.

A: Und wenn ich diese Proportionen verpatze, weil ich keinen Sinn für sie habe, wenn ich zum Beispiel nicht bemerke, daß ich nicht schmale Stützen unter doppelt so breit gegliederte Flächen setzen kann, und wenn ich das tue, nicht einmal in der Mitte — wenn ich das alles nicht bemerke, glauben Sie, es wird besser, wenn ich es mit Marmor zu verkleiden versuche?

L: Nein. Durch das kostbare Material werden die Fehler in den Proportionen nur noch augenfälliger.

A: Sie verstehen mehr von Architektur, als ich dachte! Ja, so ist es: bei diesen Gebäuden wurden die fehlenden Proportionen durch den Proporz ersetzt. Darum hat ein Haus oft zwei Erbauer ... In der Tat ist der fehlende Sinn für Architektur nicht an eine politische Partei gebunden.

L: Uebrigens, ist Ihnen schon die Beleuchtung unter dem Dach dieses Marmorpalastes aufgefallen? Sie erinnert mich an eine Grotten-bahnbeleuchtung. . Gehen wir lieber weiter. Schauen wir uns noch andere Häuser an und sehen wir zu, ob wenigstens sie auf die Verschönerung Wiens Bedacht nehmen.

L: ja, wir wollten vom neuen Ringstraßenstil sprechen und nicht von einem bestimmten Haus.

A: Was wir an diesem Gebäude aussetzten, gilt für viele; zum Beispiel auch für die beiden schräg vis-ä-vis gelegenen Gebäude zweier Autofirmen. Von einer Verschönerung . ..

L: — „Zerschönerung“, pflegte Rudolf von Alt zu sagen —

A: ... kann wohl kaum gesprochen werden; manchmal denke ich: hier wurde das Beispiel eines großen Architekten ...

L: Sie meinen Le Corbusier?

A: Lassen wir den Namen beiseite, er tut nichts zur Sache — hier wurde ein Beispiel abgeschaut. Und kopiert. Und nicht verstanden. Dadurch mißlang es. Und das Haus „stimmt nicht“.

I: Was wollen Sie damit sagen?

A: Daß der Baugedanke — soweit nicht von vornherein falsch verstanden — mit der Ausführung nicht übereinstimmt. Daß er, wie aus einem schlecht geschnittenen Anzug (wenngleich für diesen die kostbarsten Stoffe verwendet wurden), überall herausschaut. Und noch etwas. Wir verglichen vorhin den alten Ringstraßenstil mit dem Biedermeierstil. Und sagten, der alte Ringstraßenstil sei pompöser als dieser. Nun wollen wir den alten Ringstraßenstil mit dem neuen vergleichen. Und wie bescheiden kommt er uns nun auf einmal vor gegenüber dem neuen! Um soviel, als der alte bescheidener war, gefällt er mir besser. Und auch in diesem Sinne „stimmen“ die neuen Häuser nicht. Denn es ist nichts dahinter.

L: Sie wissen, ich bin ein Mann der Tradition. Was ich am neuen Ringstraßenantlitz auszusetzen habe, ist eine absolute Traditions-losigkeit. Ich möchte hier überhaupt nicht mehr von einem Stil sprechen.

A: Richtig. Der alte Ringstraßenstil war insofern ein Stil, als er versuchte, h i s t o r i-sierend stilgerecht zu sein. Die Stillosigkeit wird immer ärger. Sie kennen doch dies Verslein:

Siccardsburg und van der Null haben beide keinen Stül. Griechisch; gotisch. Renaissance . -ist den beiden alles ans.

Aber Stil oder nicht Stil - das ist ein Streit um Worte. Das Furchtbare sind die Häuser! Provinzialismus, gepaart mit Anmaßung.

L: Verlassen wir den Opern- und Kärntner Ring und begeben wir uns ;:i;!(s:.'er zu den Gatietißaugrimden. Sir o\U.u letzt auch verbaut werden, was ich sehr bedauere.

A: Ich auch*.

L: So? Auf einmal so sentimental? Das liegt Ihnen doch nicht.

A: Es ist nicht Sentimentalität, wenn ich für Grünflächen im Innern einer Großstadt eintrete Auch aus stadtplanerischen Gründen würde sich dort ein „innerer Stadtpark“ sehr gut ausnehmen.

L: Wissen Sie eigentlich, daß Adolf loos, den Sie oft zitiert haben, ein Projekt für die Verbauung dei Gartenbaugründe ausgearbeitet hat?

A: Aber wie anders sieht diesej Projekt aus als die geplante Verbauung, von der man hört! Wie anders sah auch das Projekt des Museums der Stadt Wien aus, das Otto Wagner entworfen hatte, als die jetzige Verbauung! Da hat man den Eindruck, daß die Architekten wirklich nachgedacht haben, wie das Bauwerk gegliedert und die Baumassen verteilt sein müssen, um sich harmonisch dem Stadtbild einzufügen und es zu bereichern. Abgesehen davon, halte ich es immer noch für das beste, wenn die Gartenbaugründe nicht verbaut, sondern in eine Parkanlage umgestaltet werden.

L: Hier liegt, neben der Mölkerbastei, auch die letzte erhaltene Bastei: die Jakobinerbastei. Warum die letzten Reste zerstören? Das Bundesdenkmalamt. . .

A: .. . hat sich wenig um die letzte Bastei gekümmert. Leider. Ich stimme Ihnen zu: Erhalten, was nur irgend erhalten werden kann. Ehrfurcht vor dem Vergangenen. Aber wenn heute gebaut wird: so modern bauen, wie es die Mittel unserer Zeit nur erlauben. Nicht von der Tradition leben, sondern selbst wieder Tradition schaffen. Damit auch unser Jahrhundert wieder einen eigenen Stil hat, an dem man es erkennen kann. Damit wir uns nicht schämen müssen vor unseren Nachfahren.

L: Jefzf werden Sie pathetisch.

A: Nein, nur wehmütig. Es begann vor hundert Jahren mit einem kaiserlichen Handschreiben. Und es begann gut: eine breite Straße mit vielen Bäumen ....

L. Und was macht man heute daraus! — Aber reden wir von etwas Erfreulicherem.

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