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Das Wiener Wohnhaus der Barockzeit

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Das Wohnungsproblem ist in Wien immer eine große Sorge gewesen. Wenn wir nach seiner Ursache fragen, müssen wir feststellen, daß es in der Gegenwart geradeso wie in den vergangenen Jahrhunderten stets durch den Krieg bedingt war. Heute leiden wir an den Folgen der Zerstörung durch die Bombenangriffe, die wie Naturkatastrophen über uns hereingebrexhen sind. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war es der Charakter der Festung, der, in der historischen Situation der Stadt begründet, ihre räumliche Ausweitung verhinderte. Solange die Türkengefahr Wien bedrohte, war auch an ein normales Wachsen der Vorstädte nicht zu denken, da sie ja im Notfall zerstört werden und ihre Bewohner in den Mauern der Stadt Aufnahme finden mußten. Was blieb also übrig, als zusammenzurücken und den Raum innerhalb dės Festungsringes bestmöglich auszunützen. Die Häuser wuchsen in die Höhe und erreichten bis zu sieben Stockwerke. Daß sich damit ihr Charakter gegenüber den Vorstadthäusem änderte, ist verständlich. Bei diesen blieb die Verbindung mit dem Bauernhaus viel lebendiger; es wirkt in seiner Gesamtheit, mit seinem Dach und seinen Seitenfronten, während in den schmalen Gassen der Stadt nur die hochaufragende Fassade sichtbar wird.

Die starke Bindung an den Gebrauchszweck stellt das Wohnhaus innerhalb der Werke der Architektur an letzte Stelle. Tradition und Utilität verbieten eine allzu freizügige Gestaltung des Baues. Es hat nicht Platz für prunkvolle Treppenhäuser und große Festsäle, seine Schauwand kann sich nicht vorwölben oder einbuchten, eine Aufgliederung in einzelne Baublöcke, wie dies der Schloßbau zeigt, wird unmöglich. Der streng geschlossene Bauwürfel bleibt die unausweichliche Grundform, und nur die Fassadengliederung kann andeuten, was im Bau selbst nicht durchgeführt werden kann. So finden sich auch nur wenige bedeutende Architekten, die im Wohnhausbau ihr Aufgabenfeld suchten. Für Fischer von Erlach, den großen Begründer des österreichischen Barocks, war das Wohnhaus nur eine untergeordnete Kategorie der Bauwerke; dagegen hatte sein Gegenspieler, Johann Lucas von Hildebrandt, zufolge seiner spezifischen, künstlerischen Begabung die Möglichkeit, auch im Wohnbau ein Feld seines architektonischen Wirkens zu finden. Für das barocke Wiener Stadtbild ist er daher von außerordentlicher Wichtigkeit, denn wenn Hildebrandt auch nur wenige Wohnbauten selbst geplant und ausgeführt hat, wie das Merkleinsche Haus Am Hof oder das Bartolottische Stiftungshaus in der Dorotheergasse-Graben, so zeigten doch seine Lösungen der breiten, ans Handwerkliche gebundenen Schichte der Stadtbaumeister einen Weg, das Problem des Wohnbaues künstlerisch zu lösen. Hätte Hildebrandt auch keinen einzigen Wohnbau ausgeführt, so wäre schon die Gestaltung seiner Palastfassaden, etwa die des Palais Kinsky auf der Freyung, einflußreich auf seine Nachfolge geworden. Fast alle barocken Wohnhäuser, che heute noch unser Stadtbild schmücken, lassen das Hildebrandtsche Vorbild erkennen, und ihr überraschendes künstlerisches Niveau beweist, wie stark sich das der Volkskunst verbundene bürgerliche Bauen im 18. Jahrhundert der Hodikunst genähert hat.

Im 16. und auch noch weit bis ins 17. Jahrhundert hinein war das Wohnhaus ein breit hingelagerter, schmuckloser Baublock, oft nur durch eine gelungene Portallösung ausgezeichnet. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts übernahm es dann ein Rastersystem, das sich bis dahin an den Palastfassaden ausgebiildet hatte und das es möglich machte, allein durch die Austeilung der Fenster und durch deren Verbindung untereinander eine künstlerische Wirkung zu erzielen. Damit war es in seinem Rang unter den Werken der Architektur bereits eine Stufe höher gestiegen; die letzten Möglichkeiten aber wurden ihm erst durch die Gestaltung des großen Barockbaumeisters selbst gegeben. Jetzt erst wird es Träger eigener künstlerischer Baugedanken.

Wir können die erhaltenen und uns aus alten Ansichten bekannten Wohnhäuser Wiens in zwei Typen gliedern. Die eine stellt das einfache bürgerliche Wohnhaus dar, das in seiner Fassadengestaltung an dem aus dem 17. Jahrhundert stammenden Rastersystem festhält und nur durch plastischen Schmuck, Fensterbekrönungen und Stukkatur den Forderungen des Zeitstils entspricht. Daneben aber entsteht ein neuer Typus: das palastähnliche Wohnhaus. Es schmückt sich, wenn auch bescheiden, mit Ordnungen, also mit Pilastern, die Kapitelle und Basen aufweisen und ein Gebälke tragen, hat auch einen Giebel und übernimmt überhaupt die Ideen der Gliederung des Palastbaues. Ein reizendes Beispiel eines solchen Hauses steht noch Am Hof Nr. 12; wenn auch seine Zuweisung an Hildebrandt nicht feststeht, so ist doch dessen Einfluß deutlich spürbar.

Die Tatsache, daß sich zwischen dem einfachen Bürgerhaus und dem eigentlichen Palast noch eine Zwischenlösung einschiebt, hat soziologische Ursachen. In der gesellschaftlichen Struktur des 18. Jahrhunderts hat sich zwischen Hochadel und Bürgertum eine Schicht ausgebildet, die sich aus dem niederen Adel und dem emporgekommenen, reichgewordenen Bürgertum zusammensetzte. Durch sie wurde der krasse Gegensatz, der zwischen hoch und niedrig im absolutistisch geführten Staat in Erscheiung trat, gemildert und überbrückt. Eine Hebung des allgemeinen Lebensstandards tat das ihrige, und diese Entwicklung verhinderte wohl auch, daß bei uns der Bruch zwischen Bürgertum und Hodiadel jene Formen annahm, wie sie die Französische Revolution zeitigte.

Beim Wohnhaus müssen überhaupt wie bei keiner anderen Architektur die soziologischen Voraussetzungen berücksichtigt werden. Besonders treten sie in Erscheinung, wenn man nach dem Bauwesen und seiner Organisation fragt, die — wie das bei einer großen Stadt nicht anders zu erwarten ist — die Stadtplanung überhaupt und die Erbauung der Wohnhäuser im besonderen beeinflußt haben.

Es ist auffallend, daß eine so bedeutende Stadt wie Wien im Verhältnis zu anderen Städten erst in sehr später Zeit, unter Kaiser Joseph II., eine richtige Bauordnung erhielt. Daß ihr Fehlen vorher nicht als Mangel empfunden wurde, hat seine Ursache im Bestehen eines wohlorganisierten Amtes, dem die entsprechenden Aufgaben zufielen: dem Hofquartieramt. Das Hofquartierwesen hat seinen Ursprung noch in der Zeit, da der Herrscher ohne feste Residenz von Stadt zu Stadt zog und an seinem jeweiligen Aufenthaltsort Quartiere für sich und seinen Hofstaat benötigte. Aber auch als der Kaiser ständig in Wien residierte, bot die alte Hofburg bei weitem nicht genügend Raum, um alle Menschen zu beherbergen, deren der ganze Verwaltungsapparat bedurfte. So sah man sich gezwungen, die Angehörigen des Hofstaates vom Minister bis zum Trabanten in den Häusern der Bürger unterzubringen, die sich gegen diese unfreiwilligen Mieter zwar heftig, aber nur mit bescheidenem Erfolg zur Wehr setzten. Diese aufgezwungenen Gäste waren ja auch nicht angenehm. Sie bezahlten nur ein Drittel des normalen Zinses und legten Gewohnheiten an den Tag, die ihren Hausherren das Leben nur zu oft recht schwer machten. Kein Wunder, wenn man Mittel und Wege suchte, die unangenehmen Herren loszuwerden. Man scheute da vor nichts zurück, suchte vor allem, die Räume unbewohnbar zu machen, und das Herausreißen von Türen und Fenstern oder das Zerstören der Öfen waren nur einige der Selbstschutzmaßnahmen. Damit aber war dem Hofquartiermeister, dem das undankbare Amt übertragen war, die Hofleute unterzubringen, gar nicht gedient. Die Zahl der Wohnungssuchenden war außerordentlich groß, da neben den Bediensteten vom Kaiser auch noch vielen anderen Personen ein Hofquartier zugesagt wurde, um sie für erbrachte Leistungen auf billige Art zu belohnen. Man mußte daher auf einen Ausweg sinnen, der beide Interessen einschloß. Das Kompromiß fand sich in der Erteilung von Baufreijahren. Die Wohnungen in den vielfach überalteten Häusern reichten in den meisten Fällen nur schlecht aus, besonders dann, wenn für die Unterbringung höhergestellter Persönlichkeiten zu sorgen war. Es mußte also gebaut werden, und zwar rasch, groß und schön. Um dies zu erreichen,, versprach man den Bürgern bei Neubauten oder gründlichen Restaurierungen ihrer Häuser eine entsprechende Anzahl von quartierfreien Jahren, das heißt, sie konnten während dieser Zeit selbst über ihr Haus verfügen, es zu beliebig hohem Zins vermieten, um so wenigstens einen Teil ihrer Baukosten decken zu können. Gleichzeitig blieben sie auch in dieser Zeit von den lästigen Hofquartierleuten verschont, und das war kein geringer Anreiz. Nach Ablauf der Freijahre standen dem Hofquartier-meister dann neue, schönere Wohnungen zur Verfügung.

Dieses Lockmittel hat seine Wirkung nicht verfehlt. Es ist wohl nicht der einzige Grund dafür, daß sich das architektonische Bild der Stadt in kürzester Zeit grundlegend wandelte. Die Besserung der allgemeinen Lage und vor allem die herrschende außerordentlich große Baulust wirkten sieh ebenfalls aus. Aber ein nicht zu unterschätzender Antrieb für die vielen Neubauten ging doch auf die Forderungen des Hofquartieramtes zurück. Man baute also, und wenn man schon nicht immer die Häuser von Grund aus neu aufführte, so wurden sie restauriert und adaptiert oder man legte ihnen einfach nur eine neue Fassade vor, denn auch auf die Bereicherung des Stadtbildes durch schöne Schauwände legte man von seiten des Hofquartieramtes Wert. Die Verdienste, die sich die Bürger sogestalt erworben hatten, wollten sie naturgemäß nicht hoch genug eingeschätzt wissen, und es scheint wohl schon damals so gewesen zu sein, daß man das Doppelte von dem verlangt hat, was man zu bekommen hoffte. Doch beim Hofquartieramt war man kritisch und gerecht. Nur allzuoft wurden übertriebene Anträge abgelehnt oder eingeschränkt. Auch gegen die Großzügigkeit des Kaisers, dem die Gewährung von Bau freijahren eine ebenso billige Belohnung dünkte wie die Verleihung eines Hofquartiers, mußte der Quartiermeister sich des öfteren zur Wehr setzen.

Die Forderungen an den Hausbau und die notwendigen Überprüfungen durch das Hofquartieramt machten eine eigentliche Bauordnung nicht unbedingt nötig. Erst als im Laufe des 18. Jahrhunderts, nachdem die Türkengefahr gebrochen war, die Vorstädte wachsen und an Bedeutung gewinnen konnten, begann man, die Quartierpflicht durch eine Geldablöse zu ersetzen, die schließlich eine Art Steuer wurde. Damit war auch die Kontrolle über die Bauten weitgehend weg- gefallen, so daß ein neues Amt über deren Zulässigkeit und Sicherheit sorgen mußte: das Stadtbauamt.

Hofquartieramt und Baufreijahre sind vergessen. Geblieben sind aber die hübschen Häuser, die das Stadtbild des barocken Wiens bestimmt haben. Wohl haben die unabweisbaren Forderungen des modernen Lebens, leider aber auch der Unverstand der Menschen, traurige Lücken in den alten Baubestand gerissen. Noch immer aber steht soviel, daß das einstige Wien lebendig und vorstellbar bleibt. Diese Reste unserer alten Kultur zu erhalten, sollte uns vornehmste Pflicht sein.

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