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Der Wiederaufbau der Wiener Staatsoper

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Der durchschlagende Erfolg des Londoner Gastspiels unserer Staatsoper im September 1947 hat vor der großen Weltöffentlichkeit den Beweis erbracht, daß die künstlerische Substanz des Instituts, die während des Krieges zweifellos gewisse Einbußen erlitten hat, im wesentlichen erhalten geblieben ist und daß Zielstrebigkeit und eiserner Fleiß die entstandenen Scharten in kaum zwei Jahren wieder ausgewetzt haben. Sdiwerer als das Institut selbst wurde durch die traurigen Ereignisse des 12. März 1945 sein früherer einzigartiger Rahmen, das Haus am Ring, betroffen, und es drängen sich nun die Fragen auf: Was wurde vernichtet? Was ist erhalten geblieben? Wie steht es mit der Sicherung des Erhaltenen und mit dem Wiederaufbau des Vernichteten?

Betritt man das Gebäude der alten Staatsoper von der Ringstraße her, so bietet sich dem Besucher zunächst das Vestibül mit seinen zwölf Wandgemälden von Karl Geiger und seiner ornamentalen Malerei von Abondido Isella in alter Pracht. Desgleichen blicken Josef Gassers sieben allegorische„ Figuren auf das unverletzte Stiegenhaus, in das von der Decke Dobyaschofskys „Fortuna“ nach wie vor lächelnd ihre Gaben streut. Wir gehen in das Foyer mit seinen zwölf Wandgemälden von Schwind, Szenen aus Opern darstellend, mit den Büsten der Komponisten, mit den zwei Deckengemälden („Der Kampf um den Kranz“ und „Der Sieg“), den Marmorkaminen, gekrönt von den Medaillons Kaiserin Maria Theresias und Kaiser Leopolds, wir werfen einen Blick in die beiden Büfetts mit den Büsten Wagners, Auberts, Donizettis, Bellinis, des Kammersängers Walter und der Kammersängerin Wik, wir wandern weiter in die Loggia mit ihren „Zauberflöten“-Fresken von Sdrwind: alles ist so wie einst. Auch der hinter der Mittelloge gelegene „Teesalon“ mit den kunstvollen Wandstickereien aus dem Atelier Giani, den Deckengemälden von Madjera und den Bildhauerarbeiten von La Vigne hat keinerlei Schaden genommen. Man glaubt aus einem bösen Traum zu erwachen, der uns Verheerung vorgaukelte, und wir öffnen die Tür, die zur Mittelloge führt, und hier — doch davon später! Die von der Ringstraße aus gesehen im rechten Seitenflügel gelegenen ehemaligen Direktionsräume weisen zwar Spuren eingedrungenen Wassers auf, bieten aber jetzt der hier amtierenden Bauleitung und der Gebäudeverwaltung sowie dem Büro des Opernbaukomitees noch immer eine freundliche Unterkunft. Wir steigen hinab in die unter dem Straßenniveau in den Seitentrakten gelegenen Werkstätten:

zur Tischlerei, zur Schlosserei, zur Ka-schiererwerkstätte, zum Kesselraum, zum Verteilerraum der Heizanlage, zum Schalt-und Transformatorenraum, zum Akkumulatorenraum, überall wird gearbeitet wie ehemals und kaum sind Spuren der Zerstörung sichtbar.

Wenden wir uns nun wieder den ehemaligen Hofräumlichkeiten zu: Ehe wir vom Stiegenhaus den Logengang im ersten Rang links erreichen, haben wir beiderseits je eine von dem Hoftischler Paulik kunstvoll gefertigte Tür. Während die rechte in den eben erwähnten „Teesalon“ führt, läßt uns die linke in den „Kaisersaal“ gelangen. Noch stehen die Mauern, aber die berühmten „Figaro“-Fresken Engerths sind zum größten Teil entweder zerstört oder stark beschädigt, die massive Kassettendecke ist fast vernichtet. Dagegen ist der prachtvolle Marmorkamin wohl stark beschädigt, aber doch erhalten. Unmittelbar an den „Kaisersaal“ schloß sich, hinter der linken oberen Proszeniumsloge gelegen, der sogenannte „Elisabethsalon“. Er war eines der kostbarsten Kleinodien des Hauses. Von der Meisterhand Madjeras ausgeführt, schmückten drei Gemälde, Szenen aus Webers „Oberon“ darstellend, die Decke. Albert Zimmermann hatte für diesen Raum drei Wandgemälde geschaffen, das eine über den von Carlo Vanni stammenden Marmorkamin zeigte Salzburg, die Geburtsstadt Mozarts, je eines über den Türen zum „Kaisersaal“ und zur linken oberen Proszeniumsloge Possenhofen, den Geburtsort der Kaiserin Elisabeth, und die Ufer des Starhemberger Sees, an denen sie ihre Mädchenjahre verlebte. Die Wände zierten Stoffmalereien von Professor Sturm. Die Möbel waren Arbeiten Franz Schönthalers. An Stelle dieses einzigartigen Raumes und des darunter, hinter der Inkognitologe gelegen gewesenen „Kaiser-Parterresalons“ mit den Medaillons des Bildhauers König, gähnt ein Abgrund der Vernichtung. Desgleichen fiel die linke Feststiege („Kaiserstiege“) mit den zwölf Freskogemälden Engerths, Szenen aus der „Orpheus“-Mythe zeigend, den Zerstörungen zum Opfer. Lediglich die Marmorstatue des Bildhauers Ferrari, die Musik darstellend, war in den Kellerräumlichkeiten geborgen und blieb erhalten. Auch die diesen Räumen entsprechenden, auf der Kärntnerstraßenseite gelegenen Räume, der hinter der rechten oberen Proszeniumsloge befindliche „Erzherzogssalon“ mit dem Deckengemälde Madjeras (Szene aus Webers Oper „Preciosa“) sowie das darunter gelegene Probenzimmer sind dahin. Erfreulicherweise blieb die rechte Feststiege („Erzherzogstiege“) mit den zwölf Freskenbildern Swobodas (Szenen aus dem ,Jphigenien“-ZykIus) erhalten. Die Räume der Schneiderei, die Kostümmagazine, die Waffenkammer, der Chorprobensaal, der große und der kleine Ballettsaal und der Malersaal fielen den Flammen zum Opfer.

Schon die hier kurz dargestellten Verluste berühren jeden Kenner des Hauses schmerzlich. Aber am bittersten empfinden wir die gänzliche Zerstörung des Zuschauerraums, dieser Symphonie in Elfenbein und Gold, in der wir und ungezählte Tausende vor uns so viele Feierstunden reinsten künstlerischen Genusses erlebt haben. Dort, wo einst die von Rahl entworfenen, von Griepenkerl und Bitterlich gemalten Bilder (Bacchus als Erfinder des Theaters, umgeben von den Allegorien Tragik und Komik, Tag und Nacht, die menschlichen Affekte und die Genien der Musik) auf uns herniederblickten, dehnt sich nun das Grau des herbstlichen Himmels, und dort, <vo die von den Bildhauern Cesar und Radnitzky ausgeführten dreißig Medaillons der größten Gesangs- und Tanzkünstler, welche bis 1869 an der Hofoper gewirkt hatten — einer Galerie ruhmgekrönter Ahnen gleich — die Logenbrüstung zierten, starren jetzt,'Knochengerippen ähnlich, die eisernen Träger in dem ausgebrannten Abgrund.

Das Podium der Bühne in einer Ausdehnung von 1020 Quadratmeter ist gänzlich niedergebrannt, und wie eine ungeheure Esse steigen die Mauern vom Bühnengrund 40 Meter empor. In diesem grauenvollen Schlund ging auch der von Rahl entworfene, von Bitterlich gezeichnete und von Griepenkerl gemalte Vorhang, die Orpheus-Mythe darstellend, sowie d r eiserne Vorhang von Brioschi, das schmiedeeiserne Gitter des Belvederes zeigend, zugrunde.

Die Bilanz bietet demnach ein trauriges Bild. Besonders schmerzlich, wenn wir uns fragen, ob denn die Zerstörung dieses Hauses, das ausschließlich nur dem Dienst der völkerverbindendsten aller Künste, der Musik, gewidmet war und auch tatsächlich nur ihr gedient hat, sozusagen im letzten Augenblick vor Kriegsende, wirklich eine zwingende Kriegsnotwendigkeit gewesen ist. Doch hierüber steht uns ein Urteil nicht zu, wir müssen uns an die Tatsachen halten.

Wir haben nun die Frage zu beantworten, was zur Sicherung des Erhaltenen und für den Wiederaufbau des Zerstörten geschehen ist. Ehe überhaupt an diese Arbeiten geschritten werden konnte, mußte es die erste Sorge der Bauleitung sein, die Berge von Schutt und Eisen hinwegzuschaffen. Was es nun bedeutet, bei dem bestehenden Mangel an Transportmitteln und an Treibstoff 150 Waggons Eisen-schrott und 6000 Tonnen Schutt wegzu-befördern, kann nur ermessen, wer selbst um den Transport auch nur eines winzigen Bruchteils der erwähnten Menge bemüht war. Diese Arbeit ist vollendet.

Zur Sicherung der erhaltengebliebenen Gebäudeteile mußten diese zunächst unter Dach gebracht werden. Diese Arbeiten erstreckten sich hauptsächlich auf die vorderen, gegen die Ringstraße liegenden Baulichkeiten und auf die beiderseitigen Flügeltrakte. Die Fülle der Arbeit kann ermessen werden, wenn man sich vor Augen hält, daß es sich um eine Fläche von rund 5000 Quadratmeter handelte. Auch diese Arbeit ist geschehen. In den Garderobetrakten beiderseits der Bühne sowie im Arkadentrakt längst der Kärntnerstraße sind auch die Zwischendecken aus Eisenbeton bereits eingezogen. Das Vestibül, das Stiegenhaus und die Loggia wurden gründlich restauriert.

Wohl mancher, der an den aufragenden Ruinen vorübergeht, wird sich fragen, was denn an eigentlicher Wiederaufbauarbeit geleistet wurde, denn die geschilderten Arbeiten können gleichsam nur als Vorarbeiten gewertet werden. Wenn man bedenkt, daß der Grundstein zum Haus am 20. Mai 1863 gelegt wurde und die Eröffnung am 25. Mai 1869, also nach sechsjähriger Bauzeit, erfolgte, daß — wie geschildert wurde — bedeutende und wichtige Gebäudeteile und Anlagen noch unverletzt geblieben sind, daß die technischen Möglichkeiten seit der Erbauung wesentlich größere geworden sind und daß es endlich zweieinhalb Jahre her ist, seit der Waffenlärm verstummte, so ist es nahe-. liegend, daß ein Gefühl der Enttäuschung Platz greift. Will man gerecht sein, so muß man jedoch sagen, daß zur Zeit der Grundsteinlegung alle notwendigen Entwürfe und Pläne nach jahrelanger Vorarbeit fertig vorlagen, während sie jetzt erst geschaffen werden müssen. Dadurch wird klar, daß

schon aus diesem Grunde eine gewisse Zeit vergehen muß, ehe mit voller Kraft an den Aufbau geschritten werden kann.

Es wäre freilich möglich gewesen, einfach den Bau nach den alten Plänen wieder aufzuführen. Gerade dies wäre aber, was die Dach- und Deckenkonstruktion sowie die Einrichtung der Bühne betrifft, vom technischen Standpunkt aus unzweckmäßig. Es wurde daher bereits im Frühjahr ein Ideenwettbewerb für Ingenieure zwecks Erlangung von Projekten für die Dach- und Deckenkonstruktion des Zuschauerhauses und der Bühne ausgesdirieben, der wertvolle Ergebnisse gezeitigt hat.

Was nun den inneren Ausbau anlangt, so kam man auch hier nach eingehender Prüfung zu - der Überzeugung, daß ein reines Kopieren des Alten, so verlockend dies gewesen wäre, nicht am Platze sei. Denn einerseits muß den seit der Erbauung des Hauses erlassenen Sicherheitsvorschriften beim Wiederaufbau Rechnung getragen werden, andererseits erscheint es angezeigt, der Gegenwartskunst Gelegenheit zu geben, eine zwar sich harmonisch in die bestehenden Teile einfügende, aber immerhin selbständige Lösung zu finden. Es wurde daher ein Wettbewerb für Baukünstler zwecks Erlangung von Unterlagen für die Ausgestaltung des Zuschauerraums veranstaltet. Die Frist für die Einreichung der Entwürfe endet am 1. Dezember 1947.

Aber ungeachtet dieser Vorarbeiten für den Wiederaufbau wäre es möglich gewesen, den eigentlichen Aufbau wesentlich weiter vorzutreiben, als dies bisher der Fall war, wenn es geglückt wäre, die notwendigen Baumaterialien zu beschaffen, die zur Zeit der Erbauung ohne Schwierigkeit bereitgestellt werden konnten. Es wurde zwar alles Erdenkliche versucht, um die.bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden, die Bemühungen hatten aber bei weitem nicht den gewünschten Erfolg. Gegenwärtig sind wieder Aktionen im Zuge, die allerdings eine wesentliche Besserung der Materiallage erwarten lassen.

Mit Nachdruck werden vorläufig die Steinmetzarbeiten weitergeführt und es sind ungefähr 25 Steinmetze im Hause selbst und ungefähr die gleiche Zahl in dem Bergwerk Mannersdorf und den verschiedenen Werkstätten tätig.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Was für die Sicherung des Erhaltengebliebenen und für den Wiederaufbau des Zerstörten geschehen konnte und geschehen kann, ist getan worden und geschieht auch weiterhin. Wehn in Anbetracht der außerordentlichen Zeitumstände nicht alles so rasch geht, wie man wünschen möchte, so ist dies bedauerlich, aber im Augenblick nicht zu ändern. Immerhin lassen verschiedene Anzeichen darauf schließen, daß die fortgesetzten Bemühungen der verantwortlichen Stellen eine Reihe von bestehenden Schwierigkeiten werden ausschalten können, so daß die Hoffnung berechtigt erscheint, daß in einer gewiß nicht sehr kurzen, aber immerhin absehbaren Zeit — Termine lassen sich freilich nicht angeben — das Institut wieder in sein altes Heim wird einziehen können.

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