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Die neue Wiener Staatsoper

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Nach dem einmaligen künstlerischen und gesellschaftlichen Ereignis der Opernpremiere am 5. November 1955 werden die Wiener und die auswärtigen Gäste, wenn sie in den folgenden Tagen und Wochen die Oper besuchen, in Ruhe feststellen wollen, worin denn eigentlich die Unterschiede gegen früher bestehen.

Von außen . besehen, fallen vorerst keine großen Aenderungen auf. Die Ringstraßenfront mit der Loggia zeigt sich wie früher, links und rechts stehen noch immer die schönen Brunnen Hans Gassers. Die Brunnenschalen verbergen besser, als der offene Rasen dies vermag, die Scheinwerfer, die zur Anstrahlung der wiederhergestellten Natursteinfassaden vorübergehend während der Eröffnungswochen aufgestellt werden. Allerdings, aus den Rasenflächen wurden je zwei Viertelkreise ausgeschnitten, für zusätzliche Notausgänge, die der verbesserten Sicherheit des Publikums dienen.

Zwei wesentliche Aenderungen gibt es aber doch, wenn sie auch nicht gleich auffallen; die eine betrifft die Dachhaut, die die neue Dachkonstruktion aus Stahlbindern über einer dünnen Betonschale überdeckt, sie besteht nunmehr aus Kupferblech. Früher war bekanntlich ein Schieferdach auf Schindeln vorhanden, das nie recht dicht war. Die alte Dachform blieb jedoch erhalten, wenige Steinkamine nnd Dachluken geben ihr ein geschlosseneres, ruhigeres Gepräge. Nur die grüne Patina wird noch eine Weile auf sich warten lassen!

Um die zweite Aenderung festzustellen, müßte man von einem oberen Stockwerk eines der rund um die Oper neu entstehenden Gebäude auf diese herabsehen. Es sind dies drei große, zusammenhängende Terrassen, eine höhere über der Loggia am Ring, erreichbar von den Pausenräumen der Galerie (früher 4. Galerie), und zwei etwas tiefere längs der Operngasse und Kärntner Straße, zugänglich über eine neue Treppe vom Balkon (früher 3. Galerie). Sie werden, außer als vorübergehender Fluchtaufenthalt im Gefahrenfalle, als willkommene Aufenthaltsräume für das Publikum bei geeigneter Witterung dienen. Zwar nicht baulich, aber raumwidmungsmäßig ist von außen noch feststellbar, daß in der Kärntner Straße zwischen den Mittelrisaliten die Abo n-nementkassen in moderner, werbekräftiger Gestaltung eingebaut wurden. Das Gegenstück hierzu bilden die Tageskassen für alle Bundestheater, die im seitlichen Vorbau an der Operngasse und auch von dort zugänglich, untergebracht wurden. Es ist hierbei vorgesorgt worden, daß auch bei starkem Andrang das Publikum wettergeschützt warten kann.

Wir betreten nunmehr das Haus vom Ring her, sofern wir nämlich die Absicht haben, das Parkett, das Parterre, die Logen oder die Galerie zu besuchen. Für Besucher des Balkons (früher 3. Galerie) sind in Uebereinstimmung mit den jetzigen theatergesetzlichen Vorschriften getrennte eigene Stiegenhäuser ausgebaut worden. Ihre Eingänge befinden sich in den Risaliten Operngasse und Kärntner Straße. Die hierzu mitbenutzten Treppenläufe dienten früher als „Erzherzog-“ und „Kaiserstiege“ dem Hof zur Erreichung seiner Logen und endeten im 1. Stockwerk. In ihren unteren Teilen sind sie teilweise erhalten geblieben.

Der erste Eindruck des Vestibüls ist fast unverändert; die Hauptstiege mit ihren Aufgängen und der Decke ist erhalten geblieben, auch die Kandelaber und die sonstigen Beleuchtungskörper. Nur sehr mit dem Hause vertraute Besucher werden merken, daß der Marmorboden im Vestibül neu ist und um zwei Stufen tiefergelegt wurde, so daß man jetzt vom Gehsteig eben hereintritt. Neu sind auch die beheizten und belüfteten Windfänge in Metallkonstruktion und die Einbauten der beiden Abendkassen.

Während die Logenbesucher wie früher über die Haupttreppe oder seitlich im Parterre über die Winkelstiegen ihre Ränge erreichen, begibt sich der Parterre- und Parkettbesucher jetzt in die neue Parterregarderobe, die sich im Vorbau längs der Kärntner Straße erstreckt. Sie wird auch vor Einlaß als Anstellraum für die Stehplatzbesucher dienen. — Durch einen vergrößerten Zugang gelangt man dann über den früheren alten Garderoberaum, der nur noch die Garderoben für die Stehplatzbesucher enthält, ins Parkett und Parterre.

Gehen wir vorerst nochmals ins Vestibül zurück und die Haupttreppe hinauf, so gelangen wir in das alte Foyer mit den Schwindt-Fresken und der davorliegenden Loggia. Diese beiden Räume ebenso wie der Stiegenumgang und der Festsalon wurden zwar weitgehend restauriert, aber nicht im geringsten verändert. Eine vollkommene Neugestaltung haben jedoch die links und rechts vom Foyer längs der Opern- und Kärntner Straße liegenden Räume erfahren.

An der Kärntner Straße, wo früher Direktions- und Verwaltungsräume lagen, erstreckt sich jetzt der von Prof. Kosak gestaltete Gobelinsaal, so benannt nach den dreizehn großen Gobelins, die eigens von Professor Eisenmenger für diesen Saal entworfen wurden. Sie zeigen Motive aus der „Zauberflöte“ und wurden in der Wiener Gobelinmanufaktur in jahrelanger, mühevoller Arbeit hergestellt. Sein Gegenstück ist der Marmorsaal, nach Entwürfen der Architekten Prossinger und Cevela. In ihm wurden für den Fußboden, die Türumrahmungen und das darin aufgestellte große Büfett verschiedene Sorten von Salzburger Marmor verwendet. Große Marmorintarsien in moderner Auffassung von Bildhauer Leinfellner schmücken die sonst schlichten Stuckwände. Sie stellen Szenen aus dem Theaterbetrieb dar. Das alte Foyer steht über zwei kleine Verbindungsräume mit diesen je 40 m langen Sälen in Verbindung, so daß eine Flucht von Festräumen, auch für besondere Veranstaltungen geeignet, entstanden ist.

Doch nun treten wir in den Zuschauerraum durch eine der Polstertüren im Parkett ein. Er wurde von Prof. Dipl.-lng. Boltenstern, dem Preisträger eines engeren Wettbewerbes, in glücklicher Harmonie unter Verwendung der alten Bauteile traditionsbewußt, aber in seinen Einzelheiten dem heutigen Zeitempfinden entsprechend, gestaltet. Der optische Eindruck ist abgestimmt auf die Farbenfolge der alten, erhaltenen Prunkräume. Rot-Gold-Elfenbein herrseht hier vor. Sonst ist jedoch vieles anders; das Parterre mit der neuen bequemen Bestuhlung (die Rückseite der Sessel wurde aus akustischen Gründen nicht bespannt) ist noch am wenigsten verändert, der Parterrelogen-, 1. und 2. Logenrang mit je 26 Logen, die große Mitt.'Hoge und die Proszeniumslogen knüpfen auch noch an das alte Erinnerungsbild an.

Gänzlich neu in Erscheinung tritt die Gestaltung des Balkons (früher 3. Galerie) und der Galerie (früher 4. Galerie). Gänzlich neu sind auch die anschließenden, geräumigen Pausenräume. Auf dem Balkon fehlen die Logen, aber auch die sichthindernden Säulen. Auf der Galerie ist die alte Spitzbogenarchitektur fortgefallen, und auch hier gibt es keine „Säulensitze“ mehr. Die Logenbrüstungen, nur mehr mit zarten, sich nach oben auflösenden Ornamenten geschmückt, denen ein einziges Blattmotiv zugrunde liegt, geben dem Zuschauerraum zusammen mit der Strahlendecke einen ruhigen, feierlichen Charakter. An dieser Wirkung sind auch maßgehend die Brüstungswandarme und der große Beleuchtungskranz an der Decke beteiligt.

Aber nicht nur fürs Feierliche, sondern auch für viel Praktisches wur.de vorgesorgt. Ein Aufzug zum Beispiel, dessen Boden das Gitter-.der vorgeschriebenen Rauchabzugsöffnung bildet, kann so weit herabgelassen werden, daß der Beleuchtungskranz von ihm aus mühelos gereinigt werden kann. Daß auch Personenaufzüge vorhanden sind, ist selbstverständlich, ebenso auch genügend Anrichteräume und Büfetts.

Aufmerksamen Beobachtern fällt noch ein Einbau ober“ der Mittelloge auf: seine Fenster sind bei hellem Zuschauerhaus allerdings durch einen Vorhang verdeckt. Es ist der Regiebeobachtungsraum und T o n 1 e i t-stand. Ein weiterer Einbau darüber im Balkon enthält die Rundfunkübertragungskabine.

Gegen die Bühne zu fällt der geräumige Orchesterraum auf. Er reicht für 110 Musiker und bietet so ausreichend Platz auch für die stärkst besetzten Opern, wie zum Beispiel „Frau ohne Schatten“ mit 108 Musikern. Der Orchesterfußboden ist überdies in drei Teile parallel zur Bühne geteilt, die bis Bühnenhöhe einzeln oder zusammen hochfahren können. Dies ermöglicht zum Beispiel eine Vergrößerung der Bühne nach vorne bei Opern mit kleinerem Orchesterbedarf oder die Einbeziehung der ganzen Fläche auf Bühnenhöhe beim Opernball. Für dieses wohl einzigartige gesellschaftliche Ereignis, dem früher 5000 Personen beiwohnten, ist bereits schon jetzt vorgesorgt worden. Es kann nach Entfernung der Parterre- und Parkettsitze in vorbereiteten Führungen in einer Nacht ein Stahlgerippe mit fertigen Fußbodentafeln versetzt werden. Mit dem hochgefahrenen OrchesterBoden und der mehr als 50 m von der Rampe aus sich in die Tiefe erstreckenden Bühne und Hinterbühne steht damit ein einmaliger Tanzsaal zur Verfügung. Eine Freitreppe zur Mittelloge wird den imposanten Einzug der Gäste ermöglichen, weitere Treppen zu den Proszeniumslogen und Abgangsstiegen sorgen für die Verbindung mit den um den Zuschauerraum liegenden Gängen und Sälen.

Große und entscheidende Veränderungen hat das Bühnenhaus erfahren. Sie werden dem Besucher, soweit sie Bühne und Hinterbühne betreffen, allerdings nur durch die künftig wesentlich großzügigeren Inszenierungsmöglichkeiten bewußt und können hier,nur andeutungsweise erwähnt werden.

Die wichtigsten Neuerungen betreffen die hydraulisch betriebene Bühnenmaschine. S'.t bewegt eine an der Rampe liegende Versenkbühne und sechs parallel dazu liegende Hubböden mit je 3 mal 18 Meter, von denen jeder einzeln oder mehrere, in beliebiger Zahl gekuppelt, von 11 Meter unter Bühnenniveau bis 2,50 Meter darüber gehoben und gesenkt werden können. Mit dieser Anordnung, die noch durch drei ebenfalls absenkbare, aber auch horizontal verfahrbare Bühnenwagen (3 mal IS Meter) ergänzt wird, kann raschester Szennwechsel erreicht werden. Die Seiten-bühne, 11 Meter breit, besitzt ebenfalls drei Bühnenwagen, auf denen Szenen meist für Opern mit kleinerer Ausstattung zur Bühne vorgefahren werden können.

Ergänzt wird die maschinelle Anlage noch durch eine 17 Meter im Durchmesser große Drehscheibe, die in einer quadratischen Kassette eingebettet ist, die bei NichtVerwendung zusammengeklappt in einem Mauerschlitz über der Hinterbühne untergebracht ist. — Durch die Verbreiterung der Hinterbühne von 13 Meter auf 21 Meter ist außerdem ein 50 Meter in die Tiefe reichender, breiter Bühnenraum geschaffen worden, der zum Beispiel Massenaufzüge wie bei ,,Aida“ vorteilhaft zur Geltung bringen wird.

Eine Reihe neuzeitlich eingerichteter Garderobe- und Proberäume und Säle für Chor, Ensemble, Orchester und Ballett ergänzt den Wiederaufbau des Bühnenhauses. Der Platz hierfür wurde dadurch gefunden, daß die einstigen Werkstätten außer Haus verlegt wurden. Dadurch wurde überdies die Sicherheit des Hauses wesentlich erhöht. — Dieser Sicherheit dient auch der neue eiserne Vorhang zwischen Bühne und Zuschauerhaus, dessen Vorderseite ein Gemälde Prof. Eisenmengers schmückt und bei dessen Komposition Motive aus der Orpheussage verwendet wurden. Mit dem Blick auf das Bild, das sich dem traditionellen Charakter des Hauses einzufügen bemüht, beenden wir die Feststellung der baulichen Aende-rungen in der neuen wiederaufgebauten Oper.

Es sei entschuldigt, wenn in dem engen Rahmen dieses Berichtes auf vieles nicht, auf manches nur kurz verwiesen werden konnte, aber über ein Bauvorhaben mit 260 Millionen Schilling Kosten ließe sich noch manches sagen. Nun, da das Ziel trotz aller Schwierigkeiten erreicht ist, alle technischen Voraussetzungen gegeben sind, bleibt nur ein Wunsch offen: mögen der neuen Wiener Oper wieder jene künstlerischen Erfolge beschieden sein, wie sie sie in ihren früheren Zeiten erlebte. Sie haben ihr nicht nur die Herzen Wiens, sondern auch die hohe Wertschätzung der ganzen musikalischen Welt gebracht.

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