6642623-1958_04_08.jpg
Digital In Arbeit

Nur noch zwei Monate ..

Werbung
Werbung
Werbung

WOLKEN DES BRABANTER HIMMELS ziehen phlegmatisch über die Dächer der Brüsseler Altstadt, über sein herrliches Rathaus und die vergoldeten Häuser der Gilden. ... Jetzt, Mitte Jänner, bildet der alte Marktplatz den ruhigsten Punkt der Stadt. Auf den Boulevards dagegen, in den umliegenden Stadtteilen und in der Nähe der Bahnhöfe dröhnen Hämmer und Bohrer, Bagger durchwühlen die Erde, Gerüste wachsen in den Himmel, Straßenbahntunnels leuchten unter den Straßen, die in Bälde neue Züge durcheilen werden, an mehreren Straßenunter- und Straßenüberführungen wird noch emsig gearbeitet, wobei der Fernverkehr schon in neuartigen, auf Betonsäulen ruhenden Hochstraßen inmitten der breiten Avenuen rollt. Verkehrspolizisten in langen, grellgelben Mänteln und weißen Helmen überwachen gelassen den Verkehr.

Eine noch hektischere Geschäftigkeit herrscht vor den Toren der Stadt, in Heysei, auf dem zwei Millionen Quadratmeter großen Gelände der Weltausstellung, die im April die Tore öffnen wird. Alle internationalen Weltausstellungen von der ersten im Kristallpalast in London im Jahre 1851 bis „New York 1939“, glichen bisher einem Wettbewerb der Nationen in Kunst, Handel, Industrie und Technik. Diesmal will die Weltausstellung 195 8, die erste seit dem Kriegsende, eine Schau der internationalen friedlichen Zusammenarbeit zeigen, die sowohl der Humanisierung des technischen Fortschritts wie auch dem gegenseitigen Verstehen und Achten dienen soll. Ihr Thema heißt schlicht und einfach „Bilanz für eine menschlichere Welt“. Die Entdeckung der Atomkraft, die außergewöhnliche Entwicklung der Transportmittel und die Intensivierung und Beschleunigung der Transportmittel haben tiefgreifende Umwandlungen in unserer Weh hervorgerufen. Der Mensch ist angesichts dieser seelenlosen materiellen Entwicklung unruhig und einsam geworden, die Schwierigkeit, sich zu verstehen, wächst von' Tag“ zu'Tag: Baron Mtrens de F e r i n g, der GeneralkommissEfr der Weitausstellung 1958, sagt dazu wörtlich: „Die Völker und Menschen müssen sich ihres gemeinsamen Schicksals bewußt werden. Die Weltzusammenarbeit ist eine absolute Notwendigkeit. Man kann die Zukunft nicht mehr an lokalem oder nationalem Maßstab messen. Für den Frieden ist ein gutes und positives Verständnis zwischen den Völkern unbedingt notwendig. Ein solches Verständnis kann nur dann bestehen, wenn die Menschen sich kennen und sich besser verstehen. Die Weltausstellung von Brüssel 195 8 möchte den Menschen aller Rassen die Gelegenheit geben, sich der Probleme bewußt zu werden “ Wie man sieht, ist das Ziel der Ausstellung eine Art von neuem Humanis-

mus, der zweifelsohne Einfluß auf unser Zeitalter ausüben wird.

SCHON LANGE, BEVOR MAN DAS AUSSTELLUNGSGELÄNDE BETRITT, erblickt man eine Reihe großer Bauten, die im Rohbau bereits fertiggestellten verschiedenen Pavillons und Hallen, überragt vom Wahrzeichen der Weltausstellung 195 8, dem Atomium. .Schwerbeladene Lastwagen und Lieferwagen rollen über die schlammbedeckten breiten Ausstellungs-straßen. Das Thermometer zeigt nur wenige Grade über Null, es nieselt. Ueber 17.000 Arbeiter sind gegenwärtig auf dem Ausstellungsgelände am Werk. Das originelle Bauwerk des Atomiums, das die Höhe von 102 Metern erreicht, hat die Form der elementaren Zelle eines Metallkristalls in hundertfünfzigmilliardenfacher Vergrößerung. Die neun Kristallatome sind durch stählerne Hohlkugeln dargestellt, jede von 18 Meter Durchmesser, außen mit schimmerndem Aluminium verkleidet. Die unteren Kugeln sollen ein? Ausstellung über die friedliche An-

wendung der Atomenergie aufnehmen. Von Kugel zu Kugel wird der Besucher über Rolltreppen durch Aluminiumtunnel befördert. In der mittleren Strebe des Atomiums ist ein Schnellaufzug eingebaut; er erreicht in 20 Sekunden die höchstgelegene Kugel mit dem Re-

staurant und seinem herrlichen Ausblick auf die Ausstellung und die Stadt. Rings um das Atomium liegen im parkartig angelegten Gelände über 200 Pavillons und Hallen verstreut. 51 Nationen aus Europa, Amerika, Asien und Afrika werden hier ihre Lebensarten und Er-

rungenschaften zur Schau stellen — sie werden einzeln versuchen, ihre Auffassung vom menschlichen Glück herauszustellen und dabei Mittel und Wege anführen, die nach ihrer Ansicht ein glückliches Leben ihrer Bürger gewährleisten. Dieser friedliche Austausch soll hier eine Gelegenheit bieten, einander besser kennenzulernen und sich zu verstehen.

Belgien beansprucht den größten Teil der Ausstellung und wird in fünf riesigen Hallen eine Monsterschau unter dem Titel „Neue Techniken im Dienste der Menschen“ bringen, daneben in sieben Pavillons die Entwicklung und die verschiedenen Erzeugnisse aus Belgisch-Kongo und Ruanda-Urundi. Die Ausstellungsbauten der verschiedenen Nationen sind sehr abwechslungsreich und avantgardistisch gestaltet. Die USA haben hier den größten Rundbau der Welt errichtet, die Sowjetunion die größte Halle aus Glas, der spanische Pavillon bildet eine originelle wabenförmige Baugruppe, der Pavillon Venezuelas ist von geradezu revolutionärer Architektur, die Finnen errichteten einen feinen Holzkonstruktionsbau, von bestechender Einfachheit ist der Pavillon Israels, dessen Grundriß Trapezform aufweist.

Der österreichische Pavillon, ein proportionierter Bau aus Stahl und Glas, ist ebenfalls im Rohbau längst fertiggestellt. Rund 30 Oesterreicher sind hier neben vielen belgischen Arbeitern und belgischen Firmen ununterbrochen beschäftigt: da sie sich die Herzen der Belgier bereits erobert haben, fühlen sie sich hier recht wohl, nur der österreichische Winter mit den schneebedeckten Bergen geht ihnen hier ein wenig ab . . ,

*

AUCH ACHT INTERNATIONALE ORGANISATIONEN UND INSTITUTE aus fünf Weltteilen nehmen an der Weltausstellung teil. In einer riesigen Halle der Internationalen Zusammenarbeit werden durch optische Mittel die großen Themen der heutigen Einheit zusammen mit den jeweiligen Beiträgen der einzelnen

Organisationen zum gemeinsamen Werk illustriert. Die Innenausstattung sämtlicher Pavillons und Hallen, an denen jetzt gearbeitet wird, muß bis Ende März 1958 beendet sein, um bis zur Eröffnung durch den belgischen König Bau-douin am 17. April die Grünanlagen in Ordnung bringen zu können. Im Ausstellungsgelände werden 6000 Quadratmeter Gärten und Terrassen mit riesigen' Vogelhäusern angelegt; auch ein Garten der vier Jahreszeiten und ein Stück Tropenwald sollen hier entstehen.

Auf 50.000 Quadratmetern wurde in wahrheitsgetreuer Wiedergabe ein Stück „Belgien 1900“ errichtet, eine malerische belgische Kleinstadt mit bunten Giebelhäusern und holperigem Katzenkopfpflaster. Hier sollen Trachtenumzüge, Volkstanzaufführungen, Karnevalsfeste sowie internationale Treffen alter Automobile und Droschken stattfinden. Ein großer Vergnügungspark wird eine der beliebtesten Abteilungen der Ausstellung sein. Für die aller-kleinsten Ausstellungsbesucher ist eine Kinder-bewahranstalt und ein Miniaturdorf mit verschiedenen Attraktionen vorgesehen. Feuerwerke werden die Nächte erhellen und die Pavillons, djs .bltimengeschnjücktcn. , Straßen, .Gärten und Sji(-ingbr.vmnen märchenhaft beleuchten. .Die,Besucher werden dank eines Sessellifts und eines langsamen Panoramazuges nach Belieben und ohne Ermüdung dieses außergewöhnliche Fest genießen können.

Vor der Kulisse dieser gigantischen Schau soll sich ein vielgestaltiges Veranstaltungsprogramm abwickeln. Im Herzen von Brüssel, in der Bibliothek des Albertineums, werden zwei Kunstausstellungen veranstaltet: die erste wird die Formen der zeitgenössischen Kunst. umfassen, die zweite soll eine zusammenfassende Darstellung der Plastik von der Vorzeit bis zu unseren Tagen bieten. Ein Weltfilmfestival soll gestartet werden, es soll ein Festival des Experimentalfilms geben, ein Schallplattenfestival, ein Festival der elektronischen Musik und ein internationales Festival der Kammermusik. Weiter sind geplant Feste der Jazzmusik, der Volksmusik, der Studententheater, der Jugendorchester, ein Rallye der Stars während der Filmfestspiele, ein Jagdfest, internationale Kongresse, Konzerte, Aufführungen und Bälle.

BELGIEN BEREITET SICH VOR, im Durchschnitt täglich 175.000 Besucher zu empfangen. Brüssel allein wird 53.200 Personen beherbergen können. Die Dienststelle LOGEXPO, ausgestattet mit einem Elektronengehirn und Fernschreiber, gestattet jedem Ankömmling, sofort jede gewünschte Unterkunft zu finden. Ein ausgedehnter Block von hübschen Motels, nur drei Kilometer von der Ausstellung entfernt, wird 4000 Autofahrern Unterkunft bieten. Weiträumige Parkplätze stehen zehntausenden Wagen offen. Der Campingplatz Marly wird 7500 zeltende oder in Wohnwagen reisende Touristen aufnehmen können. Stündlich werden 428 Züge der Straßenbahn und moderne Autobusse zum Ausstellungsgelände verkehren. Ein Hubschrauberdienst wird die Weltausstellung mit den wichtigsten Städten Belgiens und der angrenzenden Länder verbinden. Sonderzüge, direkte Flugverbindungen und eigene Schiffslinien (nach Antwerpen) sollen den Besucherstrom entlasten.

Die Bevölkerung Belgiens lernt fleißig Fremdsprachen, schmückt bereits ihre Heime und ist voll Erwartung auf die ausländischen Gäste. Am 17. April werden sich die zehn Monumentaltore der Weltausstellung 1958 öffnen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung