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KARWOCHE IN SEVILLA

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Sie begann mit den Weissagungen allzu freundlicher Propheten allenthalben in Madrid, die mir Schrecken einjagen sollten. Wir schrieben Montag nach dem Palmsonntag. Auf vielen Baikonen sah man noch die oft mannshohen, verzierten und geweihten Palmblätter zur Schau gestellt. „Sie werden kein Eisenbahnbillett nach Sevilla mehr bekommen. Die Züge sind ausverkauft. Wenn Sie nicht eine Empfehlung, mindestens von einem Minister, haben, gibt es kein Zimmer. Alle seit Monaten vergeben Bedenken Sie doch: die Welt kommt zu uns."

Also — ich erhielt ohne weiteres die Fahrkarte für den Nachtschnellzug vor dem Gründonnerstag und, in Sevilla angekommen, auch ohne Berufung auf die höchsten Persönlichkeiten des Staates ein entsprechendes Zimmer. Allerdings der drei- bis vierfache Preis hierfür wie für die Wagenfahrten überraschte mich.

Die nur männlichen Mitglieder der siebenundachtzig Brüderschaften hatten gewiß seit Wochen ihre Vorbereitungen für ihre Bußtätigkeit getroffen, die Frauen wieder, die weder am Zug teilnehmen, noch ein Büßerkleid anziehen durften, konnten den Karfreitag erwarten, an dem sie ihr nationales Festgewand aralegen würden, das mit Spitzen besetzte Kleid aus schwarzer Seide, den hohen Kamm im Haar und die prächtige Mantilla darüber.

Man sieht also an diesem Tag die schöngekleideten Menschen in Grüppchen beisammenstehen, plaudern, lachen und sich freuen, was sich mit unseren Gebräuchen und Vorstellungen vom Mitleiden mit der Passion Christi nicht vertragen will. Gott allein weiß es, er sieht den Menschen auch in Sevilla in die Herzen, die hier an der Stelle der alten Moschee einen Dom errichtet haben, der nach der Peterskirche in Rom als . zweitgrößter Kirchenbau der Welt anzusprechen ist. Die Stadtväter des fünfzehnten Jahrhunderts hatten ihn errichtet, weil sie von der Nachwelt „für Narren gehalten werden wollten“, und Theophile Gautier hat gesagt, im Innern der Kathedrale könne „Notre Dame de Paris erhobenen Hauptes lustwandeln. Ich füge hinzu: wenn sie sich nicht an der Kirche in der Kirche stößt, jenen seltsamen Einbauten in den spanischen Kathedralen, Chor und Hauptaltar, die die schöne Symmetrie der Schiffe stören.

Die Karwoche wird in ganz Spanien mit gewissem Aufwand gefeiert, aber Sevilla mit seinem gewaltigen Dom, seinen fünfhundert Priestern, die täglich vor achtzig Altären ihre Messe zu lesen haben, muß auch hier triumphieren. Von edlem Wettstreit erfüllt sind ja ebenso die verschiedenen Bezirke. Es geht um mehr Beteiligung, schönere Pasos, längere Anmarschwege.

Der Paso, der herumgeführt wird, ist ein altarartiger Aufbau mit einer Szene aus der Passion, der Darstellung des Heilandes oder der Gottesmutter, von namhaften Künstlern plastisch in Holz gebildet. Die Jungfrau ist in Samt und Seide gekleidet, ihre Schleppe ist aus kostbarstem Brokat, ihre Krone golden, mit Perlen und Edelsteinen geschmückt, die oft von den reichsten Familien der Stadt entliehen werden oder aus dem eigenen Besitz der Bruderschaften stammen und für diesen lag, natürlich unter den größten Vorsichtsmaßnahmen, aus dem Safe geholt wurden. Hunderte von hohen Kerzen flackern um die verehrte Gestalt mit dem süßen oder schmerzlichen Gesicht-

Der Paso wird begleitet von Priestern, einer Musikkapelle aus Trompetern und Trommlern, von Militär und Guardia-Civil mit gezücktem Säbel. Gemessenen Schrittes nach dem Takt deT abgehackten Trommelschläge folgt der Zug der Bruderschaft in ihrer Büßerkleidung, mit den hohen spitzen Kapuzen, die nur zwei Schlitze für die Augen frei lassen — und langen Kerzen in den Händen. Ein etwas spukhafter Anblick, von den anderen Cofraderias verschieden durch Verwendung andersfarbiger Stoffe und anderer Gürtel. Dirigent des Ganzen mit der Gewichtigkeit seiner Würde aber ist der goldenlivrierte Capataz.

Der Weg der Prozession ist vorgeschrieben, er führt von der Heimatpfarre des Bezirkes in das Innere der Stadt über die Plaza San Francisco zur Kathedrale, und durch sie hindurch wieder zum Ausgangspunkt zurück. Man ist zumeist sieben bis acht Stunden unterwegs, an wesentlichen Punkten der Stadt, wo die Bevölkerung Altäre errichtet hat, wird angehalten, auch vor dem Ayuntamiento, dem Rathaus, wo die Tribünen unendlicher Stuhlreihen bis zur Kathedrale hinführen, die bei gutem Wetter alle vermietet sind. Die Balkone der Häuser am Wege sind dicht besetzt und die einzelnen Plätze von Jahr zu Jahr voraus verkauft. Die Rastzeiten werden mit einer Saeta ausgefüllt. Immer wieder tritt jemand aus dem Publikum, das in tiefen Reihen Spalier steht, an den Straßenrand und erhebt seine Stimme zu einem Klagelied, das, in hohen, spitzen Tönen gehalten, allgemeine oder persönliche Anliegen mit assortierenden Reimen der Virgen oder dem Cristo de la Pasion entgegenbringt.

An jedem Tag der Woche sind es sieben bis acht Umgänge, die am Nachmittag beginnen und nach Mitternacht ihr Ende nehmen und immer ist ein aufgeregter Strom von begeisterungsfähigen Menschen mit ihnen. Die berühmtesten und volkstümlichsten Aufzüge sind die der „Königin der Madonnen", der „Macarena“ — ihr Name ist einer arabischen Prinzessin entliehen —, die in der Nacht zum Karfreitag ihre Kapelle San Gil verläßt, gefolgt von „Christus“, dem wie einem Prinzgemahl weniger Beachtung zuteil wird, ferner der Aufzug des „Heilands vom göttlichen Schweigen“, dessen Jünger mit gedämpftem Schritt und ehrfürchtigem Schweigen einhergehen, der Jesus Gran Poder und der der Virgen de la Esperanza, der „Fischermadonna“, die von dem Arbeiterviertel Triana jenseits des Guadalquivir kommt und mit großem Jubel empfangen wird. Ihr traben Trompeter zu Pferd voraus, und Träger von Fackeln begleiten sie, deren Licht sich im Fluß magisch widerspiegelt. Bescheidener, aber nicht weniger verehrt, ist die Virgen der Zigeuner, die mit einer Capa der Stierkämpfer geschmückt ist.

Nicht die polychromen Holzplastiken, die lieblichen oder ekstatischen Darstellungen, oder ihr tieferer Sinn allein, sondern das ganze unerhörte Schauspiel der Ausfahrt und Heimkehr der heimischen Heiligen mit der namenlosen Selbstentäußerung so vieler rufen diesen Jubel, diese Verzückung hervor, halten die Menschen in der Karwoche lange auf den Beinen, dies alles in einer Atmosphäre, die vom süßen Duft der Orangenblüten, von Weihrauch und den Ölgerüchen der auf offenen Herden gebackenen Leckereien erfüllt ist. Da gibt es vor allem die Geringos, die in Cordoba Churro heißen, Bäckereien aus Kartoffelteig, um eine Peseta zu erwerben, oder gebackene Fische und allerlei Meererzeugnisse, die Mariscos.

Wer sich, vom allerdings gedämpften Trubel der Menschen, die die Nacht zum Tag machen, ein wenig retten will, begibt sich in das alte, engwinkelige Maurenviertel Santa Cruz, in das auch untertags kein Motorengeräusch Vordringen darf. Die Straßen sind schmal, die weißgekalkten Häuser mit Blumen geschmückt, di£ Innenhöfe, gepflegt und verträumt.Mit dem Mond über dieser halb morgenlandischen’Szene schreitet man wie im Märchen, bis man zum Haus Murillos kommt (das des Velasquez ist nicht mehr festzustellen), und zum anschließenden Murillo-Garten, einem der schönsten Stadtgärten Spaniens.

Noch berückender aber ist der Garten des Alcazar, den sich Peter der Grausame im vierzehnten Jahrhundert von maurischen Architekten erbauen ließ. Man hört manch hartes Wort über die ausgeklügelten Stuck-Stickereien des Mudejar- stils, die unechte Architektur einer fremden Sprache für christliche Herrscher, die sich gern in Sultanskleidern ergingen. Dennoch wird der Freund arabischer Baukunst an vielem seine Freude haben: an dem Patio de las doncellas, wo der Maurenkönig von den besiegten spanischen Städten hundert Jungfrauen in Empfang genommen haben soll, oder an dem Saal der Gesandten, in dem Karl V. mit der Infantin von Portugal Hochzeit gehalten hat, wie an der Giralda, dem mit einem christlichen Glockenturm erhöhten Minarett, dem Wahrzeichen Sevillas. Auf der Spitze, in 93 Meter Höhe, bewegt sich die überlebensgroße Gestalt des Glaubens, heute als „Wetterfahne" (Girardillo) ironisiert, einst das Zeichen für den Mittelpunkt der Welt, als nach der Entdeckung Kolumbus’ das Gold Amerikas in reichem Maße in den Torre de Oro strömte.

Die Glocken der Giralda verkünden am Ostersonntag um zwei Uhr früh das Ende der Semana Santa. Achtzig Kirchen und Kapellen fallen mit ihren erzenen Stimmen ein in den Chor der Osterfreude. Müde sieht man die Menschen nach Hause wandern, sie tragen die Kerzenschäfte geschultert oder die Kreuze untergefaßt, viele halten das Bündel ihrer Büßerkleidung unterm Arm und wanken ein wenig, voll des verführerischen Manzanillaweines.

Da — in der Nacht vom Hafen kommend — fällt mir der riesige Bau von Carmens Tabakfabrik auf, er hat fast die Größe des Eskorials und hat ebenso zur Kenntnis und Berühmtheit Spaniens beigetragen, freilich nicht durch einen dem Leben abgewandten Mystizismus, sondern durch die offen dargestellte Leidenschaft des Lebens auf Flügeln der Musik. In den heute ihrer Verwendung längst entzogenen Gebäuden soll die Universität untergebracht werden. Der Sieg des Geistes wäre wieder gerettet.

Ich habe im Andalucia-Palace zu Abend gegessen, an der Tafel der Reichen und Verwöhnten. Es ist das vornehmste Hotel spanischen Stils mit allem luxuriösen Raffinement an Ausstattung und Bedienung, und nun hocke ich nach Mitternacht unter hunderten Menschen des einfachen Volkes und habe ein Rest- chen von Tisch noch frei für meine Copita di vino tinto und das Schälchen (gratis hinzugereichter) auf Zahnstocher aufgespießter Tapas. Der Kellner hat mit Kreide meine Schuld auf die Tischfläche geschrieben, und rings um mich lebt das Volk, vielleicht ein wenig lebhafter noch als bei uns, aber ebenso voll Freude, wie überall, wo es mit vielen seinesgleichen eine Brüderschaft bilden kann der, wenn auch bescheiden, Genießenden.

Überall ist Spanien, und hier ist auch die Grazie Sevillas wiedergekehrt, die vielleicht eine Woche vergessen war. Die Trompeten, die gestern noch die Herzen zur Läuterung aufgerufen haben, werden morgen in der Arena mit ähnlichen Fanfaren den Beginn der Corrida anzeigen und die Gemüter anspannen.

Noch eines: da ich heimwärts durch die berühmte Sierpes wandle, sah ich Halbwüchsige auf dem Boden hocken. Sie lockern mit Messern das abgetropfte Wachs von der Straße. Ich rede mit tihnen. ßiqTachen, (pie-,können’ lachen: Auch sie; sind Gewinner d r Semana Santa. Für eine große Kugel Wachs bekommen sie zehn Peseten. Und von der Stadtverwaltung gibt es gewiß auch einiges Entgelt für die Reinigung. Man muß sich beeilen, daß einem andere nicht zuvorkommen, sagen sie, die Nacht ist rasch vorüber.

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