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Karwoche in Sevilla

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Rosenfarbig hebt sich das Antlitz des neuen Tages aus der andalusischen Ebene. Weiß schimmert das Gemäuer eines malerischen Landhauses zwischen braunen Äckern, Weingärten und grüner Saat; grüne Rosenranken verkrallen sich in rostbraune Eisengitter, an einem lauschigen Eckfenster vor hoher Toreinfahrt, über der in Stein gehauen das ehrwürdige Hauswappen prangt. Drinnen im „patio“ (Innenhof) begleiten Zitronen- und Orangenbäume die Spitzbögen eines maurischen Kreuzganges, während ein duftendes Kissen von Jasmin die graue Brunnenmauer umschmiegt. Draußen auf den Feldern blühen die Mandelbäume, und ihre weißen Blüten erscheinen wie launische Flockenstieber vor dem transparenten Blau des Himmels, aus dem plötzlich ein Entenstrich hervorflattert und aufgeregt in einen Wasserlauf des nahen Guadalquivirdeltas klatscht.

Da vibriert die Luft von einem seltsam singenden Klang. Es scheint, als ob ringsumher, aus zwischen Weinbergen und Ölbaumhainen verborgenen oder in den Tiefen des veränderlichen Flußlaufes versunkenen Ortschaften unzählige Kirchenglocken anschlagen und feierlich zusammentönen. Aber es ist nur e i n Glockenturm, der von der Kathedrale in Sevilla das eherne Lied seiner achtundzwanzig Glocken bis in die letzten Winkel der Stadt und weit ins Land hinaus schickt: der graziöse, in Gelbund Ockertönen leuchtende Turm der Gi- ralda, den ein Afrikaner, Almanzor, erbaute.

Die Glocken der Giralda tönen weit, und besonders in der Fastenzeit mögen sie manchem erneut in den Ohren klingen, der einmal die Karwoche in Sevilla erlebt hat und dann wieder davongezogen ist, vielleicht in sein fernes Land im Norden oder jenseits der Ozeane.

Wieder mag er sich wie einst durch das Menschengedränge der engen, gewundenen Gassen wie im Traum wandern sehen, jenen Gassen, von denen de Amicis sagte, daß die Geschichte der Stadt in ihnen geschrieben stehe. —- Die Männer und Jünglinge eilen zu den Kirchen und Kapellen, wo ein Jahr lang die Standbilder und Kreuzwegstationen aufbewahrt standen, die nun, in der „Se- mana Santa“, der „Heiligen Woche“, in feierlicher Prozession durch die Straßen getragen werden sollen. Man hebt die Stationen, „pasos“ nennen sie die Spanier, von den Altären, säubert und schmückt sie. Daheim arbeiten Frauen und Mädchen an den „Nazarenerkleidern“ ihrer Männer, der Tunika, dem Büßergewand.

Am Palmsonntag zieht die erste Prozession durch die Straßen. Überall eilen die „Nazarener“ in ihren langen, weißen, schwarzen, blutroten oder grünen Gewändern, mit oder ohne die typische spitze Haube und Gesichtsmaske, zum Treffpunkt der Brüderschaften. Die Fronten der Fläuser und öffentlichen Gebäude sind festlich geschmückt. Kostbare, schwere Gobelins hängen von Fenstern und Baikonen; die des Rathauses, des Gouverneurspalastes und did alter Handels- oder Patrizierhäuser tragen’ Wappen oder allegorische Szenen aus der Geschichte eingewirkt. — Die Stände und Zünfte vereinigen sich in den Kirchen, die ihren Schutzheiligen geweiht sind. Die Bäcker zum Beispiel sind Kustoden einer Station, die ihnen seit Jahrhunderten anvertraut ist, die Arbeiter der Tabakregie betreuen ihren eigenen „paso“, der auf dem

Altar der Kapelle in der Tabakfabrik seinen Standplatz hat, selbst die Zigeuner sind devote Treuhänder ihrer eigenen Station. Eine der schönsten Stationen ist jene der Universität von Sevilla, der „paso“ „unseres Herrn vom guten Tode“, ein bronzener Kruzifixus, der am Tage der Prozession in einem Meer von roten Nelken ruht. Etwa achtzig „pasos“, also Stationen oder Standbilder, gibt es in Sevilla, die im Laufe des Jahres an ihren Festtagen, besonders aber in der Karwoche, durch die Stadt getragen werden. An jedem Tag der Karwoche ziehen andere Gruppen von „pasos“ durch die Straßen. Auf „Unsern Herrn vom guten Tode“, den die Studenten in würdiger, schweigender Prozession begleiten, mit langen Fackeln in den Händen, folgt das ergreifende Bild der „Mutter Gottes der vielen Ängste“ (Senora de la angustia). Ihr folgen, von berittener Polizei flankiert, die silbernen Sockel zahlloser Muttergottesstatuen, umschimmert vom warmen Schein Hunderter von Kerzen, die auf Kristallkandelabern getragen werden, umwogt von tausenden weißen Nelken. Die meistverehrte Statue ist die bekannte „Virgen de la Macarena“, von der Volkslieder und selbst Fandango und Pasodobles singen. Sie ist eine schmerzensreiche Jungfrau von edlen Gesichtszügen, über deren Wangen blutige Tränen tropfen Von ihren Schultern fallen kostbare Brokatgewänder, aus Ärmeln und Mieder quellen kunstvolle Spitzen. Die Krone ist aus Gold und Purpursamt, so schwer, daß sie kaum ein Mensch auf dem Haupte tragen könnte. Aus Gold ist auch der Heiligenschein, ein in seinem Innern zierliche Ornamente tragender Strahlenkranz mit Sternen.- Der Knauf des Schwertes, das die Brust Mariens durchbohrt, ist mit Edelsteinen besetzt und trägt feinste Goldschmiedearbeit.

Lange Reihen büßender Frauen in rauhwollenen Gewändern, barfuß, einen Strick um den Hals oder ein Kreuz tragend, begleiten die „Macarena“. Von einem hohen Balkon aber schwingt sich klar und rein eine helle Frauenstimme über die gebeugten Häupter der wallenden Büßer und Büßerinnen. Eine „saeta“ (Huldigungslied) klingt auf zum Lob und Preis der Himmelskönigin.

Herrliche Stimmen ertönen da oft, Stimmen, die sich in einem Konzertsaal hören lassen könnten und die doch vielleicht nur die Stimmen unbekannter Bürgerstöchter, einer Frau aus dem Volke oder oft auch von einer bekannten Dame der Gesellschaft sind. Die Sevillaner lieben ihre „Senora de la Macarena“. Als während der Revolutionen die Prozessionen und der Auszug der „pasos“ aus den Kirchen verboten wurde, mußten die Revolutionskomitees mit der „Macarena“ eine Ausnahme machen, um sich nicht dem Volkszorn auszusetzen.

Lange nach Mitternacht, bevor die „Macarena“ in ihre Kirche zurückkehrt, pflegt sie vor dem Kerker anzuhalten. Fenster und Tore öffnen sich, und hinter den Eisengittern erscheinen die abgehärmten Gesichter der Häftlinge. Mit brennenden Augen schauen sie auf die Schmerzensreiche.

Ein anderes, viel verehrtes Madonnenbild ist jenes der „Virgen de la amargura“ (Jungfrau der bitteren Schmerzen), deren Antlitz in seinem tiefen Schmerz einen unvergeßlichen Eindruck hinterläßt.

Die Spanier haben eine eigene unnachahmliche Art, in ihren Heiligenfiguren, obwohl sie sie in Seide, Brokat und Samtkleidern, mit Gold und Edelsteinen überladen, den tief menschlichen Schmerz, die Qual, das erschütternde Leid wiederzugeben. Und die prächtigen Kleider, der Schmuck sind gleichsam nur der Dankeszoll, den das gläubige Volk darbringt.

Ganze Kompanien von Soldaten in römischen Rüstungen und Waffen und schließlich moderne Infanterie in Paradeuniform und Kavallerie auf prächtigen arabischen Rossen bilden das Gefolge auf solchen Prozessionen.

Die Träger der „pasos“ haben es nicht leicht, denn oft sind 40 oder 50 Männer notwendig, um eine Statuengruppe zu tragen, die auf zwei langen dicken Stangen, auf Stein-, Bronze- oder Silbersockeln ruhen, unter welche die Männer ihre Schultern stemmen, während sie mit der freien Hand einen Stab tragen, mit dem sie den Takt und Gleichschritt klopfen. Das Tragen der „pasos“ ist eine hohe Ehre und gern geübte Pflicht, der sich Männer aus allen Ständen unterziehen und die meist innerhalb einer Familie erblich ist.

Sobald die Stationen wieder in den Lichter- und Kerzenwald der Kirchen zurückgekehrt sind, zerstreut sich die Menge in den Straßen. Aber bis tief in die Nacht oder den folgenden Tag hinein währt die Bewegung und der Trubel. Gesang, Gitarrenspiel, angeregte Unterhaltung von Balkon zu Balkon, die Nachbarn „kritisieren“, „besprechen“ die Prozession. Das scheint so gar nicht mit dem ernsten, Zur Betrachtung einladenden Charakter der Karwoche vereinbar zu sein. Aber unter allen Südländern sind die Sevillaner und Andalusier die lebhaftesten. Ihr Erleben muß sich in sinnfälligen Eindrücken abspielen. Und da, was sie empfinden, zu groß ist, um in Worte gekleidet zu werden, schwatzen sie von den Äußerlichkeiten der Prozession, der Haltung und Disziplin der Träger, dem Gesang der Nachba-rstochter, dem Staunen der Fremden, die neugierig und wie trunken von all dem Geschauten durch die malerischen Stadtteile von Triana und Santa Cruz wandern und die schönen, alten Brunnen in den Höfen bewundern, die oft nach maurischer Art mit bunten Fliesen und Mosaikwerk ausgelegt sind.

Am Gründonnerstag legt Sevilla das Festkleid an. Die Frauen tragen hohe Kämme, die blutrote Nelken im Haar festhalten, darüber türmt sich die klassische schwarze Mantille aus Spitzenarbeit, die sehr kostbar ist und in der Familie vererbt wird. Eine kunstvolle, echte Mantilla kostet Tausende von Peseten, trotzdem sieht man keine Frau mit einer anderen Kopfbedeckung an diesem Tage. Die Nelken werden in großen Mengen im benachbarten Granada gezogen (der Ausdruck „granatrot“ ist auf Granada zurückzuführen).

In der Nacht zum Karfreitag, um zwei Uhr, tritt ein düsterer Menschenzug aus der Kirche von Sankt Miguel. Die Kofraden und Büßer marschieren barfuß unter tiefem Schweigen durch die Straßen. Die „procesidn del silencio“ wurde 1356, 108 Jahre nachdem Sevilla von Ferdinand III., dem „Heiligen“, den Mauren entrungen worden war, von den kirchlichen Behörden zugelassen.

Am Ostersamstag enden die Zeremonien der Karwoche, wenn um 10 Uhr morgens der purpurne Vorhang vor dem Hochaltar der Kathedrale zurückgezogen wird und die Glocken der Giralda und anderer Kirchentürme ihre dröhnenden Stimmen erheben. Der Abend schon, noch mehr der Sonntag, gehört wieder der Freude, die mit echt südländischer Lebhaftigkeit schwingt und schwelgt: Semana santa, die heilige Woche, ist zu Ende.

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