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Portugals geistige Hauptstadt

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KRUMME GASSEN LAUFEN steile Hügel hinan um auf sonnenhelle Plätze herabzustürzen. Es ist für den Ortsfremden ein akrobatisches Kunststück, den Wagen um die scharfen Ecken zu steuern, hinter denen vielleicht eine schwarzgekleidete Alte zur Kathedrale humpelt, eine Katze träge über das bucklige Pflaster schleicht.

COIMBRA, DIE STADT DER Heiligen und Studenten, der Könige und Gelehrten hat sich ihre mittelalterliche Atmosphäre bis in die

Gegenwart bewahrt, wozu die Studenten in ihren schwarzen, pelerinenartigen Mänteln, deren eine Seite um den Hals geschlungen und über die rechte Schulter geworfen wird, nicht wenig beitragen. Wie Dr. Faustus oder Theophrastus wandeln die „Capas Pretas“, wie das Volk die Hörer der Hochschule nennt, über die Treppenwege zur altehrwürdigen Universität. Aus der Kollegmappe hängen die farbigen Bänder ihrer Fakultät, die mit jedem Semester länger werden: die roten der Juristen, die gelben der Mediziner und die blauen der Philosophen und Naturwissenschafter. Die Verbrennung der Bänder bei der Promotion, „la quemada das hilas“, ist ein fröhliches Fest. Jeder Angehörige oder Freund der frischgebak-kenen Doktoren und Magister reißt ein Stückchen der Capa ab — diese Stoffetzchen sollen Glück bringen. Auch die „Madames“, die studierenden Mädchen, lieben den schwarzen, bis auf die Füße reichenden Mantel, der ihnen die Würde wandelnder Glocken verleiht.

Die Universität Coimbra, eine der ältesten Europas, wurde von König Diniz im Jahre 1290, also 56 Jahre vor der ältesten deutschen Universität (Prag), gegründet und 1308 in die ehemalige königliche Residenz Coimbra verlegt. Zunächst war sie in den Räumen der Augustinerabtei Santa Cruz untergebracht, bis sie 1537 in den manuelischen Palast auf der Hügelkrone einzog. Coimbra ist. auch heute noch die Universität Portugals, deren Tradition und Ruhm die später in Lissabon und Porto errichteten Hochschulen weit überragt. Sie ist die geistige Heimat aller bedeutenden Männer Portugals, der Historiker, Philosophen und Mediziner von Rang und hat der Welt den „Santo“, ihrer Heimat den Dichter Luis de Camöes und Doktor Oliveira Salazar geschenkt.

DER ERSTE DIESER „GROSSEN DREI“, der heilige Antonius, wurde allerdings schon ein Jahrhundert vor der Gründung der Universität von den überaus gelehrten Augustinermönchen von Santa Cruz in die theologischen Disziplinen eingeweiht; der „Santo“ hatte nämlich schon 1195 in Lissabon als Fernando Martins de Bulöes das Licht der Welt erblickt. Vermutlich wäre der lernbegierige Jüngling ein gelehrter Theologieprofessor geworden, hätte

hn nicht die Nachricht von der Ermordung von fünf Minderbrüdern in Afrika zutiefst erschüttert. Er Drach seine Studien ab, um sich als schlichter Bruder Antonius in den Dienst der Heidenmission zu stellen jnd wurde auf der Fahrt nach Afrika von einem Sturm an die ECüste Siziliens verschlangen.

In der ersten Hälfte des 16. Jahr-lunderts, als kühne portugiesische Entdecker neue Gebiete entdeckt tiatten, erhielt Luis de Camöes in 3oimbra (sein Onkel war Prior des Augustinerkonvents) eine umfas-

ende humanistische Bildung. Wohl elten erlebte ein Dichter abenteuer-ichere Schicksale als Camöes. Sein Lebenswerk „Die Lusiaden“, entfanden unter dem sonnenklaren iimmel Indiens, ist eine dichterische /erklärung der ruhmreichen Ge-chichte Portugals, „wo das Land lufhört und die See beginnt“. Was lomer für Hellas und Dante für Italien, das bedeutet Camöes für 'ortugal.

Dr. Oliveira Salazar, geboren 1889 in einem Gebirgsort der Provinz Beira, studierte und lehrte in Coimbra Volkswirtschaft. Das durch Putsche und Revolutionen zerrissene Portugal stand 1928 vor dem Staats-oankrott. Staatspräsident Carmona berief Professor Salazar nach Lissabon, wo der Gelehrte zunächst die Finanzen sanierte. 1932 zum Ministerpräsidenten ernannt, gab Salazar seiner Heimat ein neues Gesicht und der' lang verfolgten Kirche die volle Freiheit. „Portugal ist im Schatten

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in seiner Rede am 7. Jänner 1949 in Porto. „Der katholische Glaube war von Anfang an ein formendes Element der Seele unserer Nation, ein beherrschender Grundzug im Charakter des portugiesischen Volkes.“

TRADITION REGELT STUDIUM UND TAGESABLAUF in dem von König Manuel erweiterten und umgebauten Palast, wenngleich in den Hörsälen moderne Wissenschaft gelehrt wird.

Auf drei Seiten umschließen Bauten verschiedener Epochen den „Pago das Escolas“. Die vierte, freie Seite ist ein zauberhafter Balkon mit der Sicht auf das grüne Mondegotal, ein Tal von toskanischer Anmut. Eine prächtige Freitreppe führt zu den Hauptgebäuden, deren horizontale Linienführung der hohe Turm in der Nordostecke neben dem Säulenkorridor der „Via Latina“ unterbricht. Der Regensburger Baumeister J. F. Ludovice, Schöpfer des Klosterpalastes Mafra, erbaute im Auftrag König Joäos V am Beginn des 18. Jahrhunderts die Bibliothek und überschüttete sie mit Marmor, Stuck und kostbaren Hölzern. Der Palastarchitektur Fischer von Erlachs verwandt, erinnern die Säle dieses „Tempels der Weisheit“ an ein überaus geschmücktes Kircheninneres. Der Zustrom brasilianischen Reichtums erlaubte kostspielige Extravaganzen, wie die riesigen Tische aus exotischen Hölzern und die Sammlung von 120.000 seltenen Bänden, zusammengetragen aus aufgelösten Klöstern und Kulturzentren.

Ein erlesenes Juwel manuelischen Stiles ist die Schloßkapelle im blauen Glanz ihrer Azulejos (Fayenze-fliesen), mit den leuchtenden Dek-kenfresken und der schwungvollen Barockorgel. In der „Sala dos Capelos“ blicken portugiesische Könige auf di« Promotionsfeierlichkeiten und Festversammlungen herab.

COIMBRA IST EINE VIELSCHICHTIGE, faszinierende Stadt. Jeder Schritt konfrontiert uns mit der Vergangenheit Portugals. Römer erbauten die weitgespannten Bogen des vom italienischen Architekten F. Terzi im 16. Jahrhundert wiederhergestellten Aquäduktes. Das Tor „Arco de Almedina“ und die Kirche

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ie Maurenzeit, denn „Medina“ ist las arabische Wort für „Stadt“, /[aurisches Erbe sind die wehrhaften binnen an der Se Velha, der alten Kathedrale. Sie erhebt sich in feier-ichem Ernst auf einem kleinen, hel-sn Platz zwischen der Universität ind dem Fluß.

Im 12. Jahrhundert, bald nach der Vertreibung der Mauren, begannen lie Meister Robert und Berthold mit lern Bau, der den romanischen Pil-;erkirchen entlang des „Jakobs-veges“ nach Santiago de

Compostela eng verhaftet ist. Es gab ja auch eine Pilgerstraße aus dem Westen, die wir, im Mittelpunkt des „Abendlandes“, allzuleicht vergessen. Fremdartig wirken die beiden über-einandergebauten Portale an der Westfassade. Die „Se“ („Se“ heißt Bischofsitz) ist die schönste aller romanischen Kirchen Portugals, wenn auch französische Bildhauer des 16. Jahrhunderts das Innere und Äußere mit leichten und heiteren Dekorationen aufgelockert haben. In diesem massigen Gotteshaus setzte sich 1139 Alfonso Henriques die eiserne Krone der Westgoten aufs Haupt, spielte sich der letzte makabre Akt jenes erschütternden Dramas ab, das durch die hymnischen Verse Luis de Comöes in die Weltliteratur einging. König Pedro der Grausame ließ die ein-

balsamierte Leiche seiner ermordeten Geliebten und heimlich angetrauten Gattin Ines von Castro aus dem Sarg heben, sie mit Krone und Purpurmantel bekleiden und neben sich auf den Thron setzen. Die Cor-tes mußten der toten Königin huldigen, ihr den Saum des Mantels und die verweste Hand küssen.

JAHRHUNDERTE BAUTEN UND SCHMÜCKTEN das von Alfonso Henriques gestiftete Kloster Santa Cruz. Romanik, Gotik und frühe

Renaissance, wehrhafte Wucht, überschlanke, steinerne Schläfer auf Sarkophagen, eine verwirrende Fülle von Skulpturen und die wie köstliches Geschmeide ziselierte Kanzel vereinigen sich zu einer kostbar illuminierten Chronik, aus der eine fromme und heldenhafte Frauengestalt aufsteigt, die Rainha Santa Isabella, Gemahlin König Diniz' und Schutzpatronin Coimbras. Von ihr wird das gleiche Rosenwunder überliefert wie von der heiligen Elisabeth von Thüringen.

Die Klosterstiftung der heiligen Isabella ist halb in Schlamm und Sand versunken und nur noch eine Zisterne voll dunklen Wassers. Die Überschwemmungen des Mondego haben die Gewölbe unterwaschen. Dem dunklen Wasserspiegel entsteigen gotische Bogen und das reiche

Maßwerk einer Fensterrose. Im 17. Jahrhundert haben die Nonnen den gefährdeten Bau verlassen und sich in das von König Joäo IV. auf einer Anhöhe erbaute Kloster Santa Clara a Nova geflüchtet. Das Grabmal der Stifterin nahmen sie mit sich. Santa Isabel ruht, von Engeln bewacht, unter einem Baldachin über gotischen Nischen und lächelt mütterlich den Soldaten zu, die betend vor dem Sarkophag knien. Das Kloster dient nun dem portugiesischen Heer als Kaserne...

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