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WIEN UNTERM ZEICHEN DES CARAVACA-KREUZES

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In imposanter und formenreicher Schönheit überragt der 1433 vollendete Hochturm der Kathedralkirche St. Stephan die alte Kaiserstadt. Die Restauratoren, welche im Lauf der Jahrhunderte die durch Wetter und Krieg entstandenen Schladen wiederigutmacbten, waren stets darauf bedacht, die alten Archlitektarteile gewissenhaft nachzubildeo. Nur der Abschluß der Turmspitze erfuhr einige Änderungen. Am 10. Oktober 1433 wurde ein „chnopff“ auf den Turm gesetzt. Diesen Knauf, den 1514 Blitzschlag zerstörte, ersetzte man 1519 durch Sonne (Stern) und Mond (Halbmond), die Symbole der geistlichen und weltlichen Gewalt. 1686 — am dritten Jahrestag der Befreiung Wiens vorn der türkischen Belagerung — kam ein Doppelkreuz auf die Spitze des „Steffel“, und zwar ein Caravaca-Kreuz. Dieses — es wird auch „spanisches“ Kreuiz ,genannt — ist ein doppeaiarmiiges Kreuz, dessen Enden dem Durchschnitt einer Mohnkapsel gleichen. Das Original bafand 'Sich bis zum spanischen Bürgerkrieg in der Stadt Caravaca in der Provinz Murcial.

Von ihm erzählt die Legende:

Es war im Jahre 1232, da nahm der König Arbuziet, der der Lehre Mohammeds anlbing, den Priester Gineisdus mit anderen Christen gefangen. Als er sie wieder entließ, fragte er einen jeden nach seinem Handwerk oder seiner Kunst. Ginesius antwortete: „Ich kann den allmächtigen Gott vom Himmel herabholen und in der heiligen Messe aus Brot lebendiges Fleisch machen.“ Dais solle er tun, sagte König Anbuziiet. Ginesius erwiderte, er brauche dazu sakrale Geräte. Als diese beschafft waren, wollte der Priester Ginesius — es war am 3. Mai, dem Festtag Kreuzaufftnöuing — die Messe lesen. Schon stand er am Altar, da merkte er, daß er ver-

gessen hatte, ein AMiarfcneuiz zu besorgen. In seiner Not flehte er Gott um Hilfe am, und siehe, es schwebten zum Fenster zwei schöne Engel herein, die ein kostbares doppel- armiges Kreuz trugen und auf den Altar steifem Und sie verkündeten, sie hätten das Kreuz dem Patriarchen Robertus in Jerusalem vom Halse genommen. Ginesius las nun die Messe, und König Arbuziet wohnte ihr bei. Während der Wandlung sah der König in der Hostie ein schönes Kindlein. Da ward er so ergriffen, daß er sich samt der Königin und seinen beiden Söhnen taufen ließ.

Die Geschichtsforscher vermuten, daß diese Legende von Caravaca auf historische Tatsachen gegründet ist, und zwar auf den fünften Kreuzzug, der 1229 mit der Krönung des Hohenstaufen-Kaisers Friedrich II. zum König von Jerusalem aibschllioß. Friedrich, der sich um einen Ausgleich zwischen Christen und Sarazenen bemühte, fand in dem unduldsamen Patriarchen Robertus von Jerusalem einen heftigen Gegner seiner Politik. So könnte es sein, daß Gefolgsleute des Kaisers dem nach ihrer Meinung unwürdigen Patriarchen das Brustkreuz Wegnahmen und die kostbare Reliquie ins Abendland brachten. Bei dem Brustkreuz (handelte es sich nämlich der Legende nach um die in Gold, Silber und Edelsteine gefaßte Höizpartikel, welche Kaiserin Helena aus dem von ihr auifgefundenen Kreuz Ohrisiti schnitzen und in einer Alfar- niische der Grabeskirche zu Jerusalem aufstellen ließ. Unter der Sarazenenherrscbaft sei diese Reliquie wiederholt verschwunden und wiedengefunden worden.

In Caravaca wurde das wundersame Kreuz in dem zu einer Kapelle umgewandelten Turmgelasse der Burg aufbewahrt. Nur jährlich am 3. Mali, dem Hauptfesf des Heiligtums, wurde es wegen des großen Andrangs von Pilgern aus ganz Spanien feierlich in der Pfarrkirche ausgestellt

Seit etwa 1380 war es in Caravaca üblich, am Feste Kreuzauffindung mit dieser kostbaren Kreuzreliquie in Prozession zum Fluß zu ziehen und das Kreuz dort einzutauchen. Kranke und Lahme stürzten sich nun in die gesegnete Flut. Die Bevölkerung füllte Gefäße mit dem Wasser, um es zur Heilung von Krankheiten sowie zu Teufelsaustreibungen zu verwenden. Schon frühzeitig wurden große und kleine Nachbildungen des Originals hergestellt, denen man die 'gleichen Segenskräfte zuschrieb.

Von der Legende der Bekehrung des Maurenfürsten Arbuziet ausgehend, gebrauchten die Jesuiten Kopien des Caravaea-Heiligtums als Missiionskreuze bei ihrer Christani- sierungstätigkeit in Paraguay, Indien und Japan. Jesuiten, aber auch Karmaliten, Franziskaner und Kapuziner sorgten seif etwa 1600 für die Verbreitung des „spanischen“ Kreuzes in Deutschland und Österreich. Auch die Tatsache, daß Rudolf und Mathias, die Söhne Kaiser Maximilians II., in Spanien erzogen waren, mag zur Bevorzugung des Caravaca-Kreuzes in Österreich beigetragem haben.

1620, im zweiten Jahr des Dreißigjährigen Krieges, stand das Heer der katholischen Liga unter dem Kommando des Bayernherzogs Maximilian vor Prag. Zum Kriegsrat gehörte der päpstliche Legat Dominicus Ruzzola a Jesu-Maria, Spanier und Karmeliten-Ordenisgeneral. Vor Beginn der Schlacht erteilte der Legat dem angetretenen Heer den Segen und benützte dazu eine mit Reliquien ausgestattete Kopie des Caravaca-Kreuzes.

Das Heer der Liga siegte, und damit waren die europäischen Kernlande dem römischen Glauben zurückgewonnen. Das „spanische“ Siegeskreuz, ein prächtiges Exemplar aus Silber, stiftete der Legat als Votivgabe in dlie bayerische Wallfahrtskirche Altötting, wo es den Pilgern unter Hinweis auf den durch seine Wunderkraft errungenen Sieg als eines der größten Heiligtümer vorgezeigt wurde.

Vermutlich im Zuge der Säkularisation zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wurde das wertvolle Silberkreuz aus Altötting, entfernt. Sicher ist es in der Schatzkammer der Münchener Residenz gelandet. Dort wenigstens befindet sich noch heute ein Caravaca-Kreuz, auf das die Beschreibung des Siegesikreuzes der Schlacht am Weißen Beng zutrifft.

Sonderbarerweise hat in der neuesten historischen und volkskundlichen Literatur das größte Caravaca-Kreuz, das existiert, überhaupt keine Beachtung gefunden. Das ist um so erstaunlicher, als der Anlaß seiner Errichtung von entscheidenderer Bedeutung für die Geschichte des Abendlandes war als die Schlacht am Weißen Berg. Es befindet sich seit 1686 auf der Turmspitze des Wiener „Steffel“ — weithin strahlendes Erinnerungszeichen am den drei Jahre zuvor errungenen Sieg über das Wien belagernde Türkenheer des Großwesirs Kara Mustafa.

Als 1529 die Türken unter Süleyman dem Prächtigen erstmals Wien bedrängten, waren es erst etwa zehn Jahre her, seit man auf der Spitze des „Steffel“ Stern und Halbmond angebracht hatte. Nun isahen die Wiener von den Wällen der belagerten Stadt aus, daß Stern und Halbmond überall auf den Feldzeichen und Prachtzeiten der Feinde glänzten, daß also der Türke „isoltch Stern und halb Monschein als für seine Insdgnis füert“. Und das ärgerte die frommen Wiener, daß ausgerechnet auf ihrem „Steffel“ die Heilszeichen des ungläubigen Feindes deryChristenheit prangten. Darum wandte sich, als der Feind abgezogen war, der Wiener Stadtrat am 15. Februar 1530 an den Kaiser mit der Bitte, er möge gestatten, daß man Stern und Halbmond herunternehme und durch christliche Zeichen ersetze. Der Kaiser war damit einverstanden und erklärte, der Stadtrat möge nach seinem Gutdünken verfahren.

Der Stadtrat aber tat — gar nichts. Stern und Halbmond blieben auf der Spitze des „Steffel“, bis — ja, bis genau 153 Jahre später der Großwesir Kara Mustafa mit seinem Heer zum Angriff vor Wien zog. Vom 16. Juli bis zum 12. September 1683 war die Stadt total von den Türken eingeschlossen und vom der kaiserlichen Armee und deren Verbündeten abgetrennt. Kaiser Leopold hatte die Residenzstadt verlassen und sich nach Linz begeben.

Da sahen nun die Wiener genau wie ihre Vorfahren von 1529, daß von den türkischen Zelten die gleichen Symbole grüßten wie vom „Steffel“. Und was sie sich — wie ihre Ahnen zur Zeit der ersten Türkenbelagerung — Vornahmen, das gelobte der Kaiser in Linz: Wenn durch Gottes Gnade die Stadt von den Türken befreit werde, solle anstatt der heidnischen Symbole das Christenkreuz auf den „Steffel“ kommen.

Am 14. September zog der Kaiser ins befreite Wien ein. Als er nach dem Dankgottesdienst den Dom verließ, erinnerte ihn Bischof Emerich SimelMus am die Erfüllung seines Linzer Gelübdes. Und der Kaiser versprach, daß nun die „gottlosen und unwürdigen Türkenwappen“ vom „Steffel“ heruntergeholt werden sollten.

Doch dauerte es noch drei Jahre bis zur Erfüllung des Gelübdes. Man wartete wohl, bis man sicher war, daß die türkische Heeresmacht nicht mehr nach Wien zurückkehren könne. Am Kreuzerhöhungstag 1686, dem dritten Jahrestag des kaiserlichen Einzugs in die befreite Stadt, erfolgte die feierliche Bekrönung des „Steffel“ mit einem mächtigen Caravaca- Kreuz. Eine eigene Gedenkmünze ward geschlagen; auf ihr ist die Form des „spanischen“ Kreuzes mit den Balkenenden in Form des Mohnkapsel-Durchschnitts klar zu erkennen.

Die Wahl des Caravaca-Kreuees alls Zeichen des göttlichen Beistandes gegen die Türken nimmt nicht wunder, wenn man weiß, daß der berühmte Kanzelprediger Abraham a Santa Clara (gestorben 1709 zu Wien) angesichts der das ganze Abendland bedrohenden Türkengefahr die siegreiche Kraft des Caravaca-Kreuzes gerühmt hat.

Am 14. Dezember 1686 schon warf ein heltiger Sturm das Kreuz auf die Turmgalerie herab. Ein neues Doppelkreuz — jedoch ohne die charakteristischen Balkenenden — wurde zu Allerheiligen 1687 der Turmspitze aulgesetzt. An seinem Fuß war der Doppeladler mit Schiwert und Szepter angebracht, und der Brustschild des Adlers trug die kaiserlichen Initialen. In einer Urkunde des Rates der Stadt Wien vom 20. September 1687 ist ausdrücklich vermerkt, daß auch das neue Kreuz ein „spanisches“ sei.

Bei einer Erneuerung des Turmihelmes kam 1842 wiederum ein neues Doppelkreuz mit Doppeladler auf den „Steffel“. Als von 1860 bis 1864 der Turm nochmals renoviert werden mußte, erhielt er auch ein neues Kreuz. Und dieses glänzt heute noch vom „Steffel“ über die Stadt him Es 1st ein Doppelkreuz wie seine Vorgänger, die — mit Ausnahme desjenigen von 1686 — neben der alten Turmbekrönung (Stern und Halbmond) im Stiegenbaus des Historischen Museums der Stadt Wien zu sehen sind. Unterm oberen Querbalken zeigt das Turmikreuz von 1864 die Kaiserkrone, unterm andern Querbalken den Doppeladler, der in der linken Klaue den Reichsapfel, in der rechten Schwert und Szepter trägt. Auf der Brust des Adlers liegt das österreichische Wappen.

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In der Zeit der Aufklärung, des Josefimiismius und der Aufhebung des Jesuitenordens (1773) durch Papst Clemens XIV. verschwindet das vordem so stark verbreitete Caravaca-Kreuz fast plötzlich von der Bildfläche. Es fällt vollständig der Vergessenheit anheim, so daß bis in die jüngste Zeit nur ein paar Forscher noch von ihm wußten.

Das kostbare Original-Reliquienkreuz in Caravaca ist übrigens verschollen. Im spanischen Bürgerkrieg 1934 erzwang eine republikanische Gruppe vom Geistlichen der Kirche unter Todesandrohung die Herausgabe. Seitdem fehlt jede Spur. Man hat nun eine originalgetreue Nachbildung für die Kirche von Caravaca machen lassen.

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