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Lange, Breite, Hohe und Tiefe

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Schwer, ja unlösbar ist es, dem Erlebnis des 37. Eucharistischen Kongresses zu München, das mehr als zehntausend österreichische Katholiken, geführt von der Gesamtheit ihrer Bischöfe und begleitet von höchsten katholischen Repräsentanten unseres Staates, gewannen, in der Art eines um Vollständigkeit bemühten chronistischen oder chronologischen Berichtes gerecht zu werden. Achtzig offizielle oder halboffizielle Zusammenkünfte gottesdienstlicher oder versammlungsmäjli-ger Art haben in dieser Woche stattgefunden, ungerechnet die künstlerischen Darbietungen in Theater und Konzertsaal, ungerechnet die mehr oder minder spontanen Konvente kleinerer Gemeinschaften. Wenn es ein Gemeinsames gibt, dann ist es der stets — fast stets — im Auge behaltene Zentralpunkt des Herrenmahls, ist es der vor allem in den letzten fünf Tagen immer wieder beherrschende Aspekt der alles zusammenfassenden, überhöhenden gottesdienstlichen Feier.

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Schwer, ja unlösbar ist es, dem Erlebnis des 37. Eucharistischen Kongresses zu München, das mehr als zehntausend österreichische Katholiken, geführt von der Gesamtheit ihrer Bischöfe und begleitet von höchsten katholischen Repräsentanten unseres Staates, gewannen, in der Art eines um Vollständigkeit bemühten chronistischen oder chronologischen Berichtes gerecht zu werden. Achtzig offizielle oder halboffizielle Zusammenkünfte gottesdienstlicher oder versammlungsmäjli-ger Art haben in dieser Woche stattgefunden, ungerechnet die künstlerischen Darbietungen in Theater und Konzertsaal, ungerechnet die mehr oder minder spontanen Konvente kleinerer Gemeinschaften. Wenn es ein Gemeinsames gibt, dann ist es der stets — fast stets — im Auge behaltene Zentralpunkt des Herrenmahls, ist es der vor allem in den letzten fünf Tagen immer wieder beherrschende Aspekt der alles zusammenfassenden, überhöhenden gottesdienstlichen Feier.

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GEMEINSCHAFT

Als der Kardinallegat Gustavo T.esta, eine Persönlichkeit von der Prägung seines Landsmannes Johannes XXIII., am Abend des Mittwochs die liturgischen Tage des Kongresses eröffnete, war das weite Rund der Theresienwiese, mitten im Herzen von München, bereits mit Menschen gefüllt. Sie waren zum Teil schon früher gekommen, auch einige Pilgerzüge aus Österreich. Das offizielle Deutschland hatte der Begrüßungspflicht bei einem Empfang der Bundesregierung Genüge .getan. Präsident Lübke hatte bei seinen Grußwörten Motive anklingen lassen, die manch einer vergessen glaubte. Er hatte vom kurzen christlichen Frühling nach 1945 gesprochen, von einem Aufbruch nach der großen Katastrophe. Man spürte, daß es dem katholischen Bauernsohn aus dem Sauerland sehr ernst damit geblieben ist. Vom Mittwochabend an aber gehörte der Gottesdienstplatz der ganzen Welt. Der Vertreter des; Papstes hiejt Gj^B|r dienst an der Statio Orbis.

Schon die ersten einleitenden Gebete und Anrufungen versammelten die gesamte Kirche. In die lateinischen Evokationen zu den abendländischen Heiligen mischten sich in anderen Tonarten die Flehrufe zu den Vätern und Be-kennern der östlichen Kirchen, zu den Märtyrern der jungen Kirchen Asiens und Afrikas. Der nach allen Seiten hin sichtbare Altarbau unter dem weit offenen Zeltdach war zum Lebenszentrum einer Gemeinschaft geworden. Dem Kardinal von Berlin oblag die Predigt. Er hatte stellvertretend für die Katholiken der sowjetisch besetzten Gebiete zu sprechen, denen in dieser Stunde ebenso wie den anderen Christen hinter dem Eisernen Vorhang das brüderliche Gebet galt. Der Kardinal von Polen hatte in einem ergreifend diskreten und vornehmen Schreiben an die Kongreßleitung auf die, .Paßschwierigkeiten“ seiner Diözesanen hingewiesen. Der Bischof von Meißen hatte in Solidarität mit seinen Priestern und Gläubigen, denen die Ausreise verweigert worden war, seine geplante Predigt absagen müssen. Er war bei seinen Diözesanen geblieben, die sich in diesen Tagen in den Heimatkirchen zu Eucharistischen Feiern versammelt hatten.

Es ist nicht ganz einfach, zu sagen, ob auch die Stadt München in die große Gemeinschaft dieser Tage einbezogen war. Viele weißgelbe Kirchenfahnen hingen neben denen des Landes Bayern und der Bundesrepublik. Rote Teppiche schmückten die Fenster der Umgebung, Kerzen über Kerzen brannten wie zur Auferstehungsprozession. Mit Höflichkeit, die sehr oft zur Freundlichkeit wurde, halfen die Männer der Polizei, der Verkehrsmittel, der Ordnerdienste. In vielen, nicht eben genuin katholischen Kreisen hatte man es als eine lokalpatriotische Ehrenpflicht aufgefaßt, zu helfen.

Und da war dann natürlich auch das alte Bayern, die Uniformen der königlichen Garden, die medaillenübersäten Brustpanzer der Schützengilden, die als Ehrengeleit den kommunion-?pendenden Priestern folgten. Weiter draußen aber, gegen Schwabing zu, in den eleganten Villenvierteln von Bogenhausen, herrschte die gelassene, tolerante Gleichgültigkeit der vielen von heute. Man war zum Teil auf Urlaub gefahren: die Hitze, das Gedränge, die Leut'...

Da und dort hörte man auch ein gutmütiggrobes Spottwort... etwa das von der „Pfaffcnolyrapiade“. Alles in allem aber gab es doch so etwas wie eine Gemeinschah: in den überfüllten Straßenbahnen fluchte man um eine Nuance leiser. In den zur Geselligkeit ladenden Bräus rückten die eingesessenen Runden ganz unmerklich zusammen, wenn die vom Stehen müden Kongressisten einströmten, ein „kleines“ Bier oder — horribile dictu — einen Fruchtsaft und — nach Blick in den schmalen Beutel — halt in Gottes Namen eine Bratwurst bestellten ... Man ist ja schließlich doch katholisch hierzulande ... BRUDERSCHAFT Der Donnerstag stand im Zeichen der Nächstenliebe und des Priestertums. Alles drängte in der Steigerung zur abendlichen Bet-Sing-Messe hin, die der deutsche Kurienkardinal Bea, umgeben von Purpurträgern im Altarzelt, umrahmt von den nach Hunderten zählenden Bischöfen auf den unteren Rängen, zelebrierte. Tief beugte sich der asketische Greis, nachdem er das Obergewand abgelegt hatte, vor den Blicken Abertausender zu den Füßen eines am gleichen Tag geweihten dunkelfarbigen Neupriesters aus Uganda. „Ein neues Gebot gebe ich euch“, sang — im archaisch-deutschen Ton einer Bachschen Passion der Diakon über den schweigenden Platz. Auf ein gemeinsames Zeichen hin trugen tausend Priester in Tragkörben die ungeweihten Brote zur Opferung. Dann gingen sie mit den Speisekelchen durch die Reihen. Nebeneinander knieten die Kommunikanten da und dort, wie es gerade kam, auf dem Gras der „Oktoberwies'n“. Zuvor schon hatten sie, als die Priester einander den Friedenskuß spendeten, in langen Reihen die Hände gefaßt, rechts und links: der Student aus Dakar den Monsignore aus Sizilien, die holländische Klosterfrau den bayrischen Pfadfinder.

Zum Morgen schon hatten die altchristlichen Agapen, die Liebesmähler für geladene Gäste, brave Pfarrhelfer von nah und fern, in den Bräuhäusern stattgefunden. Die Kardinäle hatten dort bei Tisch gedient. Zur gleichen Stunde empfingen Hunderte das Weihesakrament. In einem Kreis um das Altarrund aufgestellt, spendeten sie nach allen Himmelsrichtungen hin gemeinsam den Primizsegen. Bei einem morgendlichen Pontifikalamt hatte der Wiener Erzbischof Doktor Jachym von der sozialen Verpflichtung der Eurcharistie, vom praktischen Liebesgebot gesprochen, ohne dessen Erfüllung es keinen würdigen Empfang geben kann. Ein Altar der „Fides Romana“ für den eucharistischen Papst Pius X. war im Anschluß daran geweiht worden. Eine „pianische“ Stunde, die auch dem Andenken des in München besonders verehrten Pacelli-Papstes galt, vereinigte die Ritter vom Heiligen Grab, die Malteser und die altbayrischen Kavaliere. Ein Höhepunkt dieses Tages war die große Pax-Christi-Kundgebung. Mit den Fahnen aller Nationen war die Bayernhalle geschmückt. Neben dem Wappenspruch „Pax“ wehte der Davidstern, wehten Symbole der islamischen Welt. Die große Rede von den konkreten Friedensaufgaben der Christen hielt der Professor der Sorbonne, Lenz-Medoc. Er sprach nicht nur vom katholischen München, sondern auch von der Stadt der „Bewegung“. Weitausgreifend, die Zeitgrenze des Referats sprengend, riß er seine Zuhörer mit, sprach von der Versöhnung der Christen untereinander, den Zeitfragen und Zeitsorgen, sprach ein Ja zur Technik, die gerade aus dem Impuls des Weltverwandlungsauftrags entstand. Als zum Abschluß die anwesenden Bischöfe den Segen spenden, stand,, neben Kardinal Feitin, dem Präsidenten der Pax Christi, der Patriarch von Jerusalem, Antiochia und Alexandria, der zweiundachtzig-jährige Maximos, ein Nachfolger der Apostel...

DAS KREUZ Dem Karfreitag war der Wochenfreitag nachgebildet. In seiner Mitte stand, alles beherrschend, der Gang nach Dachau. Niemand schämte sich seiner Tränen, als mitten im anhebenden Gewitterregen die Prozession bei der neugeweihten Kapelle von der „Todesangst Christi“ eintraf. Aller Prunk, alle Repräsentation traten zurück. Das Marterholz mit dem geschundenen Leib wurde in das archaische Halbrund der ungefügen Sühnekapelle getragen. Dann traten die Zeugen vor: der Österreicher Figl, der heute als Erzbischof in Afrika wirkende Pole Kosluwski, der französische Resistancekämpfer Minister Michelet. Sie sprachen von dem, was sich hier abgespielt hatte, von Folter, Galgen und Schmach. Als deutscher Bischof der jüngsten Diözese seines Vaterlandes sprach der Ober-“hirte des Ruhrgebietes Confiteor und Kreuzeshoffnung in männlich-klarer Predigt. Weihbischof Neuhäusler, selbst ein Häftling, nahm die Weihe vor. Die Stimme brach ihm beim Gebet für Opfer und ... Mörder. Neben d n deutschen Jugendlichen, die in Fußwallfahrt, betend und betrachtend hergezogen waren, starben die jungen Polen des heut'gen Exils in ihrer Nationaltracht.

Als sich die Hunderttausend am Abend zur Kreuzesfeier versammelten, brach ein Wolkenbruch mit Blitz und Donner los. Die Wasser peitschten unter das Zelt und drohten die Kerzen zu verlöschen. Keiner der purpurnen Senatoren der Römischen Kirche rührte sich von seinem Sessel. Aber auch die Menschen unten harrten zum allergrößten Teil aus. Sie kauerten sich unter den Schirmen aneinander, lasen die durchnäßten Gebets- und Lesungstexte mit, die Erzbischof Rohracher am Altar anstimmte, hörten die Worte des Alten und des Neuen Bundes von der Sünd- und Todverfallenheit, von der Einsamkeit und Sterbeangst des sich immer gleichbleibenden Menschen. „Wir danken Gott, daß er sich uns in der kosmischen Gewalt offenbart“, rief der Prediger, der Jesuitenpater Waldmann, in das Donnerrollen hinein. „Eine Kirche, die hier auf Erden nur triumphieren wollte, wäre die Kirche Christi nicht“ ...

DAS LICHT

Schon am Samstagmorgen versammelten sich die Menschen zu Gemeinschaftsgottesdiensten. Die Akademiker scharten sich um Kardinal Lercaro und den in markanten Worten das Sonntagsmysterium deutenden Prediger P. Rahner. Die Jugend aber feierte ihre Gemeinschaftsmesse mit dem Kardinal von Indien, einer der imponierendsten Erscheinungen des Kongresses. Atemlos lauschten vor allem die Deutschen einer akademischen Feierstunde der Una Sancta, bei der Männer wie Karrer und Sartory von dem Zueinander der Konfessionen, den Kirchen des Wortes und den Kirchen des Sakraments, berichteten. Zu Standesversammlungen über die konkrete Beziehung zwischen dem heiligen und dem täglichen Brot versammelten sich Arbeiter, Bauern, Kaufleute, Handwerker. Vor den Kol-pingsöhnen sprach, in Gegenwart zahlreicher Bischöfe, wie auch Kardinal Beas, Bundesrat Eckert. Wieder drohte der Regen den Abendgottesdienst zu verhindern. Vorsorglich hatte der Kardinal von Wien seine Predigt für einen späteren Rundfunkvortrag angesetzt. Da, knapp vor der festgesetzten Stunde, hörte es zu regnen auf. Ein Abendrot verhieß für den Sonntag besseres Wetter. Während schnell die Nacht herniedersank, wurde der Altar zum Abbild des himmlischen Jerusalems. Unter der Pontifikalassistenz des Patriarchen hielten Metropoliten und Bischöfe der östlichen Riten zusammen mit lateinischen Hirten die heilige Abendmahlsliturgie. Anders als in lateinischer Disziplin sangen sie die Wandlungsworte in feierlichem Altgriechisch laut in das weite Rund. Immer wieder klangen die Litaneien auf, die durch einen dezenten Sprecher deutsch übersetzten inständigen Gebete. Niemand wird das alles vergessen können, den Bruderkuß der Bischöfe, die in heiliger Begeisterung geschwungenen Rauchfässer, die tiefen Verneigungen der Anbetung.

WELTKIRCHE

„Die Christen (nicht nur die Katholiken, kann man hinzufügen) des Erdballs sind ein gewaltiges Potential. Ich halte es für eine der großen Aufgaben des Kongresses der Begegnung, daß sie dessen immer lebendiger bewußt werden.“ So sagte der Kardinal von Wien zu den Journalisten, die er zur Konferenz geladen hatte. In den am meisten besuchten Veranstaltungen hatten es die Menschen mit allen Sinnen wahrgenommen, was Weltkirche heißt. Sie hatten die erschütternden Märtyrerberichte der Chinesen gehört, die klugen Analysen der Religionswissenschaftler, vor allem aber die Tänze gesehen, in denen sich die Inder um die Heilsdarstellung in ihrer Kultsprache mühen, die schweren Tanzschritte, mit denen zur katholischen Kirche gehörende äthiopische Priester die uns allen gemeinsame Liturgie begleiten. Dann aber, in der strahlenden Sonntagshelle, wurde es in einem einzigen Gesamtakkord zum Erlebnis für die Million Menschen, die sich zum feierlichen Schlußgottesdienst eingefunden hatten. Keinem wohl blieb das Herz verschlossen, als er den Einzug der Weltkirche zum Altar miterlebte. Und doch lag auch über diesem sonnenbeschienenen Tag, an dessen Ende das Sakrament in goldener Königskarosse zusammen mit dem anbetenden Legaten über den gesamten Platz gefahren wurde, kein billiger Triumph weltlicher Art. Nicht die Ecclesia triumphans feierte mit Pomp und Gloria: Von den „schweren Gewitterwolken“, die über unserer Zeit hängen, sprach die Stimme des Papstes durch den Äther. Von der Wiederkunft Christi und dem Ende der Zeiten sprach der Legat in seiner Predigt, die alles andere als eine „römische Allokution“ war. Auch jetzt noch blieb das Zentrum gewahrt. Der eine Herr in der Brotsgestalt vor allen geistlichen und weltlichen Potentaten, er behielt auf diesem Kongreß das letzte Wort. Bis in die letzten Winkel waren die geflüsterten Worte des zelebrierenden Kardinals zu vernehmen: ..Haec quotiescumque feceritis, in m e i memoriam facietis ...“

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