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Das zu Jahresbeginn 1961 in Kraft tretende Rubrikendekret Papst Johannes' XXIII., das sich sowohl mit der Feierordnung der Messe als auch mit der Ordnung des priesterlichen Stundengebets befaßt, bedeutet wedw einen sensationellen Neubeginn noch den endgültigen Abschluß eines innerkirchlichen Wachstumsprozesses, der im Grunde nie stillstand noch bis ans Ende der Tage jemals stillstehen wird. Die großen und umfassenden Neuordnungen unter Pius V., Benedikt XIV., Pius X., Pius XII. stellen zwar weiterhin sichtbare Markierungspunkte dar. Aber auch die dazwischenliegenden Zeiten bedeuten kaum völlige Pausen einer Arbeit, die keinesfalls von einem einzelnen oder einer amtlichen Kongregation allein geleistet werden kann. Für den Außenstehenden bedeutet die Liturgie der Kirche etwas Festgefügtes und scheinbar von Ewigkeit her Bestehendes. In Wirklichkeit herrscht gerade in diesem eigentlichen Lebenszentrum des Christentums unaufhörliche Bewegung. Die mächtigen Kultureinflüsse, die noch im ersten Jahrhundert Prägungen von größtem Nachdruck hinterließen, hinterlassen ihre Spuren heute zwar unauffälliger, die Prozesse gehen lautloser und allmählicher vor sich. Aber, in einem gewissen Gegensatz zu den meisten ostkirchlichen Riten, die in ehrfürchtig-starrer Bewahrung des Hergebrachten verharren, hat die römisch-katholische Kirche ihre Offenheit und Formbereitschaft niemals aufgegeben.

AGGIORNAMENTO Liturgiereform kann daher niemals Aufspürung und Nachahmung irgendeines Leitbildes — sei es in der idealisierten Vergangenheit, sei es in einer anzustrebenden Zukunft — bedeuten, dem die Gegenwart unterzuordnen wäre. U r-b i 1 d der Liturgie ist das biblische Geschehen selbst: Menschwerdung, Eucharistie, Kreuzestod, Auferstehung, Himmelfahrt, Geistsendung. Endbild ist die Liturgie des himmlischen Jerusalem, in dem kein gebauter Tempel mehr stehen wird. Die dazwischenliegende Geschichte bedeutet einen einzigen Weg, auf dem es keine noch so herrliche Station geben kann, die zurri dauernden Verweilen oder gar zur LImkehr verlocken darf. Reform der Liturgie bedeutet daher immer das, was Johannes XXIII. in einer seiner Erklärungen zum kommenden Konzil „aggiorna-mento“ genannt hat: Das dem Tag Gerechtwerden, die Erfüllung des Gegenwartsauftrags, den das Evangelium in sich schließt. Damit geht natürlicherweise eine stete, zwar pietätvolle, aber zwingend kritische Überprüfung des Hergebrachten einher, eine dem Außenstehenden oft hart erscheinende Rodung von Überwucherndem, die manchen verkümmerten Trieben bessere Wachstumsbedingungen sichern soll. Der heutige Papst fühlt sich bei seinen Reformmaßnahmen als Erbe seiner unmittelbaren Vorgänger, besonders Pius X. und Pius XII. Aber er hat auch ausdrücklich hervorgehoben, daß er dem kommenden Konzil noch viel weitergehende Maßnahmen der Neugestaltung vorbehalten möchte. Seine derzeitigen Anordnungen betreffen (von ganz geringen Ausnahmen abgesehen) nicht die (in den heiligen Büchern schwarz gedruckten) Texte selbst, sondern nur die Rubriken, die „ruber“-rot gedruckten Vorschriften an den Zelebranten und Beter, die die Anwendung der einzelnen Texte regeln.

OPFER UND HERRENMAHL Wer an den großen Gemeinschaftsgottesdiensten des unvergeßlichen Eucharistischen Kongresses teilnehmen durfte, wer das Gebet-und Liederbuch dieser Tage studierte, konnte sich bereits ein erlebnismäßiges Bild der Gestalt machen, die die Messe von morgen wohl haben dürfte. Die Bestimmungen der neuen Ordnung ändern an der Meßgestalt selbst überraschend wenig Das Stufengebet mit dem ConfiteoT bleibt mit Ausnahme jener Festfeiern, bei denen das Opfer durch eine Prozession (Lichtmeß, Aschenweihe, Palmweihe, Osternacht) eingeleitet wurde, erhalten. Dafür fällt das Confiteor (wie schon jetzt nach der unter Pius XII. erneuerten Osterliturgie am Gründonnerstag) vor dem Kommunionempfang weg. Dieser wird, ganz im Sinne der neuen eucharistischen Frömmigkeit, nahezu ausschließlich mit dem Meßopfer verbunden und seines hier und da noch erhaltenen Charakters einer privaten Erbauungsandacht entkleidet. Aber auch die Evangelienverkündigung wird in ihrer zentralen Bedeutung erhöht. Eine wenigstens kurze Predigt im Anschluß an die Frohbotschaft wird nun ausdrücklich vorgeschrieben. Die Moralpredigt und katechetische Christenlehre vor oder neben der Messe, ein Überrest des Josephinismus, soll dadurch mehr und mehr verschwinden. Das Schlußevangelium wird, obwohl seine liturgische Bedeutung als eine spätere Einfügung nach wie vor umstritten bleibt, bis auf ganz wenige Feiern des Kirchenjahres und jene Totenämter, an die sich die Einsegnung der Tumba anschließt, vorläufig noch beibehalten. Das zum Mönchgebet auffordernde „Benedicamus Domino“ der Adventsund Fastenzeit wird nun allgemein durch den Sendungsruf des „Ite missa est“ (bis auf die Totenmessen) ersetzt. Große Veränderungen treten allerdings im Charakter der Sonn- und Feiertage selbst ein. Hier ist die Tendenz unverkennbar, der Sonntagsmesse nach Möglichkeit den Vorrang gegenüber allen Heiligenfesten zu sichern. Feste, die im Laufe der Jahrhunderte aus verschiedenen Traditionen heraus doppelt, das heißt an zwei Tagen des Kirchenjahres, gefeiert wurden, scheinen nur noch einmal auf. (Dies betrifft die beiden Stuhlfeiern Petri, die beiden Festtage des Kreuzes, der Schmerzhaften Mutter Gottes, des Erzengels Michael). Auch Feste einzelner Ordenskommunitäten (wie etwa die Marientage der Karmeliten und Merzedarier oder die Stigmafeier des heiligen Franz) werden in der Weltkirche nicht mehr begangen. Heilige, die überwiegend legendäre Züge aufweisen (St. Georg, St. Alexius und andere) haben keine Tagesmesse mehr, besonders dann nicht, wenn ihre Verehrung, wie etwa bei Leo II. (einem „zweiten“ Fest Leos I.), auf einen chronistischen Irrtum zurückzuführen war.

DIE VOLLMACHT DER BISCHÖFE Mit diesen auf den ersten Blick etwas abrupt wirkenden Maßnahmen ist aber keinesfalls eine farblose Monotonisierung des Kirchenjahres verbunden. Im Gegenteil: Stärker als je seit den altchristlichen Tagen ist die Vollmacht des Bischofs gewachsen, den Gottesdienst nach eigenem Hirtenermessen mitzugestalten. Für die Votivmessen, die bis heute nur selten angeordnet wurden, sind neue Formulare geschaffen worden. Nicht mehr „Gegen die Heiden“ wird Gottesdienst gehalten, sondern „Für die Verteidigung der Kirche“. Nicht mehr zur „Aufhebung einer Spaltung“ wird Messe gelesen, sondern für die „Einheit der Kirche“. Das für immer überlebte Gebet für den „Römischen Kaiser“ wird durch ein neuformuliertes „für die Staatsmänner“ ersetzt. Eigene Meßformulare für Eucharistische Kongresse, aber auch für den Schulanfang und den Schulschluß wurden zusammengestellt. Die Flurprozessionen und Bittämter können (bis auf die Liturgie am 25. April) durch die Bischöfe an jenen Tagen angeordnet werden, die ihnen für ihre Diözesen am passendsten erscheinen. In den Missionsgebieten gehen die Vollmachten an die Bischöfe so weit, daß diese sogar eine Änderung in den Farben der Paramente anordnen können, wenn dies dem Volksempfinden besser entspricht. Aber auch der Ortspfarrer hat eine wichtige Vollmacht erhalten. Er kann bei einem dringenden Notstand aus eigenem Ermessen während der Meßliturgie eines jener Gebete für besondere Anliegen verrichten, deren Anordnung (als Oratio imperata) bislang allein dem Bischof vorbehalten blieb. Gewiß sind dies alles erst Anfänge, die dem Laien kaum sehr auffallen werden. Aber man geht in der Hoffnung nicht fehl, daß das kommende Konzil hier noch einige kräftige Schritte weitergehen wird, nicht um die Bischofsgewalt im Sinne eines überholten Gallikanismus „gegen Rom“ zu stärken, sondern um den Nachfolgern der Apostel in allen Teilen der Erde den Auftrag und die Freiheit zu geben, das gemeinsame Opfer und Mahl als eine die jeweils verschiedenen Menschen von ihrem eigenen Wesen her ergreifende Feier zu formen.

PRIESTERLICHER GEBETSTAG Das von Pius V. in seiner jetzigen Form geschaffene, seither aber schon einige Male durch Kürzungen reformierte Brevier des Priesters stellt seinem innersten Wesen nach das Band dar, das den einzelnen Geweihten mit dem unaufhörlichen Anbetungschor der Kirche vereinen soll. Da Wichtigste an dieser Vereinigung ist aber nicht das Pensum an Länge und auch nicht die murmelnde Aussprache von Formeln, die ihren Sinn nur im dialogischen Chorgebet der Mönche haben, sondern die Intensität und Konzentration. Dies ist aber dem in der heutigen Welt Stehenden rein psychisch und physisch nicht mehr über so ausgedehnte Zeiträume hin möglich wie im Mittelalter. Die wesentliche Verkürzung des Breviergebetes soll dem Priester mehr

Zeit zur persönlichen Sammlung, zur Meditation und zum betrachtenden Verweilen geben. An Stelle des „Pensums“ an Texten der Kirchenväter, die jetzt nur noch an den hohen Festen, die neun und nicht drei nächtliche Lesungen vorsehen, pflichtmäßig gelesen werden, soll nach dem Wunsch des Papstes eine reichere, aber dem privaten Ermessen überlassene Privat-lektürei der in ihren Gedankenreichtum unaus-schöpfbaren Väter treten.

Die sogenannte „Rangerniedrigung“ der Feste bringt nicht nur eine Kürzung der Lesungen mit sich, sondern auch ein stärkeres Hervortreten deT Wochentagsliturgie, die bis jetzt fast immer durch ein einfallendes Fest verdrängt wurde. Wenn auch die das Breviergebet betreffenden Einzelanordnungen des neuen Dekrets, das ja mehr als 530 Abschnitte umfaßt, ausschließlich den Priester betreffen, so sind sie für den modernen Laien dennoch nicht ohne jeden Belang. Mehr denn je zeichnete sich gerade in den beispielgebenden Feiern des Eucharistischen Kongresses das Bestreben der Kirche ab, Psalm- und Chorgebet, Schriftlesung und kirchlichen Hymnengesang (dies sind ja die Elemente des Breviers) nicht mehr als Privatangelegenheit des „Amtspriesters“ anzusehen, sondern zur Sache des gesamten Volks zu machen. Die „Christmette“ (Matutin des Festes), die „Trauermetten“ der Karwoche (Matutin und Laudes), die da und dort sogar außerhalb der Kloster-und Domkirchen volkstümlich geblieben sind, stellen ja keine isolierten Zeremonien dar. Sie sind als Vorbereitung hingeordnet auf das Zentralgeheimnis der Messe, wie ja auch das Breviergebet, das nach den neuen Vorschriften nicht mehr als ein lastendes Pensum auf einmal absolviert werden darf, sondern nach Möglichkeit den geheiligten Tagzeiten angepaßt werden muß, auf den Höhepunkt der Tagesmesse hinzielt oder in den Mittags-, Sonnenuntergangsund Nachtgebeten von deren Gnadenstunde bestrahlt wird.

Liturgiereform heißt nicht Verkomplizierung und Überfrachtung des Gottesdienstes, heißt aber auch nicht billige Annäherung und unwürdige Vereinfachung. Ihr tiefster Sinn liegt in dem immer neuer Überlegungen und Anstrengungen werten Bemühen, die Tore zum Heiligtum des Gottesdienstes weiter und einladender zu öffnen, die Feier der Messe und früher oder später auch der sie umrahmenden Tagzeiten zu einer Sache aller Christen, der gesamten Gemeinschaft des mystischen Leibes Christi zu machen ...

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