50 Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil: Liturgie erst am Anfang der Reform
Die sichtbarste Neuerung des II. Vatikanums betraf die Liturgie. Die liturgische Feier wird neu gesehen: Christus selbst ist der "Hauptzelebrant“ des gemeinschaftlichen Zusammenkommens. Doch die katholische Kirche hat sich stark verändert. Was bedeutet das für die Feier des Gottesdienstes?
Die sichtbarste Neuerung des II. Vatikanums betraf die Liturgie. Die liturgische Feier wird neu gesehen: Christus selbst ist der "Hauptzelebrant“ des gemeinschaftlichen Zusammenkommens. Doch die katholische Kirche hat sich stark verändert. Was bedeutet das für die Feier des Gottesdienstes?
Zentrales Thema der Liturgiekonstitution des II. Vatikanums ist die "volle, bewusste und tätige Teilnahme“ aller, die die Liturgie feiern. Der "Hauptzelebrant“ der gemeinschaftlichen Feier der Kirche ist Christus selbst; das Mitbeten und -singen durch alle und die Hingabe an Gott gehören zusammen. Bekanntlich waren die in der Konstitution angekündigten Reformschritte sowie die später in den revidierten liturgischen Büchern und in der Praxis konkretisierten Veränderungen groß.
Es gab aber auch Kontinuität: Viele Gebetstexte blieben, wie sie waren. Die meisten Katholiken betrachteten die Reformen als eine wesentliche Bereicherung ihres Glaubens. Allerdings müssen einige Anliegen noch in die Praxis umgesetzt werden. Die Kelchkommunion etwa findet in den meisten Gemeinden kaum statt und nicht-eucharistische Gottesdienste werden wenig gefeiert, weil vielerorts alles sich um die Messe dreht.
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Im Vergleich zur Konzilszeit hat sich die westeuropäische liturgische Landschaft sehr verändert. So fällt auf, dass die Gottesdienstteilnahme erheblich abgenommen hat. Die meisten Katholiken sind "Festchristen“ geworden: Sie besuchen die Kirche zu bestimmten Festen oder Lebensritualen. In Anbetracht dessen ist die Versuchung groß, von einer "geistigen Wüste“ in Westeuropa zu sprechen und - was konkrete gottesdienstliche Formen betrifft - eine "Reform der Reform“ anzustreben. Auch wenn Andacht, Anbetung und "Schauder“ vor dem Heiligen unentbehrliche Qualitäten der katholischen Liturgie sind, so sind Nuancierungen hinsichtlich dieses negativen Urteils angebracht.
Unterschiedliche Lebenswirklichkeiten
- Erstens traten durch die pastorale Ausrichtung des Konzils auch andere Grundfunktionen der Kirche als die Liturgie stärker ins Blickfeld: So gibt es Gläubige, die sich sehr für die Caritas einsetzen, aber die Gottesdienste als "fad“ empfinden und eher meiden. Sind diese Gläubigen weniger fromm?
- Zweitens sind, wie früher, die religiösen Gefühle von Kirchgängern recht unterschiedlich. Sie schwanken zwischen feurigem Eifer und bloßer Routine. Längst nicht alle Katholiken wünschen sich eine "volle Teilnahme“ und nur eine Minderheit möchte sich aktiv engagieren. Eine andere Minderheit will überhaupt keine liturgischen Veränderungen und desavouiert sogar die eigenen Kirchenführer, wenn diese solche vornehmen. Die große Mehrheit befindet sich in der Mitte und wartet ab, wie sich die Kirche entwickelt. Diese Gruppe bedient sich des liturgischen Angebots an für sie wichtigen Lebensmomenten, aber sie deutet das eigene Leben selbst kaum noch aus der Perspektive des Christentums, der Bibel, der Geschichte Jesu.
- Drittens ist es vielen am Gottesdienst Teilnehmenden äußerst wichtig, in einer konkreten Feier den geistlichen Hunger zu stillen, Heilung und Befreiung, Vertrauen und Hoffnung zu erfahren. Für zahlreiche Menschen trifft das alte Schema "Ich glaube, darum gehe ich in die Kirche, darum nehme ich an der Messe teil“ nicht mehr zu, sondern sie suchen nach der eigenen Identität, Sinnperspektive sowie Begegnung und Gemeinschaft. Hier geht es um Differenzierung der Liturgie je nach Gruppe.
Die Erfahrungen und Sprachformen von Jugendlichen oder Frauen weichen oft vom offiziellen kirchlichen Sprachgebrauch ab. Zur Förderung des Offenseins für das Liebesmysterium des dreieinen Gottes braucht man jedoch die Sprachen von heute. Die Liturgiekonstitution des Konzils hat einen wichtigen Neuanfang gemacht, wir stehen jedoch erst am Anfang des Prozesses der Rezeption der Volkssprachen und ihrer zahlreichen Gestalten.
Offiziell-kirchliche Dokumente treten momentan für den theologischen Stellenwert des liturgischen Lateins ein und befürworten wörtliche Übersetzungen in die jeweiligen Muttersprachen. Dies führt aber zu erheblichen Problemen, wie die Einführung des neuen englischen Messbuches und des neuen deutschen Begräbnisrituals klarmachen.
Abgehobene Liturgiesprache
- Viertens sind für immer mehr Westeuropäer Religiosität und Kirchenzugehörigkeit unterschiedliche Dinge; sie erfahren die "göttliche Welt“ auch außerhalb traditioneller Kirchen. Religiöse Rituale in diesem Bereich blühen. Individualisierung, Pluralisierung und Detraditionalisierung sind signifikante Merkmale der Zeit.
- Fünftens gibt es auch interne Faktoren für die abnehmende Teilnahme an der Liturgie. Mehrere Theologen klagen über die "abgehobene“ Liturgiesprache. Viele nicht-sprachliche Symbole werden oft nicht verstanden. Ob die Situation früher besser war, sei dahingestellt.
- Sechstens stellt sich die drängende Frage nach der Existenz von Ortsgemeinden. Wie sieht die Beziehung zwischen dem Zusammenkommen der Ortsgemeinde, der Eucharistiefeier, den Wort-Gottes-Feiern und den Pfarrverbänden aus?
Volkskultur und Medienreligiosität
- Siebtens ist die Liturgie nicht auf die klassischen Gottesdienste im Kirchengebäude beschränkt, sondern umfasst ein viel breiteres Spektrum. Wieder beliebter werden Wallfahrten sowie Erntedankfeste und Segnungen, wie die Palmweihe, Adventkranzsegnung und Osterspeisensegnung. Zu nennen sind auch die Lebensrituale bei der Geburt oder Adoption von Kindern, bei Beziehungen, Scheidungen oder Verlusten.
Diese Phänomene zeigen, wie wichtig die religiöse Volkskultur ist: ein äußerst bedeutender Humusboden für die Erfahrung von Sakramentalität! Wenn dieser Humus untergeht, ist auch die offizielle Liturgie gefährdet, auszutrocknen. Zudem denke man an die Welt des "Medienreligiösen“ (Arno Schilson): die Heils- und Unheilsversprechen in der Werbung, den rituellen Feiercharakter der Shows und die Vorbildfunktion der in Talkshows dargestellten Biografien.
Die Programmstruktur des Fernsehens - etwa die "Zeit im Bild“ ist eine wichtige Markierung im Tagesablauf - hat für viele Menschen die Funktion des Morgen- und des Abendlobes und der Angelusglocke übernommen. So gibt es heute eine vielschichtige Ritualpluralität, die sich außerhalb des Kirchengebäudes abspielt. Wir haben es mit kleinen Kerngemeinden und einer großen pluriformen Gruppe von Christinnen und Christen um diese herum zu tun.
In vielen Pfarren wird immer noch begeistert Liturgie vorbereitet und gefeiert. Dass 50 Jahre nach dem Konzil die Liturgiereform noch nicht überall tief greift, ist kein Grund, die Notbremse zu ziehen. Ängstlichkeit um liturgische Disziplin und nostalgische Rückkehr zu Vergangenem sind keine Lösung. Es geht um weiteres Aufgeschlossen-Sein für die Zeichen der Zeit. Liturgieerneuerung liegt auch immer noch vor uns.
Der Autor ist Prof. f. Liturgiewissenschaft an der Universität Graz
Bewegung
Die Reform wurde in der liturgischen Bewegung vorgedacht etwa von Romano Guardini (1885-1968) u. Pius Parsch (1884-1954).
Alles was atmet, lobe den Herrn!
Zur Liturgiereform. Vortrag von Bert Groen und Peter Ebenbauer.
Reihe "Religion am Donnerstag“,
Do 25.10., 19 Uhr Universitätszentrum Theologie
Heinrichstr. 78, 8010 Graz.
theol.uni-graz.at
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