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Mißverständnisse

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Einer kleinen revoltierenden Gruppe, die Mitte Jänner in Paris vor der Kathedrale Notre-Dame in einer Tumudtszene gegen den französischen Wortgottesdienst und die Durchführung verschiedener Konzilsbeschlüsse protestierte, scheint auch im Blätterwald unserer Heimat eine Reihe von Essayisten sekundieren zu wollen. Hierher gehört auch der Artikel einer österreichischen Zeitschrift, die sich an Akademiker wendet. Schlagworte wie Demokratisierung oder Proletari&ie-rung des Kultes spielen in derlei Veröffentlichungen eine entscheidende Rolle. Diesen kritischen Stellungnahmen ist das eine gemeinsam, daß sie polemisch abgefaßt sind und mit ungerechtfertigtan Unterstellungen arbeiten. Einige typische Unterstellungen, die wir als unbegründet zurückweisen müssen, seien hier aufgezählt.

An erster Stelle steht der Vorwurf, man wolle „zurück zum Urchristentum“. Demnach ist die Liturgiereform „rückschrittlich“. Sie werde „zum anachronistischen Aufruf: Lasset uns die Flüsse durchwaten, wiewohl es schon längst Brücken gibt“. Mit Apostrophierun-gen wie „fortschrittlich“ oder „rückschrittlich“ wird man Maßnahmen im Bereich der Ordnung des Kultes nie gerecht werden. Die Begründung dafür liegt im Sinn des Kultes. Wir sind glücklich, in der Tradition der Kirche durch die Jahrhunderte hindurch viel von dem zu finden, was uns heute erstrebenswert und wieder in einem neuen Licht erscheint. Aber der Grund für das liturgische Apostölat liegt in den Erfordernissen der Gegenwart und in einem tieferen Verständnis des Kultes, nicht im Archäologisieren.

Die Sorge um die Liturgie bedeutet angeblich auch, daß man steckengeblieben ist in der Jugendbewegung und ähnlichem oder dies nun nachholen wolle. Die Romantik der Jugendbewegung ist offensichtlich meilenweit entfernt von der Nüchternheit, mit der sich heute Gemeinschaften formen und ausdrücken. Auch bei dieser Unterstellung werden entscheidende Strukturunterschiede nicht gesehen.

Auch mit Funktionslust und mit der Anpassung an die Praxis politischer Funktionäre hat die liturgische Erneuerung überhaupt nichts zu tun. Diese Unterstellung ist besonders lächerlich, wenn man bedenkt, daß damit der Priester getroffen werden soll, der doch täglich sein Brevier betet, besinnliche Betrachtung hält und von dem man sicher nicht zu Recht sagen kann, er sei einer von denen, „denen es eine Qual bedeutet, auch nur ein Buch nachdenklich zu lesen und auch nur einmal einen Tag stille zu sein ...“

Diesen Kritikern sei gesagt, daß es sich in der Liturgie nicht um Vorgänge handelt, die mit gesellschaftlichen Verschiebungen auf politischer Ebene vergleichbar sind. Im Zusammenhang mit der neuen Liturgie von einer Tendenz zur „Vermassung“ in der Kirche zu sprechen ist absurd, wenn man bedenkt, daß es dabei, im Gegenteil, um den Weg zur „bewußten, frommen und tätigen Mitfeier“ der Kultgeheimnisse geht (Konstitution Nr. 48). Die Unterstellungen enden mit dem Vorwurf, den Bemühungen um die Liturgie fehle die persönliche Liebeskraft. Die ungeheure Verfälschung, die in dieser Aussage liegt, möge das Leben selbst beantworten.

Wenn dann im Namen der Akademiker Verwahrung eingelegt wird gegen das, was allenfalls zwar im Negergottesdienst zugestanden werden könnte, dann erübrigt sich hier der Hinweis auf eine „akademische Überheblichkeit“. Die heute an vielen Stellen gefeierten Gottesdienste der Akademiker und der Hochschüler beweisen genug, wie von ihnen heute die Liturgie nicht nur in vorbildlicher, sondern auch in einer tief zu Herzen gehenden Weise gefeiert wird.

Die Kommission, die sich heute darum bemüht, im Auftrag der Bischöfe eine im deutschen Sprachraum brauchbare Übersetzung der Schrifttexte für den liturgischen Gebrauch anzufertigen, wäre an erster Stelle berufen, die Schwierigkeit dieser Aufgabe darzustellen. Es ist gewiß nicht einfach, einen der Bibel getreuen und im sprachlichen Ausdruck befriedigenden Text zu schaffen. Man will jedenfalls die besten Fachleute darum bemühen.

Aber auch angesichts dieser Schwierigkeiten besteht kein Grund, über die „Landessprachler“ zu spotten. Zu ernst ist das Anliegen, das in der Herausarbeitung eines eigenen Wortgottesdienstes seinen Ausdruck findet.

Die Kritik wartet auch hier mit unhaltbaren Thesen auf. „Das Schweigen reicht tiefer...“ Eine solche These wäre zunächst zu vergleichen mit den Worten über die Predigt im 10. Kapitel des Römerbriefes: „Wie werden sie an den glauben, von dem sie nicht gehört haben? Und wie werden sie hören ohne Prediger... ?“ Die Sprache steht im Dienst der Verkündigung. Der Kult enthält auch die Selbstaussage Gottes im menschlichen Wort hinein in unsere Zeit. Diese Verkündigung steht in der Hut der Kirche unter dem Beistand Gottes, wodurch die Verführung in den Irrtum ausgeschlossen ist. Als Wort zum Glauben ist diese Verkündigung begleitet und getragen von der Gnade. Dieses Wort Gottes ist grundsätzlich ein „exhibitives“ (Karl Rahner), ein wirksames Wort, am stärksten in den Sakramenten, wo das, worüber geredet wird, sich selbst gegenwärtig setzt und zu eigen gegeben wird.

Nun wird behauptet, die Landessprache störe angeblich das Schweigen. Das Kirchenlatem stört offensichtlich dieses Schweigen nicht? Es wird unterstellt, daß das Schweigen keinen Platz mehr habe in der Liturgie. Das stimmt einfach nicht. Die zur Besinnlichkeit führende Stille wird im Verlauf der Eucharistiehandlung während des Kanons um so stärker zur Wirkung kommen, je deutlicher der Gegensatz zu dem vorhergehenden Teil der Verkündigung ist. Gerade die gegenwärtige Praxis bringt zum Ausdruck, wie wenig Schweigen bloß Teilnahmslosigkeit und Dahkidösen ist und wie sehr es bewußt und entschieden geformter Ausdruck ist für Erwartung und Stille, für die Haltung der Annahme des vorangegangenen Anrufes und des sakramentalen Geschehens.

Völlig übersehen wird von der Kritik, daß das Wort der Verkündigung nicht für sich selbst steht. Die

Elfenbeinrelief aus dem 9. Jahrhundert Konstitution sagt in Nr. 33, es handle sich um die Anrede Gottes an Sein Volk. Freilich geschieht dies in der menschlichen Begrenztheit und Unvollkommenheit, die in der lateinischen Formulierung nicht geringer ist als in der deutschen. Was da vermittelt wird, sind die Geheimnisse der Erlösung. Von einer Verdeutlichung in platte Äußerlichkeit kann also nie die Rede sein, wenn man verstehen kann, was verkündet wird.

Völlig übersehen wird auch, daß dieses Wort auch insofern nicht für sich selbst steht, als es, Bestandteil einer Liturgie des Wortes ist, vorgetragen im Zusammenhang mit einem in aller Einfachheit doch feierlichen und bedeutungsvollen Kultvollzug. Das heilige Spiel der Riten, der Glanz der Lichter, die Amtsgewänder des Priesters in den Farben des Kirchenjahres geben zusammen mit den sinnbildlichen Handlungen einen feierlichen Rahmen. All diese Handlungen und Zeichen empfangen erst aus den Worten der Schrift ihre Bedeutung (Konstitution Nr. 24).

Wer sich im Zusammenhang mit Predigtpflicht und volksnaher Liturgie zum Sprecher macht für Diskretion und Intimsphäre, die nicht preisgegeben werden dürfe, denkt nur an das eigene seelische Gleichgewicht und nicht daran, daß die aufgetragene Botschaft einen Einsatz verlangt. Dem Glaubensboten ist die Bürde übertragen, auch in selbstloser Weise zur gegebenen Zeit „aus sich herauszugehen“. Die Predigt bleibt, was sie zur Zeit der Apostel war: den Engeln ein Schauspiel, den Juden ein Ärgernis, den Heiden eine Torheit...

Die Sorge eines Kritikers gipfelt in der Angst vor der „Formlosigkeit“, die nun notwendig einreißen wird. Ihm ist entgangen, daß es ein Ziel der Neuordnung der Riten ist, die Kultformen deutlich herauszuarbeiten. Offensichtlich hat er die bisherigen Formfehler im lateinischen Ritus noch nicht entdeckt. Wird jedoch der Vorwurf der Formlosigkeit vom Standpunkt des Ästheten erhoben, dann muß man darauf antworten, daß nicht das Sprachkunstwerk eines gepflegten Literaten in Gefahr steht, sondern weit eher der Ausfall an Verkündigung und Zeugnis für das Wort Gottes, das uns nicht dazu gegeben wurde, daß wir es verschweigen, sondern um verkündet und gelebt zu werden. Auch wenn diese Verkündigung und dieses Leben des Wortes nicht in ästhetischer Vollendung gelingen kann.

In diesem Zusammenhang werden auch die Voraussetzungen echter Sammlung völlig verzeichnet, wenn man meint, sie sei möglich, ohne daß zuvor die Begegnung mit dem Anruf stattgefunden hat, an dem das innere Vermögen erst erwacht. Das Eingehen auf den Rhythmus des kultischen Vorganges ist das beste Mittel, sich von der Unrast des Alltags zu lösen und innerlich bereit zu werden für die Stille, in der schließlich unserer Erwartung eine hoffnungsvolle Antwort bereitet wird.

Wir erwähnten schon den Vorwurf, Liturgie sei nun endlich etwas für Funktionäre. Daß hier Gefahren bestehen, weiß jeder. Damit jedoch die Neuordnung der Liturgie abzu-tun, ist zu billig. Einer solchen Kritik scheint die bedeutungsvolle Akzentsetzung in der Konstitution über die heilige Liturgie entgangen zu sein. Es ist von der Liturgie und insbesondere von der Eucharistiefeier nicht mehr nur im Sinn des opus operatum die Rede, sondern es wird jetzt sehr stark auch die Voraussetzung der persönlichen Disposition betont, die gerade durch die Riten mit bewirkt wird (vgl. Nr. 59). Natürlich ist diese Disposition auch sonst durch die Lebenshaltung mitbestimmt (vgl. Nr. 11-~13), Das als Getue verschriene, nun so nachdrücklich geforderte Mittun ist hier sakramentales Erfordernis. Es ergibt sich aus dem Wesen der Messe als Opfer Christi, an dem wir nur teilhaben, wenn wir darauf eingehen. Es ergibt sich aus dem Wesen der sakramentalen Teilnahme, to der die Kirche eingeht auf das Opfer ihres Herrin und so erst in ihr der einzelne Anteil gewinnt am Heil. Diese Sorge um die tätige Teilnahme aller Gläubigen am Kult will vermeiden, daß sich die Gläubigen nur wie Außenstehende und stumme Zuschauer betrachten (Nr. 48). Jede Teilnahme an der Heilsfrucht ist nur möglich durch persönliches Eingehen, durch Überwindung der Teilnahmslosigkeit in einer vollen bewußten und tätigen Teilnahme (Nr. 14). Diese aber bedarf auch der Äußerung.

Man übersieht, daß Gott unsere Bemühung auch dort will, wo sie unvollkommen und bescheiden bleibt. Was wir tun, ist nicht deshalb gut, weil wir es herrlich und formvollendet zu tun vermögen, sondern weil es ein Tun ist, in dem wir zeigen, daß wir es als ganze Menschen mit Leib und Seele emst nehmen. Sinnvoll und wirksam ist es insofern, als es ein Tun ist, dem sich der Herr beigesellt, dem Er aus reinem Erbarmen Seinen Beistand verheißen hat. Hier liegt der entscheidende Unterschied gegenüber dem Aktivismus, dem sich jeder Kult verschließt. Ziel der Neuordnung des Kultes ist es (Konstitution Nr. 2), alles so zu fügen, daß sich das Menschliche auf das Göttliche, das Sichtbare auf das Unsichtbare, die Tätigkeit auf die Beschauung und das Gegenwärtige auf das Zukünftige hingeordnet erweist.

Besonders scharf wird das Zelebrieren zum Volk hin kritisiert. Die Konstitution stellt es nun frei. Altäre sollen so aufgestellt werden, daß diese Zelebrationsrichtung möglich ist. Gefordert ist sie nicht, aber es liegt in der Natur der Sache, daß nach Möglichkeit und Eignung — jedenfalls bei bestimmten Anlässen — auch diese Form der Zelebration versucht wird. In behutsamer Voraussicht verlangt 4ie Anweisung der Bischöfe dafür als Voraussetzung, daß die Liturgie gut vorbereitet wird und der Liturge selbst sich entsprechend diszipliniert zu verhalten weiß. Wohl dem, der weiß, ob er zum Volk zelebrieren kann oder nicht. Aber man sollte auch keine Angst haben, es zu versuchen.

Die Kritik unterstellt auch hier etwas simpel nur Neugier und Schaulust. Sie übersieht dabei, daß der Priester inmitten der Gemeinde nicht als Schauspieler steht und als mehr oder weniger imposanter oder geschickter Mime, sondern als demütiger Stellvertreter in der Rolle Christi. Das ihn umhüllende Gewand, die vorgeschriebenen Gesten, die von der Kirche ihm in den Mund gelegten Worte machen diese Vertretung deutlich genug. Es entspricht der Natur des Dialogs als Wechsel von Anruf und Antwort, daß der Priester in dieser Funktion der Gemeinde von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht Wenn die oben erwähnten Voraussetzungen gegeben sind, kann dies sehr wohl eine lebendige Verbindung mit der Gemeinde sichern.

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