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Liturgischer Neubau

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Als im Jahre 1508 die alte Petrusbasilika abgerissen wurde, damit an deren Stelle der neue, gewaltige Petersdom entstehen konnte, erhielt im Volksmund der dafür verantwortliche Baumeister Bramante den Titel: maestro ruinante. Die Archäologen unserer Zeit, die dem großen Architekten diese Tat bis heute nicht verziehen haben, stimmen dem Urteil bei. Dieser Fall wird heute manchem in den Sinn kommen, wenn er auf dem Höhepunkt der Liturgiereform, der mit dem ersten Adventssonntag 1969 erreicht wurde, zurückschaut auf das, was geschehen ist. Ein imponierender Neubau ist errichtet worden; aber er ist errichtet worden auf den Ruinen eines altehrwürdigen Baues, in dem unsere Vorfahren seit anderthalb Jahrtausenden gewohnt und gebetet haben. Eine Besinnung auf Verlust und Gewinn des gewaltigen Unternehmens ist darum wohl am Platze.

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Als im Jahre 1508 die alte Petrusbasilika abgerissen wurde, damit an deren Stelle der neue, gewaltige Petersdom entstehen konnte, erhielt im Volksmund der dafür verantwortliche Baumeister Bramante den Titel: maestro ruinante. Die Archäologen unserer Zeit, die dem großen Architekten diese Tat bis heute nicht verziehen haben, stimmen dem Urteil bei. Dieser Fall wird heute manchem in den Sinn kommen, wenn er auf dem Höhepunkt der Liturgiereform, der mit dem ersten Adventssonntag 1969 erreicht wurde, zurückschaut auf das, was geschehen ist. Ein imponierender Neubau ist errichtet worden; aber er ist errichtet worden auf den Ruinen eines altehrwürdigen Baues, in dem unsere Vorfahren seit anderthalb Jahrtausenden gewohnt und gebetet haben. Eine Besinnung auf Verlust und Gewinn des gewaltigen Unternehmens ist darum wohl am Platze.

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Der Prozeß, an dessen vorläufigem Ende wir stehen, hat begonnen mit dem, was wir die Liturgische Bewegung nennen. Man hatte die Werte der Liturgie entdeckt und hatte in ihr eine kernige Frömmigkeit erkannt, die in ihrer Geschlossenheit einen starken Gegensatz bildete zur Frömmigkeitsweise, die aus den letzten Jahrhunderten ererbt war, mit ihrer Zersplitterung in Andachten, mit ihrem Zug ins Periphere. Mit neuem Eifer begann man, die Geschichte dieser Liturgie zu studieren; das siebzehnte Jahrhundert hatte dafür schon gute Vorarbeit geleistet. Es wurde deutlich: Auch diese Liturgie war geworden. Sie war gewachsen aus dem Wesenskern der Christusbotschaft und aus der Begeisterung des Anfangs; aber sie war auch überwachsen und zum Teil überwuchert von sekundären Elementen. Sie war zuletzt erstarrt; aber unter der starren Hülle war immer noch das kostbare Erbgut er- , haltert’ das, was Christus gewollt hat und was die Väter geschaffen haben — und was wieder lebendiger Besitz werden konnte.

Das bedeutete zugleich, daß die Formen der Liturgie wandelbar waren. Sie verloren den Charakter zeitloser Geltung. Sie wurden relativiert. Die Liturgische Bewegung hatte sich damit begnügt, das Vorhandene im Rahmen der Vorschriften auszuwerten. Das Studium der Geschichte weckte den Mut, einen Schritt weiter zu gehen und nach einer Reform zu rufen.

Die Reform ist gekommen. Ihre ersten Schritte bestanden darin, daß sekundäre Überformungen abgestoßen wurden: die vielfache Wiederholung des Kreuzzeichens, des Altarkusses, der Kniebeugung. Die Freude an der Wiederholung entsprach einem Stilelement der gotischen Kunstperiode, die längst vorüber ist. Ebenso fielen weg sekundäre Zugaben aus derselben Zeit: am Anfang der Messe der zweiundvierzigste Psalm, am Schluß das letzte Evangelium. Was als Anteil des Volkes entstanden war, wurde dem Volke zurückgegeben: das Antworten, das Einstimmen in den Gesang. Folgenschwer war der Übergang zur Volkssprache, der zuerst nur in den Lesungen geschah, dann auf alle Gesänge und schließlich auf die ganze Messe ausgedehnt wurde. Damit wurde dem ganzen Reichtum der Kirchenmusik, der sich seit vier Jahrhunderten herausgebildet hatte, die Grundlage entzogen. Die auf die latenischen Texte aufgebauten Kompositionen der großen Meister der Tonkunst und der alterprobte Eifer der Kirchenchöre werden zunächst auf die Rückzugsgebiete der hohen Festtage und einiger Großstadtkirchen beschränkt. Im Sonntagsgottesdienst der durchschnittlichen Pfarre gilt der Volksgesang. Die Liturgie ist den Gläubigen zu lebendiger Mitfeier erschlossen worden.

Aber es ist nicht zu leugnen: Damit sind auch wirkliche Werte zerstört worden. Wenn der durchschnittliche Christ, dem noch nicht der „Schott“ ein selbstverständlicher Begleiter geworden war, nun wenig vom Gang der Messe verstand: gerade durch die Beiträge der musikalischen Kunst in der fremden lateinischen Sprache, der „Sprache der Kirche“, erhielt er den Eindruck des Heiligen. Er sah sich herausgehoben aus dem Alltag. Er begegnete einer höheren Welt und wurde sich dunkel bewußt, daß er zu ihr gehörte. Und alles blieb in einer gewissen Distanz, wie sie dem Heiligen angemessen schien. In einer Atmosphäre der Ehrfurcht fühlte er sich mit seinem eigenen schlichten Beten wohl geborgen. Manchem frei-

lieh mochte die Distanz und die Verhüllung des Heiligen wohl eher darum willkommen sein, weil sie keine deutliche Forderung enthielt, und nicht selten wird der musikalische Genuß an die Stelle einer echten Gottbegegnung getreten sein. Aber die Verlustrechnung ist beträchtlich.

Zugang zum Heiligtum

Was wird nun durch die Reform positiv geboten? Der Zugang zum Heiligtum ist für alle freigegeben. Das allgemeine Priestertum kraft der Taufe ist, ohne daß davon viel gesprochen wird, verwirklicht und emstgenommen. Alles spielt sich ab im hellen Tageslicht der eigenen Sprache. Der Wortgottesdienst verläuft im Gegenüber von Priester und Volk. Der nirgends vorgeschriebene, aber schon weit verbreitete „Volksaltar“ hält dieses Gegenüber sogar für die Gläubigetimesse fest. Sogar die Worte der Wandlung sind in eine möglichst verständliche Fassung gebracht worden.

Durch diese rationale Klarheit wird der Gottesdienst zugleich zu dem, was er auch von Anfang an war: zur wichtigsten Form der Glaubensverkündigung in der gläubigen Gemeinde. „Sooft ihr dies tut, sollt ihr den Tod des Herrn verkünden.“ Der Christ wird sich in der heiligen Versammlung, im Beten und Opfern der sonntäglichen Messe dessen bewußt, was er als Christ besitzt. Wenn er in den alten Präfa- tionen und in den neuen Hochgebeten den Dank und Lobpreis für das vernommen hat, was uns in Christus geschenkt ist, wird er mit neuer Freude das Amen sprechen. Die Liturgie wird diejenigen, die das Leben der Kirche mitleben — so dürfen wir hoffen — zu besseren Christen machen. Ihre Frömmigkeit wird sich vertiefen und wird es ihnen leichter machen, als Christen zu leben in einer gottfremden Welt.

Dabei ist dann aber noch einmal mit einem Verlust zu rechnen. Manche Randchristen, die bisher noch den Gottesdienst besuchten, werden nicht gewonnen, sondern abgestoßen. Sie sehen sich mit dem Glauben, den sie für den ihren hielten, schonungslos konfrontiert. Das iist das Christentum: Aufstieg zu Gott durch Christus den Gekreuzigten und Auferstandenen in der Gemeinschaft der Kirche. Das geht weit hinaus über die Erfüllung eines „religiösen Bedürfnisses“. Die gefühlvolle Frage: „Wohin soll ich mich wenden?“ erhält eine überklare Antwort. Als erfahrener Seelsorger stellt Pfarrer Josef Ernst Mayer im Hinblick auf diese „Gottgläubigen“ fest: „Je verständlicher die Gebete der Kirche werden, desto deutlicher wird der geistige Abstand.“ Es kann darum wohl sein, daß für manche die Reform der Liturgie zum Anlaß wird, der Kirche den Rücken zu kehren. (Vgl. auch die Feststellungen nach einer Innsbruk- ker Umfrage bei H. B. Meyer und J. Morel, Ergebnisse und Aufgaben der Liturgiereform, Innsbruck 1969, 34 f.)

Reichtum und Armut

Die Klarheit der Formen, die Herausstellung des Wesentlichen, der Verzicht auf schmückende Zugaben bedeutet im Anfangsstadium nach der Reform notwendig eine gewisse Armut. Es wird nicht bei dieser Armut bleiben. Die dem neuen Meß- ordo beigegebenen „Richtlinien“ ge-. währen große Freiheit in der Ge-.t staltung der Gesänge. Eine kürzlich ergangene römische Instructio verlangt, es sollen nicht nur die in den einzelnen Nationen vorhandenen Schätze an Kirchengesang benützt, sondern auch befähigte Kräfte ermuntert werden, diese Schätze zu mehren. Die bewußte Armut heutiger Liturgie darf nur diejenige des Baumes im Frühjahr sein, wenn erst nur die Knospen springen — Blüten und Früchte werden folgen.

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