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Liturgie und moderne Dichtung

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Die Evangelische Kirche Deutschlands hat den Dichter Manfred Hausmann zum Prediger einer Hamburger Pfarre berufen. Dieses Ereignis, von der Presse teilweise als kultureile, teilweise als kirchliche Randnotiz kürzlich gemeldet, blieb nicht yhne geistiges Echo, auch im katholischen Raum. Der Anlaß zu einer Diskussion über das Verhältnis von Grottesdienst und moderner Literatur ist gegeben. Der Einwand, die Evangelische Kirche berufe ja auch Pastorinnen, oder die Pastoral der Evangelischen Kirche sei ohne jeden Einfluß auf die katholische Methodik der Verkündigung und Liturgie, zählt im Zeitalter der christlichen Ökumene wenig. Die evangelische Kirche hat den Dichter, den Hüter und Künder des Wortes, auch zum Verkünder des Gotrteswortes gemacht. Nicht die Position Manfred Hausmanns in der deutschen Gegenwartsliteratur, son-

nes Amtes steht zur Diskussion.

Mehr als diLstantische Erbauungsdichtung

Was auf den ersten Blick an dieser Berufung sehr progressiv und riskant erscheint, ist in Wirklichkeit nur die Rückkehr zu früh- und vorchristlichen Kultfarmen. Nicht nur im klassischen Griechenland war die Dichtung mit dem religiösen Kult eng verbunden. Das Alte Testament als heiliges Buch der Juden und Christen ist auf weiten Strecken das Werk gottbegnadeter Dichter. Die Lieder und Reden der Propheten, die Psalmen und Sprüche und nicht zuletzt die mitunter bestürzend modernen Visionen sind neben ihrer theologischen Bedeutung Zeugnisse einer hochstehenden orientalischen Poesie. Die christliche Liturgie verdankt ihnen ihren ehrwürdigen künstlerischen Schmuck. Erst eine allzu rationalistische Exegese ließ uns die Schönheit dieser Wortkunst mitunter vergessen. Nachdichtungen mußten sich außerdem streng dogmatisch orientieren und besaßen daher selten die dichterische Fülle des Originals. Selbst das Wort „Dichtung“ wurde von den Apologeten in der Befürchtung, damit in einen Gegensatz zur Wahrheit zu kommen und an Glaubwürdigkeit zu verlieren, tunlichst vermieden.

Nun erinnert man sich daran. Und auch daran, daß die Väter der frühen Kirche nicht selten eine poetisch beschwingte Feder führten. Wo heilige Begeisterung eine Botschaft trägt, dort ist immer auch Kunst im Spiel. Sie ist insoferne der Gnade verwandt, als sie nicht immer nach der Würdigkeit ihres Trägers fragt.

Bis ins Mittelalter währte die Verbindung von Dichtung und Liturgie. Die großen Hymnen, die als Sequenzen der Toten- und Fronleichnamsmesse eingefügt sind, waren die letzten Beiträge der geistlichen Dichtung zum Gottesdienst.

Seither ist der Dichter in der Liturgie arbeitslos geworden. Aller Künste, der Musik, der Malerei, der Architektur und ihrer Unter- und Nebenabteilungen bediente sich die Kirche weiterhin zur Gestaltung und Verherrlichung des Gottesdienstes. Der Dichter durfte bestenfalls Texte für den Volksgesang schreiben. Eine dilettantische Erbauungslyrik, die in ihren glücklichsten Fällen das Niveau guter Gelegenheitsliteratur erreicht, fand so Eingang in den Gottesdienst. Die wirkliche geistliche Dichtung, die daneben immer noch entstand, die sich aber nicht leicht in kleine Münze

wechseln Meß, mußte nun ihre Existenzberechtigung auf dem Markt der profanen Literatur durchsetzen. Sie hat dazu etwa von der Gegenreformation bis zum Anbruch des 20. Jahrhunderts gebraucht. Der Kampf hat der geistlichen Dichtung nicht geschadet. Sie ist aus der Kirche quasi in die Wüste gegangen und kehrt gestärkt und in ihrem Wesen bereichert zurück. Sie findet eine nach dem Vatikanuni II veränderte Kirche auf der Suche nach einer neuen Liturgie vor.

Moderne Prophetie

Die geistige Situation hat sich auch sonst geändert. Die zeitgenössische Philosophie hat sich von der Metaphysik abgewandt und ist mehr und mehr ein System zur Verhaltens- und Sozialinterpretation geworden. Die Kirche, die mit der Neuscholastik eine offizielle Philosophie zu halten versuchte, rückt allmählich davon ab. Wo sind jetzt geistige Zeugnisse von echter Metaphysik? Zweifellos in der modernen Kunst. Daher die intensive Befassung der Kirche mit dieser Kunst.

Die entstehende Bildungsgesellschaft bedarf aber auch einer Wegweisung durch eine metaphysisch inspirierte neue Wortgewalt, durch eine Art moderner Prophetie. Somit rücken in unserer Zeit die Funktionen der Literatur und der Liturgie wieder einander näher und die Wortkunst erhält wieder einen Teil ihrer ursprünglichen priesterlichen Funktion. Die Berufung Manfred Hausmanns sollte in diesem Lichte gesehen werden.

Ein Fehler wäre es allerdings, die Dichter nach der Art politischer Engagements an die apostolische Front zu schicken und Parolen für kirchliche „Einsätze“ auszugeben. Es ist anzunehmen, daß die gegenwärtige katholische Kirche gegen solche Rückfälle in ein Wortpathos gefeit ist. Nur in einer freien, schöpferischen Begegnung liegen Möglichkeiten und Chancen. Wortgottesdienste modemer Literatur, die bereits versucht wurden, sollten nicht als „willkürliche liturgische Experimente“ abgelehnt, sondern als erste Formen der Begegnung und gegenseitigen Bef ruchtung begrüßt werden.

Für den Dichter, dessen Standort in der modernen Gesellschaft so fragwürdig geworden ist, ergäbe sich auf diese Weise eine neue soziale Funktion, eine notwendige Beheimatung, wie sie die moderne bildende Kunst und die Musik in der Kirche längst gefunden haben.

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