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Nicht nur „gute Nachricht”

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Wenn die Bischöfe in ihrem Fünfjahresbericht im Kapitel „Kunst und Literatur” die Frage stellen, ob es vertretbar sei, sich in einer Zeit des Terrors, der Kriegsgefahr, der Krisen ausgerechnet mit Kunst und Literatur einzulassen, so hat schon Friedrich Schiller in seinen Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen gültig Stellung bezogen, in .einer nicht minder prekären Zeit, als die Französische Revolution vor der Tür stand. Die geschichtliche Entwicklung hat ihm recht gegeben.

Heute bezieht ausgerechnet ein Herbert Marcuse die gleiche Stellung, bereits früher in seinem Buch „Der eindimensionale Mensch” und nun jüngst in seinem Essay „Die Permanenz der Kunst”. Dort sagt er Dinge, die sich ein Theologe kaum zu sagen getraut, die man aber aus seinem Mund hören sollte. Marcuse sagt auch, warum man vergeblich darauf wartet, von Theologen ähnliches zu hören, weil sie „den feierlichen Teil eines praktischen Behaviorismus zelebrieren”, gerade im gottesdienstlichen Raum, der für die meisten Menschen der einzige Raum der Begegnung mit der Kirche ist. Ein seelsorgliches Nutzdenken, eine rationalistische „entsakralisierte” Praxis ist am Werken, die urteilslos und unterschiedlos alle zeitgemäßen Mittel einsetzt, wenn sie nur das Etikett „fortschrittlich” tragen und zu einer frommen Nutzanwendung führen.

Ebenso klar und eindeutig spricht der Soziologe Peter Berger in seinem Buch „Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft” im zweiten Teil. Wer es also als „Luxusphänomen” betrachtet, sich mit Kunst und Literatur zu beschäftigen, kann hier bei einem Soziologen .i tjtaehiesen; welche Aktualität, die ..„ästhetischen Bereiche” des Menschen besitzen. Wenn sie allerdings „neben” dem Leben stehen, als Freizeitbeschäftigung, dann sind sie Luxus, doch die heutige Kunst und Literatur baut gerade diese Haltung ab und zeigt, wie sie qualitativ Mensch und Gesellschaft zu verändern, ja zu revolutionieren vermögen. Anschauungsmaterial liefert neben Marcuse Albert Camus in seinen Aufsätzen zu Zeitfragen, oder auch Günter Rombolds Buch „Kunst, Protest und Verheißung”.

Dichtung, allgemeiner: Literatur, bietet längst keine erholsame Unterhaltung mehr, kein gemütvolles Ornament, sie verändert, schockierend und faszinierend, das Bewußtsein, indem sie neu die Grundpositionen menschlicher Sinnfragen absteckt. Wer nur einigermaßen, aus Zeitungen, Fernsehoder Theaterprogrammen, Namen wie Musil, Bachmann, Bernhard, Handke kennt, weiß, daß es hier um Existenz- und Glaubensfragen geht, auch im Angriff gegen jeden Glauben, von dem sie sich im Stich gelassen sehen. „Am letzten kann man heute wohl bei den Theologen Rat einholen, denn sie sind die Befangenen, zudem weithin in Rückzugsgefechte begriffen, in Kapitulation und Verhandlung mit dem Zeitgeist und seinen massiven Trabanten” (Ernst Jünger).

Wie kann man überhaupt noch existieren, überhaupt noch etwas glauben, sind die bestürzenden Fragen vieler Gegenwartsromane. Das geschieht auf einem Gebiet, das den Theologen eminent interessieren müßte: auf dem ureigensten Gebiet der Sprache selbst. Der „Jedermann” von heute ist Peter Handkes „Kaspar Hauser”. Mit der Sprache baut er sich eine Welt auf, verbaut sie sich aber auch wieder. Verantwortung vor der Sprache ist Sache des Dichters, und sollte auch Sache des Theologen sein, der sich dem Logos verpflichtet weiß. „Von Gott kann man nicht sprechen, wenn man nicht weiß, was Sprache ist. Tut man es dennoch, so zerstört man seinen Namen und erniedrigt ihn zur Propaganda-Formel” (Günter Eich).

In der Sprache wird sich der Mensch überhaupt erst seines Menschseins bewußt, gilt für Handkes Kaspar Hauser und einer ganzen Reihe neuerer Dichtungen. Sprache ist mehr als bloße Information, Weitergabe von Nachrichten, und mögen sie noch so „gute Nachrichten” sein.

In dieser platten Übersetzung des Evangeliums als „gute Nachricht” offenbart sich der ganze Unverstand. Entweder bedient man sich einer feierlichen Amtsprache, oder, aus Fremdworten und Journalismus zusammengelesen, aufgepäppelter Gemeinplätze, oder, wenn es hochkommt, eines Kunsthandwerk-Vokabulars und liturgischer Gebrauchslyrik. Mit dem Zeitgeist kokettierende Attraktivitätshascherei verrät den Logos und sündigt gegen das zweite Gebot: Du sollst den Namen Gottes nicht eitel nennen. Was jedem gerade an „guten” Gedanken einfällt, wird schon für würdig erachtet, beim Gottesdienst verwendet zu werden, bis in die Wandlungsworte hinein.

Ingeborg Bachmann nennt das eine „Gaunersprache”, die man für alles und jedes parat hat, die mit Leerformeln alle Situationen meistert. Pastorale Redseligkeit überhandnehmender Funktionäre, nennt das Edzard Schaper. „Dann spring noch einmal auf und reiß die schimpfliche Ordnung ein”, ruft Ingeborg Bachmann, „damit die Welt die Richtung ändert Keine neue Welt ohne neue Sprache”. Was nützen Blätterverschleiß und Spruchbänder, das Sakrament kann nicht vollzogen werden. Besserverstummen, als unglaubwürdiges Geschwätz.

Mit der Sprache versucht Paul Celan stockend und buchstabie- rend neue Orientierungszeichen au setzen, „um mich zu erkunden, wo ich mich befand und wohin es mit mir wollte. Dichtung hält auf etwas Offenstehendes, Besetzbares zu, auf ein ansprechbares Du, auf eine ansprechbare Wirklichkeit”. Sie ist nach Paul Celans wohl großartigster Definition, „Unsterblichkeit- sprechung von lauter Vergeblichkeit und Umsonst”. Ist das nicht Logos im wahrsten Sinn? Nicht umsonst hat Christus seine Botschaft in Parabeln und Gleichnissen gefaßt - keineswegs als „gute Nachricht”, weil sich Religion anders nicht ausdrücken läßt.

Von kontemplativer Vergewisserung des Wesentlichen spricht Karl Jaspers; und unser Altmeister Rudolf Hfenz in seiner „Kleinen Apokalypse” nimmt die Sprache beim Wort, um von den ersten und letzten Dingen, um über Alpha und Omega wieder Bescheid zu wissen.

Frisch, fromm, fröhlich, frei platzen die Theologen mit ihrem landessprachlichen Enthusiasmus in diese ernste und aufwühlende Problematik um die Sprache, wie der bekannte Elefant im Porzellanladen. Synodentexte oder Jahresberichte verfassen, in denen auch Beschäftigung mit Literatur gefordert wird, hilft wenig, wenn die „emotionale und psychische Welt so wenig gebildet ist Wie bei unserer Geistlichkeit; da kann man nicht erwarten, daß diese Gruppe in Kunst und Literatur Urteil und Gestaltungskraft zeigen wird” (H. Schade, Gestaltloses Christentum).

Um das „Gewissen der Worte” geht es, wie Canetti seine Aufzeichnungen nennt. Wenn wir heute das Wort im Wortgottesdienst, noch dazu in einer allen verständlichen, daher auch von allen kontrollierbaren Landessprache so in die Öffentlichkeit stellen, müssen wir uns auch in besonderer Weise der Verpflichtung des Wortes bewußt bleiben: Du sollst den Namen Gottes nicht eitel nennen. Das ist der Sinn der Aneignung von, nicht bloß Beschäftigung mit Literatur.

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