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Die Teilnahme des Volkes

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Die stille Messe hat ihre Funktion als Minimalerfordernis zur Erfüllung der Sonntagspflicht verloren. Abgesehen davon, daß ihr rascher Ablauf manchen Priester dazu verleitet, einen Großteil der Gebete so herunterzuhaspeln, daß der Ministrant gerade noch mitkommt, erweckt sie bei vielen Besuchern den Eindruck, die Sonntagspflicht sei eine bloße Anwesenheitspflicht. Gibt es etwas Beschämenderes als den häufig gehörten Satz: „Pater N. ist in 25 Minuten fertig, da gehe ich öfters hin!“? Für manche Pfarre mag es die Entschuldigung geben, daß es an Vorbetern aus der Jugend mangelt. Ist dies aber wirklich ein stichhältiger Grund? Kann nicht ein Mann in älteren Jahren herangezogen werden? Wie wäre es, wenn man sich dazu entschlösse, einen Ministranten zu verpflichten, wenigstens die beweglichen Teile laut mitzulesen, wenn kein Vorbeter vorhanden ist? Muß ein Meßdiener nach dem Stufengebet wirklich fast stumm bleiben?

Man muß sich darüber im klaren sein, daß die Verbreitung unserer religiösen Grundsatzliteratur keineswegs jene Förderung erfährt, welche sie verdient. Vergleicht man die Anstrengungen, die etwa das marxistische Lager bei der Publikation seiner ideologischen Schriften macht, mit jenen der Katholiken, so muß man mit Beschämung gewaltige Unterschiede feststellen. Wo bleibt die im Rotationsverfahren hergestellte, gefällige und moderne Volksbibel in der Preislage eines Taschenbuches? Warum nimmt man es dem einzelnen Katholiken nicht ab, Buchhandlungen nach der Dünndruckausgabe des Volks-Schotts durchzukämmen? Ein Schriftenstand ohne Bibel und Meßbuch ist im Grunde ein Unding. Völlig unzureichend ist nach wie

vor die Versorgung der Meßbesucher mit Meß- und Liedertexten. Die Ausrede, daß zu viele Exemplare abhanden kämen, ist nicht stichhältig. Denn: wer entwendet schon einen abgezogenen Text oder eine Karte mit den gleichbleibenden Teilen? Es wäre vorteilhaft, alle Kirchenbänke mit Abstellkästchen für Liederbücher zu versehen, wie dies in Amerika längst üblich ist: Was die „bewußte Teilnahme“ der Gläubigen fördert, hat Vorrang — insbesondere vor all dem, was den in der Konstitution genannten „Glanz edler Einfachheit“ vermissen läßt.

In seinem 1960 erschienenen Buch „Von christlicher Existenz heute“ widmet Erik Kuehnelt-Leddihn ein Kapitel dem Problem der „femini-sierten Kirche“: „Die Abwesenheit der Männer und die Präsenz der Frauen in der Kirche ist wahrscheinlich der größte Skandal unserer Zeit“ (S. 42). Es ist hier nicht der Platz, das Phänomen des „Männerabfalls“ zu untersuchen. Dennoch sei auf die Möglichkeit hingewiesen, durch Vermännlichung gewisser Sakralformen eine Rückführung der Männer in den kirchlichen Raum einzuleiten.

Zunächst wären die Gebete und das kirchliche Liedgut den Erfordernissen der Jetztzeit anzupassen. Hiezu bedarf es nicht nur der Vermeidung von Pathos und Süßlichkeit in Text und Melodie, sondern auch der Anpassung der Orgelbegleitbücher an die Stimmlage der Männer, denen es im Gegensatz zu den Frauen meist unmöglich ist, die Kirchenlieder in der Höhe des Kunstgesanges mitzusingen (vergleiche Art. 114 der Konstitution). Hiezu sei ein öffentlicher Wettbewerb zur Schaffung moderner österreichischer Kirchenlieder angeregt. Wie nicht jeden Sonntag „Wohin soll ich mich wenden“ die Hauptlast der Liturgie in Österreichs Kirchen tragen soll, so sollen die Riten überhaupt „frei von unnötigen Wiederholungen“ sein: dem Wesen des Mannes sind repetitive Ausdrucksweise und Eintönigkeit fremd, ist er doch im Vergleich zur „bewahrenden“ Frau eher der „gestaltende“ Teil. Klare Anweisungen darüber, wie sich die Gläubigen bei den einzelnen Teilen der Messe zu verhalten haben, sind notwendig, soll nicht das sich bei jedem Glockenzeichen bekreuzigende Ker-zenweiblein den Standard setzen. Wenn die moderne Sakralkunst nach dem Willen der Konzilsväter „mehr auf edle Schönheit als auf bloßen Aufwand“ bedacht ist (Art. 124), so wird sie zweifellos viel dazu beitragen, dem in den ästhetischen Kategorien des technischen Zeitalters denkenden Mann den Mitvollzug der Gedächtnisfeier zu erleichtern. Aus demselben Grund wird die Geistlichkeit das einfache liturgische Gewand dem mit Spitzen verzierten vorziehen und den Gebrauch der Soutane möglichst einschränken. Alle Hilfsmittel, welche die gemeinsame Feier der Eucharistie fördern, sind anzuwenden. Hiezu gehört neben dem freistehenden Altar auch eine Lautsprecheranlage. Mehr als bisher muß die Seelsorge darauf bedacht sein, dem gläubigen Volk die Scheu vor dem Tisch des Herrn zu nehmen, der doch nur dem tatsächlich in der Gottesferne der schweren Sünde Lebenden verwehrt ist.

Eine lebendige Erneuerung der Liturgie kann nur in engem Zusammenwirken von Klerus und Volk erfolgreich durchgeführt werden. Österreichs Katholiken schauen vertrauensvoll auf ihre Bischöfe, von denen sie eine mutige Durchführung des begonnenen „aggiornamento“ der Kirche auch in unserem Raum erhoffen. Nach dem Willen des Konzils soll nicht alles beim alten bleiben, „denn die Liturgie enthält einen kraft göttlicher Einsetzung unveränderlichen Teil und Teile, die dem Wandel unterworfen sind. Diese Teile können sich im Laufe der Zeit ändern, oder sie müssen es sogar, wenn sich etwas in sie eingeschlichen haben sollte, was der inneren Wesensart der Liturgie weniger entspricht, oder wenn sie sich als weniger geeignet herausgestellt haben“ (Art. 21).

Was aber die innere Wesensart der Liturgie ist, ergibt sich schon aus der Wortbedeutung: griechisch leiturgia — Tun des Volkes. Möge uns allen dieses ursprüngliche Verständnis des Gottesdienstes wiedergegeben werden!

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