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Experiment „Klub

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Es gehört zu den versicherten Ergebnissen der Religionssoziologie, daß ein gesellschaftlicher Wandel auch Veränderungen in der Struktur der Kirche, damit aber auch im pastoralen Handeln mit sich bringt. Am deutlichsten zeichnet sich das wohl jeweils an der jungen Generation ab: Wer mit der Jugendseelsorge der Nachkriegszeit auch nur ein wenig vertraut ist, vermag das zu bestätigen.

Die Situation der Jugenda beit ist in der Mehrzahl vor allem de • Großstadtpfarren kritisch. Beunr ihigend ist dabei weniger noch die kleine Zahl, zu der blühende Organi: artionen zusammengeschrumpft sind, sondern viel mehr das Faktum, da 3 diese kirchliche Jugendarbeit „in tüchtig“ ist und im Normalfall nur d e schon Kirchlichen „bekehrt“. Dei große Wiener Pastoraltheologe H. S woboda hat darin, daß immer nur sc ion Bekehrte bekehrt werden, den Hauptfehler der Großstadts jelsorge erblickt.

In einer Wiener Pfarre h it diese Einsicht die Jugendführun ' dazu bewogen, ein genau umsch nebenes und wohldurchdachtes Ex eriment zu beginnen, das den Namer „Klub“ erhielt. Mit diesem Erf: hrungs- bericht hoffe ich, andere i einen Dienst erweisen zu können.

Das fundamentale Anlie; en der Anfangszeit mußte natürlic h darin bestehen, auch mit jenen Jugend

lichen in Kontakt zu treten, die nicht zur Kirche gehen, wohl aber suchende junge Menschen und getaufte Christen sind, denen gegenüber die Kirche durch die Taufe auch Pflichten übernommen hat. Es war dabei klar, daß dies nicht so geschehen konnte, indem man diese Jugendlichen von der Straße, dem Espresso und ihrem Moped weg kurzerhand zu Heimstunden rein religiöser Natur, zu Glaubensgesprächen oder Gottesdiensten einladen konnte. Die religiöse Situation dieser jungen Menschen war auf Grund ihres Elternhauses und mannigfacher Umwelteinflüsse derart, daß solche Angebote von vornherein ergebnislos sein mußten.

Heimat „Pfarre“

Aufbauend auf der begründeten Erkenntnis der Religionssoziologie, daß man der Kirche zuerst angehört und dann „glaubt“ (ö. Wölber, Religion ohne Entscheidung. Volkskirche am Beispiel der jungen Generation, Göttingen 1960, Seite 60 und 104), sollte deshalb zunächst versucht werden, die Jugendlichen In der Kirche, konkret also auf dem Boden der Pfarre zu „beheimaten“. Dazu wurde der genannte Klub errichtet. Die Leitung und Programmgestaltung übernahmen die Jugendlichen selbst und wählten zur Durchführung ein Dreierkomitee. So konnten sich die Jugendlichen, die sich zuvor

weitgehend auf der Straße oder in zwielichtigen Espressos getroffen hatten, viermal in der Woche in dem von ihnen selbst eingerichteten und auch selbst finanzierten Klubraum treffen. Dort wurde vorwiegend Musik gehört, Schach gespielt, und am Samstag abend auch getanzt. Die bisherige innerkirchliche Jugend war durch einen erfahrenen Jugendführer im Klubkomitee vertreten.

Im Laufe des ersten Halbjahres wurde auch eine Fußballmannschaft gegründet. Dadurch wurden Kontakte zu anderen Jugendgemeinschaften geschlossen. Vierzehntägig war sogenannter Klubabend, zu dem die ausweisbesitzenden ordentlichen Klubmitglieder geladen waren. In Monatsabstand wurde auch ein Film gezeigt.

Der rege Besuch nach einem halben Jahr vermochte zu sagen, daß ein gutes Stück des Plansolls „Gemeinschaftsbildung auf dem Boden der Pfarre“ erreicht worden war. Der Klub hatte eine außerordentliche Anziehungskraft entwickelt, und man konnte neben den etwa 30 ordentlichen Mitgliedern allabendlich auch eine Reihe von Gästen begrüßen.

Menschliche Kontakte

Es war zunächst gar nicht daran gedacht, intensiv spezifisch kirchliche Arbeit zu leisten. Diese beschränkte sich im wesentlichen auf die Gestaltung einer Weihnachtsfeier mit der Verkündigung der Weihnachtsfrohbotschaft und einer Interpretation auf die spezifische Situation der teilnehmenden Jugendlichen hin. Anläßlich der Fronleichnamsprozession sowie einer Abendmesse, an denen der eine oder andere aus dem Klub auf Grund persönlicher Kontakte teilnahm, entstand eine rege

Diskussion über den Kirchgang. Viel wertvoller aber als diese Großkontakte waren daneben intensive „Einzelkontakte“ der Mitglieder zu einem kirchlichen Amtsträger (Kaplan) und ebenso zu überzeugten Christen und der Jugend. Die Tragweite solcher menschlicher Kontakte zur Kirche, zu Christen und Geistlichen, ist heute aus Arbeiteruntersuchungen bekannt, von denen man weiß, daß Menschen, um die sich Kirdhe und Geistliche je einmal gekümmert haben, eine weitaus höhere „Kirchlichkeit“ aufweisen, mehr zur Kirche und zu den Sakramenten gehen und auch einen höheren Glaubensstandard haben als jene, um die man sich nie gekümmert hat.

Zu diesem Zeitpunkt wurde nun die Arbeit mit dieser gefestigten „profanen“ Gemeinschaft weitergeplant. Es war klar, daß vor allem das menschliche Niveau gehoben werden mußte, sollte je eine Verkündigung der Frohbotschaft auf gutes Erdreich fallen. Um das Gruppenniveau zu heben, wurden unter anderem folgende Aktionen erarbeitet:

a) Zunächst sollten alle Klubmitglieder zu einem Tanzkurs verpflichtet werden, damit sie dort — von weltlichen Stellen und so vielleicht glaubwürdiger — gesellschaftliche Umgangsformen lernen sollten.

b) Die Verhaltensformen, die sich im Klub auf einem der Herkunft der Leute begreiflicherweise entsprechendem und deshalb nicht sehr hohem Niveau entwickelt hatten, weil kaum einer etwas anderes in die Gruppe als „Geschenk“ mitgebracht hatte als die Umgangsformen der Straße, sollten aufgebrochen werden, indem gezielt eine Reihe von Personen mit höheren Standards to den Klub einziiehen.

Kritik und Zustimmung

Zur Verwirklichung dieses Anlie- Urteil abzugeben. Es ist aber mög-

gens wurde ein Klubbeirat gegründet. Dieser besteht aus Mitgliedern der traditionellen Jugend, weiters einer seht' lebendigen Familienrunde sowie.au Mitgliedern der „action 365“, die am Experiment rege interessiert sind und von ihrer Seite aus alles unternehmen wollen, Kontakte mit den Jugendlichen anzuknüpfen. So ist daran gedacht, die Mädchen des Klubs gelegentlich zu jungen Familien einzuladen, einer der Familienväter bietet sich der Fußballmannschaft für ein Konditionstraining an, ein anderer hat die Filmabende in die Hand genommen.

In diesem Stadium war endlich auch schon daran gedacht, menschlich-religiöse Probleme anzuschneiden. Die in diesem Alter (15 bis 18) aktuelle Thematik des Mädchens, der Liebe, des Burschen, aber auch schon der Existenzgründung, des Verhältnisses zu den Eltern, den Erwachsenen, zu Beruf, Politik und Gemeinschaft versprachen eine Reihe von Themen, die auf Interesse stoßen und in deren Behandlung religiöse Werte nicht ausgeklammert werden konnten. Auch die Diskussion über die Rolle des Klubs im Raum der Pfarre oder auch der Katholischen Jugend, die sich zum Beispiel allein daraus ergibt, daß der Klub sich an der Diözesanmeisterschaft der KJ beteiligt, führt direkt in die religiöse Problematik dieser jungen Menschen hinein.

Wir sind uns von vornherein dessen bewußt gewesen, daß hier ein Experiment angefangen wurde, das nicht über Nacht volle Christen, ja nicht einmal „volle Menschen“ erbringen kann. Wer ein wenig um die Dauer des Entkirchlichungspro- zesses jener Familien weiß, aus denen solche Jugendliche stammen, wird nicht vorschnell meinen, daß die „Einkirčhlichung“ solcher Gruppen über Nacht erfolgen kann. Die Erfahrungen eines halben Jahres aber geben zu der berechtigten Hoffnung Anlaß, daß auf dem Weg dahin ein bescheidenes, aber unübersehbares Stück gegangen worden ist. Pastorell muß die Beheimatung in der Pfarre und müssen die intensiven freundschaftlichen Kontakte zu Priestern und lebendigen Laien hervorgehoben werden. Schon diese allein lassen ein solches Experiment als gelungen erscheinen, wenngleich es noch verfrüht ist, ein endgültiges

lieh, bereits jetzt einige „Pro“- und „Contra“-Meinungen zu diesem Experiment anzuführen.

Zu den großen Schwierigkeiten solchen Experimente gehört im erster. Linie die Raumfrage. Wir wiederholen eine nur allzu bekannte Kritik, wenn wir feststellen, daß hier die politische Gemeinde der Jugend gegenüber versagt. Es ist um so dringlicher, daß die Kirche hier subsidiär einspringt.

Ebenso prekär wie die materielle Raumsituation ist die geistige Raumsituation. Viele Christen und pfarr- lich Verantwortliche, aber auch andere Organisationen, distanzieren sich und üben großzügig destruktive Kritik. Es soll dabei in keiner Weise in Abrede gestellt sein, daß es nichts zu kritisieren und zu verbessern gibt. Das tun auch die mitarbeitenden Beiratsmitglieder in ausgiebiger Weise. Aber es ist ein Unterschied, ob man Kritik übt, um ein Experiment zum Scheitern zu bringen, oder ob man beim Gelingen mithilft. Wir beklagen es, daß bei vielen einflußreichen Persönlichkeiten diesbezüglich kein Verständnis da ist. Sie sagen unbekümmert, ohne je ein einziges Mal den internen Klubbetrieb gesehen zu haben, daß Experimente dieser Art zu nichts führen und nur das Vorhandene verderben, daß das Ansehen der Pfarre Schaden leide und durch den Stromverbrauch die Pfarre zu sehr belastet sei: Es sei besser, das Vorhandene zu hüten und zu verbessern. Damit schließt sich der Kreis unseres Berichtes, weil wir wieder bei dem gelandet sind, was H. Swoboda schon am Beginn des Jahrhunderts der josephinisch geprägten Seelsorge des „Herankommenlassens“ der Leute vorgeworfen hat: Daß man immer wieder den großen Fehler begehe, schon Bekehrte zu bekehren.

Es erfüllt uns aber mit großem Optimismus, daß maßgebliche kirchliche Persönlichkeiten das Experiment nicht nur mit Interesse verfolgen, sondern auch gutheißen. Kardinal König, dem ein ausführlicher Bericht zugeleitet worden ist, hat sich dafür sehr bedankt und mitgeteilt, mit großem Interesse den Bericht über das Experiment gelesen zu haben. Er sehe von sich aus keine Schwierigkeit, daß das Experiment weiter verfolgt werde, und er werde sich selbst dafür interessieren.

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